Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the category ‘Blog’.

Category: Blog

2024 18 Mrz

Langer Atem

| Filed under: Blog,Gute Musik | RSS 2.0 | TB | Tags:  3 Comments

 

Henriksen_Fraanje-Touch of Time

 
 

Ich kann nicht anders, aber ich muss ein Loblied auf diese Duoarbeit singen. Harmen Fraanje am Klavier und Arve Henriksen an der Trompete. Understatement, Zurückgenommenheit pur. Der Sound von Henriksens Trompetenspiel, so klein, so nebelverhangen, so schilfig. Ich sah ihn im Pierre Boulez Saal mit Jakob Bro vor knapp 2 Jahren. Wir trugen alle schwarze Masken. Für mich war er der Star des Abends.

Harmen Fraanje kannte ich noch nicht. Er spielt ein sehr „nordisches“, auf das Wesentliche reduziertes Piano. Kein Schnickschnack, kein Ton zuviel. Sehr lyrisch und impressionistisch, er hat seinen Bill Evans inhaliert. Die beiden ergänzen sich perfekt, die diskreten Klavieranschläge und der stetig verlaufende, nasale Trompetenton. Dazu gelegentlich elektronische Zuspielungen von Henriksen. Ätherisch, schwebend, traumwandlerisch. Jon Hassell hätte seine Freude daran gehabt. Eine Hochzeit im Himmel. Glaubt es ruhig, dieses Mal stimmt es.

 

2024 13 Mrz

Hören & Fahren

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 8 Comments

 
 

Frauen sollten ein Verhältnis zur Wirklichkeit pflegen, schreibt Virginia Woolf 1929 in „Ein Zimmer für sich allein“, ich horche auf die Stimme von Erika Pluhar, die mir den viel zitierten Aufsatz nahebringt. Mit dieser Aufforderung zu eigenständigem Denken schließt die Autorin, nachdem sie zuvor ausführt, was zu- und was abträglich ist für einen freien Geist.

Später fällt mir auf, dass Weltfrauentag ist, während ich dem Vortrag lausche und mein Automobil in Richtung Süden steuere, unablässig streift der Blick den grauen Bandwurm von Autobahn entlang. Fast 100 Jahre ist es her, dass Frau Woolf gute Literatur daran misst, ob sie ein Feuerwerk an Gedanken auslöst oder weitere Einfälle erstickt: Mit solchen in eine Erzählung eingebundenen Hinsichten ist es eine wirklich muntere Fahrt geworden.

 

 
 

Anatomie eines Falles (D, 2023) von Justine Triet

(Seit gestern auf prime streambar – zeitgleich mit dem Oscar-Getöse)

 
 

 
 

Erster Eindruck:

Noch nie so eine schlechte Synchronisation gesehen beziehungsweise gehört. Da erhebt sich zunächst die Frage, die man sich oft beim Dachbodenaufräumen stellt: Ist das Kunst oder kann das weg? Liegt’s an der Kopie oder ist es künstlerisches Stilmittel, dass die Protagonisten reden, wenn der Mund noch zu ist und umgekehrt? Sind die alle im Nebenberuf Bauchredner?

Am Ende steckt da noch ein tieferer Sinn dahinter, der sich mir nicht erschlossen hat und ein findiger Rezensentenkollege schreibt dann etwa: Durch die raffinierte Zeitverschiebung von Mundbewegung und hörbarem Wort erzeugt der begabte Regisseur eine gezielte Verwirrung die auf die Diskrepanz von innerem Dialog und Gesprochenem zurückweist und damit auf die jedem Menschen immanente Spaltung von schwurbelschwurbelblubb … !

Ich mach mir’s jetzt einfach und denk, es ist die Kopie! Man kann alles übertreiben und zur Kunst deklarieren. Der Film wurde auch dreisprachig gedreht, da mag es wohl babylonisch zugegangen sein.

