Der Stern von Gerhard Richter muss Ende der Sechzigerjahre aufgegangen sein, als er nach Fotos malte. Zum ersten Mal hörte ich in der Schule von ihm. „Ist das etwa Kunst?“, fragte ich naserümpfend. Später an der Uni war er für viele Kommilitonen ein Vorbild, sozusagen durchgängige Wertkonstante. Für jemanden wie mich, der sich dem Surrealismus und allerlei inneren Selbstfindungen zuwandte, der zwischen Spiritualität und Interesse an der Psychoanalyse pendelte, wirkte sein Werk schwer zugänglich und unterkühlt. Ich sah ihn eher als eine Ikone oder auch Sinnbild für etwas „Erhabenes“. Nachdem ich den Film Werk ohne Autor des imposanten Florian Henckel von Donnersmarck gesehen hatte, bemerkte ich einige tiefere Zusammenhänge: In der Schule hatten wir damals einen Lehrer für Musik, Geschichte und Gemeinschaftskunde, der ein höherer Dienstgrad in der Wehrmacht des Zweiten Weltkriegs gewesen war. Er war gut ausgebildet und elitär, körperlich von kleiner Statur. „Warum hast du denn diesen Nazi im Leistungskurs gewählt?“ Nun, es gab eine Art thrill aufgrund seiner unterhaltsamen Erzählweise. Eines Tages ging er aber zu weit und behauptete, den Holocaust hätte es nie gegeben und Euthanasie sei fallweise gerechtfertigt. Damals fuhr ich oft mit dem Auto meiner Mutter zur Schule und sammelte dann auf dem Weg dorthin verschiedene Mitschüler ein. Unter ihnen war die nette und kluge K, ihre Eltern hatten Geld und sie war mit dem Sohn des Schulleiters zusammen. Ich erzählte ihr oft von diesen wiederholt giftigen und ungeheuren Äusserungen. Da sie mutig war und auch Mitglied der Schülerzeitung, schrieb sie einen Artikel über seine Verfehlungen mit dem Ergebnis: er wurde in den Vorruhestand versetzt. In diesem Zusammenhang hatte K mich zum Tee eingeladen. Das stilvolle Haus im Tal, am Fluss, ich mochte diesen Ort, nahm auf einer roten Samtcouch Platz, darüber hängte ein monochromes Bild, ebenfalls in Rot. „Wer ist das, ist es ein Original? „Ja, Gerhard Richter, meine Eltern haben es gekauft“, gab K zurück, leicht verlegen, wohl weil es ihr leicht snobistisch erschien. Ich war beeindruckt. Und auch der Tee war gut. Zurück zur Gegenwart: Bevor Henkel von Donnersmarck „Werk ohne Autor“ produzierte, war bereits ein Buch von einem Autor des Magazins Der Spiegel erschienen. Es war eine präzise recherchierte Geschichte über Gerhard Richters kindliche Verstrickungen mit Nazi-Deutschland, wo seine geliebte Tante Marianne einem Euthanasieprogramm zum Opfer fiel. Ein Monster-Schwiegervater, fantastisch gespielt von dem deutschen Schauspieler Sebastian Koch, hatte seine Finger in diesem tödlichen Spiel. Alles in allem ist es großartig, diese tiefen Einblicke in die Kindheit und die aufstrebende Karriere des sonst doch eher wortkargen Künstlers zu bekommen. Sehenswert sind auch einige porträtierte Figuren der damaligen Düsseldorfer Kunstakademie: Sigmar Polke, Günther Uecker und vor allem Joseph Beuys, der im Audimax eine Vorlesung hält („ … mit Lehmbruck habt ihr euch beschäftigt? Ich habe heute nichts für euch, ihr könnt nach Hause gehen!“). Der Film erhielt viel Kritik. Anscheinend mochte ihn Richter ebensowenig wie das vorangegangene Buch. Für mich stellte sich eine allgemeine Urheberrechtsfrage: Darf das Leben eines Menschen die Quelle für die Geschichte eines anderen sein, der daraus Profit schlägt? Ich studierte einige der Hintergründe. Es gab einen ausführlichen und intimen Artikel in The New Yorker mit dem Titel „An Artist’s Life, Refracted in Film“ (Das Leben eines Künstlers, frakturiert im Film), der die Umstände im Vorfeld und die Konflikte zwischen Richter und Henckel von Donnersmarck beschreibt. Die erlesene Filmmusik zu Never Look Away steuerte der in Hameln geborene Komponist Max Richter bei, kein Verwandter, vielmehr Namensvetter des berühmten Malers.
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The star of Gerhard Richter must have risen end of the Sixties when he painted from photographs. First I heard of him in school. „Is this art?“ I questioned with a sniff. Later at college many fellow students took him as a role model, kind of a constant value. For someone like me, turning towards surrealism and all kinds of inner self-findings, switching between spirituality and interests in psychoanalysis, his work always seemed to be hardly accessible and cold. I saw him more as an icon or emblem of something „sublime“. After watching the film Never Look Away („Werk ohne Autor“) by the weighty Florian Henckel von Donnersmarck I noticed some deeper connections: In school we had a teacher for music, history and social studies who had been a higher rank in the second world war army. He was well educated and elitist, small in stature. „Why did you choose this Nazi in the history advanced course?“ Well, there was a kind of thrill caused by his excellent storytelling. One day he went too far claiming that the Holocaust did not exist and euthanasia was justified. That time I used to drive with my mother’s car, collecting various schoolmates on the way to school. Among them was the nice and smart K, her parents had money and she was dating the headmaster’s son. I often told her about the repeated toxic teachings of this guy. Being courageous and also member of the school newspaper, she wrote an article about his lapses with the result: he was suspended to early retirement. In that context K had invited me to tea. The stylish house in the valley, by the river, loved that place. Took seat on a red velvet couch, backed up by a monochrome picture, same red. „Who is this, is it original? „Yes, Gerhard Richter, my parents bought it“, K returned, slightly embarrassed for being „bourgeois“. „How great is this!“ I was impressed. Even the tea was precious. Back to the presence: Before Henkel von Donnersmarck produced Never Look Away, a book already had been published by a writer from the german magazine Der Spiegel. It was a precisely researched story on Gerhard Richter’s childhood entanglements with Nazi Germany, where his beloved aunt Marianne fell victim to an euthanasia program. A monster-father-in-law, fantastically played by german actor Sebastian Koch, had his fingers in the deadly game. All in all it is great to have this deep insights to childhood and upcoming career of that rather taciturn artist. Also worth seeing are some portrayed figures of the Düsseldorf Art Academy at that time: Sigmar Polke, Günther Uecker and especially Joseph Beuys, giving a lesson to his students („Got nothing for you today, you can go home …“). The film received lots of criticism and Richter even disliked the preceding book. For me a copyright-question came up: Can someone´s life be the source of another one´s (profitable) story? I studied some of the backround. There was a detailed and intimate article in The New Yorker titled „An Artist´s Life, Refracted in Film“, describing the cirumstances in the run up and the conflicts between Richter and Henckel von Donnersmarck. The film music of Never Look Away was contributed by composer Max Richter, no relative but namesake of the painter.