Manafonistas

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Archives: Zeitreisen

 

Erinnerungen sind gerne trügerisch in Details, und in anderen, noch flüchtigeren Fundstücken einer fernen Zeit, extrem genau.“ (Ergänzung: auf keinen Fall sollte dieser Text von jemandem gelesen werden, dem er bekannt vorkommt.) 

 

1978 war eine Zeit, in der Kakteen interessante Schatten warfen in meiner leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über Nacht blieb, hiess Julia und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich mahm das neue Album von Brian Eno in Empfang, „Music For Films“. Eine Anzeige von Polydor in der „Sounds“ hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift „Der Mann im Hintergrund“. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine betörende Qualität. Julia mochte die Musik auch und verliess meine Wohnung und mein Leben.

 

1980 fuhr ich mit einem Freund öfter ins „Act“ nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants. Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht.

 

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna, und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Meine Geliebte hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem zuvor erschienen, fantastischen Album „Discipline“ hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads mit ins Spiel. Spät am Abend Neil Young und Crazy Horse mit Nils Lofgfen, bei „Cortez the Killer“ reckten wir unsere Feuer in den Himmel. Etwas später  ging der Blick von unserm Hotelfenster auf den Rathausplatz hinaus, und mein Name war Jean Pierre Leaud. Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und sich die Troggs auf seinem Plattenspieler drehten. Auf der Rückreise lief Benzin unbemerkt aus dem Tank, und der grellgrüne Hippie-VW schleuderte im Kreis. Drei Monate später waren wir Geschichte.

 

 

Der Stern von Gerhard Richter muss Ende der Sechzigerjahre aufgegangen sein, als er nach Fotos malte. Zum ersten Mal hörte ich in der Schule von ihm. „Ist das etwa Kunst?“, fragte ich naserümpfend. Später an der Uni war er für viele Kommilitonen ein Vorbild, sozusagen durchgängige Wertkonstante. Für jemanden wie mich, der sich dem Surrealismus und allerlei inneren Selbstfindungen zuwandte, der zwischen Spiritualität und Interesse an der Psychoanalyse pendelte, wirkte sein Werk schwer zugänglich und unterkühlt. Ich sah ihn eher als eine Ikone oder auch Sinnbild für etwas „Erhabenes“. Nachdem ich den Film Werk ohne Autor des imposanten Florian Henckel von Donnersmarck gesehen hatte, bemerkte ich einige tiefere Zusammenhänge: In der Schule hatten wir damals einen Lehrer für Musik, Geschichte und Gemeinschaftskunde, der ein höherer Dienstgrad in der Wehrmacht des Zweiten Weltkriegs gewesen war. Er war gut ausgebildet und elitär, körperlich von kleiner Statur. „Warum hast du denn diesen Nazi im Leistungskurs gewählt?“ Nun, es gab eine Art thrill aufgrund seiner unterhaltsamen Erzählweise. Eines Tages ging er aber zu weit und behauptete, den Holocaust hätte es nie gegeben und Euthanasie sei fallweise gerechtfertigt. Damals fuhr ich oft mit dem Auto meiner Mutter zur Schule und sammelte dann auf dem Weg dorthin verschiedene Mitschüler ein. Unter ihnen war die nette und kluge K, ihre Eltern hatten Geld und sie war mit dem Sohn des Schulleiters zusammen. Ich erzählte ihr oft von diesen wiederholt giftigen und ungeheuren Äusserungen. Da sie mutig war und auch Mitglied der Schülerzeitung, schrieb sie einen Artikel über seine Verfehlungen mit dem Ergebnis: er wurde in den Vorruhestand versetzt. In diesem Zusammenhang hatte K mich zum Tee eingeladen. Das stilvolle Haus im Tal, am Fluss, ich mochte diesen Ort, nahm auf einer roten Samtcouch Platz, darüber hängte ein monochromes Bild, ebenfalls in Rot. „Wer ist das, ist es ein Original? „Ja, Gerhard Richter, meine Eltern haben es gekauft“, gab K zurück, leicht verlegen, wohl weil es ihr leicht snobistisch erschien. Ich war beeindruckt. Und auch der Tee war gut. Zurück zur Gegenwart: Bevor Henkel von Donnersmarck „Werk ohne Autor“ produzierte, war bereits ein Buch von einem Autor des Magazins Der Spiegel erschienen. Es war eine präzise recherchierte Geschichte über Gerhard Richters kindliche Verstrickungen mit Nazi-Deutschland, wo seine geliebte Tante Marianne einem Euthanasieprogramm zum Opfer fiel. Ein Monster-Schwiegervater, fantastisch gespielt von dem deutschen Schauspieler Sebastian Koch, hatte seine Finger in diesem tödlichen Spiel. Alles in allem ist es großartig, diese tiefen Einblicke in die Kindheit und die aufstrebende Karriere des sonst doch eher wortkargen Künstlers zu bekommen. Sehenswert sind auch einige porträtierte Figuren der damaligen Düsseldorfer Kunstakademie: Sigmar Polke, Günther Uecker und vor allem Joseph Beuys, der im Audimax eine Vorlesung hält („ … mit Lehmbruck habt ihr euch beschäftigt? Ich habe heute nichts für euch, ihr könnt nach Hause gehen!“). Der Film erhielt viel Kritik. Anscheinend mochte ihn Richter ebensowenig wie das vorangegangene Buch. Für mich stellte sich eine allgemeine Urheberrechtsfrage: Darf das Leben eines Menschen die Quelle für die Geschichte eines anderen sein, der daraus Profit schlägt? Ich studierte einige der Hintergründe. Es gab einen ausführlichen und intimen Artikel in The New Yorker mit dem Titel „An Artist’s Life, Refracted in Film“ (Das Leben eines Künstlers, frakturiert im Film), der die Umstände im Vorfeld und die Konflikte zwischen Richter und Henckel von Donnersmarck beschreibt. Die erlesene Filmmusik zu Never Look Away steuerte der in Hameln geborene Komponist Max Richter bei, kein Verwandter, vielmehr Namensvetter des berühmten Malers.

