Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Wenn ich nur eine CD auf meiner Insel hätte, dann wäre es eine Maxi CD der KINKS.

Ich habe immerhin drei CDS, aus denen sich meine musikalischen Highlights rekrutieren lassen. Ich habe sie mir in der wunderbaren TEA Bibliothek in Santa Cruz auf Teneriffa ausgeliehen und verlängere die Ausleihe ständig, weil ich sie nicht entbehren kann.

 
 

Johnny Cash: Nashville Sessions 2

Davon kommt auf meine Jahresbestliste:

„Sunday Morning Coming Down“

Brian Eno: Talking Tiger Mountain

Davon kommt auf meine Jahresbestliste:

„The Fat Lady of Limbourg“

The Allman Brothers Band live

Davon kommt auf meine Jahresbestliste:

Turn On Your Love Light

 
 

Auf meinen Reisen nach Ungarn und Rumänien habe ich so wundervolle Balkan- und Gypsymusik gehört, darüber habe ich ja bereits berichtet.

Mein Einschlafsong 2023 war „The Pretender“ von Jackson Browne.

Mein Wachmacher war Fairuz, die libanesische Musikgöttin.

 

 
 

 
 

2023 18 Nov

We are all boat people

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Die angekommene Sengalesin war höchstens 14 Jahre alt. Eine kleine rosa Plastiktasche hing ihr um den Hals. An der messinggoldenen Kette hatte sie sich wohl festgehalten, um die harte Fluchtstrecke zu überstehen. Das kleine Täschchen war ihr Survivalkit. Wer hatte es ihr mit auf den ungewissen Zukunftsweg gegeben? Oma, Mutter, Schwestern, Freundinnen? So wie sie den Talisman vor sich hertrug, war mir klar: dieses Mädchen würde es schaffen.

Außer ihr warteten noch etwa 70 sehr junge Migranten im Hafen auf die Überfahrt nach Teneriffa. Während ich mich vom Roten Kreuz als Helferin registrieren ließ, näherte sich ein etwa 8 Jähriger Flüchtling und fragte mich, ob ich seine Mutter sei. War das eine verzweifelte Bitte oder ein Trick? Ich hätte ihm gerne etwas geschenkt. Wenn die Migranten auf Hierro ankommen, erhalten sie Wasser und Decken. Sie werden erstmedizinisch untersucht und dann in Touristenbusse in bereitstehende Unterkünfte gebracht. Dort können sie drei Tage bleiben, schlafen, essen und sich registrieren lassen. El Hierro hat 11000 Einwohner. In diesem Jahr sind bereits 8.800 Migranten aus dem Senegal, Mauritanien und Gambia angekommen. Die Minderjährigen können erstmal auf der Insel bleiben, die anderen werden nach Teneriffa bzw. in die Gegend von Madrid gebracht. Die Insulaner hier helfen gern. Sie kennen die Schwierigkeiten einer Migration. Wenn ein Holzschiff im Hafen von dem 500 Einwohner zählenden Ort einläuft, rennen die Herreños zum Hafen, um zu helfen und auch um 14 Euro die Stunde zu verdienen. Vor zwei Wochen kamen allein in einem Boot 371 Flüchtlinge an. So viel wie noch nie.

 

 

 

 

Warum kommen so viele immer jüngere Menschen über diese Todesroute? Es gibt von der senegalesischen Regierung eingesetzte Videos auf Tik Tok, die Aufnahmen der Fluchtwege zur Abschreckung zeigt. Diese Bilder halten aber die jungen Menschen nicht davon ab, zu fliehen. Es ist der Hunger, der sie in die Boote einsteigen lässt. In diesem Zusammenhang müssen die Grands Marabouts erwähnt werden, die eine entscheidende Rolle spielen. Marabouts sind islamische Lehrer, die großes Ansehen bei der Landbevölkerung im Senegal genießen. Eltern bringen ihre Söhne in die Koranschulen, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Die Marabouts unterrichten sie jedoch kaum, sie lassen sie auf ihren Erdnussfeldern 14 Stunden und mehr arbeiten. Auch in den Städten beuten diese Koranlehrer ihre Schüler aus. Diese müssen 5 Stunden täglich betteln gehen. Die Regierung macht nichts dagegen, weil sie viele Wahlstimmen aus deren Umfeld erhält. Oft verschwinden über Nacht junge Männer, ohne sich von der Familie zu verabschieden, um den Fluchtweg über den Atlantik zu riskieren. Es gibt mittlerweile Zentren für trauernde Familien, allen voran für Mütter, die ihre Söhne verloren glauben. Sie versuchen ihre Kinder per Handy zurückzuholen, die meisten gehen noch nicht mal dran. Es ist ein Glück – und kein Luxus – , dass die Migranten ein Mobiltelefon haben, so können sie ihr soziales Netz informieren und zum Teil auch von der Seenotrettung geortet werden. Also ein notwendiges Überlebenswerkzeug.