Hat dieser Film nun den Oscar verdient? Die Frage stellte sich mir am Vorabend der Oscar- Verleihung und ist im übrigen müßig, der Oscar ist alles andere als ein Qualitätssiegel und auch von politischen und ökonomischen Interessen bestimmt und das Gutmenschentum muss auch bedient werden. Im Westen nichts Neues darf man ja auch nicht durchs Raster fallen lassen, ist schliesslich ein Antikriegsfilm und man will ja nicht in den Geruch kommen, Kriege etwa gut zu finden, gerade in den USA, denen wir so manche Kriegsschmonzetten zu verdanken haben, die wohlweislich darauf hinweisen, dass der wackere Amerikaner auch im schlimmsten Kriegsgetümmel menschlich zu bleiben versteht. Natürlich nur für die eigenen Jungs, bei Saving Private Ryan (1998, 5 Oscars!) zu bewundern. Da muss man nicht paranoid sein, um hier nicht eine gezielte Strategie der Filmfachabteilung des Pentagons zu vermuten, in diesem Jahr mussten auch die Republikaner die erste grosse Wahlschlappe einstecken, da muss Mut gemacht werden und das merkt man auch an den Filmen – aber manche sehen noch nicht mal Licht, wenn ihnen aufs Auge gehauen wird. Also immer her mit den goldenen Männchen, Friedensliebe muss belohnt werden. Bei dem restlos verschnarchten Killers of the Flower Moon, den man bequem auf anderthalb Stunden hätte eindampfen können – dann wäre ein Abklatsch von Spannung aufgekommen – dürfte es genauso sein.

Aber zurück in den Gerichtssaal.

Wer einen spannenden Gerichts-Tatort erwartet, ist hier gut bedient (ich hasse Gerichtsfilme, by the way, nach Zeugin der Anklage hab ich da nichts besonderes mehr gesehen und Spannung und Gerichtsplädoyers sind für mich eh inkommensurabel). Wer ein klares Ende erwartet, ist hier wiederum nicht gut bedient, aber das spricht eher für die Qualität dieses Machwerks, weil es das Kopfkino des Zuschauers anwirft und ihn in Spannung hält. Das Geniessen eines „guten Endes“ erinnert eher an die Szene, in der ein Kleinkind den letzten Löffel Brei bekommt, die Mama verkündet, dass jetzt Schluss sei, mit dem Löffel nochmal quer über den Mund fährt, mit dem Lätzchen hinterhertupft und „So!“ sagt! Das macht den Zuschauer zum satten Säugling, wobei ich einräumen muss, dass dieser Zustand auch seine Reize hat.

Und hier gibt es eben kein „So“.

Wir erleben hier – und das ist nichts Neues im Gerichtssaal – die Dekonstruktion einer Frau und einer Familie, die zu Anfang sehr normal anmutet und die Neukonstruktion einer ganz anderen Figur vor unserem inneren Auge mit dem Mittel der Vernehmung und geschickter Plädoyers des Staatsanwalts der in Deutschland einen passablen Mephisto abgeben würde. Das wird fächerartig aufgefaltet und vermag zu faszinieren – ist allerdings nicht neu und viele gute Gerichtskrimis leben davon, etwa bei der ewigen Gretchenfrage, ob nun die Vergewaltigung oder der Kindesmissbrauch denn nun stattgefunden oder nur in der Phantasie der Anklägerin stattgefunden hat oder gar ein Komplott geschmiedet wird gegen einen unliebsamen Vater oder Partner. So neu ist das alles nicht.

Ich musste einmal einem dreitägigen Mordprozess beiwohnen – eine ehemalige Patientin hatte ihre Ehefrau umgebracht – und kenne diesen Wandel innerer Bilder sehr gut. Das strapaziert den Zeugen.

So auch hier: Es zeigt sich das Bild einer zerrütteten Beziehung, eines an der eigenen Unfähigkeit verzweifelnden Mannes, der seine hochgesteckten Ziele nicht erreichen kann und die Verantwortung auf Familie und äussere Umstände abschiebt, mit Schuldzuweisungen aber an der Ehefrau scheitert, die sich klar davon abgrenzt und ihn auf seine Eigenverantwortung hinweist. Die dabei bei ihm erzeugte hilflose Wut führt offenbar zu einer Verstrickung, die im Suizid endet (eine Lesart) und in die er noch den Sohn hineinzuziehen versteht – mit einer mehrdeutigen Botschaft. Diese belastet den Sohn, führt aber schliesslich zum Freispruch der Mutter, wenn … ja wenn … sie überhaupt stattgefunden hat und nicht vom schlauen Sohn erfunden wurde, um die Mutter zu entlasten. Oder ein Ränkespiel von Mutter und Sohn vorliegt.

Die Frage des whodunit tritt zurück beim Betrachten dieses gut eingefädelten Vexierspiels und den Bemühungen des Staatsanwaltes, eine völlig neue Figur zu konstruieren und immer wieder neue Beobachtungen in einer Weise neu zu formen und einzufügen um dieses Bild einer eiskalten Mörderin zu untermauern.

