Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2018 13 Nov.

Randnotizen zum offenen Raum

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Das Jahr 2018 hat einige beeindruckende Dokumentarfilme mit musikalischen Biografien und Momentaufnahmen abgeliefert, etwa den Auftritt der jungen Joni Mitchell auf dem legendären Isle of Wight-Festival 1970, die Chronik der Go-Betweens („Right Here“, auf DVD ab 16. November), oder die einfühlsam aufbereitete Geschichte des Jazzgitarristen John Abercrombie. Warum der Film „Open Land“ heisst, macht auch das obige  Bild sinnfällig. John Abercrombies Vita ist eng mit seiner Jahrzehnte währenden ECM-Historie verbandelt, und so innig die Aufnahmen aus einem Jazzclub sind, in dem er eine verwandelte Form von „Ralph‘s Piano Waltz“ zum besten gibt – leichthin treibt seine Musik in weite Räume hinein, und das gilt nicht nur für sein berühmtes, psychedelisch schwingendes, Album „Timeless“, dessen Titelstück zum Ende des Films, in voller Länge, und subtilem Sensurround-Sound, ertönt. Als er gerade bei ECM das Klassealbum „Class Trip“ abgeliefert hatte (ich sage ohne Übertreibung, dass mich sein Zusammenspiel mit dem Violinisten Mark Feldman genauso faszinierte, wie einst, im Mahavishnu Orchestra, die entfesselten Dialoge von E-Gitarre und Geige, natürlich auf intimere Art, und ohne dass der alte Onkel Zeitgeist die grosse Welle machte), begleitete ich die Vier (also auch Marc Johnson und Joey Baron) zu dem „Türken“ in der Münsterstrasse. John war kein bisschen anders als im Film, vollkommen allürenfrei, und ich habe so gut wie keine Erinnerungen an die eine oder andere Story, die Jazzmusiker ja immerzu parat haben (ich konnte, das weiss ich noch, Mr. Abercrombie von Kuzu Saç Kavurma überzeugen, einer köstlich zubereiteten Lammfleischpfanne). Den Job mit den „Stories“ erledigte dann die Musik, und da spürte ich ihn wieder, den unaufhörlichen Auftrieb in den offenen Raum.

 

 

„The fires are everywhere in the state. I live in the forest and these fires are creating terrible problems with the air. Air quality is so bad, it’s just totally toxic, unbreathable really. And bad in LA now. I live high on a hill at the edge of a forested canyon. Trees completely surround my house. I feel so anxious living there, I have to move soon. I have a lot of dread every day. Fire season keeps getting longer and longer. We’ve had only 1/2 inch of rain since last May. There are almost no roads heading out from my place, and they are so narrow they’re almost single lane. I shudder to think of what it would be like getting out of there. It’s a scary time here. Gotta leave CA.“

(e-mail from Brian W.)

 

 
 

 
 

2018 11 Nov.

Rauchzeichen

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 4 Comments

Immer wieder die Frage: Kann ich schreiben? Darf ich schreiben? Habe ich Wesentliches mitzuteilen? Auch hinsichtlich einer inneren Verpflichtung, nicht schönzumalen, vielmehr das Kritische und Dunkle hervorzuheben. So will es die Melancholie. Findet sich der tragende Faden, beginnt es Spass zu machen und spinnt sich wie von selbst fort. Es öffnet sich der Raum der Erinnerung, ein Flow entsteht und der Text entfaltet Eigendynamik. Vor einigen Tagen zeigte Arte eine Reihe von Filmen und Porträts mit Künstlern. Ein ganz reizender Spielfilm über Vincent van Gogh und dann ein intimes, sehr gelungenes Porträt mit dem in Leipzig lebenden und schaffenden Maler Neo Rauch. Mich wies ein Freund desöfteren hin auf jenen Leipziger Maler und er erzählte, dass auch seine Frau mit Namen Rosa Loy eine Malerin sei. Doch mir gefielen diese Bilder auf den ersten, flüchtigen Eindruck nicht – irgendwie kalt und wie der Philosoph sagt: „kontingent“. Also beliebig und auch eklektizistisch, manieriert. Wie man sich wieder einmal täuschte! Das gezeigte Filmporträt war wunderbar, zog mittenmang hinein in die Faszination von Malerei und ihre schöpferischen Prozesse und Entfaltungen. Die Leipziger Schule kenne ich noch aus Studienzeiten, Maler wie Bernard Heisig und Werner Tübke flössten Respekt ein mit ihrer virtuos altmeisterlichen Strenge. Es zeigte sich beim Schauen des Rauch-Porträts, also wenn der Maler am Schaffen war, warum mir die Malerei generell immer ein wenig fremd bleib, nie wirklich mein Ding war: Auf die Frage, ob er denn auch mal Pause machen wolle. „Ach, das wäre schön, aber die anderen malen ja weiter. In all den Künstlerateliers brennt Licht und meines bleibt dunkel? Das geht doch auch nicht!“ sagt Rauch mit sanfter Stimme. Überhaupt, diese Sanftheit fällt auf und eine gewisse Melancholie, das fehlen jeglicher Aggressivität. Liegt es daran, dass er seine Eltern früh verlor, bei liebevollen und fürsorglichen Großeltern im Südharz aufwuchs? Liegt es daran, dass jemandem das Gezerre und Gezetere im ödipalen Dreieck erspart blieb? Auch Peter Sloterdijk („Saufgelage mit Neo Rauch“) ist ja ein Vaterloser und dass da von Freundschaft die Rede ist, wundert kaum, kreuzen sich doch bei beiden geschichtlicher Bezug, hervorragendes stilistisches Handwerk mit zeitgenössischer Diagnostik und dem Witz der spielerischen und manchmal eben manieristischen Eigenschöpfungen. Mir wurde jedenfalls klar, warum ich einst vor Malerei die Flucht ergriff und dennoch in höchster Wertschätzung damit verbunden blieb. Es ist auch eine Gefangennahme im Sehsinn, sowie es ja auch eine Gefangennahme im Hörsinn geben kann. Hier bot die Philosophie den ausgleichenden Kontrapunkt. Doch manchmal hat man Lust auf Kunst, als ob einen der Hafer sticht. Dann schaut man, was Daniel und Gerhard Richter machen. Ersterer beispielsweise schätzt die Reflektion als etwas, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Hier stimme ich ihm zu und auch die neuen Bilder gefallen mir, allein schon weil nur er sie malt.