 

 

The star of Gerhard Richter must have risen end of the Sixties when he painted from photographs. First I heard of him in school. „Is this art?“ I questioned with a sniff. Later at college many fellow students took him as a role model, kind of a constant value. For someone like me, turning towards surrealism and all kinds of inner self-findings, switching between spirituality and interests in psychoanalysis, his work always seemed to be hardly accessible and cold. I saw him more as an icon or emblem of something „sublime“. After watching the film Never Look Away („Werk ohne Autor“) by the weighty Florian Henckel von Donnersmarck I noticed some deeper connections: In school we had a teacher for music, history and social studies who had been a higher rank in the second world war army. He was well educated and elitist, small in stature. „Why did you choose this Nazi in the history advanced course?“ Well, there was a kind of thrill caused by his excellent storytelling. One day he went too far claiming that the Holocaust did not exist and euthanasia was justified. That time I used to drive with my mother’s car, collecting various schoolmates on the way to school. Among them was the nice and smart K, her parents had money and she was dating the headmaster’s son. I often told her about the repeated toxic teachings of this guy. Being courageous and also member of the school newspaper, she wrote an article about his lapses with the result: he was suspended to early retirement. In that context K had invited me to tea. The stylish house in the valley, by the river, loved that place. Took seat on a red velvet couch, backed up by a monochrome picture, same red. „Who is this, is it original? „Yes, Gerhard Richter, my parents bought it“, K returned, slightly embarrassed for being „bourgeois“. „How great is this!“ I was impressed. Even the tea was precious. Back to the presence: Before Henkel von Donnersmarck produced Never Look Away, a book already had been published by a writer from the german magazine Der Spiegel. It was a precisely researched story on Gerhard Richter’s childhood entanglements with Nazi Germany, where his beloved aunt Marianne fell victim to an euthanasia program. A monster-father-in-law, fantastically played by german actor Sebastian Koch, had his fingers in the deadly game. All in all it is great to have this deep insights to childhood and upcoming career of that rather taciturn artist. Also worth seeing are some portrayed figures of the Düsseldorf Art Academy at that time: Sigmar Polke, Günther Uecker and especially Joseph Beuys, giving a lesson to his students („Got nothing for you today, you can go home …“). The film received lots of criticism and Richter even disliked the preceding book. For me a copyright-question came up: Can someone´s life be the source of another one´s (profitable) story? I studied some of the backround. There was a detailed and intimate article in The New Yorker titled „An Artist´s Life, Refracted in Film“, describing the cirumstances in the run up and the conflicts between Richter and Henckel von Donnersmarck. The film music of Never Look Away was contributed by composer Max Richter, no relative but namesake of the painter.

 

Wer in North Dakota neben der Stelle, wo die nördlichen Eisenbahnschienen am Missouri entlangführen, unter einer Gruppe alter Amerikanischer Ulmen direkt auf die ersten Berge von Montana blickt und ein Loch gräbt, kann einen Eimer mit folgenden Gegenständen entdecken:

 

eine versilberte Blumenvase

ein Vergrößerungsglas

ein paar hellblaue Lockenwickler

einen Stapel von Schwarzweißfotografien mit Urlaubsfotos von den Pyramiden und anderen exotischen Plätzen von Übersee

eine Packung Camel mit Filter

ein Feuerzeug

einen Pfefferstreuer

eine bunte, handgroße Stoffpuppe

 

Würde ein archäologisch geschulter Zeitreisender aus einer fernen Zukunft versuchen, diese Gegenstände historisch zu verorten, würde er feststellen, dass die Fotografien einige Jahrzehnte älter sind als die Lockenwickler. Verschiedene Messtechniken sowie weitere Recherchen führen zu einer vermuteten Eingrabungszeit Mitte bis Ende der 1950er Jahre. Oder 1960. Korrekt wäre 1959.

