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Ich bin Dein Mensch (D, 2021) von Maria Schrader

 
 

 
 

Im Zeitalter von Algorithmen und Chatbots ist ein Film über virtuelle Helfer mit physischem Erscheinungsbild, vulgo Roboter, Bots, kybernetische Organismen oder Androiden genannt, natürlich überfällig. Unter Maria Schraders Regie sind sie diesmal auch nicht mit Töten beschäftigt, sondern mit Dienen und Lieben – das ist von der Themenwahl hoch einzuschätzen und macht neugierig. Leider fehlt es Schrader bei diesem löblichen Vorhaben offenbar an einer zündenden Idee und so serviert sie uns einen etwas dünnen Aufguss mit einer emotional ausgehungerten Wissenschaftlerin, die einen attraktiven Roboter auf seine Eignung als Partnerersatz testen soll und dabei einen Konflikt zwischen ihrem Neokortex und ihrer Amygdala auslöst – welche Hirnstruktur am Ende dominiert, soll hier nicht verraten werden. Warum eine Expertin für Keilschrift-Lyrik auch als Expertin für Roboterbegutachtung brauchbar sein soll, erschliesst sich im Drehbuch nicht. Eine Psychotherapeutin wäre besser gewesen – da könnte ich mir einige pfiffige Dialoge vorstellen – und dazu Lesbe oder radikale Feministin. Oder weiss der Teufel, der mich anscheinend gerade wieder reitet.

Der Bot heisst Tom und erfüllt alle Frauenwünsche, vom Champagnerfrühstück, Brötchenholen, Saubermachen, im Freundeskreis reüssieren und bella figura abgeben, Rumbatanzen und im Bett Freude bereiten – every inch a gentleman – nur den feurigen Rumbatänzer will man ihm nicht so recht abkaufen – Rumba funktioniert nicht gentlemanlike, da muss ein wohldosierter Schuss männlicher Zugriffsfreudigkeit mit in den Cocktail. Patrick Swayze mit seinen Bizepsen lässt grüssen, der lehrte uns einst, was erotisches Tanzen bedeutet, da kann der schmächtige Tom einpacken. Der mag ja gut aussehen, aber viel Testosteron traut man ihm nicht zu und als es endlich zur Sache geht erlebt man – nun ja, Roboterliebe. Wer’s mag …

 
 

 
 

Dass da ein reichlich angeranztes Frauenbild zwanglos mithineinverwoben wird, dürfte klar sein. Fetziger wäre es gewesen, wenn die Protagonistin mit Hilfe ihres Bots vielleicht eine Doktorarbeit schreiben würde, sich ärgern würde, weil er immer gescheiter ist … oder … oder zwei Bots zur intellektuellen challenge aufeinanderhetzt … nur mal so angedacht. Aber nee, es muss die schwer angestaubte Nummer mit dem Champagnerfrühstück sein; naja, Maria Schrader ist ja auch nicht mehr die Jüngste und daher noch der klassischen Beziehungsdrama-Ära verhaftet. Und ein Beziehungsdrama wird hier geboten beziehungsweiseder Konflikt der etwas sauertöpfischen Wissenschaftlerin, die Emotionen für ihren Tom entwickelt, obwohl sie sie nicht entwickeln will und andererseits in einem beeindruckenden Monolog erkennt, dass sie kein wirkliches Gegenüber hat, ständig auf sich selbst zurückgeworfen wird und letztlich immer mit sich selbst kommuniziert, und damit die tiefere Bedeutung von Tom nicht nur als Wunscherfüller, sondern als Projektionsträger erkannt hat; doof ist sie wenigstens nicht. Einer der starken Momente des Films. Liebe ist hier eine wohlfeile Illusion und reichlich Verdrängung ist angesagt, damit das Modell funktioniert. In Toms Makellosigkeit entdeckt Alma ihren eigenen Schatten in Form der Angst, nicht liebenswert zu sein, wenn man nicht perfekt ist. Trotz dieser Schwächen ist der Film ein Fundus von geschickter Seelenauslotung, Wünschen, Trieben, narzisstischen Kränkungen und nicht gelebter Trauer und beschäftigt sich mit den zentralen Fragen, was den Menschen zum Menschen macht und was wir in der Liebe suchen und vor allem über Projektions- und Übertragungsmechanismen. Zudem lebt man bei Tom in der Situation des permanenten Betrugs: Wo man glaubt Empathie erleben zu dürfen, rumpelt man auf einen Algorithmus. Und dummerweise ist der perfekte und beherrschte Tom auch ein ständiger Spiegel für die eigene Unperfektheit, was die bindungs- und näheängstliche Alma besonders trifft, zudem ist er schlimmer als jede Schwiegermutter, weil er immer weiss, was sie braucht, noch bevor sie es selbst merkt, das nervt auch die geduldigste Keilschriftenleseratte.

 
 

 
 

Am Ende dann ein seltsamer Twist: Tom fällt etwas aus der Rolle, als ihm seine Herrin mitteilt, dass das Experiment beendet ist und fragt mit verlorenem Gesichtsausdruck, wo er denn jetzt hinsolle (was ja keine Frage ist – zurück zum Hersteller natürlich, oder halt auf den Schrottplatz …). Ein Patzer im Drehbuch oder eine absichtlich eingebaute Beziehungsverwerfung? Zum erstenmal ist Tom ratlos, der sonst auf jede verbale und nichtverbale Aktion zu antworten wusste, wirkt wie ein verirrtes Kind. Auf Alma verfehlt dies ihre Wirkung jedenfalls nicht, sie sieht ihre Einsamkeit und Unverortetheit darin gespiegelt, zum erstenmal wird die Bindung zwischen den beiden plastischer – Alma reagiert bezogen und fast mütterlich. Und offenbar kann der untadelige Tom auch noch hellsehen, denn am Ende trifft man sich an einem weit entfernten Ort wieder, ohne verabredet zu sein – am Ort einer gemeinsamen selbstkonstruierten Vergangenheit, die erstellt wurde damit das Paar auf die Frage „Wo habt Ihr Euch kennengelernt?“ etwas zu entgegnen weiss. Dort wartet der Android geduldig auf einer Tischtennisplatte (ein Symbol für gelingende Kommunikation – oder eine Methapher für aggressives Hin- und Herballern), bis seine Chefin kommt, die nun zu einer Liebesbeziehung offensichtlich bereit ist. Ein seltsames und vieldeutiges Ende, das sich nicht zu einer „guten Gestalt“ runden will … aber das muss ja nicht schlecht sein. Kann man an einer Illusion gesunden?

Ein Film, der sich über weite Strecken nicht entscheiden kann, ob er Romanze, Komödie, Psychodrama, Sci-Fi oder philosophisches Lehrstück mit hoher Floskeldichte sein soll und in allen diesen Genres ein bisschen herumplätschert, der trotz eines einfachen Strickmusters, gelegentlicher Holperer und mässig inspirierender und etwas blutleerer Hauptdarsteller, zwischen denen es auch am Ende nicht richtig funken will, imstande ist durchaus interessantes Kopfkino mit allerlei psychologischen und existenziellen Fragestellungen auszulösen – die Diskussion ist bei dergleichen meist interessanter als der Film, das lernt jeder Filmfreak mit den Jahren auch zu schätzen. Sartre meinte auch dass man von den „guten schlechten Filmen“ mehr lerne und vermied die schlechten Guten, die hielt er für Zeitverschwendung – da bin ich durchaus der Meinung des grossen Alten.

Als Kontrastprogramm danach noch Der Geschmack von Rost und Knochen angesehen: Ein seltsamer Titel und ein Zitieren von etwas das übrigbleibt, wenn Organisches und Nichtorganisches vergangen ist. Eine Blaupause des oben Beschriebenen und ein Film über Verkrüppelungen an Körper und Seele, in denen die Menschen nicht an den Wohltaten des Lebens und der Menschen, denen sie begegnen, sondern an den Reibungen und Herausforderungen gesunden. Wer sich in Bezug auf Frauenwünsche besser amüsieren will, dem empfehle ich Der Auftragslover (F, 2010), hier werde die Wasfrauenwollen-Klischees so charmant und pointiert auf die Spitze getrieben, dass es wirklich witzig wird – die Franzosen können das halt einfach besser, die haben der Liebe den deutschen Bierernst gründlich ausgetrieben. Und Romain Duris, der Bursche mit dem leichten charmanten Überbiss, tanzt fast so gut Samba wie Patrick Swayze. Rumba sowieso.