Rechtsprechung hat etwas mit Schriftstellerei gemein – sie konstruiert Figuren und verleiht ihnen eine innere Logik, die mit dem Vorbild nicht unbedingt etwas zu tun haben muss – Details werden entsprechend der Zielvorstellung von Ankläger und Verteidiger passend gemacht – ähnlich wie es mit Erinnerungen geschieht, die nach persönlicher Interessenlage plötzlich eine Modifikation und andere Ausdeutung bekommen. Oder im paranoiden Wahn. Erinnerungen werden plötzlich in einen anderen Kontext gesetzt und bekommen eine andere Bedeutung – wie im Diskurs in den 90ern um frühkindlichen Missbrauch, als viele Frauen ihre Symptomatik in diesem Sinne ausdeuteten und für stimmig befanden, wie man weiss verändern sich Erinnerungen durchaus selbsttätig, jeder zeugenbefragende Polizeibeamte kann ein Lied davon singen. Oft stellten sich dann zugehörige Träume oder „Erinnerungen“ ein – ob sie nun Fakt waren oder nicht. Die „False-Memories“-Bewegung ist verbreitet, vor allem in den USA, dem Land vorpreschender Therapeuten – Hauptsache es ist was los – wurscht was!

Im Verhalten des Kindes wird deutlich, wie sich das Bild der Mutter verändert, Ereignisse eine andere Bewertung erfahren, es will Distanz gewinnen um zu Klarheit zu kommen. Schafft es das oder ist es in einer gemeinsamen mörderischen Inszenierung auf immer mit der Mutter verbunden. Pantha rhei, alles ist im Fluss, alles kann anders gesehen werden, auf nichts ist mehr Verlass.

 
 

 
 

Schon zu Anfang erschreckt der Film mit tosendem Latino-Soundtrack – später entpuppt sich die Funktion der Musik: Nicht die übliche schlechte Aussteuerung, sondern vielmehr ist die Musik hier ein drittes Element in der Täter-Opfer-Geschichte, es verschleiert die Geschehnisse, akustische Wahrnehmungen die zielführend für die Verurteilung sein könnten werden überdröhnt. Der Genuss bei diesem Film ist nicht die Verbrechensaufklärung, sondern die Momente in denen die Kippfigur kippt. Das kennt man aus vielen guten Krimis und Psychodramen – ob da jetzt haufenweise goldene Männchen dabei rüberwachsen müssen ist jetzt eine ganz andere Frage.

Jetzt wäre mir nach einem eindeutigen guten Ende zumute – läuft irgendwo Vom Winde verweht? Ach nee, die kriegen sich da ja auch nicht … oooder … ahhh … die Fortsetzung: Scarlett – die Serie aus den 90ern. Da kriegen sie sich. Der „So-Effekt“. Nur mal so zur Erholung. Heute Abend droht The Zone of Interest. Da braucht’s geglückte Füttervorgänge zwischendurch!

 

 

Kurt Rosenwinkel Quartet – „Solé“

 

Kurt Rosenwinkel – guitar
Aaron Parks – piano
Eric Revis – bass
Greg Hutchinson – drums

Album: Undercover (Live at the Village Vanguard) © 2023 Heartcore Records

 

 

Wieder setzt er an, rasch müssen seine Finger die Tasten aufwärts klettern. Aber dieser verflixte kleine Finger an der rechten Hand macht nicht mit. Verhaspelt sich, kommt nicht auf die Tasten hinunter. Get your kicks: Er hat gute Lust, dieses sch-verf-Klavier mit seiner Fußspitze zu traktieren, es ist so verdammt schwergängig. Stellt sich ihm in den Weg. Was ist nur los: Fingerabspreizen und ähnliche Geziertheiten passen doch überhaupt nicht zu ihm … !

Wenn andere das spielen, klingt es so locker und leicht. So beschwingt. Als ob sich da keiner so recht Mühe zu geben bräuchte, wie um ihn noch extra zu ärgern. Er hat sich das Stück ein paar Male angehört, ja gut, das Tempo schafft er noch nicht, das fordert seinen Ehrgeiz. Mit der Zeit würde er das aber schon knacken. Nur der Rhythmus: Bei ihm klingt es so sperrig, dass es ihn regelrecht schüttelt! Probehalber stemmt er seine Fußspitze nun doch gegen das lackierte Holz des Instruments: Ihr redet euch leicht, ihr Alten, einsame Weiten auf einem kultigen Highway durchqueren, Strecken, die heutzutage garantiert vom Verkehr verstopft sind, und die Inspiration fliegt euch nur so zu! –

Sowas fängt er sich aber gar nicht erst an, die sowieso schon von den Landkarten getilgte Route 66 gen Westen fahren – Und dann womöglich auch noch als Klimaschwein beschimpft werden: Leider ist er überhaupt zu spät auf die Welt gekommen, ein Jammer! Weil auch schon seine Eltern zu spät dran waren und die Großeltern erst recht. Dafür hat er’s jetzt mit einem heutzutage zu tun, in dem es einfach schon alles gibt, was man musikalisch noch erfinden könnte – Und ihm bleibt bloß noch sich damit abzumühen, die Stücke einigermaßen gelungen nachzuspielen.