 

He buried some of our things in a bucket. He said nobody else would know where we´d put them, that we´d come back and they´d still be here, just the same, but we´d be different. And if we never got back, somebody might dig them up a thousand years from now and would wonder.”

 

Charakteristisch für die Filme von Terrence Malick ist die Stimme aus dem Off, die den Film aus eigener Perspektive erzählt oder kommentiert und dadurch eine weitere Ebene über die Bilder legt. In Badlands ist es die Schülerin Holly, die spricht. Wundert man sich irgendwann darüber, dass Hollys Stimme in Anbetracht der sich überstürzenden Ereignisse von einer gewissen Lethargie geprägt ist, spürt man die Risse, die diesen Film prägen. Die Frau, die den Film erzählt, ist einige Jahre älter als der Teenager, der sich ins Geschehen treiben lässt. Doch warum wird die Geschichte trotzdem aus einer solchen Distanz und wie ohne innere Beteiligung erzählt? Diese innere Leere hat viele, auch politische Gründe, denn die Möglichkeiten für junge Frauen in dieser Zeit waren sehr begrenzt und begrenzend. Während Holly von der Szene erzählt, in der ihr älterer Freund Kit (und nicht etwa beide gemeinsam) ein paar Dinge (auch ihre!) vergräbt, spüren wir, dass Holly und Kit höchstwahrscheinlich niemals gemeinsam die Dinge, die Kit hier vergraben hat, ausbuddeln werden.

 

Gegenstände gemeinsamer Wertschätzung zu vergraben, scheint ein beliebtes Ritual US-amerikanischer Teenager und junger Erwachsener zu sein. Es geht hier darum, ein Geheimnis zu schaffen und zu bewahren. Auch in der von einigen Manas hochgeschätzten Serie LOST gibt es eine solche Szene. In einem Rückblick vergräbt die junge Kate eines Nachts mit ihrem Freund ein paar Schätze, darunter ein kleines Flugzeug. (Falls jemand weiß, in welcher Season und welcher Episode dies vorkommt, würde ich mich über einen Hinweis freuen.) In einem weiten Land, in dem nicht jeder Quadratmeter eine fest gelegte Funktion hat wie bei uns, ist das Vergraben kleiner oder großer Schätze aufregender als hierzulande.

 

Dennoch, was würde ich jetzt, rasch und heute in eine unverwüstliche Schatztruhe als eine Art Jahresbestenliste 2020 für die archäologisch ambitionierte Nachwelt packen?

 

einen Stein von der Ostsee, der auf eine Art vom Salz und den Wellen bearbeitet wurde, dass er aussieht wie ein Kopf mit einer nach oben hin schmal werdenden Stirn, zwei in etwas versetzter Höhe liegenden Augen und einem Mund, der mit viel Fantasie alle 32 Zähne zeigt und in den man verschiedene Stimmungsausdrücke hineininterpretieren kann

den Gedichtband Angle of Yaw von Ben Lerner

einen Jonglierball

die Verpackung von 500 g Singbulli Darjeeling second flush (aber ohne den Tee, der würde nicht so lange halten)

die CD Trip von Lambchop

den Film Badlands von Terrence Malick

 

2020 23 Jul

Spielfreude

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Zu den nachhaltig wirkenden Wertschätzungen der letzten Jahre zählt für mich das Buch Wer nicht spielt, ist krank des Philosophen und Medienwissenschaftlers Norbert Bolz. Auch wenn der Titel mich stets störte, nehme ich es immer mal wieder zur Hand. Denn wer spielt, der ist und bleibt gesund, so müsste es doch heissen. Nichtsdestotrotz nimmt das Buch eine geradezu paradigmatische, symbolische Stellung ein, als Grundüberzeugung. Hinzu kommt eine Fülle aufgeführter literarischer Quer-Verweise, die das Thema vertiefen. Auch weckt der Nachname dieses Autoren Erinnerungen an jene Glücksmomente vergangener Kindertage, als man den Marktplatz eines kleinen Dorfes in einen Bolz-Platz umfunktionierte, um dort Fussball zu spielen. Dieser Platz war eigentlich die Kreuzung von Feldwegen und kleinen Strassen gewesen, die in alle Himmelsrichtungen führten und die Gegend zum leicht zugänglichen Abenteuer-Gelände machten, mit verzaubernden Waldwinkeln, schroffen Böschungen, sanften Hängen, all den prallgrünen Wiesen, den kornblumenblau und klatschmohnrot geschmückten Getreidefeldern. Durchpreschende Trecker, Mähdrescher, Gülle-Anhänger; und auch mal eine Herde Kühe aus dem Bestand der umliegenden Bauernhöfe wurde geduldig durch die Horde des Fussball-ekstatischen Jungvolks getrieben. 