Schon Freud war ja an der Frage „Was will das Weib?“ verzweifelt, dabei hatte er 5 davon im Hause (Dienstboten nicht mitgerechnet), die er nur hätte fragen müssen. Oder wahlweise halt dann einen Franzosen oder gleich Patrick Swayze. Aber ein wahrer Macho will ja nicht auf die Frau angewiesen sein, sondern alles alleine herauskriegen – aus diesem Grund blieb ein grosses Werk in diesem Bereich sehr lückenhaft und seine Analysen weiblicher Patienten teilweise schon Fälle für die heutigen Ethikkommissionen.

Und so bleibt am Ende der grosse Menschheitswunsch bestehen: Als inneres Objekt – wertgeschätzt und geliebt oder zumindest wichtig – im anderen abgebildet zu sein, diesen psychischen Raum bietet nur ein Mensch und kein Roboter, bei dem man dann analog zwischen digitalen Nullen und Einsen herumsitzt  – und dem das auch noch völlig wurscht ist.

 

 
 

Die Saat des heiligen Feigenbaums (D, F, 2024) von Mohammad Rasulof

 

Regisseur stammt aus dem Iran, wurde aufgrund regimekritischer Filme schon einige Male zu Haftstrafen verurteilt, nach der Premiere des genannten Filmes wurde erneut eine Haftstrafe verhängt, der er sich durch Flucht entzog. Sein Aufenthaltsort wird geheim gehalten.

Die Rezeption des Filmes begann für mich mit einer Verwirrung. Im Vorfeld hatte ich Rezensionen gelesen, in der der Plot als die Geschichte eines unter dem Druck des Systems zunehmend paranoid werdenden Teheraner Beamten und Familienvaters interpretiert wurde. Der Chatbot argumentierte auch in diese Richtung – beim Betrachten des Filmes kamen meine Mitgucker und ich selbst zu einem anderen Interpretationsansatz; diese Divergenz kann ich mir nur dadurch erklären, dass in totalitären Regimen die Trennlinie zwischen Normalität und Paranoia ohnehin sehr unscharf gezogen ist und der Aussenstehende zu anderen Bewertungen kommt als der im besagten System Grossgewordene. Wer da nicht paranoid wird, muss ein grosses Verdrängungspotential mobilisieren können und der Zuschauer hat erstmal Mühe, sich zu orientieren – immerhin gibt es beunruhigende Zeichen zu Anfang des Filmes: Der Protagonist blickt in den Spiegel und sieht dort einen verhüllten Kapuzenmann. Man ist also schon etwas psychiatrisch eingestimmt und ich musste mich erst mental umprogrammieren.

Der Film erweist sich also nicht als psychopathologische Studie, sondern als dramatischer Politkrimi mit sich steigernder Spannung und dem Dauerthema der Nahostländer: Den schweren Generationenkonflikten beziehungsweise dem Quantensprung der jüngeren Generationen vom Mittelalter in die späte Postmoderne – der in den westlichen Ländern in der Nachkriegszeit stattfand, aber nie diese Dramatik entwickelte, da dort keine so archaische Religiosität gelebt wurde – zumindest nicht mehr nach der letzten Hexenverbrennung – und die Säkularisierung früher stattfand; da setzte man dann doch zögerlich ein Bein auf die Erde und ins Zeitalter der Aufklärung, auch wenn’s zum Teil ein kühles Fussbad gab – aber alles besser als dieses Scheiterhaufengelodere.

Da entstehen in Old-Style-Familien in Nahost nicht nur die bekannten Generationenreibungen, sondern da muss man schon von Im- und Explosionen sprechen; somit ist die Entwicklung der Geschehnisse in einer soliden Teheraner Familie der gehobenen Mittelschicht wie eine Art Atompilz, der sich zerstörerisch – unaufhaltsam vergrössert und ausbreitet, bis ein Weiterleben in seinem Dunstkreis überhaupt nicht mehr vorstellbar und möglich ist, weil einem am Ende nur noch alles um die Ohren fliegt. Das Ende ist grausam, auch wenn es sich nur um den Mikrokosmos einer Familie handelt – aber eben der ist exemplarisch.

Der Familienvater-Jurist und Beamter in einem theokratischen Staatssystem – wird nach seiner Beförderung gezwungen, Todesurteile zu genehmigen, ohne den jeweiligen Fall geprüft zu haben – in den meisten Fällen scheint es sich um Regimegegner zu handeln. Die Mutter ist konservativ-regulierend und dem muslimischen Wertekanon verhaftet, die Töchter im bei Teenagern üblichen moderaten Revolutionsmodus mit Wünschen nach Nagellack, blauen Haaren und Märchenprinz und ganz wohlgemut in ihrem pubertären Transitraum agierend.

 
 

 
 

Die schwere Verletzung einer Freundin, der auf einer Demonstration mit der Schrotflinte ins Gesicht geschossen wurde, katapultiert die Mädchen in eine andere Bewusstseinsebene. Die ältere Tochter findet die Dienstpistole des Vaters und nimmt sie heimlich an sich im zunehmenden Bewusstsein einer Gefährdung andersdenkender Frauen und als Misstrauensvotum gegen den Vater, der bei Verlust der Dienstpistole mit schwerer Bestrafung rechnen muss – und als Symbol für Macht und Stärke, mit dem sie sich sicherer fühlen mag – die Interpretationsmöglichkeiten sind sehr vielfältig, wenn man einmal ans Ausloten der Vater-Tochter-Beziehungen geht, die anders verlaufende ödipale Entwicklung im muslimischen Kulturkreis mit dem wesentlich stärkeren Schutz- und Besitzanspruch des Vaters und das Funktionalisieren der Tochter als Selbstobjekt (das bei Heirat verschachert wird) zum Verständnis mit einbezieht. Papas kostbarer Schatz, der sich aber unterwerfen muss, damit er ein Schatz bleibt und nicht ausgestossen wird – welches Selbstbild kann ein Mädchen hier aufbauen? Ein weites düsteres Feld mit vielfältigen Möglichkeiten zu ungesunden Spaltungen und unscharf formulierten Identitäten, die die weitere Unterordnung gewährleisten. Kinder- und Jugendlichentherapeuten können ein Lied davon singen, das sie die Behandlung muslimischer Mädchen gelehrt hat. Für den Vater zieht sich eine Schlinge zu – das Volk beginnt ihn zu hassen, die Dienstherren misstrauen ihm zusehends, er beginnt ein detektivisches Forschen im Familienkreis nach der verschwundenen Waffe, die Töchter leugnen deren Besitz – eine hübsche Allegorie auf die Potenz der iranischen Frau, die sie sich nicht wieder wegnehmen lassen will. Der Vater, im Konflikt zwischen eigenen Befreiungswünschen (die ihm seine Töchter spiegeln) und seiner Identifikation mit dem System, dem er dient – aufgerieben dekompensiert und setzt seine Familie gefangen, um ein „Geständnis“ zu erpressen. Keine Paranoia, aber eine katastrophische Dekompensation und ein Struktureinbruch in einem Zustand der Aussichtslosigkeit und des Verratenwordenseins durch die Menschen, die ihm die liebsten sind.

