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2023 5 Jan

Crimsonoid

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Irgendwann Anfang der 90er lief mal „21st Century Schizoid Man“ spätnachts in einer WG-Küche und hat mich sofort gefangen genommen. Vermutlich kaufte ich gleich am Montag die dazugehörige CD, von der ich aber nur noch einen anderen Song erinnere, „I Talk to the Wind“. Mehr Berührungspunkte mit King Crimson hatte ich nicht, nur aus der Ferne mitbekommen, dass das bestimmt eine großartige Band ist. Nun hat mich Michaels Begeisterung über das „Exposure“ Box-Set angesteckt und ich habe mir im Dezember „Discipline“ gekauft. Was für ein Album, wow, wow, wow! Erinnert mich eher an Talking Heads, als an „In The Court of The Crimson King“. Nervöse, urbane Stimmung, Musik, in der die einzelnen Bestandteile fest ineinander verankert sind, nichts könnte fehlen, nichts ist überflüssig, alles ist sehr präzise.

Der Film „In the Court of the Crimson King: King Crimson at 50“ war auch faszinierend. Die Band scheint ein Strudel zu sein, scheinbar eisern regiert von Robert Fripp, der sich aber selbst wohl eher als Diener am Tempel dieser Musik sieht. Ein Mensch, der in dem Film zwischen Sarkasmus und ungeahnter Schutzlosigkeit pendelt (besonders bewegend ist die Szene, in der er über eine Begegnung mit seinem spirituellen Lehrer berichtet). Und einer Musik dient, die offenbar im Konzert okkulte Dimensionen entfaltet: das gefilmte Publikum wirkt immer wieder wie in Trance, wie Teilnehmer an einem Ritus. Ein sehr sehenswertes Dokument. 

Sollte ich noch einmal die Möglichkeit bekommen, diese Band live zu sehen, bin ich auf jeden Fall dabei. Nur frage ich mich, welches Album ich als nächstes höre – „Red“, noch etwas aus den 80ern oder doch „Exposures“?

 

Your and my impossibilities – had that been love,    
my shangrila girl,  my socialist sweetheart,
now so many years thereafter –  
I only enter time machines by sound and
sepia: back on the wet streets of München,  
1982, autumn rain (a merciless one), I‘m  
studying the road map, finally,  the kitchen  
of your sister,  all vintage,  a bathtub inside,  
where we made love, splashing water,     
fishes in’n’outside our faraway origins,   
but, for fuck‘s sake, I don‘t remember    
your sweat, your saliva, only your   
and my impossibilities, and  
my hands in your hair,   
like in that Crimson song.

 

 

Erinnerungen sind gerne trügerisch in Details, und in anderen, noch flüchtigeren Fundstücken einer fernen Zeit, extrem genau.“ (Ergänzung: auf keinen Fall sollte dieser Text von jemandem gelesen werden, dem er bekannt vorkommt.) 

 

1978 war eine Zeit, in der Kakteen interessante Schatten warfen in meiner leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über Nacht blieb, hiess Julia und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich mahm das neue Album von Brian Eno in Empfang, „Music For Films“. Eine Anzeige von Polydor in der „Sounds“ hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift „Der Mann im Hintergrund“. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine betörende Qualität. Julia mochte die Musik auch und verliess meine Wohnung und mein Leben.

 

1980 fuhr ich mit einem Freund öfter ins „Act“ nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants. Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht.

 

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna, und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Meine Geliebte hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem zuvor erschienen, fantastischen Album „Discipline“ hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads mit ins Spiel. Spät am Abend Neil Young und Crazy Horse mit Nils Lofgfen, bei „Cortez the Killer“ reckten wir unsere Feuer in den Himmel. Etwas später  ging der Blick von unserm Hotelfenster auf den Rathausplatz hinaus, und mein Name war Jean Pierre Leaud. Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und sich die Troggs auf seinem Plattenspieler drehten. Auf der Rückreise lief Benzin unbemerkt aus dem Tank, und der grellgrüne Hippie-VW schleuderte im Kreis. Drei Monate später waren wir Geschichte.

 

Derzeit muss ich die Tage so durchplanen, wie zuletzt in meinem „goldenen Jahrzehnt“ im Radio, in den Neunzigern, als ich noch quer durch die alte Bundesrepublik düste, mit dicken Tonbändern im Gepäck für Michael Nauras „Klanglaboratorium“, oder einer Kiste Musik für „Radio Unfrisiert“ im Hessischen Rundfunk.

Die einzige Konstanten der kommenden Tage sind der Morgencappuccino bei Larry und die Begradigung meiner Steuerschluderei. Und dann, vier Tage lang, in Klausur, für eine „englische Vorlesung“ in abgedunkeltem Raum! Mein Aufnahmegerät für Interviews hat nach so vielen Jahren den Geist aufgegeben – ein Ersatz muss her, für ein, zwei Interviews beim Punktfestival.

Nach den letzten 9 1/2 Wochen, einer Mischung aus Medizin- und Psychothriller (alles begann mit dem von Opium begleiteten „High“ nach dem Aufwachen aus einer Vollnarkose), frei nach dem fröhlichen Motto: „Schluss mit dem Eiertanz!“, darf, neben dem Auftritt beim Punktfestival, ein frühseptemberlicher Aufenthalt in einer sauerländischen Klosterklinik als echtes Highlight meditativer Unternehmungen gewertet werden. In der Schmallenberger Klinik wird an mir eine ASS-Deaktivierung durchgeführt, was erst mal nach Philip K. Dick klingt, und dann doch eine prosaische Angelegenheit mit potentiellen Nebenwirkungen der unlustigen Art ist.