Zerschrammte Knie und kurze Lederhose mit integriertem Brustbeutel für Geldmünzen und Seitentasche für das Taschenmesser waren damals ein untrügliches Zeichen für vitales Jungsein und gelungenes Leben. Heimliches Spatzenschiessen mit Freunden, die an jene proletarischen Randfiguren erinnern, deren eine von der amerikanischen Schauspielerin Julia Garner bravourös darstellt wird in der dunklen Fernsehserie Ozark. Man wohnte dort in spärlichen Behausungen und hatte dennoch auch Zugang zur Kultur. G war damals der grösste Rowdy in der Nachbarschaft und zeitweise mein bester Freund. In dem winzigen Haus am Dorfrand betrieb die Mutter einen Kiosk. Eine Cola und ein Stück Lakritze staubte man dort immer ab. Als Vorgarten diente ein kleiner Sandplatz mit Schlammgrube, in der sich ein glückliches Schwein suhlte. G´s Zimmer war tapeziert mit Bravo-Postern der Band Creedence Clearwater Revival. Er hatte auch die Luftgewehre. Als Mutprobe die Stromstärke der Elektrozäune auf den Viehweiden mit der Hand zu testen (man tastete sich mit einem Grashalm heran, bis einen der Schlag erwischte) gefiel mir weniger. Wie sagte schon ein Mit-Manafonista einst am Telefon: „Du weisst, für unsereins beginnt der Tag mit einer Schusswunde!“

Das Zentrum war also jener Bolzplatz und man dachte sich gerne die passende Identität dazu aus: „Karl-Heinz Schnellinger bin ich schon!“ „Na gut, dann bin ich eben Gianni Rivera.“ Kleiner gedanklicher Abstecher also in weit zurückliegende Sommer. Was bleibt, ist bis auf Weiteres die Lust und Fähigkeit zu Spielen, und auch die Einbildungskraft. Das Bedürfnis, sich die reale Existenz durch Illusionen auszuschmücken, bleibt weiterhin legitime Flucht. Illusion heisst ja: ins Spiel kommen, das weiss auch der rapide alternde Lateiner. Ich schrieb einmal in diesem Blog über das Akustik-Mikado-Spiel, das eine Möglichkeit bietet, mit eigenen Improvisationen locker umzugehen. Eines ist gewiss: im nächsten Leben werde ich ein ausgebildeter Komponist, der auch in der Lage ist, Melodielinien, voicings und Rhythmen Noten-mässig („notariell“) festzulegen, denn nur die notierte Musik hat ihren Namen auch verdient, behaupten wir hier mal ganz unverfroren. Bis dahin bleibt mir als – Achtung: Pleonasmus! – dilletantische Vergnügung das Mikado-Spiel (das kleine Stück vom Vortag, als erholsames Randprodukt, nach zuvor vergeblichen Versuchen der Interpretation eines Eros-Ramazotti-Songs, nannte ich „Define and Dissolve“).

2020 10 Jan

Before the Police came …

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1969 fuhr der junge Dirigent der Münchner Kammeroper nach Amerika zu Bob Moog, um sich über dessen Modularsynthesizer zu informieren. Von einer Mäzenin hatte er 60000,- DM mitbekommen, um bei gefallen einen solchen erwerben zu können. Nach mehrtägiger Einweisung war er mehr als begeistert und kaufbereit. Doch Bob Moog musste ihn wegen der gerade explodierenden Bestellliste gründlich desillusionieren und bat ihn in zwei Jahren wiederzukommen. Doch kurz bevor er zurückfliegen wollte traf eine Lieferung mit vier riesigen Kisten im Hof des Herstellers ein: John Lennon hatte seinen Synthesizer mit der lakonischen Bemerkung: „Too complicated!“ wieder zurückgeschickt. Das war die Chance für Eberhard Schoener, der sofort zugriff und das Exemplar nach München bringen ließ. Bald darauf trat er zum ersten mal damit auf der Weltausstellung in Osaka auf und setzte seine Ideen und Experimente in den folgenden Jahren musikalisch sehr vielschichtig um, wobei seine Herkunft aus der Klassik auf subtile Weise sicherstellte, dass er hierbei die klischeehaften Entgleisungen vieler anderer Musiker weiträumig umschiffen konnte. So legte er 1974 mit Meditation ein bemerkenswertes frühes Ambientalbum vor, dass sich hinter den Klangforschungen der Berliner Schule nicht verstecken musste. Es folgten Bali Agung, das irgendwo zwischen Gamelan unf Trance den Hörer mit auf eine damals völlig neuartige Reise nahm und das programmatische Trance-Formation. Dieses Album markierte den Einstieg des späteres Police-Mitgründers Andy Summers; auf dem Folgealbum Flashback waren dann auch schon Sting und Steward Copeland dabei. Wer aber vermutet, dass sich hier auch nur irgendetwas nach den späteren The Police angehört hätte, irrt aber gewaltig. Es war eher ein Einstieg in den damaligen elektronischen Prog-Rock, dem man den klassischen Hintergrund und eine hohe musikalische Differenziertheit schnell anmerkte. Allein deshalb bin ich es bis heute nicht müde geworden seine 70er-Jahre-Alben immer wieder einmal aufzulegen und überraschend Neues, bisher Überhörtes zu entdecken. Das Ende dieser wunderbaren Serie bildete Video-Magic, das bis heute aus mir unbegreiflichen Gründen nie mehr wiederaufgelegt wurde und irgendwo im Niemandsland zwischen tranceartiger Elektronik, Jazz, Prog-Rock und klassischer Musik spielend wandelt.