 
 

 

 
 

Ebenso allegorisch das Ende: Beim Showdown zwischen Vater und Tochter auf den Ruinen eines antiken Höhlendorfes versinkt der Vater im Schutt der Vergangenheit, bevor es zu einem Schusswechsel kommt. Der Film endet mit einem starken Bild, das sich einbrennt beziehungsweise einem Rückgriff auf einen Mythos: Dem Toten wächst die Hand aus dem Grab – in verschiedenen Kulturen interpretiert als Hinweis, dass ihm Unrecht geschehen ist, öfter aber dass er selbst Schuld auf sich geladen hat, beispielsweise ein Dieb war – eine Hand, die Übles getan hat, vergeht nicht, sondern bleibt als überdauerndes Mahnmal einer Schande. Ein Bild das beim Decodieren wieder ins Mittelalter zurückverweist und ein starkes visuelles Symbol für ein Filmende: Ein schuldig Gewordener, dem Unrecht getan wurde – ein Anklang an die Figuren des griechischen Dramas, in dem die Schuld nicht auf persönliche Verfehlungen zurückzuführen, sondern unausweichlich ins Leben eingewoben ist und nur wartet, dass sie zubeissen kann und Ödipus dazu bringt, das zu tun, was er um jeden Preis vermeiden wollte. Unentrinnbar und sich allen moralischen Massstäben entziehend. Kein guter Anfang für die Menschheit …

Was bedeutet der Titel? Der Feigenbaum (das „heilig“ verweist hier bereits auf die religiöse Symbolik und die Metaphorik – Botaniker würden hier eher von der sogenannten „Würgefeige“ sprechen, die gibt’s wirklich) kontaminiert über Vogelkot einen beliebigen Baum, bildet Luftwurzeln, die bis zum Boden wachsen und die Nahrungszufuhr gewährleisten, schliesslich den Wirtsbaum umschlingen und ersticken – zurück bleibt ein stabil wirkender neuer Baum, der aber nicht verwurzelt ist – ein weiteres Bild für die tödliche Umarmung autoritärer patriarchaler Systeme und ihrer Traditionen, die sich einreden, dass sie etwas stützen und bewahren, während sie es in Wirklichkeit unter Zurücklassen massiver Kollateralschäden zerstören. Und sich dabei noch für fest in Gott verwurzelt halten.

 

 
 

Zunächst: Ich bin kein Opernfan, höre gelegentlich einen von den Top Ten (Nessun Dorma, den Gefangenenchor, Casta Diva … bitte selbst individuell vervollständigen), dank eines opernbegeisterten Ehemannes und aufgrund der Bekanntschaft mit der Schwester des Wagner-Stars Waltraud Meier kam ich ein paarmal in die Münchner und Wiener Oper und hab’s dort geschafft, den Barbier von Sevilla komplett zu verpennen bzw bei der Walküre in Wien mir auf dem Holzstuhl einen schmerzenden Hintern zu holen. Ein beeindruckendes Erlebnis ist es schon, Frau Meier als Aida zu erleben und dann auf einer Party ihrer Schwester beim Scharadenspielen von ihr beim Absingen des Kufsteinliedes stimmlich unterstützt zu werden. Die Meier-Sisters sozusagen – leider war keine Kamera dabei. Fühle mich also nicht wirklich befugt, über die Callas zu schreiben, insbesondere da mich Angelina Jolie und ihre Filme jetzt auch nie wirklich interessierten.

Der Film Maria ist kein Biopic, er fokussiert auf die letzten sieben Tage im Leben der Diva, gezeichnet von Esstörung und Medikamentenabhängigkeit und ihrem Gram über das Verschwinden ihrer Stimmkraft, schliesslich ihr früher Tod mitten in den hellen Fünfzigern. Die meiste Zeit sieht man Maria durch die Prachtstrassen und Parks von Paris streifen oder in ihren fürstlich ausgestatteten Räumen residieren, nur betreut von ihrem Butler und ihrer Köchin – offenbar die einzigen, die ihr geblieben sind und sie liebevoll versorgen, an langen Abenden auch mit ihr Karten spielen.

Gelegentliche Gesangsproben zeigen immer wieder, dass die Stimmkraft schwindet (diese Passagen hat man Angelina selbst singen lassen, die dafür vorher ein halbes Jahr Gesangsunterricht nahm, ansonsten hat man die Originalstimme der Callas unterlegt), die Sehnsucht nach Ruhm und Grösse, nach Applaus und Verehrung dagegen bleibt. Onassis hat sie verlassen und Jackie Kennedy geheiratet.

Angelina mit ihrem Schwanenhals schreitet – nein, sie gleitet wie ein Trauerschwan in einer morbiden Grandezza durch die Strassen – das allein hat schon was, sie scheint in ständiger Bewegung, einem fortwährenden Fliessen, es gibt nichts, woran sie sich halten kann und der Zuschauer weiss sehr wohl, wohin die Fahrt letztlich gehen soll, die Segel sind schon gesetzt.

 
 

 
 

Dazwischen immer wieder eingeblendet Szenen früherer Auftritte und ihr Glänzen und Leuchten. Nun singt sie vor ihrer Haushälterin in der Küche. Trotz aller Mühe der Schauspielerin ist das Drehbuch leider in der Darstellung der Gefühlssphäre sehr on-the-nose: direkt, wenig subtil, Gefühle werden ausgesprochen und erklärt, anstatt den Zuschauer filmtechnisch abzuholen, mit hinein zu nehmen und ihn ohne viel Worte alles erleben zu lassen. Und zu erleben gibt es viel: Würde, Trauer, Vergänglichkeit, Narzissmus bis hin zum Grössenwahn, aber auch liebevolle Bodenständigkeit und Freundschaft, als sie sich vom sterbenden Onassis verabschiedet.

Eine der Szenen beeindruckt: Der Butler muss trotz eines Rückenleidens Marias Flügel ständig im Hause herumschieben und umplazieren – ein Bild für die Zwangshandlung eines Menschen, der seinen Platz nicht findet, nicht mehr weiss wohin mit sich und Projektionsträger braucht um Affekte bewältigen zu können. Schmerzliche Erkenntnisse suchen sie heim: Die Menschen wollten nicht mich, sondern meine Stimme! – beim Zuschauer unwillkürlich den Gedanken evozierend: Ja, Mädel, was hast Du denn erwartet? Kunstinteressierte funktionalisieren, ein Künstler, der der Kunst nicht mehr fähig ist, wird der Welt schnell gleichgültig. Was soll sie damit? Da Künstler oft Grössenphantasien entwickeln und in einer narzisstischen Zeitlosigkeit dahinleben, gibt es im Alter dann die bekannten bösen Abstürze, sobald es der Realität gelingt, die Verleugnungsschranken zielsicher zu unterlaufen. Spätestens dann, wenn man bei der Eröffnung von Möbelhäusern und Betriebsfeiern singen muss, wie es bei der leichten Muse oft der Fall ist. Da ist Freund Alkohol und der Suizid nicht weit. Das ist auch hier Thema – Maria gelingt es nicht, sich ein neues Lebensmodell aufzubauen, es gelingt ihr auch nicht zu trauern – die Voraussetzung wäre dabei, das Vergangene als vergangen anzuerkennen – sie lebt in einem Zustand von Schockstarre und Fassungslosigkeit. Eines Tages findet man sie tot in ihrem Bett, wie auch immer sie das bewerkstelligt haben mag. In den letzten Szenen mischen sich ihre Todesphantasien in das Geschehen. Insgesamt ein eher als Psychostudie angelegter Film, der auf den Einsatz raffinierterer filmischer Mittel verzichtet, das emotionale Mitgehen hält sich in Grenzen, man bleibt interessiert, aber distanziert. Die Hauptdarstellerin versteht es aber, den Zuschauer trotz dieser Mängel gut durch den Film zu tragen, obwohl sie eine wesentlich kühlere Aura verbreitet als die Callas – aber die war ja auch Griechin, dieses mediterrane Flair, das Feuer im Blick, das Schmelzende kann man nicht erzeugen, wenn man es nicht hat – Angie ist dazu zu sehr das smarte all-american girl und der Dauerschmollmund stört auch ein bisschen.

 
 

 
 

But well done, Angie! Brad wird dich jetzt sicher wieder haben wollen. Den nimmste aber nicht mehr, oder? Keine Brangelina-Symbiose mehr  … hat sich eh nicht bewährt.