Missmutig lässt er den Kopf nach vorne sinken, kühlt seine Stirn an dem glatten Holz, das er eben noch hat malträtieren wollen. Wozu das Ganze eigentlich, er ist am Ende, auf den Hund gekommen, genial sind nur die anderen.

Er hievt seinen unwilligen oder unfähigen Körper, wie man’s eben nimmt, aufs Sofa daneben und schließt die Augen. Will einschlafen, alles vergessen, aber er hat keine Ruhe: Die Melodie des Stücks schält sich aus all den Geräuschen in seinem Kopf rücksichtslos heraus. Mit einer Bestimmtheit, die ihn aufrüttelt, darappbapbap-bapbapbamm! Darappbapbap-bapbapbamm! – Wie klingt das denn jetzt? Hat er das so schon einmal gehört? –

 

 

Kultur und Temperament des Landes sind vertraut, in diesem Sprachklang hält man sich zu gerne auf. Brasilia, die futuristische, auf dem Reissbrett nach der Form eines Flugzeuges entworfene Stadt hat ein ganz besonderes Flair. Dort lebt auch Pedro Martins, wechselweise mit seiner Wahlheimat Los Angeles, in der seine Lebenspartnerin lebt, die Jazzsängerin Genevieve Artadi. So switchen sie zwischen zwei Metropolen, stets umgeben von jungen Künstlerfreunden, einem Pool junger Talente. Der nun dreissigjährige Gitarrist, Multiinstrumentalist, Komponist und Sänger galt früh als Wunderkind, begann bereits mit drei Jahren, sich für die Beatles zu interessieren, deren Songs für ihn die Basis seiner musikalischen Entwicklung waren. Abseits jeglicher Leistungsathletik hat seine Musik einen landestypischen, aber auch idiosynkratisch ganz eigenen Zauber, der vielfältige Anklänge erlaubt an die Musica Popular Brasileira. Milton Nascimento, Caetano Veloso, Djavan und Maria Bethania waren ja auch jene, die einst meine Sehnsucht weckten, dieses Land zu entdecken. Seit Joao Bosco vor mehr als fünfzehn Jahren sein unglaubliches Livealbum Obrigado Gente vorlegte mit einer Wahnsinnsband, zu denen Schlagzeuger Kiko Freitas, Gitarrist Nelson Faria und Percussionist Armando Marcal gehörten, hat mich brasilianische Musik nicht mehr so begeistert wie nun Pedro Martins frisch entdeckte Kompositionen und Performance. Wenn man etwas liebt, erkennt man sich auch darin wieder: es ist auch eigene Heimat. So wie einst die Diamanten (as pedras preciosas) auf dem Verkaufstisch eines Edelsteinhändlers am Marktplatz in Ouro Preto verheissend funkelten, so tun es nun die verspielt perfekten Songs des jungen Pedro Martins. Sie eröffnen Räume auch für die eigene Phantasie. Es war wie in einem selbstgeschaffenen Kopf- und Herzkino investigativer Recherche: ein Mix aus Flow und Grip ist das Interesse, wenn es denn Fuss fasst – und ab geht die Post. Da gibt es das Konzert mit der Frankfurt Radio Bigband, in dem sich die frühreife, ausgewogene Vielfalt seiner (auch gesanglich begleiteten) Kompositionen zeigt und Erinnerungen wachruft an Antonio Carlos Jobim in den kongenialen Orchestrierungen von Klaus Ogerman. Ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Pianisten Pablo Held gibt interessante biografische Details preis, wie sie wohl nur Musiker untereinander austauschen können. Der Wunderknabe blickt leicht verpennt (weil wohl eine Nachteule) in seinen Laptop und plaudert los in typischer brasilianischer Lockerheit: beispielsweise seine ersten Treffen mit Kurt Rosenwinkel schildernd, seinem vertrauensvoller Förderer und Mentor. Gemeinsam absolvierten sie eine Welttournee in dessen Caipi-Projekt. Noch nie habe ich einen brasilianischen Gitarristen erlebt, der so viele unterschiedliche Facetten von Musik in so virtuoser Form vorträgt, dabei die vielfältige hybride Tradition mit dem Horizont der Digital Natives verbindend, die früh globale Vernetzung als selbstverständlich sehen und in vielen Musikstilen beheimatet sind. Allein der eigentümliche und höchst delikate Sound seiner E-Gitarre eröffnet einen eigenen Kosmos. Dazu singt er noch, auf Rosenwinkels Anregung hin stellte er sich der Herausforderung, eigene Lyrics zu schreiben: the birth of a singing songwriter. Die Gitarre klingt zuweilen nach Cavaquinho, kleine Fingerstreiche lassen sekundenweise Sitarklänge erklingen und die Kompositionen führen in Alices Wunderland. Man kann hier zuhauf Nuggets finden im Internet, wenn einen erst die Neugier treibt. Und hoffen, dass eine ihn in kommerzielle Bahnen lockende Plattenindustrie bis auf Weiteres verschont und er das Basteln kleiner Kastanien-Männchen dem groß herausposaunten Mainstream vorzieht. Diese Musik erzählt Geschichten: die seines Landes, seiner Welt und auch seiner Generation. Sie klingt wie Neuland, klingt wie Hoffnung und eine sanfte Brise schwingt immer mit.

