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Anatomie eines Falles (D, 2023) von Justine Triet

(Seit gestern auf prime streambar – zeitgleich mit dem Oscar-Getöse)

 
 

 
 

Erster Eindruck:

Noch nie so eine schlechte Synchronisation gesehen beziehungsweise gehört. Da erhebt sich zunächst die Frage, die man sich oft beim Dachbodenaufräumen stellt: Ist das Kunst oder kann das weg? Liegt’s an der Kopie oder ist es künstlerisches Stilmittel, dass die Protagonisten reden, wenn der Mund noch zu ist und umgekehrt? Sind die alle im Nebenberuf Bauchredner?

Am Ende steckt da noch ein tieferer Sinn dahinter, der sich mir nicht erschlossen hat und ein findiger Rezensentenkollege schreibt dann etwa: Durch die raffinierte Zeitverschiebung von Mundbewegung und hörbarem Wort erzeugt der begabte Regisseur eine gezielte Verwirrung die auf die Diskrepanz von innerem Dialog und Gesprochenem zurückweist und damit auf die jedem Menschen immanente Spaltung von schwurbelschwurbelblubb … !

Ich mach mir’s jetzt einfach und denk, es ist die Kopie! Man kann alles übertreiben und zur Kunst deklarieren. Der Film wurde auch dreisprachig gedreht, da mag es wohl babylonisch zugegangen sein.

Hat dieser Film nun den Oscar verdient? Die Frage stellte sich mir am Vorabend der Oscar- Verleihung und ist im übrigen müßig, der Oscar ist alles andere als ein Qualitätssiegel und auch von politischen und ökonomischen Interessen bestimmt und das Gutmenschentum muss auch bedient werden. Im Westen nichts Neues darf man ja auch nicht durchs Raster fallen lassen, ist schliesslich ein Antikriegsfilm und man will ja nicht in den Geruch kommen, Kriege etwa gut zu finden, gerade in den USA, denen wir so manche Kriegsschmonzetten zu verdanken haben, die wohlweislich darauf hinweisen, dass der wackere Amerikaner auch im schlimmsten Kriegsgetümmel menschlich zu bleiben versteht. Natürlich nur für die eigenen Jungs, bei Saving Private Ryan (1998, 5 Oscars!) zu bewundern. Da muss man nicht paranoid sein, um hier nicht eine gezielte Strategie der Filmfachabteilung des Pentagons zu vermuten, in diesem Jahr mussten auch die Republikaner die erste grosse Wahlschlappe einstecken, da muss Mut gemacht werden und das merkt man auch an den Filmen – aber manche sehen noch nicht mal Licht, wenn ihnen aufs Auge gehauen wird. Also immer her mit den goldenen Männchen, Friedensliebe muss belohnt werden. Bei dem restlos verschnarchten Killers of the Flower Moon, den man bequem auf anderthalb Stunden hätte eindampfen können – dann wäre ein Abklatsch von Spannung aufgekommen – dürfte es genauso sein.

Aber zurück in den Gerichtssaal.

Wer einen spannenden Gerichts-Tatort erwartet, ist hier gut bedient (ich hasse Gerichtsfilme, by the way, nach Zeugin der Anklage hab ich da nichts besonderes mehr gesehen und Spannung und Gerichtsplädoyers sind für mich eh inkommensurabel). Wer ein klares Ende erwartet, ist hier wiederum nicht gut bedient, aber das spricht eher für die Qualität dieses Machwerks, weil es das Kopfkino des Zuschauers anwirft und ihn in Spannung hält. Das Geniessen eines „guten Endes“ erinnert eher an die Szene, in der ein Kleinkind den letzten Löffel Brei bekommt, die Mama verkündet, dass jetzt Schluss sei, mit dem Löffel nochmal quer über den Mund fährt, mit dem Lätzchen hinterhertupft und „So!“ sagt! Das macht den Zuschauer zum satten Säugling, wobei ich einräumen muss, dass dieser Zustand auch seine Reize hat.

Und hier gibt es eben kein „So“.

Wir erleben hier – und das ist nichts Neues im Gerichtssaal – die Dekonstruktion einer Frau und einer Familie, die zu Anfang sehr normal anmutet und die Neukonstruktion einer ganz anderen Figur vor unserem inneren Auge mit dem Mittel der Vernehmung und geschickter Plädoyers des Staatsanwalts der in Deutschland einen passablen Mephisto abgeben würde. Das wird fächerartig aufgefaltet und vermag zu faszinieren – ist allerdings nicht neu und viele gute Gerichtskrimis leben davon, etwa bei der ewigen Gretchenfrage, ob nun die Vergewaltigung oder der Kindesmissbrauch denn nun stattgefunden oder nur in der Phantasie der Anklägerin stattgefunden hat oder gar ein Komplott geschmiedet wird gegen einen unliebsamen Vater oder Partner. So neu ist das alles nicht.

Ich musste einmal einem dreitägigen Mordprozess beiwohnen – eine ehemalige Patientin hatte ihre Ehefrau umgebracht – und kenne diesen Wandel innerer Bilder sehr gut. Das strapaziert den Zeugen.

So auch hier: Es zeigt sich das Bild einer zerrütteten Beziehung, eines an der eigenen Unfähigkeit verzweifelnden Mannes, der seine hochgesteckten Ziele nicht erreichen kann und die Verantwortung auf Familie und äussere Umstände abschiebt, mit Schuldzuweisungen aber an der Ehefrau scheitert, die sich klar davon abgrenzt und ihn auf seine Eigenverantwortung hinweist. Die dabei bei ihm erzeugte hilflose Wut führt offenbar zu einer Verstrickung, die im Suizid endet (eine Lesart) und in die er noch den Sohn hineinzuziehen versteht – mit einer mehrdeutigen Botschaft. Diese belastet den Sohn, führt aber schliesslich zum Freispruch der Mutter, wenn … ja wenn … sie überhaupt stattgefunden hat und nicht vom schlauen Sohn erfunden wurde, um die Mutter zu entlasten. Oder ein Ränkespiel von Mutter und Sohn vorliegt.

Die Frage des whodunit tritt zurück beim Betrachten dieses gut eingefädelten Vexierspiels und den Bemühungen des Staatsanwaltes, eine völlig neue Figur zu konstruieren und immer wieder neue Beobachtungen in einer Weise neu zu formen und einzufügen um dieses Bild einer eiskalten Mörderin zu untermauern.