 

 
 

 Bulldog (D, 2022) v. André Szardenings

 

Ich nenne dergleichen einen Chamäleonfilm (ein besseres Wort fällt mir derzeit noch nicht ein): Filme, die in der Diskussion den Eindruck entstehen lassen, jeder Teilnehmer habe einen völlig anderen Film gesehen und völlig Unterschiedliches erlebt. Offenbar verstehen es manche Machwerke besonders gut, auf unterschiedlichen Rezeptionskanälen in unser Gehirn zu kriechen und dort Unterschiedliches zu triggern.

Der Titel gibt zunächst Rätsel auf: Ist mit Bulldog der Hund gemeint oder eine landwirtschaftliche Fortbewegungsmaschine? Beides vermag einen zu überwältigen, wenn man es nicht zu handhaben versteht, da schlummert Gewaltpotential versus Ohnmacht in einem einzigen Objekt. Eine Bulldogge ist ein aufmerksames Tier, ein guter Wachhund – und hiermit wäre die Hauptaufgabe des jungen Bruno umrissen: Ein ständiges Bewachen seiner Teenage-Mom, nur 15 Jahre älter als er und nicht fähig, Verantwortung zu übernehmen und eine Existenz für sich und ihr Kind aufzubauen. In der Ersteinstellung erlebt sie man beide als jugendliches herumalberndes Paar, inzestuös, zu nah für eine Mutter-Sohn-Beziehung; sie schlafen auch eng umschlungen in einem Bett. Beide arbeiten als Reinigungskräfte in einer mallorquinischen Ferienanlage, die allerdings völlig leer ist. Die Mutter droht ihre Arbeit aufgrund von Unzuverlässigkeit zu verlieren, Bruno muss ständig dafür sorgen, dass sie ihre Pflichten erfüllt, zerrt sie morgens aus dem Bett, kontrolliert ihren Alkoholkonsum; als der Hinauswurf droht, bietet er sich dem Chef für sexuelle Dienstleistungen an, damit sie beide weiterarbeiten können.

 
 

 
 

Die Rezensenten loben die lebensvolle, flirrende Atmosphäre eines prächtigen Sommers auf Mallorca – seltsam … eine völlig leere, lediglich zikadenumschrillte Ferienanlage in bedrückendem Schweigen, in der lediglich ein kleines Mädchen in anrührender Verlorenheit unverortet herumirrt – ein Bild für dieses oder jenes, in jedem Fall den inneren Zustand der Hauptfiguren verdeutlichend – wirkt nicht einladend. Gleichzeitig verweist die ständig ins Bild gesetzte Sommerpracht als Kontrapunkt auf den inneren Reifezustand Brunos, für den es noch nicht einmal Frühling werden darf. Schliesslich verliebt sich Brunos Mutter in eine andere Frau – Hannah, die rasch in den Bungalow als Eifersuchtsobjekt, aber auch katalysierende Dritte einzieht und Brunos Platz im Bett der Mutter einnimmt.

Der Film fokussiert sich dabei weniger auf die Aussenwelt, sondern stark auf Nähe, Bewegungen, Blicke und Körper – ihr inzestuöse Verschmelzung, ihr Versteifen und ihre Verspannung, ihr wie zufälliges Hineingeworfensein in Räume, die ihnen kein Zuhause bieten, die sie reinigen müssen aber nicht selbst bewohnen dürfen. Bruno wirkt nur gelockert, wenn er mit der Mutter im Bett schläft, ausserhalb ist er verspannt und ständig aufmerksam – er hat etwas zu bewachen und zu beschützen, das er nicht verlassen darf. Die zunehmende Verantwortungsübernahme für das ebenso unversorgte kleine Mädchen deutet an, dass er den Weg eines parentifizierten Kindes weitergehen will. Ein Ausweg deutet sich an in den Auseinandersetzungen mit Hannah, die ihm Reibungsflächen bietet, bei denen er sich selbst zu spüren lernt und die eine langsame Lösung aus der mütterlichen Symbiose ermöglichen könnte. Das Ende bleibt trotzdem offen – Bruno steht starr und zögert, dem Auto zu folgen, mit dem die Mutter wegfahren will – in ein weiteres Leben ohne Halt und Verantwortung.

Ein verstörender Film für den, der um die Folgen solcher Abhängigkeiten weiss – ausbeutbare und dependente Menschen und ihre oft verfehlten und nicht den eigenen Interessen gewidmeten Leben.

 

 

 
 

 
 

 
 
 

 Touched (D 2023) von Claudia Rorarius

 

Wer Probleme mit überbordender weiblicher oder andernfalls behinderter Körperlichkeit hat, sollte sich den Film nicht ansehen – oder eben vielleicht gerade deswegen doch.

Die junge, stark übergewichtige Krankenschwester Maria pflegt den querschnittsgelähmten Alex, der auch seine Arme nur eingeschränkt gebrauchen kann und bettlägerig ist und verliebt sich in ihn. Alex ist nicht verliebt, aber ausgehungert nach Berührungen, die über das rein Funktionelle hinausgehen. Was folgt ist eine Annäherung – dabei aber nicht die erwartete Romanze, sondern ein vorsichtiges Näherkommen, immer wieder unterbrochen von Aggression und sadistischen Impulsen, gespeist aus Angst vor Zurückweisung und einer überwältigenden Scham über den eigenen Körper. Alex beschimpft Maria wegen ihrer Pfunde, dann bekommt er Besuch von einer alten Freundin – ein romantischer Funken deutet sich an, in diesem Moment besteht Maria darauf, ihm die Einlagen zu wechseln. Man erspart sich schlechthin nichts und hinter aller Aggression wird immer wieder die Not sichtbar, den eigenen Körper nicht positiv besetzen, zeigen und für Genuss mit einem Partner nutzen zu können. Maria ist in der Beziehung die Gebende, Alex muss aufgrund seiner Einschränkungen passiv befriedigt werden, er verschafft ihr aber Gefühlsregungen, indem er sie quält – hier kann er aktiv sein und berühren – wenn auch schmerzhaft. Maria scheint das zu spüren und zu verstehen. Ein Film, der bis in die tiefste Magengrube fährt.

Am Ende steigen die beiden Figuren aus ihren Rollen: Es sind Isold Halldórudóttir, ein isländisches Model und Aktivistin der Body-Positivity-Bewegung und Stavros Zaveiris, ein auch im realen Leben querschnittsgelähmter griechischer Schauspieler und Tänzer – und sie tanzen zusammen.

Rollstuhlfahrer sind übrigens hervorragende Tänzer, es ist nur ratsam, ihnen auf der Tanzfläche nicht zu nahe zu kommen, wenn man keine blauen Schienbeine haben will.  Sie verschmelzen mit ihrem Rollstuhl, stehen gekippt auf den Hinterrädern, die sie nun als Beine nutzen und drehen gern schwindelerregende Pirouetten mit raschen Richtungswechseln und man steht starr vor Staunen und wartet nur noch darauf, dass sie unter Hinterlassen eines Kondensschweifs abheben. Hier ist es anders: Ein stiller, anrührender und anmutiger Pas de Deux, der alles zeigt, was sich vorher unter Wut und Zorn verborgen hat und die Rolle des Körpers in einer Beziehung umdefiniert in der Form eines Es-geht-doch. Und das ist ja eine fundamentale Frage, die in unserer schönheitstrunkenen Gesellschaft viele bewegt, die sich für hässlich halten. Das ist auch eine Befreiung am Ende eines Filmes, der zwischen Wucht und Zerbrechlichkeit oszilliert und erst am Ende zur Ruhe kommt.