Während der Pandemie brach die Wirtschaft im Senegal enorm ein. Tourismus, Transport und Dienstleistungen lagen darnieder. Jetzt geht es wieder leicht aufwärts, trotzdem gibt es zu wenige Stellenangebote. Es sind die Zweit- und Drittbrüder, die das Land verlassen, weil nur für den Erstgeborenen genug Arbeit vorhanden ist.

Der Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn, der leider in diesem Jahr 80 jährig verstorben ist, hat immer wieder vor den Armutszuwanderern aus afrikanischen Staaten gewarnt. „Integration gelingt nur, wenn sie nicht gepredigt werden muss, weil die Neubürger – unter welcher Gottheit und Hautfarbe auch immer – mit der Kompetenz für lebenslanges Lernen kommen. Menschen ihres Könnens werden wegen steigender Anforderungen allerdings weltweit knapper. Drängen weitere Bildungsferne nach, verlieren die für sie Zahlende den Mut und streben in Kompetenzfestungen, die Pässe nur an Asse zu vergeben.“

Wenn Daniel Schreiber, der immerhin eine Susan Sontag Biografie verfasst hat (Susan war mutig im Jugoslawienkrieg in Belgrad aktiv anwesend), in seinem neuen Bestseller Allein beschreibt, wie man durch self care nicht nur überlebt, sondern lebt, dann dreht sich mir angesichts solcher Selbstbepinselei der Magen um. Wenn der rassistische Witzemacher Hamza Raya fragt: Was ist der Unterschied zwischen einer Pizza und einem schwarzen Vater? Und selbst antwortet: Die Pizza kann die Familie ernähren – dann ist das ein größerer ring them bells  als der Ruf nach einer Yogamatte.

 

 


 


 
 
 

Im Kunstmuseum in Lindau am Bodensee war eine feine kleine Andy Warhol Ausstellung. Finissage war am Sonntag. Sie zeigte Leihgaben aus Privatbesitz und Museen. Zum 100 jährigen Jubiläum von Walt Disney‘s „Traumfabrik“ poste ich hier mal seine wichtigste, berühmteste Figur. Ich nutzte eine kurze Abwesenheit der Museumswärterin, um Mickey Mouse einzufangen. Warhol arbeitete bei diesem Werk mit Diamandstaub, er mischte ihn mit der Farbe, das gibt diesen Glitzereffekt. Neben dieser Serigrafie hängt Joseph Beuys, diese Hängung hätte den Meister schmunzeln lassen. Neben den bekannteren Werken werden auch die Handzeichnungen aus dem Skizzenbuch „House of Hearts“ gezeigt. Es waren sehr viele junge Leute in der Ausstellung vom King of the Pop-Art. Und natürlich die Husch-Husch Asiaten.

 

 

In den letzten Tagen habe ich viel herumgelungert, zwei Bücher verschlungen, bis dann der Mittag rief.

 

 

 

 

Der Mittag ist ein Berg bei Sonthofen.

 

 

Dorthin – w i l l ich und ich traue

mir fortan und meinem Griff.


Offen liegt das Messer, ins Blaue, ins Blaue

treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt mir neu und neuer,

Mittag schläft auf Raum und Zeit -:

Nur d e i n Auge – ungeheuer

Blickt mich’s an, Unendlichkeit!

Friedrich Nietzsche

 

 

Auf den Mittag wollte ich nicht hinauf. Ich genoss das entspannende Schwimmen in den stillen Bergseen, bald würde mich der unruhige Atlantik wieder umherschaukeln. Und dann schickte mir Apollo gen Mittag auf einem Weg eine Frau vorbei.  Sie erzählte, dass die Bergbahnen um uns herum ihr Vater gebaut hätte und dass sie sehr stolz auf ihn sei. Bei einem Frühstück mit ihrem alten Vater hätte sie zu ihm gesagt, dass jetzt die Werkstatt nicht stillgelegt werden müsste, dass da doch auch andere Klänge hineingezaubert werden könnten. Ihr Vater hätte darauf gesagt: “Wenn du meinscht.“ Das sei das grüne Licht für ihren lang gehegten Wunsch gewesen, einen Musikclub zu eröffnen. Sie hätte ihn – zu Ehren ihres Vaters – KULTUR WERKSTATT genannt. Das klang wie ein Märchen. Ich besuchte die Location und mittlerweile habe ich dort schon vier ausgezeichnete Konzerte gehört.