Rechtsprechung hat etwas mit Schriftstellerei gemein – sie konstruiert Figuren und verleiht ihnen eine innere Logik, die mit dem Vorbild nicht unbedingt etwas zu tun haben muss – Details werden entsprechend der Zielvorstellung von Ankläger und Verteidiger passend gemacht – ähnlich wie es mit Erinnerungen geschieht, die nach persönlicher Interessenlage plötzlich eine Modifikation und andere Ausdeutung bekommen. Oder im paranoiden Wahn. Erinnerungen werden plötzlich in einen anderen Kontext gesetzt und bekommen eine andere Bedeutung – wie im Diskurs in den 90ern um frühkindlichen Missbrauch, als viele Frauen ihre Symptomatik in diesem Sinne ausdeuteten und für stimmig befanden, wie man weiss verändern sich Erinnerungen durchaus selbsttätig, jeder zeugenbefragende Polizeibeamte kann ein Lied davon singen. Oft stellten sich dann zugehörige Träume oder „Erinnerungen“ ein – ob sie nun Fakt waren oder nicht. Die „False-Memories“-Bewegung ist verbreitet, vor allem in den USA, dem Land vorpreschender Therapeuten – Hauptsache es ist was los – wurscht was!

Im Verhalten des Kindes wird deutlich, wie sich das Bild der Mutter verändert, Ereignisse eine andere Bewertung erfahren, es will Distanz gewinnen um zu Klarheit zu kommen. Schafft es das oder ist es in einer gemeinsamen mörderischen Inszenierung auf immer mit der Mutter verbunden. Pantha rhei, alles ist im Fluss, alles kann anders gesehen werden, auf nichts ist mehr Verlass.

 
 

 
 

Schon zu Anfang erschreckt der Film mit tosendem Latino-Soundtrack – später entpuppt sich die Funktion der Musik: Nicht die übliche schlechte Aussteuerung, sondern vielmehr ist die Musik hier ein drittes Element in der Täter-Opfer-Geschichte, es verschleiert die Geschehnisse, akustische Wahrnehmungen die zielführend für die Verurteilung sein könnten werden überdröhnt. Der Genuss bei diesem Film ist nicht die Verbrechensaufklärung, sondern die Momente in denen die Kippfigur kippt. Das kennt man aus vielen guten Krimis und Psychodramen – ob da jetzt haufenweise goldene Männchen dabei rüberwachsen müssen ist jetzt eine ganz andere Frage.

Jetzt wäre mir nach einem eindeutigen guten Ende zumute – läuft irgendwo Vom Winde verweht? Ach nee, die kriegen sich da ja auch nicht … oooder … ahhh … die Fortsetzung: Scarlett – die Serie aus den 90ern. Da kriegen sie sich. Der „So-Effekt“. Nur mal so zur Erholung. Heute Abend droht The Zone of Interest. Da braucht’s geglückte Füttervorgänge zwischendurch!

 

 
 

Ein Film wie ein Benzodiazepin

 

Schon klar … der hundertundeinste Film über das Leben von Elvis Presley braucht jetzt nicht unbedingt eine Rezi – sowie die Welt auch diesen Film in toto nicht braucht, nicht mal, wenn die Regisseurin Coppola heisst, deren Vater ich die komplette Sprengung und Abfackelung einer kleinen Insel mitsamt der dazugehörigen pflanzlichen und tierischen Infrastruktur immer sehr verübelt habe: unter dem Deckmantel Antikriegsfilm lässt sich prächtig die eigene aggressive Ladung austoben – meine unmassgebliche Hypothese. Ein wirklich zutiefst friedlicher Mensch wäre sicher nicht imstande, dergleichen auf die Leinwand zu posten – und ob sich im Publikum dann auch nur lauter Kriegsgegner finden, die den Wahnsinn des Krieges und die eigene moralische Superposition bestätigt haben wollen oder ob sich da doch nicht so mancher kleine Sadist darunter befindet und recht gut von Coppola und anderen bedient wird, ist auch so manchmal meine Vermutung. Ende Sidekick – wir waren ja bei Elvis. Bezuehungsweise bei Sophia Coppola. Nehmen wir das Ganze also als Zeitphänomen. Oder als Problem der Regisseurin.

Warum also die Schilderung des monotonen Lebens eines Anziehpüppchens unter der narzisstischen Knute eines grossartigen und zuzeiten auch gutherzigen Sängers,  solange man ihm nicht auf die Füsse trat, auf der ständigen Flucht vor Leere und Langeweile und der Suche nach der passenden Frau, die zu seiner Madonna-Flittchen-Spaltung passte – zumindest ein paar Jahre lang; ewig geht dergleichen ja ohnehin nicht gut, bekanntlich. Ist ja auch schwierig, eine Frau geniessen zu wollen, ohne der über allem stehenden Übermutter und ihrem Alleinvertretungsanspruch die Treue zu brechen, da geht’s einem wie dem Frosch im Milchtopf, das war nicht nur bei Elvis so, das war auch das Problem so mancher Narzissen von der gefährlicheren Sorte wie Hitler und Stalin, ersterer hatte ja auch sein Anziehpüppchen und bei letzterem bin ich mit der Biographie noch nicht bis zum Sexualleben durch und hoffe sehr, noch überhaupt eines zu finden. Sollte man natürlich nicht mit Elvis in einem Atemzug nennen, schon klar, da tut man ihm schwer Unrecht, wobei er immerhin bereit war, einen Auftragskiller für seinen Karatelehrer anzuheuern, mit dem Priscilla kurz vor der Trennung angebandelt hatte. Die dunklere Seite des Love-me- tender-Florida-Boys.

 
 

 
 

Was ist also das Ganze? Eine Coming-of-Age-Geschichte? Hätte funktionieren können, wenn die Entwicklung der Hauptdarstellerin in irgendeiner Form deutlicher geworden wäre – so bemerkt man nur an der Änderung von Frisur und Outfit, dass in diesem hübschen Köpfchen, überwiegend in leere Räume positioniert (was für eine originelle Metapher für Einsamkeit und statisches Festgefahrensein!), überhaupt irgendetwas vorgeht. Emanzipationsdrama? Hätte uns in der Form schon in den Siebzigern nicht mehr vom Hocker gerissen, da war uns Margarethe von Trotta schon lieber.