 

2025 30 Mai

Nowhere Man

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Der Mann war nicht besonders interessant – das Kunstprodukt, das aus ihm geformt wurde schon – wie ein Kristallisationskeim zog er alles was im grossen Kochtopf genannt Deutschland herumbrodelte und – waberte an sich, um es für alle sichtbar zu materialisieren, man erlebte in diesem fleischgewordenen Mythos die eigene Unverortetheit, psychische Entwurzelung und Identitätsdiffusion fokussiert wie in einem Brennglas. Die Deutschen hatten eine Heimat, die sie libidinös besetzt hatten, idealisierten und zunehmend grössenwahnsinnig glorifizierten und fanden sich nach Kriegsende unversehens in einer Situation wieder, in der man sie als ein Volk von Mördern und Verbrechern ächtete, Restriktionen plante und nicht nur die nationale Identität durch Schuld kontaminiert, sondern auch die physische Heimat zerstört war. Im Heimatfilm durfte sie grandios wiederauferstehen, streng liminiert auf anderthalb Stunden, in denen man träumen und den alten Wertekanon abfeiern durfte. In benachbarte Länder konnte man sich nicht retten, das war „Feindesland“ (das klang noch sehr lange nach), bewohnt von Gegnern, wenn nicht gar andersrassigen Untermenschen, die man nicht mochte und die einen nicht mochten. Es bildete sich etwas, das man in der Psychotherapie eine paranoide Festungsfamilie nennen würde. Die Besatzungsmächte – insbesondere die Amerikaner – brachten eine neue Kultur, die von der Jugend begeistert aufgegriffen wurde, damit begann das Fremde Wurzeln innerhalb der eigenen Grenzen zu schlagen und forderte eine Toleranz ein, die die ältere Kriegsgeneration nicht aufbringen konnte und wollte, die gerne zum business as usual zurückgekehrt wäre, der alte Wertekanon stand ohnehin noch auf recht stabilen Gehwerkzeugen. Ein Zuhause war verloren, ein neues bildete sich heraus, das man aber nicht annehmen wollte. Ein brisantes Gemisch der Generationen, dem die baldige Explosion schon eingeschrieben war.

Auch Freddy Quinn lebte im Nirgendwo: Zuhause litt er unter Fernweh und sehnte sich nach fremden Ländern, dort hatte er Heimweh und zerrte an der langen Leine seiner Mutter, deren Briefe ihn bis in den entferntesten Hafen noch verfolgten und die ihn wieder am Schürzenband haben wollte. Ein lebenslange Existenz im Zwischenreich der Begehrlichkeiten und Erfüllungen, die immer dort lockten, wo man gerade NICHT war, dieses menschliche Artefakt bekam kein Bein auf und kein Würzelchen in den Boden und haufenweise Mamas im fliegenden Wechsel mit exotischen Schönheiten winkten ihm am Kai hinterher, wenn er wieder mal vom Liebhaber zum sich entfernenden Sehnsuchtsobjekt mutierte und aufs Meer – die ewige Geliebte des Mannes, die ihn schliesslich verschlingen wird – hinausschipperte. Demgemäss musste der Mann zum romantischen Mythos umetikettiert werden, der biedere „Junge von Sankt Pauli“ mit dem Rollkragenpulli und der Gitarre war von da an das Label, dem auch das Privatleben des Stars untergeordnet wurde. Zudem war er sympathisch asexuell und geriet deshalb bald in den Verdacht der Homosexualität, was aber keineswegs thematisiert werden durfte. In Liebesszenen kam es auf der Leinwand nie weiter als zu geschwisterlichen Küsschen, das war der typische testosteronfreie Nachkriegsmann auf der Leinwand wie Heinz Rühmann, Heinz Erhardt oder Peter Alexander, guter Junge und Kumpel, als Liebhaber schwer vorstellbar bis peinlich. Seht, wie brav wir sind – unmöglich, dass wir so schreckliche Taten begangen haben sollen. Wir pimpern ja noch nicht mal.

Später outete Freddy sich in dem Song „Wir! Ihr!“ (in dem mit den Gammlern abgerechnet und die Kriegsgeneration gebauchpinselt wurde), wo er wirklich stand und eroberte erneut das Herz der Letzteren und demonstrierte, was hinter der Kruste an Harmlosigkeit schlummert, wenn man nur ein bisschen daran kratzt: Eine aggressive Spaltungstendenz, aus der selten etwas Gutes erwachsen kann. In Wirklichkeit stammte der physische Manfred Nidl-Petz aus Wien oder einem kleinen Ort in der Nähe, sein Vater war ein Phantom, seine jahrelange Vatersuche hat nie stattgefunden (auch hier der Topos „Nicht-Anwesenheit“), in Wirklichkeit ist der Erzeuger nicht bekannt und hat sich offenbar ebenso nebelhaft verflüchtigt wie der Sohn das lebenslang in seinen Filmen praktizierte, ein ständiger Vollzug des Nicht-da und des … aber auch nicht dort. Ein Tribut an die Romantik des Diffusen und Schwebenden und ein hoher Wiedererkennungswert in einer in vieler Hinsicht für viele vaterlosen Zeit, in der manches Kind sich alternativ mit toten Kriegshelden-Phantomen oder lebenden Kotzbrocken herumschlagen musste. Seine Lebensgefährtin wurde zur Managerin umfunktioniert, um das Bild des lonely riders nicht zu stören, sie hat es mit bewundernswerter Geduld durchgehalten. Eine Gedenkminute für sie! Die Feministinnen würden sie dafür kreuzigen. Erst mit 91, als Freddy nach deren Tod zum erstenmal heiratete – sehr seltsam, das ist doch, wie wenn man ein Loch in den Tank bohrt, wenn eh schon die Tankanzeige blinkt – liess er den Mythos platzen und gibt nun seine Bio heraus, in der vermutlich noch einige andere Blasen sich auflösen werden. Auch wenn viele ihn kitschig und degoutant finden – ich werde sie lesen. Sein grosses Verdienst war es, uns uns die gefürchtete Fremde und deren Bewohner wieder reizvoll und exotisch scheinen zu lassen und damit die Welt wieder begehbar zu machen – ebenso wie Vico Torriani, Caterina Valente und Lolita mit der Omadauerwelle, beim Kitsch gibt es immer noch eine zweite Ebene und das ist sein manipulativer Charakter und Einfluss auf das Unbewusste, insofern ist er immer auch von politischer Relevanz. In den Romanheftchen meiner Oma habe ich sehr viel gelernt über die Kriegstraumaverarbeitung dieser Zeit, vor allem die Rolle von Schuld, Schweigen und Verschweigen in Beziehungen, da wurde sozusagen geschwiegen, dass es nur so krachte. Natürlich arbeiteten die Schlagertexter und Drehbuchschreiber kräftig mit, aber ohne ein gutaussehendes Trägersubstrat können die nicht viel ausrichten, die wussten schon, was sie an Freddy und Caterina hatten. Die Deutschen begannen wieder, über die eigenen Grenzen hinaus zu träumen, an den Wohnzimmerwänden hingen wieder immer mehr verführerische Z … (darf man nicht mehr sagen – ihr wisst schon: Die Mädels mit den Glutaugen, den weissen Rüschenblüschen und den goldenen Ohrringen, die man jetzt mit Sinti oder Roma ansprechen muss, obwohl man gar nicht weiss, ob sie das eine oder das andere sind, ich hab auch welche kennengelernt, die es selbst nicht wussten und denen das auch völlig wurscht war, weil sie gegen das Z-Wort überhaupt nix hatten). Und in den Schlagertexten begannen die Worte „Traum“ und „träumen“ immer häufiger über die Seiten zu spitzentänzeln – gemeint war der Tagtraum, der ja auch immer ein Entwurf in die Zukunft ist und meistens der konkreten Handlung vorausgeht. Eines Tages – den wir leider nicht kennen, ansonsten sollte man ihn zum Feiertag erklären – fand eben der Quantensprung statt und die Zentrifugalkräfte überwanden die Zentripetalkraft: Der erste Deutsche nahm die challenge an, kaufte sich eine Isetta oder einen Käfer und bretterte damit über den Brenner nach Italien, wo das vielbesungene blaue Meer schon auf die tedesci wartete. Die Südsee kam dann später. Dann die Prärie. Dann war erstmal gut – mit der Auslandsphobie, zumindest was das Urlaubmachen betrifft. Und es folgte ein Tsunami an „Bikini-Filmen“ am blauen Meer oder wenigstens am Gardasee mit zumindest einem Hauch von Sex und das Interesse an beschneiten Bergspitzen, Gemsen, Wilderern und braven Dirndln liess drastisch nach. Nur die Mütter hofften, dass alle bald wiederkämen und nie wieder hinausfahren würden. But who cares …

 

2025 20 Mai

Pavarotti auf Helium

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… und etwas Speed.