 

 

Auf wen warten diese Sachen? Soll hier jemand vorbeikommen, sich in einem der beiden Stühlen niederlassen, mit einer Flasche Wein, einem längst zu Ende gegangenen Fest nachtrauernd? Einer vielversprechenden Begegnung, bei der sie oder er zu wenig Eindruck oder auch Nachdruck gemacht hat?

Hier in Venedig, im trüben Licht eines italienischen Wintermittags, es ist nämlich der 31. Dezember, wird schwebender Staub im Halbschatten des schmutzigen Durchgangs sichtbar. Es geht ein leichter Luftzug, der den Aufenthalt unbequem macht.

Eher ist wohl ein Fest in Vorbereitung, hinten im prächtig geschmückten Garten, unter einer mit Planen verstärkten, beheizten Pergola, schließlich steht der Jahreswechsel bevor. Und erst mit den überzähligen Gästen, die doch wie immer nicht auf sich warten lassen werden, wird auf die schon beschädigten Stühle im Durchgang zurückgegriffen. Aber wer weiß: Vielleicht ist der Gastgeberin etwas zugestoßen, dem in Eile zusammengestellten Personal die Neujahrstorte zu Boden gestürzt, so dass die weiteren Vorbereitungen zur Feier stocken.

Hoffentlich hat niemand einen Herzanfall erlitten oder ist auf der Cremeschicht am Boden ausgerutscht und unglücklich mit dem Kopf angeschlagen, Festivitäten haben so ihre Tücken.

 

 
 

Ein Film wie ein Benzodiazepin

 

Schon klar … der hundertundeinste Film über das Leben von Elvis Presley braucht jetzt nicht unbedingt eine Rezi – sowie die Welt auch diesen Film in toto nicht braucht, nicht mal, wenn die Regisseurin Coppola heisst, deren Vater ich die komplette Sprengung und Abfackelung einer kleinen Insel mitsamt der dazugehörigen pflanzlichen und tierischen Infrastruktur immer sehr verübelt habe: unter dem Deckmantel Antikriegsfilm lässt sich prächtig die eigene aggressive Ladung austoben – meine unmassgebliche Hypothese. Ein wirklich zutiefst friedlicher Mensch wäre sicher nicht imstande, dergleichen auf die Leinwand zu posten – und ob sich im Publikum dann auch nur lauter Kriegsgegner finden, die den Wahnsinn des Krieges und die eigene moralische Superposition bestätigt haben wollen oder ob sich da doch nicht so mancher kleine Sadist darunter befindet und recht gut von Coppola und anderen bedient wird, ist auch so manchmal meine Vermutung. Ende Sidekick – wir waren ja bei Elvis. Bezuehungsweise bei Sophia Coppola. Nehmen wir das Ganze also als Zeitphänomen. Oder als Problem der Regisseurin.

Warum also die Schilderung des monotonen Lebens eines Anziehpüppchens unter der narzisstischen Knute eines grossartigen und zuzeiten auch gutherzigen Sängers,  solange man ihm nicht auf die Füsse trat, auf der ständigen Flucht vor Leere und Langeweile und der Suche nach der passenden Frau, die zu seiner Madonna-Flittchen-Spaltung passte – zumindest ein paar Jahre lang; ewig geht dergleichen ja ohnehin nicht gut, bekanntlich. Ist ja auch schwierig, eine Frau geniessen zu wollen, ohne der über allem stehenden Übermutter und ihrem Alleinvertretungsanspruch die Treue zu brechen, da geht’s einem wie dem Frosch im Milchtopf, das war nicht nur bei Elvis so, das war auch das Problem so mancher Narzissen von der gefährlicheren Sorte wie Hitler und Stalin, ersterer hatte ja auch sein Anziehpüppchen und bei letzterem bin ich mit der Biographie noch nicht bis zum Sexualleben durch und hoffe sehr, noch überhaupt eines zu finden. Sollte man natürlich nicht mit Elvis in einem Atemzug nennen, schon klar, da tut man ihm schwer Unrecht, wobei er immerhin bereit war, einen Auftragskiller für seinen Karatelehrer anzuheuern, mit dem Priscilla kurz vor der Trennung angebandelt hatte. Die dunklere Seite des Love-me- tender-Florida-Boys.