Demontage eines der Grossen, zumindest in der Rockmusik? Schon eher, aber nix Neues, dergleichen hat schon die Grand Old Lady in realiter Miss Presley persönlich in Form ihrer Biographie als Drehbuchmitautorin 1988 abgeliefert – Elvis and Me hiess das damals. Ein Zweiteiler, und sie selbst natürlich wieder in der Rolle der tapferen treuen Gefährtin, die ihre Opferrolle dann später doch zu überwinden verstand. Und die Hauptdarstellerin Susan Walters zeigte zumindest einen Anflug von Temperament. Diesmal hat sie auch noch am Drehbuch mitgearbeitet, mit immerhin fast 80, naja. Zumindest konnte ihr der Presley’sche Fluch nichts anhaben: Elvis‘ Zwillingsbruder starb bei der Geburt, seine Mutter mit 48 an Leberzirrhose, er selbst mit 42 am Drogenkonsum, seine Tochter mit 54 an ähnlichem, nicht ohne vorher den King of Rock … äh … nee … den King of Pop Michael Jackson geehelicht zu haben, der auch nicht viel von Sex wissen wollte und sich lieber mit kleinen Jungs umgab.

Bei Elvis waren die Jungs, die für sein Dauerentertainment sorgten, immerhin schon zumindest körperlich dem Kindesalter entwachsen. Der alte Wiederholungszwang lebt noch.

Zuletzt suizidierte sich sein Enkel, ebenfalls Sänger, mit 27 und es wird diskutiert, ob man ihn noch dem Club 27 zurechnen soll –  stimmlich konnte er mit einem Jim Morrison und einer Amy Winehouse sicher nicht mithalten. Nur Priscilla steht noch botoxgestählt wie eine texanische Eiche und hat neulich noch mit Mörtel Lugner auf dem Wiener Opernball ein paar Runden gewalzt. Hut ab … oder Perücke!

Was den Film bemerkenswert macht, ist die komplette Elimination eines Stars: Der Hauptdarsteller Jacob Elordi dürfte kaum einen Elvis-look-alike –Wettbewerb gewinnen, er darf auch nicht in einer spektakulären Elvis-Show bewundert werden, die Zarathustra-Fanfare erklingt nur einmal leicht misstönend. Elvis nur als Schatten sichtbar, keiner seiner Songs ist zu hören und wenn doch dann von einer Frau gesungen (und die machen das nicht mal schlecht), ansonsten ist Elvis nur der Auslöser von Mimikveränderungen des Anziehpüppchens, die wahlweise über etwa drei bis vier Gesichtsausdrücke zu verfügen versteht. Da hat jemand sehr gründlich die Löschtaste bedient.

Dass Priscilla ihren Abgott dann mit seinem eigenen Karatelehrer betrogen hat, verschweigt der Film wohlweislich, aber wie gesagt, da hat ja auch die reale Miss Presley mitgearbeitet. Und ist ja auch blamabel, wenn eine Frau unbedingt einen Liebhaber braucht, um sich von ihrem Ehekreuz endlich trennen zu können.

 

Fazit:

 

Im Prinzip findet Elvis in diesem Film überhaupt nicht statt, er hätte fast ohne ihn gedreht werden können – die Eliminierung eines Idols bis auf die Grundfesten. Was hat Frau Coppola wohl geritten, diesen ansonsten völlig aus der Zeit gefallenen Film zu produzieren, der mindestens so langweilig ist wie das Leben einer verlassenen Hausfrau auf Graceland unter der Fuchtel von Elvis‘ Vater, der während der Abwesenheit des Sohnes auf sie aufpassen musste, damit sie wenigstens ihren Highschool-Abschluss schafft. Und sogar da musste sie noch von der Banknachbarin abschreiben – gegen das Versprechen einer Einladung zu einer Party in Graceland.

Immerhin ist Sophia Coppola die Tochter eines der (ob ich ihn jetzt mag oder nicht) Grossen der Filmwelt und mit Lost in Translation hat sie einen passablen Start hingelegt – über eine Frau die ihren Platz nicht finden kann und wiederum einen Mann dazu braucht.

Weiter gings mit Marie Antoinette, einer Frau, die durch einen Mann in ihre Position kam und der auch von Sex nicht viel wissen wollte, zumindest nicht mit der eigenen Ehefrau – das hatte er mit Elvis gemeinsam. Anscheinend liegt ihr an der Darstellung von Frauen, die offensichtlich das grosse Los gewonnen zu haben scheinen und später feststellen dass sie eine ganz andere Karte gezogen haben.

In Die Verführten (diesmal ein wirklich spannender Film) ermordet eine Horde sexuell frustrierter oder anderweitig durchgedrehter Damen einen Soldaten, der ihnen vorher zu Willen war.

Somewhere – ein Film über eine Tochter die den Vater aus seiner chronischen Langeweile befreit – wenig originell aber nett.

The Bling Ring – belanglos. Der Rest auch.

 
 

 
 

Das sehr gebremste Entwickeln einer eigenen Handschrift bei einer Regisseurin, die noch eine Weile herumzuprobieren scheint, kein wirklicher Nägelkauer mehr, nichts was einen hineinzuziehen versteht, auch kein Anknüpfen an originelle Geschichten wie Lost in Translation. Offenbar geht ihr verfrüht die Puste aus – drückt der väterliche Erfolg wirklich so schwer?

Und jetzt die Demontage eines Grossen bis nichts mehr davon übrig ist und die Sympathielenkung auf ein kleines Mäuschen das erst erwachsen werden muss … honi soit … aber wir wollen ja nicht soviel analysieren. So überlasse ich die geneigten Leser jetzt ihrem Kopfkino und zeichne für nichts verantwortlich, was sich da gerade abspielt in Sachen Priscilla und Sophia und den sie erdrückenden Männern.

Nennt sich indirekte Psychoanalyse, Jo …

Eine besonders hinterhältige Form!

 

 


 
 

Quellenangabe: Der bewegte Mann – Schwulencomix von Ralf König

Der schwule Norbert und seine Freunde Metzger und Waltraud gehen ins „Furzkino“ um einen besonderen Film zu geniessen, werden aber durch ein paar Honks gestört, die sich offenbar verlaufen haben.

Um welchen Film gehts?