 
 

In our day and age

we are experiencing the magic

of technical science.

II see the magic

in the city neon signs.

In the newspaper advertisements.

In the everpresent television

and in the constant

availability of music.

The music of „Video-Magic“

involves all this aspects.

For no one can deny

himself this magic.

A Koan.

 
 

schreibt Eberhard Schoener im Innencover. Ein Text der die magische Aufbruchstimmung der 70er-Jahre, die Faszination für das Artifizielle in Musik und visuellen Künsten, das Spiel mit Neon und Lasern recht treffend wiedergibt. Dinge, die schon lange nicht mehr innovativ sind und auch über die hyperpräsente Musik macht sich auch kaum noch einer Gedanken. Eine Zeitreise. Die erste Seite des Albums ist noch eher rockorientiert: Der elegante Opener Octogon erinnert ein bisschen an Pink Floyd, Speech Behind Speech ist eine komplexe Prognummer mit Ohrwurmmelodie, die von der noch etwas dünnen Stimme Stings intoniert wird, Natural High zitiert in geschickt arrangierten Fragmenten aus der damaligen Rock-Historie, wobei etwas ganz neues entsteht. Und schließlich Code Word Elvis, eine lange magische Ballade, die zwischen den Stilen nahtlos schwingt und auch das Orchester der Münchner Kammeroper, dessen Dirigent Schoener immer noch war, zum Einsatz kommt. Die zweite Seite ist dann hypnotischer und der grosse Moog bestimmt die Klangräume recht komplex und vielschichtig. Video-Magic steigt in eine sequentielle Trance ein, die in Night Bound City elegant fortgeführt wird. Mit San Francisco Waitress kommt Sting noch einmal zum Einsatz und schließlich endet das Album mit Koan, einem langen magischen, von Synthesizerflirren, Streichern und Jazzelementen getragenem Stück, in dem der Brückenschlag zwischen Elektronik, klassischer Komposition und einer Vorwegnahme von Elementen des New Wave am elegantesten gelingt und den Hörer am Ende, wie bei jedem anständigen Koan mit fragend-meditierendem Staunen absetzt. Ein sehr bemerkenswertes Werk, das in dieser Melange nur in Deutschland entstehen konnte und selbst im Rückblick in der Musik der 70er-Jahre wie ein sehr eigenwilliger, vieles vorwegnehmender Fremdkörper verbleibt.

 
 

Am Samstagnachmittag, unsereins gerade auf dem Sprung, da bimmelt es. Nanu, zwei unbekannte Männer, ein bisschen so wie Asterix und Obelix, überreichen mir einen Prospekt. „Es geht um prinzipielle Fragen!“, sagt der vor dem Dinkelstein stehende, kleindrahtig, weisshaarig, altnazihaft wirkend. Freundlich entgegennehmend signalisiere ich, an weiterem Gedankenaustausch nicht interessiert zu sein und so endet die Begegnung im gegenseitigen Wünschen eines schönen Wochenendes. Soweit die kleine Overtüre. Im Fortgang folgt nun die gedankliche Pirouette, die Zeugen Jehovas mit dem Pianospiel von Kris Davis, ferner mit meiner Mutter und einer generellen Liebe zur Jazzmusik in Verbindung zu bringen.

Beim Hören des Stückes „Saturn Return“ aus dem Album Aeriol Piano jener geschätzten Pianistin kamen zwei Assoziationen auf. Es war zu der Zeit, als die öffentlichen Bibliotheken zu einem Pilgerort wurden und ein autodidaktisches Studium geisteswissenschaftlicher Gebiete ermöglichten: zur spannenden Lektüre gehörte auch das Buch Im Zeichen des Saturn von Susan Sontag. Symbolische Eigenschaften wie Lebensernst, Kargheit, Begrenzung und Angst wurden dort gewissen Denkern zugeschrieben, wie beispielsweise Emile Cioran und Walter Benjamin. Mehr noch aber erinnerte mich die von Davis vertonte Rückkehr dieses Sterns in ihrer Spielweise an einen Traum, den ich als Jugendlicher hatte.