 
 

 
 

“One can define time as ‘the duration of that which changes’. We think of time as something like 1-2-3-4, or a clock that goes ‘ticktock, ticktock.’ But people who lived before clocks, they would look at the sun or the moon, see when the rooster started crowing. That meant ‘time’ for them. So it would change.”

(Andrew Cyrille)

 

 

 

Willkommen zu Neuem von der improvisierten Musik, mit Michael Engelbrecht. Von zwei Festivals in Tampere und Berlin wird zu berichten sein, sowie von fünf aktuellen CD-Produktionen aus den Häusern ECM und INTAKT, welche bereits eine aufregende Ewigkeit lang für eine widerständige, verzweigte Ästhetik stehen. Schlägt man das Booklet der neuen Arbeit WHERE THE RIVER GOES des österreichischen Gitarristen Wolfgang Muthspiel auf, meint man, allein dem Mienenspiel der Beiteiligten das Gelingen der Unternehmung anzusehen – die Bilder ringsums Studio La Buissonne im Süden Frankreichs vertiefen den Eindruck wohltuender Abgeschiedenheit. Im Februar 2018 kamen dort zusammen, neben Wolfgang Muthspiel, der etliche Neukompositionen beisteuerte, der Pianist Brad Mehldau, der Trompeter Ambrose Akinmusire, der Bassist Larry Grenadier und der Schlagzeuger Eric Harland. Bei aller Vielstimmigkeit bleibt das Geschehen transparent, gekonnt wird Ereignisdichte ausbalanciert von Phasen des Innehaltens – ein Stück für Sologitarre macht klar, wie spannend ein reines Soloalbum von Muthspiel sein dürfte – und Ambrose Akinmusiere besorgt manch unangepasst querschlagenden Ton. Zur  Grundidee und einer Komposition des Werkes erzählte mir der Mann mit dem trefflichen Namen folgendes:

 

 

 

It was years ago when I ordered an anthology with American poetry in the library just to browse. There were only two poems by W.S. Merwin, whom I never heard of, and immediately I was intrigued. I could feel a real und deep experience behind the sentences, but there was a strong element of surrealism and magic, too, and it was this mixture I loved. I bought the books where the chosen poems had taken from: “The Lice” (1967) and “The Carrier of Ladders” (1970), and some of the poems have been my favourites since then and I appreciated them more than German poems of that time.

No poet in Germany seemed to know Merwin, who was born in 1927, but in the US he is famous, a two-time Pulitzer winner. This year two books with translations and originals of Merwin´s poems were published in German publishing houses: “Nach den Libellen” (Carl Hanser Verlag) and “The shadow of Sirius / Der Schatten des Sirius” (Leipziger Literaturverlag). In one of the forewords I got the hint for a feature documentary about the life and work of W.S. Merwin, titled “Even though the whole world is burning”. Someone said in this film, people who read Merwin have been affected by his word – I mean affected for life. And I could confirm this, even though it were only a few of his poems, sometimes only a few lines, that hit me strongly and unforgettable.

When Merwin was 21 years old, in 1948, he visited Ezra Pound, who was declared for mentally ill, in Elisabeth hospital in Washington to ask for some advice to become good as a poet. (Just imagine that action itself!) Ezra Pound recommended Merwin to travel and to translate. Merwin lived several years in France and returned to the US. His generation´s ailment is the Vietnam War. In the Seventies Merwin studied Zen Buddhism and emigrated to Hawaii and as I watched the beautiful landscape and the coast line in some way it felt so familiar and immediately I thought of LOST, the series some of the Manafonistas including me are enthusiastic about and which is mostly set in Hawaii. Merwin is not only a very productive poet and of course he changed his poetological approach over time, but he´s also an environmental activist. He did change the climate on Hawaii. He made it 5 degrees colder due to the trees he planted.