 

 
 

Gretchenfrage: Gibt die Mischung von beidem ein bekömmliches Getränk und wenn ja in welchem Mischungsverhältnis? Jeder von uns hat den spannenden Twist erlebt, als Charly Chaplin am Ende von Der grosse Diktator plötzlich die Ebenen wechselte: Der scheue jüdische Friseur wurde mit Diktator Hynkel verwechselt und soll nun vor grossem Volksaufgebot eine Rede halten. Das Publikum erwartet zunächst ähnliche Szenen bitterer Komik und Dekonstruktion Hitlers durch gekonntes Parodieren seiner Verrücktheiten und damit einen knallenden Showdown.

Plötzlich ändert sich aber Chaplins Mimik und Stimme, er verlässt seine Doppelrolle und tritt uns als Regisseur und anklagender Mensch entgegen. Ein starker Bruch im Film, den wir nun nach anderen Kriterien bewerten müssen, als wir Persiflage sonst bewerten, ein Sturz in die Realität, eine andere Art Beziehung zu dieser janusköpfigen Leinwandfigur. Ein Regisseur, der selbst auf der Bühne erscheint – nicht als Cameoauftritt, sondern als der der er ist – und erklärt was er rüberbringen wollte – das erlebt man nicht alle Tage. Zunächst ist man irritiert, verzeiht ihm aber den Stilbruch aufgrund seiner moralischen Botschaft, die das Medium breit zu streuen versteht. Und die Rede beginnt mit den magischen Worten, die Türen öffnen können und die Hitler selbst niemals ausgesprochen hätte: Es tut mir leid … !

Und das ist mehrdeutig: Der jüdische Friseur erklärt, dass er gar kein Diktator sein möchte, für den ihn noch einen Moment lang alle gehalten haben. Für einen kurzen Augenblick verharrt er noch in der Rolle, dann (Quantensprung) spricht er als Mensch, der empört das Kriegsgeschehen in Deutschland betrachtet und er ist klug genug, seine Botschaft nicht auf Deutschland zu reduzieren in dem Wissen, dass Faschismus und Angriffskriege ein ubiquitäres Phänomen sind.

Am Ende der Rede ändert Chaplin das Trägermedium – die message findet ihre Fortsetzung in getragener Musik, die letztlich auch seine weit entfernte Freundin Hannah erreicht, die gerade von einem SS-Mann zu Boden geschlagen wurde, sich nun wieder erhebt und die Botschaft von Herz zu Herz beziehungsweise durch die Lüfte empfängt. Wir sind plötzlich wieder im Filmgeschehen, die Beziehung Zuschauer – Protagonist ändert sich ein weiteres Mal. Momente der Verwirrung, nicht kognitiv, aber eine Stufe tiefer und damit die rationale Abwehr unterlaufend und ins Ungeschützte treffend, so arbeitet auch die Hypnotherapie.

Und die hübsche Paulette Goddard, die Ex von Remarque, sollte halt auch noch mal ins Spiel kommen, die Kamera liegt ohnehin während des ganzen Filmes vor ihr auf den Knien und natürlich Chaplin selber auch, waren ja gerade mal 4 Jahre verheiratet und haben sich erst 2 Jahre danach getrennt. Dabei gerät Chaplin in den letzten beiden Minuten deutlich in den Kitsch und man verzeiht ihm auch das. Hätte nicht sein müssen – aber schadete auch nicht.

 
 

 
 

Ist Kitsch erlaubt, wenn es um die gute Sache geht oder nicht doch qualitätsmindernd?Andersrum: Darf ein Katholik Das Leben des Brian gut finden, von vielen als blasphemisch empfunden? Dabei war der Streifen lediglich angenehm unaufgeregt-respektlos gegenüber christlichem Schwurbel, schreckte vor keiner Pausenhofblödelei zurück und ist heute Kult.

Darf ich Oppenheimer (Gähn! Der Gewinner des Barbenheimer-Duells stand für mich sehr rasch fest – zu wenig von den inneren Konflikten dieses Mannes kam bei der Zuschauerseele an, zuviel Getöse auf den äusseren Bühnen und unnützes Gewese um seine kommunistischen Umtriebe, viel Form, wenig Gefühl)  oder Im Westen nichts Neues als Film schlecht finden, obwohl sie Träger humaner Botschaften sind?  Darf ich Lolita (den Roman, nicht die beiden völlig danebengegangenen Verfilmungen) gut finden, obwohl er vom Leben und Empfinden eines pädophilen Triebtäters handelt, den man aufgrund der Art seines Sich-Darstellens zusehends noch sympathisch und amüsant findet und ihn als tragisch Liebenden erlebt? Zwiespalt … !

Beim Casting der beiden 1962 und 1997 gedrehten Filme spiegelte sich dieser Zwiespalt darin, dass man offenbar Schwierigkeiten hatte, die Rolle der Lolita adäquat zu besetzen. In der ersten Fassung wählte man eine kesse platinblonde Achtzehnjährige, in der zweiten eine weitgehend ausdruckslose magere Siebzehnjährige mit doofen Zopffrisuren, die eher in die hiesigen Trachtenumzüge gepasst hätte. Klar, dass man für diese Rolle keine Zwölfjährige einsetzen kann – aber dann sollte man’s eben halt einfach auch bleibenlassen. Irgendein kluger Mensch hat einmal vorgeschlagen, man sollte Preise vergeben für Bücher, die NICHT geschrieben wurden, das sollte man auch auf Drehbücher ausweiten.

Kämpfende Kunst hiess eine 1975 erstmalig erschienene Zeitschrift des Bundes „Sozialistischer Kunstschaffender“ (der KPD nahe stehend und sich scharf gegen die revisionistischen und konterrevolutionären etablierten Parteien DKP und KPDSU abgrenzend), die sich unter der Prämisse „Die Kunst gehört dem Volk“ zusammengefunden hatte. Wobei unter „Volk“ die kämpfende Arbeiterklasse gemeint war, die verstärkt agitiert werden sollte. Der Ansatz ist bekannt. Ob das eine spannende Kunst war? Brecht schaffte es oft noch, dichterische Eleganz und visuelle Faszinationen in sein revolutionäres Werk zu verpacken, die künstlerische Qualität anderer dichtender Agitatoren blieb mir weitgehend verschlossen. Das war ein Anfeuern zu Streik und zivilem Ungehorsam, völlig ok – aber Kunst?