Im elterlichen Wohnzimmer war mein Lieblingsplatz in der Ecke direkt neben dem Beistelltisch, auf dem das Röhrenradio und der Plattenspieler standen. Der weite Ausblick durch das grosse Fenster, über Felder und Höfe hinweg, hinab ins Flusstal, am Horizont die Waldböschung: das tat sein Übriges für ein gewisses „erhabenes“ Lebensgefühl. Der Grossvater sass mir schräg gegenüber. Wir hörten oft gemeinsam Marschmusik, eine Sendung im Radio, die für uns Kult war, uns in Ekstase trieb, Generationen übergreifend: ich marschierte fröhlich im Wohnzimmer umher, Opa lachte, drehte an seinem Hörgerät für den optimalen Sound. Für mich war Marschmusik stets der originäre Vorläufer des Rock´n Roll.

Es klingelt an der Tür. Ist es der Bäcker, der Drogerist, die wöchentlich vorbeikommen, hier auf dem Lande? Nein, oje: schon wieder die Zeugen Jehovas! Die Mutter öffnet die Haustür, will freundlich verständnisvoll abwimmeln. „Aber nein, es ist etwas für ihren Sohn. Es würde ihn erfreuen!“ Die offenherzige Mutter lässt sie ins Wohnzimmer und der Mann legt ein Holztablett auf den Tisch, zieht aus der Tasche eine dreieckige Papiertüte, ähnlich jener, in der man auf dem Bremer Freimarkt alljährlich gebrannte Mandeln kauft. Er schüttete den Inhalt aufs Tablett. Es sind goldenfarbene Heftzwecken, die auf dem Tablett zu tanzen beginnen und dabei Töne produzieren. Ich bin verblüfft und begeistert.

Diese tanzenden Heftzwecken waren dann ein beliebtes Motiv für erste surrealistische Malversuche, Daliesque und Tanguy-mässig, dargestellt vor weitem Horizont. Bis heute erinnern sie mich an die ungezügelte Freiheit tanzender Töne im Jazz und improvisierten Spiel. Auf der Gitarre entdeckte ich erst sehr spät die Lust und Fähigkeit, selbst auch annähernde Töne zu erzeugen. Viele Jazzpianisten, aber auch einige Gitarristen erwecken in mir diese Assoziation. Bei Kris Davis aber hat dieser Anschlag eine besondere Note. Die Musik ist frei ist von Botschaft, gänzlich unsentimental. Sie ist nicht spirituell, eher materiell, körperlich, spielerisch: stets Finten schlagend, Pirouetten drehend, Physikalität erzeugend.

2019 21 Jul

„NF“ – in memoriam

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Norbert kam aus Hamburg. In der Grundklasse des Studiengangs Freie Malerei in Hannover Anfang der Achtziger gehörte er mit Ende Zwanzig schon zu den älteren Semestern und er brachte einiges an Lebenserfahrung mit („die harte Schule“). Auch in der Malerei selbst war er schon weit fortgeschritten, nahezu ausgebildet und gehörte eindeutig in die Kategorie „Malschwein“, wie wir jene nannten, die ihr Augenmerk weniger auf Konzeptkunst und Kopfspiele setzten, sondern auf das action painting – im explosiven, exponierten Gestus der Neuen Wilden, der ihm lag und damals auch en vogue war, sodass die Farbe nur so tropfte und am Bildrand zerlaufend ihr Eigenleben führte. Schnell fand er dann sein Grundthema, dem er bis in sein letztes Lebensjahr, im Alter von zweiundsechzig Jahren, immer noch treu geblieben war: der Verbindung von Schrift- und Zeichenfragmenten mit bildnerischen oder zeichnerischen Form- und Farbgebungen. So ging auch das Figürliche mit dem Abstrakten stets Hand in Hand. Norbert trug sein Herz in der Hose. Zuweilen war er unwirsch, missmutig, konnte klare Kante zeigen. Doch im Kern war er ein netter Kerl und als Freund fehlt er vor allem als Gesprächspartner. Oftmals des Nachts stundenlang durch die Stadt stromernd, teils am Fluss entlang (damals noch mit Tiger, seinem Hund), fühlten wir dem Gewicht der Welt, dem Lebenssinn, den kreativen Prozessen und unseren Zeitgenossen beim Gehen plaudernd auf den Zahn (ja, wir kannten unsere „Pappenheimer“). Seine Kunst hatte stets und hat bis heute viele Freunde. Trotz aller melancholischen Anklänge und provokativen Elemente, aus vielen Bildern sprühten Lebenslust und Mutterwitz wie Funken.