Aaron Parks – Little Big

Moksha – Ivo Neame

Bay of Rainbows – Jacob Bro

Enamon – Wayne Shorter

Adam Holzman-Truth Decay

       

David Crosby-Here If You Listen

John Surman – Invisible Threads

Where the River Goes – Wolfgang Muthspiel

The Height of the Reeds – Arve Henricksen

Esperanza Spalding – 12 Little Spells

ECV- Sticks and Stones

Romaria- Andy Sheppard 

An Ancient Observer/for Gyumbri-(2 albums) Tigran Hamyasan 

Helsinki Songs – Trygve Seim 

Contra La Indecision – Bobo Stenson 

Perfectly Unhappy – Espen Ericksen 

The Dream Thief – Shai Maestro

Ravensburg- Mathias Eick

Absence – Kristjan Randalu 

Frisell – Music Is

Gogo Penguin- A Humdrum Star

Ambrose Akinimusire – Origami Harvest

Keith Jarrett – La Fenice

Kim Kashkashian – Bach: 6 suites for Viola Solo

 

 

Surround Mixes/reissues:

Beatles – The White Album (5.1 Blu-ray)

Both Directions at Once – John Coltrane – the Lost Album

Weather Report – Talespinnin’ (2018 Dutton Vocalion SACD -quad- finally!)

 

 

 
 
 

Die Themen, welche von Coffee Table Books abgedeckt werden, sind vielfältig. Es kann sich um Kunstbände handeln, häufige Inhalte sind zudem Landschaftsfotografien, Mode, Design oder Innenarchitektur, was immer. Ich mochte die heissen Models, die Helmut Newton ablichtete in verwaisten Grossstadtstrassen, der Tiefgründigkeit ihrer zur Schau gestellten Coolness habe ich aber stets misstraut. Die klassische Platzierung eines solchen Bildbandes ist auf einem Beistelltisch, den man gerne coffee table nennt, neben oder vor einer Sitzgelegenheit. Es soll zudem als dekoratives Wohnaccessoire dienen, welches durch seine oft edle Aufmachung als Blickfang wirkt. Keine Frage, die Super Deluxe Edition des „White Album“ ist das perfekte Coffee Table Book, Idioten können es stylish platzieren, unangetastet lassen, und sich bei seinem Anblick den Bauchnabel pinseln. Gestern habe ich das Hochglanzbuch geöffnet, mit all den geschickt designten Schlitztaschen für die CDs, und die eine BluRay (ich ahne, was der Surround-Mix bereithält). Oh well, ist wohl das erste Coffee Table Book, das ich von der ersten bis zur letzten Seite aufsaugen werden, es wird Kaffeeflecken geben, vielleicht sogar zwei, drei Eselsohren. Gestern abend zog ich den Vorhang beiseite, sah einen Stern hinter Dunstwolken, der auch ein Flugzeug hätte sein können, ich legte „CD 1“ in meinem „Oppo“, stellte den „Amethyst“ auf „Bakoon“, setzte „Audeze-3-Kopfhörer“ auf (wirkt wie der Beginn einer Raumfahrtexpedition, haha), nahm ein grosses Glas meines Lieblingsrotweins zur Hand („Enchanted Path“, kein Witz, von der Farm von Molly Dooker), und lauschte dem neuen Stereo-Remix der ersten Hälfte des Doppelalbums. Da ich diese Songs am Stück, dank David Websters altem Kassettenrekorder im Studentenwohnheim in der Friedenstrasse, und unserer schönen Vernarrtheit in dieses Werk (ich könnte sogar eine langen Text schreiben, wieso gern geschmähte Songs wie „Honey Pie“ oder „Obladi-Oblada“ mehr Wunder als Plunder enthalten), dank nie nachlassender Lauschlust wohl an die 185 mal gehört habe, bei vollem Bewusstsein, in Halbschlafzonen, an Meeresküsten auf Kopfhörern, in Hampstead in einem Hotel in verregeneter Nacht (Dezember 82), kann ich nun leicht und lässig behaupten: so fabelhaft, so klar und konturiert, und in jedem Moment dem Geist der Beatles verpflichtet, habe ich es noch nie gehört. Was ein solches Kunstwerk letztlich ausmacht, ob man es in gloriosem alten Mono hört, in schlichten oder Breitwand-Formaten, auf dem betagten Ghettoblaster, oder in den ehrwürdigen Abbey Road-Studios,  ist nicht die perfekte Nostalgie, die es produzieren mag, sondern das unaufhörliche Öffnen von Räumen im Hier-und-Jetzt unseres in die Jahre gekommenen Lebens. Es gibt einen grossen Spielraum jenseits dessen, was wir, durch Routine geschult, unser Ich nennen. Manch unerwartete Reise kann sogar mit einem Coffee Table Book beginnen.

2018 9 Nov.

„It was an early obsession …“

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