 
 

 
 

Offensichtlich beisst sich hier was und es scheint von vielen verleugnet zu werden, dass es sich beisst. Aber muss es sich beissen oder ist es ganz gut dass es sich beisst? Dass Kunst nicht funktionalisiert werden kann … eine Überzeugung von so manchem Kunstschaffenden? Der Kunstschaffende möchte etwas zeigen, Assoziationsketten beginnen, erleben und miterleben lassen, den Rezipienten ermöglichen, dass sie sein Werk entdecken (wie die 7 blinden Mäuse den Elefanten) und sich vielleicht danach zu einer Synopsis zusammensetzen und nochmal etwas Spannendes entstehen lassen. Der Künstler, der eine Botschaft im Gepäck hat, möchte aufklärerisch-erzieherisch wirken.

Das freie Spiel der Assoziationen des Rezipienten, der sich auf dem Büffet nehmen kann, was er möchte, wird kanalisiert in einen pädagogischen Prozess zum Zwecke einer Verhaltens – oder zumindest Einstellungsänderung, das mag ein Korsett sein für Kunstschaffenden und Kunstwerk und ein schwieriger Parcours, auch für den Zuschauer.

Und ich hasse es, wenn ich in die Zwangslage komme, einen Film zu loben, weil dessen Meriten darin bestehen, dass endlich einmal dargestellt wird, wie der Landraub an der indigenen Bevölkerung seinerzeit ausgesehen hat – trotzdem fand ich Killers of the Flower Moon nur mässig spannend, entschieden zwei volle Stunden zu lang und DiCaprio als unterbelichteter und manipulierbarer Nichtsschnaller auch nicht gerade in Bestform und offensichtlich wenig begeistert von seiner Rolle – kein Tarantinosches Sprühen, kein Glanz und keine Hingabe an seine Rollen wie bei Christopher Nolans multiplen Verwirrspielen (jaaaaaa, ich weiss, aber ich mag den Leo halt!), sondern ein zweistündiges Herummuffeln mit permanenter 20-nach-8-Mimik, obwohl man ihm eine bezaubernde Filmehefrau zugesellt hatte. Das hätte unser Gesundheitsminister auch noch hingekriegt. Oder die Exkanzlerin …

 
 

 
 

Da entwickelt sich nichts bei mir, da wächst nichts im Zuschauer, da habe ich eher das Gefühl, es wird mir etwas reingedrückt, da ist mir eine Doku lieber, da bin ich auf Belehrung eingestellt, da entwickle ich Gefühle für die Opfer jedweder Machenschaften, da kann ich mich ohne Ablenkung mit Realitäten auseinandersetzen. Und natürlich kann man diesen braven Filmen die Bepreisung nicht verweigern, das wissen die Regisseure sehr wohl – Oscars, Goldene Löwen und goldene Palmzweige wurden reichlich auf deren Wegen ausgestreut.

Und manchmal zweifle ich auch an den guten aufklärerischen Absichten der Regisseure, mir wurde auch nicht bekannt, dass Herr Scorsese von seinem Gewinn etwas an die verelendeten Indigenen in ihren Reservaten abgetreten hat, das hat der schon selber eingesackelt und steckt es in das nächste caritative Projekt – mit Gänsefüsschen. Hoffentlich ist der Leo so schlau, sich rechtzeitig zu verkrümeln, hat sich so gut entwickelt von der herzensguten Titanic-Wasserleiche zum grandiosen Fiesling in Django Unchained. Da konnte er an seine umwerfenden Darstellung eines behinderten Jungen Irgendwo in Iowa von der Ausdrucksstärke her anknüpfen.

Das Kriegsdrama Im Westen nichts Neues startete mit einem Budget von 20 Millionen und spielte bis jetzt 2,3 Milliarden ein und der Siegeszug bei Netflix hat gerade angefangen – der Regisseur wollte zeigen, wie schrecklich Krieg ist, das hat er ja auch geschafft – allerdings mit dem Nebeneffekt, dass viele den Film nicht bis zum Ende durchstanden oder zumindest innerlich das Licht ausknipsten (ZQF so gegen 50) – ich selbst verbrachte die gesamte Filmzeit in einem Zustand der Duldungsstarre. Leider wurde dabei – sicher nur versehentlich – auch versäumt, einen Teil dieses sehr stattlichen Gewinnes an ein kriegsgebeuteltes Land abzutreten, etwa um das zerstörte Aleppo wieder aufzubauen oder zur Versorgung ukrainischer Flüchtlinge ein Scherflein beizutragen. Wenn ihnen schon so an der guten Sache liegt. Oder tuts das etwa doch nicht? Dann dürfte die Sache langsam zur Masche werden.

Kunst heisst nicht, etwas zu lehren – sie soll im Menschen etwas wecken und zum Leben bringen, das vielleicht eigenständig weiterlebt und wieder etwas anderes hervorbringt. Er muss sich dessen nicht einmal bewusst sein. Aber Kunst zu definieren ist müssig, das lass ich jetzt lieber – zu schwer fassbar, zu individuell, zu prozessual, ich komme mir gerade wie ein Schullehrer vor und jetzt hör ich auf sonst wird’s dröge. Vielleicht soll Kunst ja überhaupt nichts, vielleicht sollte man sie betrachten wie das Wunder eines neugeborenen Kindes, das soll auch nichts ausser unser Herz erfreuen und meistens schafft es das sogar … ich glaube, das wäre eh das Beste und ich spar mir jetzt das weitere Blubbern hier. Oscar krieg ich eh keinen …

Also nur ein paar Gedanken, in die Kladde geredet.

 

2024 23 Feb

Und dieses?

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2024 21 Feb

Impact-Quiz

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Was ist das?

 

 
 

Hier ist er also!

(Meine Vorfahren waren Trüffelschweine!)

 

 
 

Einer flog übers Kuckucksnest! Olle Kamelle?

Eher nicht – gestern mal wieder angeguckt. Es geht noch!!

Nach dem 1962 erschienenen Roman von Ken Kesey funktioniert der 1975 gedrehte Film von Milos Forman immer noch, ohne dass sich das graue Gespenst der Langeweile hereinschlängelt. Schon der Titel – eine Zeile aus einem Nonsens-Abzählreim gibt Rätsel auf, wenn man bedenkt, dass der Kuckuck keine Nester baut. Es wird über etwas geflogen, das gar nicht existiert – macht aber Sinn, wenn man bedenkt, dass diese psychiatrische Station auch den Charakter eines Nestes besitzt, in dem verschiedene Kuckuckseier abgelegt wurden, die ursprünglich nicht dorthin gehörten und aus denen dann überwiegend Zombies geschlüpft sind. Cuckoo ist in den USA auch ein Synonym für „verrückt“.

 

Zunächst:

Trotz des genialen Jack Nicholson in der Rolle des charismatischen, nicht zu bändigenden und unwiderstehlichen Tunichtguts McMurphy gehört der Film nicht zu meinen Favoriten – zu viele Klischees, zu vorhersehbar, eindimensionale Typen: Der schlitzohrige Rebell, die fiese Oberschwester Ratched, deren Name schon so kratzig klingt, dass da Mildred auch nichts mehr hilft – und mit einer Frisur, mit der sich problemlos zwei Teufelshörner kaschieren liessen. Dann der dauerschweigende Chief, (der Rezensent von Rolling Stone nannte ihn den Häuptling der Herzen), der verklemmte Stotterer und zahlreiche skurril-sympathische Psychofreaks, die sich temporäre Freiheit erkämpfen und in McMurphy ihren Guerillaführer im Klapsmühlendschungel finden. Eher eindimensionale Figuren als gebrochene Charaktere, eher nahe an der Knallcharge, aber als Team unschlagbar und genial aufbereitet vom Regisseur, der später sogar Mozart vom Joch der Idealisierung befreit und genial gegen den Strich gebürstet hat; (davon später ein Weiteres), der hat sich auf seiner Wolke dann sicher tierisch gefreut, vermutlich sitzt er aber eher in der Hölle bei den interessanteren Leuten – wer würde schon mit Mutter Theresa diskutieren, wenn er Sartre haben kann oder gar Nietzsche, der sieht darüber hinaus auch noch gut aus.

Der Film verstand es, den Nerv der Sechziger- und Siebzigergeneration zu treffen – die Rebellion der Unangepassten gegen ein gnadenlos autoritäres System, im Mikrokosmos einer psychiatrischen Klinik in vitro zu beäugen. Dabei trägt er eine etwas verquere Botschaft: Der Unangepasste wird seines Frontallappens beraubt, der angepasst Schweigende erlangt die Freiheit, weil er die Gunst der Stunde zu nutzen weiss, vielleicht vom Instinkt des Indigenen geleitet. Erweist sich das System also als stärker? Eine reaktionäre Botschaft? Ein kurzes Aufleuchten einer kleinen Freiheit vor der brutalen Niederwerfung?

Im Roman ist der schweigende Häuptling der Erzähler, im Film fungiert er als Folie zu McMurphy, zieht die passive Verweigerung der offenen Rebellion vor und versteht abzuwarten; er entkommt dem Kuckucksnest, begleitet von einem Habichtsschrei – vermutlich dem Triumphschrei seines Krafttiers und verschwindet in den Wäldern. Und er entkommt als einziger; der unreflektiert laute Rebell ist tot.

Lasst nicht die roten Hähne flattern ehe der Habicht schreit – sang Degenhardt 1974 in seiner Ballade von Joss Fritz, dem Bundschuhführer, der immer warnte vor der Hast. Dabei dürfte Forman Degenhardt kaum gekannt haben.

Nun muss Literatur nicht immer politisch agitieren – ich war als Studentin etwas zu lange mit einem radikalen Mitglied einer Marx/Lenin-Gruppe verbandelt, da stossen mir gescheiterte Freiheitskämpfe immer noch sauer auf; die proletarische Revolution hat gefälligst zu gelingen, da kann man keine derart pessimistischen Botschaften in die Welt setzen. Aber Belletristik kann auch einfach Realität abbilden, mit Sprache spielen, eine Geschichte erzählen, ein Psychogramm erstellen.

Was ist das hier also für eine Geschichte?

Zunächst ist der Film ein Männerfilm: eine geschlossene Gesellschaft von Herren mit ihrer spezifischen Spiel- und Witzkultur und ihren Initiationsritualen, alle durchaus sympathisch in ihrem Wiedererwachen hin zu einer neuen Lebensfreude und Widerstandskraft; anrührend auch die temporäre Epiphanie und Mannwerdung von Billy Bibbitt, von der Oberschwester aber rasch wieder gekappt und in den Muttersohnstatus zurückgepfiffen, mit tödlichen Folgen, wie wir sehen mussten.

 
 

 
 

Aber es ist auch ein Männerfilm in der Zeichnung des Frauenbildes, die Frauen – fiese Schwester mit Schleppenträgerin und willige dauerkichernde Prostituierte – dienen eher als fleischgewordene Angst- und Wunschphantasien von Männern und formen sich nicht zu glaubhaften Figuren mit Individualität. Die Oberschwester, der Würgeengel der Psychiatrisierten, kann als Opfer einer verfehlten Personalpolitik gesehen werden – eine Frau eine Station mit schwer gestörten und emotional ausgehungerten Männern regieren zu lassen ist natürlich ein Unding, die kann nur mit Verhärtung und Spiess-Umdrehen überleben.

Ich ertappte mich beim Betrachten als etwas gespalten, mental intellektualisierend und mit eigenen Erfahrungen als Praktikantin in dergestalten Einrichtungen beschäftigt – McMurphy, die Testosteronbombe, hätte mir seinerzeit Angst gemacht; gleichzeitig agierte ich auf der Handlungsebene in der Identifikation mit dem Häuptling: Ich verursachte eine kleine Überschwemmung mit verschüttetem Mineralwasser, es wurde mit einer redundanten Menge an Papiertaschentüchern aufgewischt (der Film endet in einer vom Häuptling verursachten wesentlich grösseren Überschwemmung) und mein Einfall, in Ermangelung eines Putzlappens ein Kissen auf die Wasserlache zu legen, erinnert nun auch sehr stark an die Schlusssequenz.

Das Ende – d. h. die Tötung aus Menschlichkeit am lobotomierten McMurphy durch den Häuptling, der diesen mit einem Kissen erstickt, wurde aus Zeit – oder anderen Gründen von den Mitguckern nicht mehr thematisiert.

Die Frage, was den Regisseur getrieben haben könnte, diesen Roman zu verfilmen, findet vielleicht eine Antwort in Formans Biographie: Seine Eltern waren tschechische Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime und beendeten ihr Leben im KZ Auschwitz, der damals Elfjährige wurde von Verwandten grossgezogen. Als junger Mann erfuhr er, dass sein Vater nicht sein leiblicher Vater war sondern ein tschechischer Jude, so war er selbst doppelt gefährdet.