 
 
 

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Wegen meiner so gut wie sicheren Allergie gegen Salicylsäure (vermuteter Hauptgrund für wiederkehrende Probleme in den Nebenhöhlen, die somatischen Reaktionen laufen, Tücke und Segen zugleich, im Verborgenen ab) werde ich auf sanft steigende Dosierungen von ASS eingestellt, in der Hoffnung, der Körper reagiert in Zukunft eher wohlwollend auf diesen Stoff, der viel verbreiteter in unseren Nahrungsmitteln und Getränken ist als die Gefahrenliste der weitaus populäreren Lactose-Allergie. In der Zeit, in der ich gezielt ausser Gefecht gesetzt bin, beneide ich Wolfram und Gregor, die  am 9. September in Stuttgart King Crimson live erleben könnten.

Im Sauerland sagt man früh abends den Füchsen gute Nacht, und da strenge Klosterschwestern mich kaum in Wallung bringen, habe ich einen exezellenten Pageturner im Gepäck (die ersten 60 Seiten getestet, wow!): „Regengötter“ von James Lee Burke, der in Deutschland ein hochverdientes Revival erlebt. Meine Thrillerspezialistin aus Düsseldorf ist gerade im Burke’schen Leserausch.

(Abschweifung: wer mehr an Sachliteratur interessiert ist, oder unserer monatlichen „Philosophica“-Rubrik, dem empfehle ich das bei Bloomsbury herausgekommene Buch „Oblique Music“, ein wahrlich multiperspektivisches Buch über Brian Eno. In einem der dort versammelten Essays werden auch die Manafonistas ausführlich zitiert, und im Quellenverzeichnis exakt verlinkt.)

 
 
 

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Und für den Notfall (die Notfälle treten im Leben zuweilen seltsam gedrängt auf) gibt es im tiefen Sauerland auch Akuteingriffe (bei schweren Asthmaanfällen oder anaphylaktischem Schock), sowie „Glut und Asche“ (kein Alternativplan für die Einäscherung, sondern der mit in die graue, von Kreuzen und Bibeln nur so wimmelnde, gespenstische Grossanlage geschmuggelte Nachfolgeroman der „Regengötter“).

Wenn das alles so halbwegs happyendig ausklingt, mit einer Jazzsendung am 23. September, dann schlage ich drei agnostische Kreuze, berausche mich spät abends (ganz dezent) mit „The Enchanted Path“ von Molly Dooker – zur unprätentiösen, neuen Zufallmusk von Peter Broderick, oder Glenn Jones‘ Gitarrenklängen -, und besteige in den Tagen danach, in Düsseldorf oder Frankfurt a.M., ein riesengrosses Flugzeug. Natürlich kann es auch ganz anders kommen.

Und deswegen lande ich schon mal vorab an dem einzigen Ort, der einem wirklich sicher ist, der Gegenwart, und sehe mir nun jenen Film (zum wiederholten Male) an, der meine ganz persönliche „Resilienz“ (das Modewort für Widerstandsfähigkeit) genauso kräftigt wie die erste Staffel von „Justified“ – das Movie namens „Frank“ handelt nicht zuletzt von der Suche nach unerhörten Klängen – nie nostalgisch wie der Brian Wilson-Film, lässt „Frank“ jenes Quantum Verstörung zu, das nicht so ganz selten (neben allem Enthusiasmus und „flow“) Teil des kreativen Prozesses ist.

2013 26 Sep

So much music, so little time

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„Buy! Buy! Says the sign in the shop window,
Why? Why? Says the junk in the yard … “
(Paul McCartney, „Junk“)

Viele hörenswerte Neuerscheinungen und Editionen die die Musik eines Künstlers, einer Gruppe oder einer Epoche zusammenfassen kennzeichnen auch diesen Herbst. Beschränkten sich diese Zusammenstellungen früher auf vier, fünf oder sechs CD´s so ist mittlerweile der Anzahl der Tonträger, die in einer solchen Box angeboten werden nach oben hin offenbar keine Grenze mehr gesetzt.

Ein Beispiel unter vielen: Die „The Island Years“ von John Martyn umfasst siebzehn CD´s und eine DVD. Oder, noch etwas ambitionierter: Die „The Road To Red“ Box von King Crimson – eine Dokumentation der Liveauftritte der Band vor den Studioaufnahmen zum Album „Red“ – umfasst insgesamt 20 (!) Konzerte auf 21 CD´s – dazu obendrauf noch eine DVD sowie 2 Blue Rays.

Den vor dem Kauf zu befragenden Geldbeutel einmal aussen vorgelassen: wie wird man solchen Veröffentlichungen gerecht? Versenkt man sich komplett in eben jene Box und lässt alle anderen Neuerscheinungen beiseite? Diese 17 CD´s von JOHN MARTYN und die 21 CD´s von KING CRIMSON wollen ja auch gehört, eingeordnet und beurteilt werden!

Währenddessen: Das Gefühl etwas zu verpassen, eine gute Neuerscheinung nicht auf dem Radar gehabt zu haben … Für einen Musikliebhaber ein nagendes Gefühl.

In seinem Ende der 1980iger Jahre erschienenen Buch „Die Stille In Kopf“ berichtet Karl Lippegaus davon, dass er Ende der 80iger einmal mehrere Wochen nur mit drei Alben verbracht hat.

Auch eine Herangehensweise; eine auf die Reduktion zielende. Zur Besinnung kommend, auf das Wesentliche sich beschränkend.


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