Gestern Abend nahm ich Abschied von Frau Bestle, die diesen Club seit 1997 alleine führt. Davor hörten wir gemeinsam die eingeladene Band, die sich schlicht Allgäu-Jazz-Quintett nennt. Das Programm war den aktuellen Dramen der Zeit gewidmet – intelligent und sensibel hatten die Musiker eine Komposition zusammengestellt, die es in sich hatte. Das Konzert begann mit PEACE, einem Stück von dem amerikanischen Jazzpianist und Saxophonist Horace Silver. Es folgte eine Coverversion von Lars Danielsson, einem schwedischen Jazzbassist, das Stück heißt ORANGE MARKET, es beschreibt den Markt in Haifa. Die Zugabe war erstaunlich. Der Jazzsänger brachte eine groovige Version von „Der Mond ist aufgegangen“ – was für ein kluger, einfühlsamer Konzertabschluss.

 


Verschon uns Gott mit Strafe

und lass uns ruhig schlafen

und unsern kranken Nachbarn auch

 

2023 24 Sep

Uncanny Valley

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Ich habe Angst

in der Unmenge gleicher Nächte herum zu irren

im Deodorant ihrer Achselhöhlen,

wo es von durchsichtigen Wesen wimmelt …

(aus dem Gedicht JETZT von Iona Nicolaie)

 

Welche Bilderwelten öffnen sich, welche Phantasien werden getriggert, wenn man „Uncanny Valley“ liest? Unheimliches Tal ist ein Theaterstück von Thomas Melle, einem deutschen Schriftsteller und Dramatiker. Den Titel für sein Stück hat er japanischen Robotforschern entlehnt, die sich mit der unheimlichen Welt zwischen Mensch und Maschine beschäftigen. Realisiert hat Melle das Stück zusammen mit der mehrfach preisgekrönten Theatergruppe Rimini Protokoll.

Es ist schon ein krasser Einfall, einen humanoiden Roboter allein auf die Bühne zu bringen. Ich konnte zunächst den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht klar erkennen. Da saß ein Mann in entspannter Haltung, mit gescheiteltem Haar und großen Händen. Er sprach mit menschlicher Stimme, die mich seltsamerweise nervte. Sie klang so echt und passte nicht zu dieser „Puppe“. Ich begann immer aufmerksamer dem Gesagten zuzuhören. Da ging es um Identitätsverlust, um Kontrollverlust oder auch um Fragen wie: Ist das Zufällige menschlich? Erst als Thomas Melle sich in einem Video outet und zeigt, wie man ihm die Maske anfertigt und den Robotkörper über den Kopf zieht, wird mir klar, dass hier ein animatronisches Double von Melle kreiert wurde, das mit seiner Originalstimme zu uns spricht. Seinen Hinterkopf kann ich von meinem Sitzplatz nicht einsehen. Es war anfangs darum gebeten worden, nicht zu fotografieren. Nach dem Ende des einstündigen Stückes, das mit sehr langem Applaus belohnt wurde, sprang ich sofort zur Bühne, um den Maschinenmann zu fotografieren. Sein Hinterkopf war ein einziger Kabelsalat. Ich bin froh, dass ich sowas nicht herumschleppen muss.

 
 
 


 
 
 

Ich bin sicher, dass ich hier der Zukunft zugesehen habe. Mich ängstigt sie nicht. Ich finde sie spannend. Ich bin aber froh, dass ich Herz und Verstand spüre. Und  das andere Stück von Thomas Melle macht mich sehr neugierig: „Das Herz ist ein lausiger Stricher“.

 

 

Meine erste Erfahrung mit dem fahrenden Völkchen hatte ich in den 70ern in Freiburg. Auf der Kaiser-Joseph Straße hatte ein Stadtbewohner einen Sinti am helllichten Tag erstochen. Die Stimmung in der Stadt war aufgeheizt, weil es sich herumgesprochen hatte, dass die im Rieselfeld zur Verfügung gestellten Wohnungen beschädigt, ausgeraubt und verlassen worden waren.

Meine zweite Erfahrung war in Düsseldorf Heerdt, dort wo der Freigeist Joseph Beuys sein Atelier hatte. Auf einem Plätzchen hatten sich Sinti niedergelassen. Innerhalb eines Tages wurden sie aufgefordert, vor die Toren der Stadt zu ziehen. Das war Mitte der 80er Jahre. Kaum vorstellbar, dass noch vor wenigen Jahren Roma Frauen,  in Tschechien z. B., zwangssterilisiert wurden. In Europa leben etwa 12 Millionen Sinti und Roma. Sinti leben  in West und Mitteleuropa, Roma in Süd und Osteuropa. Beide kamen aus Indien/ Pakistan, seit 600 Jahren leben sie in Europa. Ihre Sprache heißt Romanes. Es gibt sehr viele Subsprachen. Selbst die Sinti und Roma verstehen sich untereinander kaum.

Wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Unsesshaftigkeit, ihrer Bettelei und angeblicher Arbeitsscheu werden sie als diebisch, Gesindel etc bezeichnet. Die Nazis versuchten sie zu vernichten.

In Timisoara spielte eine Roma Band aus Italien. ALEXIAN SANTINO SPINELLI ist der Kopf der Band. Er spielt am Akkordeon. Er ist der einzige Roma Professor in Europa. Er lehrt Romanes. Von ihm stammt das Gedicht “Auschwitz “, das auf dem Rand des Brunnens, der im Gesamtdenkmal zur Erinnerung der Ermordung der Sinti und Roma durch die Nazis angelegt ist, zu lesen ist.

 

Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte/ keine Tränen.

 

Ich war lange nicht mehr auf einem Konzert, das mich so aufgewühlt hat, so begeistert hat und doch so nachdenklich gestimmt hat.

Die 5 Bandmitglieder – Percussion, Contrabass, Klarinette, Trompete, Violine standen um ein Tischlein, das mit der Romaflagge drapiert war. Die Farbe blau für den Himmel, grün für die Wiesen, das rote Wagenrad für die Freiheit. Davor saß der Maestro SPINELLI am Akkordeon. Er lachte viel während des Spielens, neben ihm sein Sohn an der Geige, er ist der eigentliche Dirigent der Gruppe, bespielt phänomenal souverän sein Instrument. Sehr faszinierend in seinem Gesamtauftritt. Das intensive Konzert war vom Rhythmus galloperender Pferde geprägt, es gab ein paar Tanzlieder, einige Kompositionen von SPINELLI, die dem Sound des Windes entsprangen und viele Echos beinhalteten. Natürlich gedachten sie Django Reinhardt und spielten mit ihren Instrumenten einfachere Stücke, die der große Musiker leider nur noch mit zwei Fingern spielen konnte.

SPINELLI nennt seine Auftritte “Poesie der Kommunikation“. Das ist wunderbar ausgedrückt.

Nach dem fulminanten zweistündigen Konzert bei freiem Eintritt konnte ich mit dem Leiter des interkulturellen Zentrums von Timisoara sprechen. Er hatte die Roma Band eingeladen. Er ist auch Roma. Ich fragte ihn, ob er mir außer natürlich Django Reinhardt noch andere bekannte Roma nennen könnte. Ja, Charly Chaplin, Yul Brunner, Johnny Depp. Ob Romanes in den Schulen unterrichtet wird. Ja immer mehr. Woher eigentlich das Musiktalent und der Musikreichtum komme. Die Volksgruppen kamen auf ihrer Flucht vor Hunger und Kriegen durch viele Länder, deren Musik sie aufnahmen. Sie transportierten quasi diese Melodien bis nach Europa. Ob er mir Filme über sie empfehlen könnte. Ja, zwei von Tony Garlif: „Transilvania“ und „Gadjo Dilo“. Ob er einen Roma Dichter kenne? Ja eine Dichterin (er lachte).

 

Iva Bittova

BANJO

 

Am Tag, an dem ich geboren wurde, 

kannte keiner in Kuçe einen Takt

des Souls, den Aritha Franklin sang, 

hätte nicht mein Vater mit wirrem Fuß 

ausgelassen den Rhythmus ergriffen

bis seine Milz an den hungrigen Magen schlug

und er mit den Lidern den Schweiß, 

der ihm von der faltigen Stirn rann

aus seinen Augen wischte …

 


 
 

Sich einrichten in der Zeit

 

Es ist spät. Wir schaufeln den Schnee

Aus den Augen. Der Winter ist der Fachmann

Für’s Altern. Die Tage sind kürzer

Als ein Bleistift. Es wird schon

Früh dunkel in den Köpfen

Hausiert die Vergänglichkeit und die Angst

Vor dem Schlaf. Wach liegst du

Neben mir auf einem Leintuch so weiss

Wie ein Stück Papier. Im Dunkeln

Schlägt die Haut Funkeln. Es knistert.

Dann wird es still. In der Sprache brennt noch Licht und ich höre dich atmen.

In meinem Gedicht über das Unsichtbare

Und das Sichtbare darin

 

(von dem rumänischen Dichter Horst Samson)

 
 


 


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