 
 

 
 

Was ist also das Ganze? Eine Coming-of-Age-Geschichte? Hätte funktionieren können, wenn die Entwicklung der Hauptdarstellerin in irgendeiner Form deutlicher geworden wäre – so bemerkt man nur an der Änderung von Frisur und Outfit, dass in diesem hübschen Köpfchen, überwiegend in leere Räume positioniert (was für eine originelle Metapher für Einsamkeit und statisches Festgefahrensein!), überhaupt irgendetwas vorgeht. Emanzipationsdrama? Hätte uns in der Form schon in den Siebzigern nicht mehr vom Hocker gerissen, da war uns Margarethe von Trotta schon lieber.

Demontage eines der Grossen, zumindest in der Rockmusik? Schon eher, aber nix Neues, dergleichen hat schon die Grand Old Lady in realiter Miss Presley persönlich in Form ihrer Biographie als Drehbuchmitautorin 1988 abgeliefert – Elvis and Me hiess das damals. Ein Zweiteiler, und sie selbst natürlich wieder in der Rolle der tapferen treuen Gefährtin, die ihre Opferrolle dann später doch zu überwinden verstand. Und die Hauptdarstellerin Susan Walters zeigte zumindest einen Anflug von Temperament. Diesmal hat sie auch noch am Drehbuch mitgearbeitet, mit immerhin fast 80, naja. Zumindest konnte ihr der Presley’sche Fluch nichts anhaben: Elvis‘ Zwillingsbruder starb bei der Geburt, seine Mutter mit 48 an Leberzirrhose, er selbst mit 42 am Drogenkonsum, seine Tochter mit 54 an ähnlichem, nicht ohne vorher den King of Rock … äh … nee … den King of Pop Michael Jackson geehelicht zu haben, der auch nicht viel von Sex wissen wollte und sich lieber mit kleinen Jungs umgab.

Bei Elvis waren die Jungs, die für sein Dauerentertainment sorgten, immerhin schon zumindest körperlich dem Kindesalter entwachsen. Der alte Wiederholungszwang lebt noch.

Zuletzt suizidierte sich sein Enkel, ebenfalls Sänger, mit 27 und es wird diskutiert, ob man ihn noch dem Club 27 zurechnen soll –  stimmlich konnte er mit einem Jim Morrison und einer Amy Winehouse sicher nicht mithalten. Nur Priscilla steht noch botoxgestählt wie eine texanische Eiche und hat neulich noch mit Mörtel Lugner auf dem Wiener Opernball ein paar Runden gewalzt. Hut ab … oder Perücke!

Was den Film bemerkenswert macht, ist die komplette Elimination eines Stars: Der Hauptdarsteller Jacob Elordi dürfte kaum einen Elvis-look-alike –Wettbewerb gewinnen, er darf auch nicht in einer spektakulären Elvis-Show bewundert werden, die Zarathustra-Fanfare erklingt nur einmal leicht misstönend. Elvis nur als Schatten sichtbar, keiner seiner Songs ist zu hören und wenn doch dann von einer Frau gesungen (und die machen das nicht mal schlecht), ansonsten ist Elvis nur der Auslöser von Mimikveränderungen des Anziehpüppchens, die wahlweise über etwa drei bis vier Gesichtsausdrücke zu verfügen versteht. Da hat jemand sehr gründlich die Löschtaste bedient.

Dass Priscilla ihren Abgott dann mit seinem eigenen Karatelehrer betrogen hat, verschweigt der Film wohlweislich, aber wie gesagt, da hat ja auch die reale Miss Presley mitgearbeitet. Und ist ja auch blamabel, wenn eine Frau unbedingt einen Liebhaber braucht, um sich von ihrem Ehekreuz endlich trennen zu können.

 

Fazit:

 

Im Prinzip findet Elvis in diesem Film überhaupt nicht statt, er hätte fast ohne ihn gedreht werden können – die Eliminierung eines Idols bis auf die Grundfesten. Was hat Frau Coppola wohl geritten, diesen ansonsten völlig aus der Zeit gefallenen Film zu produzieren, der mindestens so langweilig ist wie das Leben einer verlassenen Hausfrau auf Graceland unter der Fuchtel von Elvis‘ Vater, der während der Abwesenheit des Sohnes auf sie aufpassen musste, damit sie wenigstens ihren Highschool-Abschluss schafft. Und sogar da musste sie noch von der Banknachbarin abschreiben – gegen das Versprechen einer Einladung zu einer Party in Graceland.