2019 21 Apr

Time Travel into Liquid Sky

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Völlig irre Story: unsichtbare winzige Aliens sind auf der Suche nach dem ultimaten Kick, den sie vorzugsweise in heroingeflashten Gehirnen finden. So landen sie auf dem Dach eines neonbeleuchteten New Yorker Penthouses, das von der drogenbenebelten, androgynen und promiskuitiven Margeret und ihrer Loverin Adrian bewohnt wird. Margeret versucht in der New Wave-Fashionszene ein bisschen weiterzukommen und lässt sich mit erstaunlicher Indolenz auf diverse (oder auch mal perverse) Typen ein, die sie vögeln wollen. Während die Aliens entdecken, dass die körpereigene Opiatausschüttung beim Orgasmus der bessere Kick ist, kommt ihnen ein deutscher Wissenschaftler durch höchst obskure Hypothesenbildung gefährlich nahe. Doch dann beginnt die grelle Story zu eskalieren, Margeret kriegt an einem echt miesen Tag einen deftigen Run und ihre Geschlechtspartner haben auf einmal eine lange Kristallnadel im Kopf und verschwinden dann schlagartig.

Eine zugegebenerweise etwas krude Geschichte, wie sie nur in der New Wave-Szene New Yorks Anfang der 80er Jahre entstehen konnte, irgendwo zwischen Post-Punk, Fashionhypes und Discofieber, die mit teilnahmslos-paranoiden Realitätsverlust unterkühlt und optisch überzogen eine eigene surreale Welt mit fatalem Ausgang entfaltet. Dieser Low-Budget-Film von 1983 avancierte schnell zum Kultfilm und hielt sich 28 Wochen in den amerikanischen Top-Filmcharts und hat bis heute nichts von seiner künstlerischen Faszination verloren. Und der Soundtrack des Regisseurs Slava Tsukerman trägt mit seinem sehr reduzierten, wavig-technoiden elektronischen Sound viel zu der eigenwilligen Atmosphäre bei und ist nun endlich wieder zu haben.

 
 
 

 

 

After midnight, early eighties: listening to BBC Radio, the tune they just played is called „Nightporter“. What a nice but curious sound, a bit like Brian Ferry singing. Something I never heard before. The mysterious studio guest musician is mentioning Jean Cocteau and a certain „difficulty of being“. I am broad awake. Talking on some kind of „Japan“ now. Trying to save some fragmentary information to my short-term memory account, because the plan was made immediately and clear as the daylight to come: the following morning I was going to present those loose-end snippets to the record dealer of my trust, just to let him build a conclusive picture of that puzzle. „Nightporter, the splitting of a cultband and a solo debut – does this make any sense to you?“ Coming home then with an album called Brilliant Trees and, studying fine arts at that time, with another one called Oil on Canvas as a bonusa Frank Auerbach painting on its cover, from a band I never heard of, containing this song called „Nightporter“. Listening to that brilliant fresh stuff I was happy and surprised. A shy, evasive and sophisticated guy with philosophical ambitions, a Pentangle bass player at his side, music that was at the same time folk, avantgarde, funky and ambient. A singing poet fearlessly setting sail, new beginnings. Courageous and romantic attitude, bright beauty spiced with doubt and darkness. Aren´t those the ones that really count who sing their own songs, single-handed written, telling about their true experiences, giving sincere insight to their unique life? What a fine guideline it was! A mirror, a Lifer. These were years with a genius for living.

 

Der Synthesizer als Instrument übte schon seitdem ich einen Schallplattenspieler besaß und mir selber Platten kaufte eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Sonst hat ein Instrument seinen Klang und ein guter Instrumentalist kann diesen etwas erweitern, beugen, hart oder sanft hervorlocken, aber es bleibt immer der Klang dieses einen Instrumentes. Beim Synthesizer ist alles anders: da wird der Ton je nach Modell durch unterschiedliche Algorithmen erzeugt und es gibt jede Menge Einflussmöglichkeiten ihn zu verändern, modulieren, ihn groß und weich oder scharf und hart zu machen und insbesondere so zu gestalten, dass da etwas herauskommt, was einfach so noch nie zu hören war. Genau das hat in der Anfangszeit, in der Synthesizer für den normalen Musiker erschwinglich wurden, auch die Art des Musikmachens stark geprägt. Nun gab es endlich die Möglichkeit etwas zu machen, was richtig neu war, die Hörgewohnheiten völlig auf den Kopf stellte. Und das halt nicht nur wie in dem Studio für elektronische Musik in Köln, das zwar einige der späteren Protagonisten stark beeinflusste, sondern im eigenen Proberaum. Und was in den 60er und 70er-Jahren noch einige experimentierfreudige Geister auf den Plan rief, ist heute aus der Musik kaum noch wegzudenken und hat fast alle Genres infiziert.