Der Stoff einer – wenn auch gescheiterten – Revolution gegen ein mörderisches und totalitäres Regime lag ihm sicher von daher am Herzen, vielleicht hat ihn auch eine frühe Rettungsphantasie für die gefährdeten Eltern angetrieben und Miss Ratched wäre sicher eine hocheffektive KZ – Wärterin geworden.

McMurphy und der Chief – einer die Blaupause des anderen – formen den Film auch zu einem Buddy-Movie. Sie lernen sich auf einer kindlichen Ebene kennen, beim Baseballspielen und Kaugummiteilen, und der Chief teilt mit ihm sein grosses Geheimnis, von da ab wirken sie aufeinander bezogen und zusammengeschmiedet.

 

 

Somit handelt der Film auch von Vaterschaft: Der Klinikdirektor ist als Vaterfigur gütig, aber schwach – und durchschaut die Ränkespiele seiner Pflegedienstleitung nicht.

McMurphy versteht es, in einem Haufen geduckter Mitpatienten wieder so etwas wie durchsetzungsfähige Männlichkeit entstehen zu lassen beziehungsweise diese zumindest in den Status eines rebellierenden Jugendlichen zu führen. Der Chief (Veteran aus dem 2. Weltkrieg, den die Demütigung und Landnahme seines Vaters durch Regierungsbeamte depressiv machte) nimmt zum Ende als väterlicher Freund etwas Furchtbares auf sich, um den dahinvegetierenden McMurphy zu erlösen.

Das Mütterliche existiert als Zerrbild, kristallisiert in Schwester Ratched, die niemand aus ihren Klauen lassen kann und das Thema wird verstärkt durch das immer wieder zitierte Phantasma von Billys Mutter, die das genauso wenig erlaubt.

In Werken von Künstlern, die den Vater früh verloren oder ohne diesen aufgewachsen sind, wimmelt es im Oeuvre oft von sich ergänzenden Vaterfiguren unterschiedlichster Couleur. Ich nenne hier Tolkien und die 8 Gefährten, mit denen Frodo Beutlin durch die Lande zog und die unterschiedliche Erziehungs- und Bildungsaufgaben an ihm zu vollbringen hatten, bis ein gestandenes Mannsbild aus dem Kleinen wurde, der dann zwar nicht die Welt, aber zumindest Mittelerde retten konnte. Zu einem Sexualleben reichte es bei ihm allerdings nicht, er verschwand lieber mit Gandalf, Bilbo und Elrond in die nebligen Weiten Valinors, vermutlich zu erneuter romantischer Männerbündelei. Allerdings ist auch die schöne Galadriel mit von der Partie, vielleicht wächst sie ja dann in die Rolle von Schwester Ratched hinein, gottlob hat sie aber ihren Männe Celeborn dabei, der hier hoffentlich Grenzen zu setzen versteht.

Den irdischen Anteil Tolkiens verkörperte der Hobbit Sam Gamdschie, der darauf verzichtete in den Nebel des Unverbindlichen zu entschweben, sondern lieber seine Rosie heiratete, 16 Kinder zeugte und Bürgermeister von Hobbingen wurde. Ob das für Rosie auch genussreich war, ist eine andere Frage.

Tolkien verlor als Vierjähriger den Vater und als Zwölfjähriger die Mutter, war von da ab für den kleinen Bruder verantwortlich, erfüllte also gewissermaßen die Rolle des Seelenhirten und Bodyguards wie sie Sam für Frodo erfüllte.

Ende sidekick!

 

Was mich beim Kuckucksnest zufriedenstellte, war die Rebellion, die meine 68er-Seele erfreute, das nicht nachlassende Kämpfen für ein besseres Leben, der frische Wind, den ein Revoluzzer in ein faschistisches System hineinzublasen versteht, die Hoffnung die er wecken kann. Das greift immer noch!

Passt aber der Film noch in unsere Zeit, in der wir uns doch viele Freiheiten erkämpft haben? Oder ersticken wir jetzt in Anderem, aus dem uns McMurphy vielleicht befreien könnte mit seinem ungebrochenen Spass am Saufen, sinnlichem Sex, Seefahrt, Sport, Streichespielen (wieso geht das jetzt alles mit S an?) und permanenter lustvoller Grenzüberschreitung – am ganz einfachen aber intensiven sinnlichen Leben und Darüber-Begeistertsein, meinethalben nennen wir’s auch das Feiern des Freudianischen Es.

Hat bei Alexis Sorbas auch gut funktioniert – eine ganze Generation bemerkte erst viel später, dass das ein ziemlich egomaner Vollpfosten war – weil er halt so schön am Strand zu tanzen verstand. Der traf auch dauerquatschend und fingerschnipsend den gleichen Nerv.

Greift der Film deshalb immer noch oder würde vielleicht noch besser greifen als früher wenn ihn nur nochmal jemand zur Erprobung desselben in die Kinos bringen könnte?

Dabei hätten wir doch reichlich Freiheiten zu geniessen, zumindest die privilegierten Schichten unter uns. Sogar Gedankenfreiheit haben wir – jetzt bräuchten wir bloss noch die Gedanken.

 

 

          

 
 
 

Der englische Maler William Turner wird darstellerisch der Epoche der Romantik zugerechnet, eine Kunstströmung, die sich gegen das Zeitalter der Aufklärung und dessen sich formenden naturwissenschaftlichen Dogmen und ihren Pragmatismus stellte, der auch in der Malerei seinen Niederschlag fand. Dort herrschte nun der Realismus, das Darstellen von Dingen wie sie waren. Die Porträtmalerei reüssierte, fast bis zu einer fotografischen Detailtreue. Für Turner scheinen die Dinge keine Rolle zu spielen beziehungsweise in nur einer Hinsicht. Ihn interessiert ihr Verschwinden, ihre Auflösung – oder auch nur ihre Veränderung unter dem Einfluss der gestaltenden Kräfte Licht, Nebel und Perspektive, die sie modifizieren, umformen, zurücktreten oder ganz verschwinden lassen. Turner malt, was davon zurückbleibt und schafft dadurch eine neue Welt, in denen die Kräfte, die das Sichtbare gestalten, ihrerseits deutlicher sichtbar werden. Wie Monet schienen ihn weniger die Dinge und ihre Realität zu interessieren, sondern das, was das Licht daraus zu machen versteht. Vielleicht ein Hinweis an die Aufklärer, die sich dem Greif- und Berechenbaren verschrieben haben, auf eine transzendente, energetische oder spirituelle Sphäre, die die dreidimensionale Welt mitgestaltet, bis wir sie nicht wiedererkennen. Ich nenne es: Der Farbe ihre Freiheit zur Entfaltung lassen: das Gegenständliche hinterlässt nur noch eine Spur.