Immerhin ist Sophia Coppola die Tochter eines der (ob ich ihn jetzt mag oder nicht) Grossen der Filmwelt und mit Lost in Translation hat sie einen passablen Start hingelegt – über eine Frau die ihren Platz nicht finden kann und wiederum einen Mann dazu braucht.

Weiter gings mit Marie Antoinette, einer Frau, die durch einen Mann in ihre Position kam und der auch von Sex nicht viel wissen wollte, zumindest nicht mit der eigenen Ehefrau – das hatte er mit Elvis gemeinsam. Anscheinend liegt ihr an der Darstellung von Frauen, die offensichtlich das grosse Los gewonnen zu haben scheinen und später feststellen dass sie eine ganz andere Karte gezogen haben.

In Die Verführten (diesmal ein wirklich spannender Film) ermordet eine Horde sexuell frustrierter oder anderweitig durchgedrehter Damen einen Soldaten, der ihnen vorher zu Willen war.

Somewhere – ein Film über eine Tochter die den Vater aus seiner chronischen Langeweile befreit – wenig originell aber nett.

The Bling Ring – belanglos. Der Rest auch.

 
 

 
 

Das sehr gebremste Entwickeln einer eigenen Handschrift bei einer Regisseurin, die noch eine Weile herumzuprobieren scheint, kein wirklicher Nägelkauer mehr, nichts was einen hineinzuziehen versteht, auch kein Anknüpfen an originelle Geschichten wie Lost in Translation. Offenbar geht ihr verfrüht die Puste aus – drückt der väterliche Erfolg wirklich so schwer?

Und jetzt die Demontage eines Grossen bis nichts mehr davon übrig ist und die Sympathielenkung auf ein kleines Mäuschen das erst erwachsen werden muss … honi soit … aber wir wollen ja nicht soviel analysieren. So überlasse ich die geneigten Leser jetzt ihrem Kopfkino und zeichne für nichts verantwortlich, was sich da gerade abspielt in Sachen Priscilla und Sophia und den sie erdrückenden Männern.

Nennt sich indirekte Psychoanalyse, Jo …

Eine besonders hinterhältige Form!

 

 

Zu Daniel Schreiber, „Allein“, Verlag Hanser Berlin, 160 Seiten

 

„Und wir vergessen“, notiert Daniel Schreiber, „vergessen, auch wenn wir es nicht wollen, wer wir einmal waren. Wir brauchen Menschen, die uns genau davor bewahren.“ (17) Ich blieb an diesem Satz hängen und dachte lange darüber nach, verdichtet er doch Haltung und Überzeugung des Buches. Stimmt die LeserInnen darauf ein, in welcher Weise der Autor sich uns zur Verfügung stellen, seine Erfahrungen als Messinstrument einsetzen wird, zur Analyse gesellschaftlicher Umstände, er verfolgt dabei ein ähnliches Anliegen wie einst Joan Didion. Dieses Buch kann ein so persönliches sein, weil es vor Verallgemeinerungen der verwässernden Sorte und jeglicher Wohlfühl-Rhetorik zurückschreckt, auch bei allen inneren Betrachtungen erstaunlich diskret bleibt. Uns nur mit Fragen behelligt, die den Autor selbst umtreiben. Und das doch kein pessimistisches ist, obwohl es uns auch einlädt, den eigenen „grausamen Optimismus“ (29, Lauren Berlant) aufzuspüren.

Eine ganz eigene Gefühlsmischung begleitete mich bei der Lektüre des Buches, im wesentlichen ein Mischung aus Dankbarkeit und Trauer, ich fand es tröstlich, verschiedene Spielarten von Unbehagen in so klare Worte gefasst zu lesen. Um dann schmerzhaft festzustellen, dass damit allein ja noch nicht viel anzufangen ist: Das erspart Daniel Schreiber uns LeserInnen nicht, wenn wir bereit sind, den Blick auf die Krisen unserer Zeit zu richten, zum Beispiel auf die „neoliberale Umverteilungsmaschine, die für viele der sozialen, ökonomischen und ökologischen Notlagen, verantwortlich war“ (132/133), dass „jene gefürchteten Kippmechanismen eingesetzt hatten, die dazu führen würden, dass die Erderwärmung mit ihren Extremwetterlagen (…) nicht mehr aufzuhalten war.“ (133). Der Blick darauf sollte uns bewusst machen, dass wir hinsichtlich dieses Planeten als Lebensgrundlage alle zusammen gehören, nicht ausweichen können. In politische Verhältnisse, in einen sozialgeschichtlichen und philosophischen Zusammenhang eingebunden sind, egal wie klug und differenziert wir uns dazu äußern.