 

Es war mal wieder soweit – man musste sich eine halbe Nacht um die Ohren schlagen, um den musikalischen Zeitgeist wenigstens annähernd zu erfassen. Besonders interessant sind hier aber nicht die angebotenen Performances – von Liedern kann man mittlerweile nicht mehr sprechen, eher von Multi-Media-Events nebst akrobatischen Leistungen der Sänger – sondern die Strategien, die ausgetüftelt werden, um an die Spitze zu kommen. Dabei bemühte man sich viele Jahre lange um eine gewisse Uniformität mit ein paar Ausreissern – Stephan Raab und Guildo Horn, die den Narrenbonus bekamen und Conchita Wurst, der der Exotenbonus zum Sieg verhalf und der welpenäugige Salvador Sobral mit dem Romantikbonus. Ansonsten Einheitsbrei aus Techno- und Elektropop, Hiphop und Anmutungen von Rap mit beeindruckenden Laserorgasmen.

Heuer setzte man offenbar eher auf Diversität, die Nummernrevue bestand aus deutlicher unterscheidbaren Songs mit Ausflügen in die Welt der Oper, des Chansons, der Romantic-Ballade, die Welt der Halbseide und humorigen Auftritten, man pries den Espresso und die Sauna, manchmal gab’sogar etwas zum Mitsummen, das hatte man selten. Stimmliche Qualitäten natürlich bei dem ganzen Playback – Zauber schwer zu beurteilen. Deutschland belegte mit einer etwas farblosen Vorstellung einen verdienten 15. Platz, solider Clubsound in kühlem Schwarzweiss-Ambiente zum Abfeiern, das war auch schon mal schlimmer. Diversität fand sich auch hinsichtlich der geschlechtlichen Identität vieler Teilnehmer, die in das bekannte Zweierschema nicht mehr hineinpassten und das fröhlich demonstrierten, da hat man sich dieses Jahr etwas mehr getraut und eine zahlenmässig zu hohe Konfektionsgrösse ist mittlerweile auch kein Hindernis mehr für einen Auftritt, das stimmt milde, wenn man nebenbei an Wencke Myhre und Peggy March und andere gelackte Weiblichkeiten denkt. Der erste Platz, der eigentlich den Bühnentechnikern gebühren müsste – insbesondere für den blitzartigen Umbau in der kurzen Zeit zwischen den Auftritten, da werden wahre Wunder vollbracht – errang dann ein österreichischer Countertenor (ein Tenor der stimmlich den weiblichen Sopran erreicht, früher hätte man ihn des Eunuchentums bezichtigt), der auf einem havarierten Schiff im Fliegenden-Holländer-Ambiente eine irgendwie misslungene Liebe besingt und offensichtlich gegen den Sturm anschreien muss. Pavarotti auf Helium mit ein bisschen Speed, stimmlich durchaus überzeugend, textlich auch nicht schlecht (I’m an ocean of love, but you’re scared of water, hoher Wiedererkennungswert sowohl in der einen als auch der anderen Polarität), insgesamt eine Wagner-Anmutung.

Aber zum Ende war meine Fähigkeit, Überdrehtheit und Theatralik zu inhalieren und zu containen dann doch erschöpft, insbesondere bei der Punkteverleihung, die von den Sängern und ihrer Fanbase mit Geschrei, Gefuchtel und Gewedel mit der Landesfahne kommentiert wurde und die in die Kamera geblasenen Luftküsschen dürften langsam die stabilste Optik ruinieren. Und ich machte mir beim Zubettgehen noch ein paar warme Gedanken über das Verhältnis zwischen zwischen Gefühl und übertriebener Gefühlsdarstellung – meines Erachtens komplementär konfiguriert – und was mit Musik und Gesang so geschehen kann, wenn sie dem Druck eines Rattenrennens und Herausstechens ausgesetzt werden – sie wird nicht besser, sondern lauter und eine chronisch eventhungrige Zuhörerschaft wird das auch künftig goutieren. Ob ich das nächstes Jahr noch packe? Und was wird dann erscheinen? Der Gralsritter mit Schwan? Siegfried und der Drache im Duett? Beim Einschlafen dachte ich noch an die weisen Worte des ESC-Siegers von 2017 – Salvador Sobral bei der Preisverleihung: „Music isn’t fireworks, music is feeling!“ Okay, das war auch die Masche, auf der er ritt, aber trotzdem … sowas bleibt offenbar in den Hirnwindungen hängen. Ob doch was dran ist?

 

 

Like a complete unknown (USA 2024) von  James Mangold

Das Zitat ist übrigens von Ludwig II, man könnte es aber auch über das Bob Dylan-Biopic schreiben; der Titel wurde von daher gut gewählt. Wer sich erhoffte, Näheres über das Folk-Rock-Idol zu erfahren, wurde getäuscht, der outcome des Filmes war diesbezüglich gleich null. Dylan sehen wir in seinem immergleichen Habitus, Wuschelkopf, permanent gegen den Strich gebürstet wie der ganze Kerl eben auch, Sonnenbrille und sich permanent eine Zigarette oder Tüte ansteckend, immer ein bisschen lakonisch, undurchschaubar, unberührbar, manchmal kaltherzig – insbesondere zu den Frauen, denen etwas an ihm lag, dann wieder mit einem grossen Herz für den dahinsiechenden Woody Guthrie, den die Ärzte auch noch von dem abschneiden, was ihn am Leben erhält – die Musik seiner Freunde. Dazwischen Songs für die Ewigkeit mit den Stimmen der Schauspieler, die ihre Sache sehr gut machen. Joan Baez wird insgesamt zu wenig Raum eingeräumt, das Drehbuch reduziert sie zu stark auf den Part der wartenden Frau, anstatt sie als eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu präsentieren. More rust than diamonds. 

 

 

Die Auftritte und Konzerte wechseln in rascher Folge und man beginnt sich zu fragen, warum man nicht einfach eine Doku mit dem sicher reichlich vorhandenen Material gedreht hat – wozu dieser Spielfilm mit nachgestellten Situationen? Trotzdem ist der Streifen ein Genuss für die Fanbase und das Bedürfnis, den Maestro näher kennenzulernen, bei mir ohnehin gering ausgeprägt – manchen Dingen und Menschen sollte man ihr Geheimnis belassen. Wer den Dingen auf den Grund gehen will, hat sie schon verloren – sprach der weise Gandalf. Und Bob würde dazu anfügen: Hört meine Lieder, nirgendwo könnt ihr mich besser kennenlernen und das Rätselvolle, in der Schwebe bleibende, Vieldeutige und nicht immer ganz Verstehbare ist ein Teil des Lebens und ein Teil von mir. It ain’t me you’re lookin‘ for … ein Titel der viele Beziehungskatastrophen in der Erinnerung wieder aufploppen lässt – welcher Lyriker schafft das schon? Und damit lassen wir es gut sein.

P.S. Trotzdem bekomme ich jetzt Lust, mir I’m not there mit Cate Blanchet als Dylan anzugucken, da wimmelts sicher von Interpretationsversuchen. Hoffentlich geht der nicht so ins Auge wie Ein Mann wie Eva, als Eva Mattes den Fassbinder gab. Was übrigens nicht an der Eva lag, sondern am Drehbuch.