 
 
 

 

 
 

Irgendwie ist mir heute anscheinend nach Stabreim.

Die von mir gerne so genannten Impacts beziehungsweise „ikonischen“ Szenen fungieren als eine Art Logo und Erkennungszeichen für einen Film oder ein ganzes Genre, sozusagen eine auf eine Szene eingedampfte Kurzfassung des Films – für Conaisseure der Filmwelt sofort identifizierbar oder in anderen Filmen als Zitate verwendet (heute heisst es, der Regisseur habe zitiert, früher sagte man geklaut).

Sei es nun das durch die Bauchdecke brechende Alienbaby, der göttlich leuchtende Zeigefinger, die Herren, die den Damen das Fliegen lehren – eine Orgasmusmetapher – das Heilige und das Dämonische Auge in Auge: visuelle Anker, geeignet auch für Filmplakate und Marketing.

Akustische Anker wären Zitate wie „Irgendeiner wartet immer“, seinerzeit der schönen Claudia Cardinale an den Kopf geworfen, die den lonely rider zum Bleiben animieren wollte (und „Sweetwater wartet auf Dich!“ flötete), der aber Besseres zu tun hatte oder das zumindest vorgab. Hier weist der verbale Impact zurück auf einen Mythos: Den bindungsunwilligen West- oder Seemann, der die wilde Prärie oder das wilde Meer verlockender findet und die narzisstische Verschmelzung mit diesen Objekten und ihren Gefahren sucht, bei denen er sich männlicher fühlen kann als bei der wildesten Frau. Der Mann auf der ewigen Flucht vor der Verbindlichkeit und vor allem der Verletzlichkeit. Der Film hätte nicht mehr funktioniert, wenn die beiden sich um den Hals gefallen wären, so bleibt die tragisch-melancholische Färbung bis zum Schluss aufrechterhalten: never touch an archetypus!

In der Originalversion war’s etwas hoffnungsvoller formuliert: „I hope you’ll come back sometime! – Sometime!!“ Da könnte noch was kommen … bin gespannt, wann einer auf die Idee kommt, ein Sequel zu drehen. Bei Vom Winde verweht hat’s ja auch geklappt, da wurden wir in den Achtzigern dann mit Roman und Serie Scarlett gequält und selbstverständlich haben sich Scarlett und Rhett noch gekriegt und dann kam noch ein Buch der ganzen Geschichte aus Rhetts Perspektive und jetzt noch eines aus der Sicht der kleinen schwarzen Prissy, der Kammerzofe von Scarlett mit einem IQ knapp über der Körpertemperatur – das hat die Welt offenbar noch gebraucht um sich wieder heile zu fühlen. Bloss nix offen stehen lassen … vielleicht kommt ja noch Der Gynäkologe von Scarlett bricht jetzt sein Schweigen …

Ikonen beinhalten immer eine Beziehungssituation und einen gewaltigen Schlag Grandiosität obendrauf, sei es der Löwe auf dem Königsfelsen aus der Untertanen-Frosch-Perspektive, das Liebespaar im Höhenrausch, die bereits jetzt unermessliche Zerstörungskraft eines Alienbabys in seinem Wirtskörper oder der Zusammenprall von Natur und Kultur durch den Monolithen im Reich der Primaten, (dessen Rolle während des gesamten Films nicht klar wird, aber andererseits die Handlung vorantreibt, ebenso wie der Schlitten mit der Aufschrift „Rosebud“ in Citizen Kane. In der Filmwelt nennt man diese Gegenstände „Mcguffins“).

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

Impacts haben etwas Bombastisches, dem man sich schwer entziehen kann. Aber es können auch Szenen ikonisch werden, die die Grandiosität aufbrechen oder parodieren, wenn beispielsweise gerade John Travolta – ein netter sidekick – tut, als könne er nicht tanzen. Für die Tanzszene aus Pulp Fiction hat seinerzeit jeder Saturday-Night-Fever-Fan seine sämtlichen Videos in die Tonne getreten.

Oder wenn der aufblasbare Globus zerplatzt und der verzückte Diktator darob in Tränen ausbricht. Manche Zitate infiltrieren als dauerhafter Input unser Alltagsleben – etwa der unsterbliche Satz von Ranger (Schuh des Manitou) am Marterpfahl hinüber zu Abahachi am jeweils anderen Marterpfahl, er wäre „mit der Gesamtsituation unzufrieden“.

Von I’ll be back und Ich will genau das was sie hatte gar nicht zu reden. Oder seit einigen Jahren Chantal, heul leise! Im Genre des Heiteren werden optische Grandiositäten eher zu akustischen Zitaten, die statt Grandiosität Coolness und understatement verbreiten. Bei näherer Betrachtung verschmelzen aber diese Highlights und entpuppen sich als Wandel der Zeiten: Coolness ist die neue Grandiosität, der flotte Spruch beim Töten oder Sterben ist bei den neuen Helden unabdingbar geworden, Lässigkeit gegen Pathos, von letzterem waren wir offenbar seit John Wayne und Gary Cooper so übersättigt, dass neue Helden hermussten. Gebrochene Helden, Underdogs, schräge Figuren, Cyborgs mit Sixpack und Pokerface und andere abgebrühte Herrschaften, die überhaupt nichts zu kratzen schien und die beim Sterben nicht Adios amigo und Grüss mir mein verdammtes Mexiko oder Sag Juanita, dass ich sie liebe stammelten sondern mehr etwas wie Wie ich es hasse, immer recht zu haben oder Der alte Sack da droben will mich anscheinend sprechen oder gleich Hasta la vista, Baby! Obwohl es seit einigen Jahrzehnten genug weibliche Heldinnen gibt, kommen die bekanntesten Coolsprüche aber aus männlichem Mund – ausgenommen die erwähnte ältere Dame, die im Cafe beim Kellner einen Orgasmus bestellte. Ein weiblicher Impact, bei dem es mal nicht ums Töten und Sterben ging, sondern um lebensfreundlicheres Branding.

 
 

 


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