Good Vibration ist dieses mal nicht der Titel eines Albums der Beach Boys, die zu mögen ich stets gerne anderen überlassen habe, sondern der Titel einer im August zu Ende gegangenen Ausstellung im Musikinstrumenten-Museum in Berlin über die Geschichte der elektronischen Musikinstrumente. Und die beginnt weit vor der Synthesizer-Ära mit wunderbaren Instrumenten wie dem Theremin, dem Ondes-Martenot und dem Mixturtrautonium, auf dem Oskar Sala nicht nur bizarrste Suiten, sondern auch den Soundtrack zu Hitchcocks Die Vögel komponierte. Neben begleitenden Texten, die verschiedene Aspekte elektronischer Musik beleuchten, werden dann natürlich auch die ganzen Synthesizerlegenden vorgestellt bis hin zu den aktuellen Möglichkeiten das, was früher ganze LKW’s gefüllt hätte elegant in einem iPad unterzubringen – ein synthetisches Taschenuniversum ungeahnter Möglichkeiten, das mich auf eine Zeitreise zurück zu den ersten Momenten, wo ich als Jugendlicher endlich selber die Tasten berühren und an den Knöpfen drehen durfte und mangels passabler Anleitung schrittweise herausfinden musste, welche Auswirkungen jeder Poti, jeder Regler und jeder Schalter so hatte.

 
 
 

 
 
 

Wo damals ein Synthesizer war, war aber auch der Laser nicht weit. Das, was man heute als Taschenlaser zum gefahrlosen Herumleuchten oder als Pointer billig erstehen kann, war damals deutlich größer, hatte die Tendenz mitunter ziemlich heiß zu werden und hatte noch den Mythos des Gefährlichen, vom Preis ganz zu schweigen. Ein alter Schulfreund von mir aber hatte einen Laser und so probierten wir aus, was wir damit so anstellen konnten. Beispielsweise mit einer kleinen Ablenkeinheit, wo auf mehreren Elektromotoren aus Carrera-Autos, die wir individuell in der Geschwindigkeit regeln konnten Spielgelchen mit einer leichten Neigung aufgeklebt waren und die so entstehende Figur dann auf den nächsten rotierenden Spiegel warfen, so dass es möglich wurde phantastische Figuren damit zu zeichnen. Z.B. auf der uns sehr geeignet erscheinenden Hauswand des benachbarten Hochhauses, um unseren Freunden zu signalisieren, wo die Party gerade steigt. Der Effekt war grandios, nur leider fühlten sich die Nachbarn von dem neuartigen, „gefährlichen Laserstrahl“ etwas bedroht.

Der französische Elektroniker Tim Blake war einer der ersten, der sich mit einer Lasershow zu der Musik seines Projektes Crystal Machine auf die Bühne begab und nun ist dieses Frühjahr sein erstes Studioalbum Blake’s New Jerusalem mit einigen Bonustracks wiederveröffentlicht worden. Hier finden sich ohrwurmartige Songs in denen ein kleines Synthesizerarsenal die Hauptrolle spielt und die doch eine ganz eigene, originäre Färbung haben. Insbesondere der lange Titelsong entwickelt einen fast hypnotischen Sog und zapft Ebenen des Bewusstseins an, die zuvor verschlossen blieben. Einige der Songs haben dann später Eingang in das Oeuvre von Hawkwind bekommen, deren Mitglied er lange Jahre war. Sonst wirkte er noch einige Zeit bei der wundersamst anarchischen Band Gong mit und begleitete einige Projekte des französischen Komponisten Cyrille Verdoux.

 
 
 

 
 
 

Der zweite Reissue betrifft einen Meilenstein der elektronischen Musik: Klaus Schulzes Mirage. Er arbeitete an diesem Album als sein Bruder im Sterben lag und erklärt sich so rückblickend, dass dies vielleicht sein dunkelstes und kältestes Album geworden sei. Eine elektronische Winterlandschaft, kristallin, frostig, eisklar. Und auch nach 40 Jahren immer noch ein perfektes Album. Man sagte damals, dass weltweit eigentlich nur drei Musiker wirklich Synthesizer spielen könnten und Klaus Schulze war der erste, der dann dazugezählt wurde.
Mirage war seit Erscheinen ein Monolith für mich mit seinen beiden ruhigen, halbstündigen Stücken. Wenn mich auch heute noch jemand fragen würde, welches Stück Synthesizermusik man unbedingt gehört haben müsste, würde ich stets und ohne zu zögern Crystal Lake antworten, das in seiner kalten Eleganz und seiner hypnotisch dichten Atmosphäre ein zeitloses Highlight elektronischer Musik bleibt. Klebt man einen kleinen Spiegel auf den Basslautsprecher und lenkt dann einen Laser darüber auf eine Leinwand während Musik läuft, ist dies eine wunderbare Möglichkeit der Visualisierung. Vieles aber wird dann leider recht unansehnlich, wohingegen Crystal Lake wundervolle Figuren und Muster mit unzweifelhaft psychotropen Qualitäten zu erzeugen vermag.

Das Album wurde sensibel gemastert, was der Transparenz noch etwas mehr Tiefe gegeben hat und mit einem aus der Entstehungszeit stammenden Stückchen Filmmusik In cosa crede, chi non crede? das durchaus hörenswert ist, ergänzt. This Anniversary induces a massive time travel. A shift where the direction is not clear and I’m afraid it does not only lead to the future from the point I listened to it the very first time. Perhaps that’s the real meaning of Mirage.

 
 
 

 


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