 

 
 

Die Romane von Hubert Selby gehörten schon immer zu meinen Lieblingen mit ihren Schilderungen aus der Welt der Abgehängten, Underdogs und – cats und Junkies. Gnadenlose Schilderungen, die einem nichts ersparen, aber immer getragen von einer tiefen Empathie und Humanität; Selby verrät seine Figuren niemals – soviel ich weiss ist der Mann sehr religiös. Mit den Verfilmungen hat schon so manch einer nicht den richtigen Nerv getroffen, z B. Uli Edel mit Last exit to Brooklyn, dessen Darsteller, ansehnlich und adrett, problemlos auf einem Laufsteg hätten promenieren können. In die düstere Seite von Brooklyn passten sie jedenfalls nicht und auch ihre Abgründigkeit und Verlorenheit vermochte der Film ebenfalls nicht einzufangen. Jedenfalls schwante mir Ähnliches, als sich Darren Aronofsky an  Requiem für einen Traum heranmachte. Aber er enttäuschte nicht, wenngleich er im Film andere Akzente setzen musste, als der Roman es tat, der mehr auf die Verleugnungsarbeit der Protagonisten abhob, ihre Mechanismen – trotz erweiterter Pupille – den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen und ihre Abwärtsspirale auch nach dem finalen Aufprall noch nicht zu erkennen. Die jugendliche Grossmäuligkeit der Romanfiguren fehlt hier fast völlig und damit auch der Zugang zu ihren Hoffnungen und Kinderträumen. Stattdessen setzt der Regisseur auf visuelle Effekte um das veränderte Wahrnehmungserleben unter den diversen Substanzen darzustellen, beispielsweise die andere Zeitempfindung unter Amphetaminen mittels Zeitraffer. Hier wäre zu kritisieren dass eine Art Slapstick-Effekt entsteht (und Slapstick hat immer eine humorige Anmutung) der einem die Figuren, die dann wie aufgescheuchte Hühner herumrennen, eher entfremdet als ihren Zustand einfühlbar macht. Das passt sozusagen wie die Faust aufs immer wieder eingeblendete Auge, aber immerhin unterläuft es auch gängige Rezeptionsmuster. Hier zeigt der Film deutliche Anleihen an Trainspotting von Danny Boyle, der die halluzinatorischen Erfahrungen der Protagonisten skurril auf die Spitze trieb und diese Ebene durchhielt, während die Darstellung bei Aronofsky hier etwas abgekupfert, eingeschoben und hilflos wirkt. Die Halluzinationen von Sarah Goldfarb sind auch insgesamt zu übertrieben und plakativ, da hätte man sich stattdessen etwas mehr geräuschärmeren Suspense, keinen wandernden Kühlschrank und eine weniger knallige und groteske Bildsprache gewünscht; das sind Comic-Elemente und hier fehl am Platz. Das sind aber auch die einzigen Schwachpunkte. Die Schauspieler tun ihr bestes, insbesondere Ellen Burstyn, die den Film über weite Strecken allein trägt und inszenatorische Schwächen auszugleichen versteht. Warum die Hinweise auf die jüdische Abstammung der Familie Goldfarb und das Hängen von Sarah an Festen und Ritualen ihrer Kultur völlig ausgespart wurde, werden wir nicht erfahren, ebenso den Werdegang von Marion, einer begabten aber depressiven jungen Künstlerin und ihren Weg zu den Drogen. Schade – im Film bleibt sie eine unverortete Figur ohne Tiefe. Harry als vergöttertes „Bubele“ einer „jiddischen Momme“ wird eher verstehbar wenn auch etwas grob gerastert, aber glaubhaft in seiner Sohnesambivalenz. Insgesamt sind die Figuren eher zu gutaussehend, steril und wohlfrisiert für eine Population der unteren Mittelschicht, insbesondere die vor dem Haus herumgammelnden Damen, die im Roman die Funktion des Chors im altgriechischen Drama innehaben, da ist noch zuviel Hollywood-Glamour im Spiel, a touch of Golden Girls. Okay, Brooklyn ist noch nicht die Bronx, aber ganz so gelackt muss es auch nicht sein. Der Soundtrack begleitet einfühlsam die verschiedenen Stadien des Zerfalls von Menschen und ihren Hoffnungen, an die sie sich bis zum Schluss klammern. Der weitere Verlauf des Films jagt in immer schnelleren Überblendungen seinem Ende entgegen und das Finale furioso wirkt wie ein Schlag in den Magen oder wo sonst der Zuschauer seinen Resonanzboden eingebaut hat und wer die Qualen von Sucht noch nicht verstanden hat, bekommt jetzt eine Ahnung davon, ebenso von der gnadenlosen Psychiatrie. Der Konflikt zwischen den Psychiatern wie mit der amphetaminsüchtigen und verwahrlosten Sarah umzugehen sei wurde leider auch ausgespart.

Positiv: Es ist nicht nur von den Junkies auf der Strasse die Rede, sondern auch von legalen Drogen, die von Ärzten verschrieben werden – die Mothers little helpers der Stones, in ihrer Wirkung bei unsachgemässem Gebrauch kaum weniger destruktiv. Das hebt das Thema „Sucht“ sozusagen aus dem Strassengraben und verfolgt dessen Spuren auch in wohlgeordneteren Milieus mit von Frauenklagen gelangweilten Ärzten.

Bleibt zuletzt die Frage: Ist der Titel gut gewählt? Ein Requiem ist ein Abgesang, eine Form Trauer und Abschied zu gestalten und auszudrücken. Das scheint mir hier zu euphemistisch für ein Filmende mit einem Schrecken, der nicht mehr aufgelöst wird und bei dem der Zuschauer unwillkürlich extrapoliert wie das wirkliche Ende aussehen wird. Das ist grosses Kino.

 
 

                               

 

 

Eines der letzten Abenteuer, die man erleben kann, ist das Ausräumen der eigenen Bibliothek, was unter Umständen Jahre in Anspruch nimmt, weil man sich ständig in den Schwarten festliest, die man eigentlich weggeben wollte. Und viel Spass mit Fossilien aus grauer Vorzeit hat, die einem plötzlich besser gefallen als zu Zeiten der Anschaffung. Oder andersrum …Donne é mobile..

Also über Ostern oben Genanntes vom Staube befreit und sich vertieft und nein … es kam kein déja vu, keine Neugier auf Erlebnisse mit magic mushrooms und keine Freude über weise Sprüche eines schamanischen Lehrers mit ansonsten schlechten Manieren auf, da groovte nichts so wie früher. Genau wie mit dem heutigen Gras, das knallt auch nicht mehr, trotz erhöhtem THC-Gehalt.

Das Buch ist die weibliche Antwort auf Castaneda – der hat auch das Vorwort geschrieben – und sowohl vom Cover als auch vom Inhalt her eigentlich eine Kopie davon, nur dass Don Juan hier eine Donna ist. Das verspräche interessant zu werden, leider stellt sich nach den ersten hundert Seiten aber sukzessive eher etwas wie Überdruss ein und man liest nur noch quer und diagonal und sucht auf den letzten Seiten vergeblich nach der Pointe.

Gut – rekapitulieren wir: Die Jugendbewegung in den westeuropäischen Ländern war am Abflauen, man hätte sie als gescheitert betrachten können; der Vietnamkrieg tobte ungehindert weiter, in Deutschland wurden die revoltierenden Studenten kriminalisiert und per neu eingebrachter Gesetze diszipliniert, bezüglich der Rassentrennung ging auch nichts voran, nur die Frauen arbeiteten unbeirrt weiter an ihrer Befreiung, die hatten sich den langen Atem offenbar schon vorher antrainiert. Wer alle 4 Wochen menstruiert und tierische Bauchschmerzen hat lernt Dinge auszusitzen. Diese Bewegung hatte auch den bei weitem besten outcome zu verzeichnen.

Für mich endete die Jugendrevolte im Juli 1977, als ich spätnachts auf dem Unicampus in einem riesigen Zelt voller leerer Ami-Schlafsäcke lag, um hungerstreikende Kommilitonen zu bewachen und zu unterstützen. (Wir hatten durchaus etwas gegen Amis und Armys, aber ihre Schlafsäcke und Parkas liebten wir. Palästinensertücher auch). Soviel zum alternativen Geschmack und seinem Faible für Uniformierung – eine Fundgrube für Warenästheten. Und für die Fähigkeit einer Generation das auszublenden was nicht ins Raster passte und manchmal peinliche Codes zu entwickeln. Und peinliche Konstrukte von Realität zu entwickeln.

Der Unirektor und die Spektabilitäten hatten beschlossen, uns nicht zu vertreiben (Ordnungsrecht!), sondern die Sache gemütlich auszusitzen, vermutlich wussten sie schon, wie es ausgehen würde und hatten recht damit. Während es eine zeitlang auf dem Campus vor dem ehrwürdigen Gebäude von Hungernden, Solidarischen und Solidaritätskundgebungen nur so wimmelte, wurden diese im Lauf des Sommers immer weniger (Semesterferien, da fuhr man erst zu den Eltern zum Durchfüttern, Ausschlafen und Wäschewaschenlassen und dann trampte man sauber und satt nach Griechenland), da war’s mit der proletarischen Revolution dann gerade mal nicht so eilig – und in dieser Nacht erwachte ich plötzlich im Zelt und fand mich mutterseelenalleine, sogar die professionellen Hungerer waren verschwunden. Gegenüber dräute finster der Stadtpark, den man als Frau in den Stunden der Dunkelheit auch besser mied und ich gruselte mich entsetzlich. Gottlob erschien plötzlich ein Trupp leicht angeschickerter junger Touristen, die sich mein Leid anhörten, mir einen Burger spendierten, sich dann die Schlafsäcke schnappten, die Nacht im Zelt verbrachten und das Ganze unter Abenteuer verbuchten. In dieser Nacht, die ich dann in sicherer Hut schlafend und ohne Magenknurren verbrachte, wurde mir klar, dass die Bewegung nicht nur in Würzburg sondern in toto vorbei war und ich lernte etwas über das Durchhaltevermögen junger Revolutionäre und ihre Ego-Trips.

Aber was jetzt? Wohin mit dem überschiessenden Potential in unseren Cortexen neue Welten zu entwerfen?? Oder heissts Cortices?? Wurscht! Latein…angestaubter bildungsbürgerlicher Scheiss..

Freilich konstituierte sich Neues: Die Hippies (aus denen später dann löbliche Dinge wie die Anti-Atom und die Friedensbewegung erwuchsen) und die, die mit ihnen sympathisierten, machten sich auf die Reise nach innen, das war offenbar nicht so hart wie die vorherigen Agitationsaufgaben – vor allem musste man nicht so früh aufstehen, um Flugblätter an die Arbeiter zu verteilen, die sich zur Frühschicht schleppten und die Dinger sowieso gleich wegschmissen. („Und die kannten uns viel besser als wir sie je kannten …“ sang Degenhardt zu dieser Zeit zum Thema Arbeiter-Studenten-pairing).

Offenbar wollten sie aber nicht allein nach innen reisen – die vaterlose Generation die alles was nach Führung roch angeblich verabscheute aber trotzdem zuliess dass autoritäre linke Gurus in ihren Reihen heranwuchsen ( mit Mädels die ihnen die Flugblätter tippten bevor sie den Machos den Rücken kehrten, die Schreibmaschine wegschmissen und in eine Frauenselbsterfahrungsgruppe abwanderten) bekam offenbar Sehnsucht nach neuen Führungspersönlichkeiten und machte sich auf zu den spirituellen Lehrern. Die Beatles sassen im Schneidersitz bei einem Yogi, in Poona bereitete sich auch Entsprechendes vor und ja … ich gebe zu, mich auch einige Zeit in einem Ashram herumgetrieben zu haben. Man profitiert durchaus – mir wird beim Sufi-Dance nicht mehr schwindlig und von dort kommen meine besten vegetarischen Kochrezepte – kennt jemand Auberginenrollmops? Das Klo konnte man nicht absperren, aber das durfte man in den Kommunen auch nicht. Wir wollten ja alles vergesellschaften, offenbar also auch Ausscheidungsvorgänge.Eine etwas degoutante Seite der Bewegung…

Der Buchmarkt begann in immer höherer Frequenz Geschichten von Reisen aus spirituellen Gründen, Initiationen und Erleuchtungen zu produzieren, die zum Teil so unwahrscheinlich klangen, dass ich schon damals vermutete, dass sich einige Verlage mit einem Häufchen von Ethnologie-Studenten, die als Ghostwriter fungierten, eine goldene Nase verdienten. Okay, mit Hilfe von magic mushrooms und anderen Halluzinogenen kann man einiges erleben, aber diese Geschichten ähnelten sich wie ein Ei dem anderen, als hätte sie dieselbe KI geschrieben: Akademisch gebildeter Westler folgt einer Art von Ruf oder sonderbaren Zeichen und macht sich auf zu den Indianern (oder wahlweise Lamas oder buddhistischen Mönchen), findet eine/n Lehrer/in und wird von da ab erst einmal schlecht behandelt, mit seiner zivilisatorischen Entfremdung und Unwissenheit konfrontiert, mit Verachtung bedacht und gibt gegenüber seinem naturbelassenen Lehrer, der ihn gerne hängen oder auflaufen lässt, eine ziemlich unglückliche Figur ab, bis er sich als braver Lehrling erweist und zumindest in den Gesellenstatus erhoben wird, falls es dergleichen bei Schamanen überhaupt gibt. Und die Ahnen dem auch zustimmen.

          Gemeinsamer Lehrer statt gemeinsamer Feind – was für ein Decrescendo!

 

 

Carlos Castaneda erfreute uns über Jahrzehnte mit der Schilderung eines protrahierten Pas de Deux mit seinem Lehrer Don Juan und viele empfanden diese als Offenbarung und machten sich ihrerseits auf den Weg – auch Frauen begaben sich in sadomasochistische Beziehungsmuster mit notorisch schlechtgelaunten Schamaninnen.

Heute werden die meisten dieser mässig spannenden Ergüsse für Fiktion gehalten und hielten Nachforschungen nicht stand. Wie auch immer – auf 200 Seiten sagt also Schamane/in seltsame Dinge, der Adept/in befolgt seltsame Anweisungen und erlebt Seltsames mit seinem Körper und seiner Wahrnehmung. Der geneigte Leser, am Kennenlernen der Anderswelt sonst durchaus interessiert, ermüdet rasch. Irgendwann scheint der Schüler dann „fertig“ zu sein, der Lehrer ist zufrieden und dann endet das Buch mit der Rückkehr des solchermassen Erwachten in die zivilisierte Welt mit Elektrizität und fliessendem Wasser, wo er sich künftig wahrscheinlich fühlt wie Gregor Samsa.

Wie auch immer – es greift nicht mehr, zumindest nicht bei mir. Was mir dabei etwas aufstösst, ist diese manische Führersuche einer Generation, die expressis verbis jegliche Führung verabscheute, aber Che Guevara, Dubcek, Castro, Marx, Lenin, Walesa etc über das Bett gepinnt hatte als Logo, dass da ein revolutionärer Geist schlief oder anderweitiges tat. Bei den Mädels hing Che Guevara, weil der am besten aussah, da mischten sich auch erotische Komponenten in den Führerkult. Und bei einem strammen Marxisten/Leninisten hing sogar Enver Hodscha, und der sah noch nicht mal gut aus. Der Hodscha, nicht der Marxist. Der übrigens auch nicht.

Was mir weiter aufstösst, ist diese hohe Bereitschaft, sich an die Hand nehmen, in eine „neue Welt“ einführen zu lassen und dabei fortlaufende Demütigungen in Kauf zu nehmen, damit dieses Ausbildungsverhältnis nicht vorzeitig beendet wird und sich mit diesen Nackenschlägen auch noch zu identifizieren und sich am Ende selbst für einen von seinen Wurzeln entfremdeten und hirnlastigen Trottel zu halten. So jemand befreit keine unterdrückten Massen, der knabbert noch schwer an der eigenen Abhängigkeit und diversen transgenerationalen Traumata und seien es nur die der schwarzen Pädagogik. Und ja … ich habe auf einem Kongress über alternative Medizin im schönen Garmisch auch eine schamanische Initiation von einen echten Schamanen über mich ergehen lassen und einen stundenlangen „Reinigungstanz“ mit Rassel vollführt – am folgenden Tag hab ich mich stundenlang übergeben, das war wohl die Reinigung. Was für eine Metaphorik!  Oder die Salmonellen vom Büffet. Dann bekam ich einen Namen, in der Anderswelt heisse ich jetzt Night Cloud. Die Ahnen waren einverstanden. Möchte ich ihnen auch geraten haben. Aber ich schwöre, dass das schon sehr lange her ist.

Fazit: Leute, räumt Eure Bücherregale aus, Ihr lernt was.

 


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