Wichtigster Auslöser für Daniel Schreibers Betrachtungen in „Allein“ war offenbar die Corona-Pandemie: In der Isolation realisierte der Autor, dass seine Erzählungen und Fantasien über sich und sein Leben als „gutes“ nicht länger Bestand haben, er zitiert dazu das Konzept des „uneindeutigen Verlusts“ (79) der Psychologin Pauline Boss, ein Konzept, das Schreiber in der zweiten Hälfte des Buches immer wieder zur Veranschaulichung einsetzt, um der überzuckerten Beschwörung von Kontrolle und Selbstwirksamkeit in allen Belangen entgegen zu treten. Leben ist Vergänglichkeit und Ausgeliefertsein, an Umstände, die wir womöglich nicht beeinflussen können – als Gegenentwurf schildert Schreiber ganz zum Schluss des Buches die Pracht des Gartens von Derek Jarman, einem schwulen Maler und Filmemacher, einer kargen Landschaft und der eigenen Krankheit abgerungen.

Schonungslos könnte man zu Daniel Schreibers Buch sagen, aber vor allem ist es voller Mitgefühl, das – wie der Autor überzeugend argumentiert – bei der eigenen Person beginnt: Er traut uns LeserInnen selbst große Empathie zu, wendet sich an den Teil unserer seelischen und körperlichen Ausstattung, der uns alle verbindet: Sollten wir nicht mehr darauf schauen, anstatt auf die Unterschiede? Sind diese nicht viel unbedeutender angesichts der drängenden Aufgaben unserer Zeit? – So macht uns der Autor Toleranz vor und fordert sie nicht nur. Er zeigt aber auch, welche Spuren an Körper und Seele Stigmatisierung und Marginalisierung hinterlassen und wie ideologisch das Gerede vom „guten Leben“ tatsächlich ist: „Bezeichnenderweise schlägt keiner der wiederkehrenden Propheten des sozialen Niedergangs vor, den Kampf gegen Einsamkeit mit dem Kampf gegen Rassismus, Misogynie, Antisemitismus, Homo-, Trans- und Islamophobie zu beginnen, gegen die gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen, die in Armut leben, gegen all die strukturellen Phänomene der Ausgrenzung (…) Die Antwort (…) liegt fast immer in der Beschwörung der Magie der Kernfamilie.“ (62)

Im Prinzip führt uns das Buch ein umfassendes und vielstimmiges Miteinander vor: Schreiber lässt eine Vielzahl von GesellschaftswissenschaftlerInnen und EssayistInnen zu Wort kommen – die Literatur-Liste im Anhang ist lang und vor allem im amerikanischen Sprachraum verwurzelt. Daniel Schreiber macht seine Gedanken als Ergebnisse von zum Teil jahre- und jahrzehntelangen Gesprächen und Lektüren sichtbar und legt somit auch nahe, dass sich die existentiellsten Erfahrungen der Unverbundenheit wohl außersprachlich abspielen und auch in diese erste Zeit des Menschen zurückführen (so muss es nicht verwundern, dass während der Pandemie bei so vielen Menschen solcherart schwer zu ertragende Grunderfahrungen aufgebrochen sind).

Wir brauchen einander, auf die vielfältigste Weise, und sollten das nicht vergessen, ruft Daniel Schreiber uns zu: Die von vielen heißersehnte und -beschworene Unabhängigkeit ist in Wirklichkeit an Privilegien geknüpft, der Herkunft, der Hautfarbe, der Veranlagungen – Und wie erstrebenswert ist es denn wirklich, fragt der Autor, immerzu tun und lassen zu können, was man möchte? Um welchen Preis? In unser aller Köpfen steckt die Erzählung, dass zum gelingenden Leben eine Liebesbeziehung gehört, und es lauert die Scham – sollte man keine haben – mit einem Makel behaftet zu sein, zuallererst in uns selbst. Aber wie kann man als Alleinlebender lebendig bleiben, der „Trockenheit des Herzens“ (96, Roland Barthes) entgehen?

Daniel Schreiber behandelt seine LeserInnen wie gute FreundInnen, er bietet seine Gedanken und Erfahrungen als Projektionsfläche an, als zählte allein, jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen. Ein Apfelbäumchen zu pflanzen zum Beispiel, denn der Autor ist offenbar ein großartiger Gärtner.

 


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz