Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Max, Mischa & Die TET-Offensive (Teil 2)

 

Im ersten Teil meiner Überlegungen zu dem Roman wurde der Onkel von Max, Owen, nur kurz erwähnt. Mit ihm erzählt Johan Harstad eigentlich eine zweite Auswanderungs-geschichte. Geschildert wird sein Leben zeitversetzt, immer wieder verschränkt mit der Erzählung von Max, Mischa und Mordecai.

Übrigens, alle vier Personen sind Künstler, Max arbeitet als Theater-Regisseur, Mordecai als Schauspieler, Mischa als Malerin und Owen als Musiker.

Es ist ja schon erstaunlich, wie viel in diesem Roman von Musik die Rede ist. Während für Max, Mischa und Mordecai Musik eher als Soundtrack zum Leben dazu gehört, geht es bei dem Onkel von Max – Owen – um einen Lebenstraum, er ist einst wegen der Jazz-Szene nach New York ausgewandert, freiwillig, von sich aus, anders als Max, dessen Eltern beschlossen hatten, in die USA auszuwandern, und er sich eben fügen musste.-

Die ersten norwegischen Immigranten aus Stavanger kamen im Jahre 1825 nach drei Monaten auf hoher See in New York City an, es waren zweiundfünfzig Menschen, die hier ihr Glück suchten. Rund einhundertvierzig Jahre später versucht Max‘ Onkel, der eigentlich Ove heißt, eine neue Heimat in den USA zu finden. Owen sagt es einmal ganz klar: „Ich bin wegen des Jazz nach Amerika gekommen. Das war das Wichtigste für mich: die Musik.“ Natürlich klappt das nicht, nichts als Träume, er schlägt sich zunächst als Lehrer durch, würde auch andere Arbeiten annehmen. Viele Abende verbringt er in der Jazz-Szene. Aber mit seinem befristeten Visum kann er keine Arbeit, keine feste Anstellung finden, die Lage ist hoffnungslos. Bis Ove eines Tages erfährt, dass Immigranten mit einem befristeten Visum nach sechs Monaten Dienst in Vietnam die amerikanische Staatsbürgerschaft bekämen. Ihm ist natürlich klar, dass ein Dienst in der amerikanischen Armee in Vietnam den Bruch mit seiner Familie bedeuten würde, aber er verpflichtet sich zu diesem Dienst und wird nach sechs Monaten Vietnam tatsächlich amerikanischer Staatsbürger und darf sich einen neuen Namen aussuchen, aus Ove Hansen wird Owen Larsen. Natürlich entsteht dadurch kein neuer Mensch, im Gegenteil, der Vietnam-Rückkehrer hat Dinge gesehen, die er hätte besser nicht sehen sollen und ist an Orten gewesen, die er hätte lieber nicht kennenlernen sollen. Nach der Rückkehr aus Vietnam verliert er nach seiner Heimat Norwegen nun auch noch das Sehnsuchtsland Amerika: „(Owen) weiß nicht mehr, wo er hingehört. Er ist kein Amerikaner, er ist eine Fälschung, ein Betrüger. Er sehnt sich danach, an einen Ort zu gehören.“

Die siebziger Jahre vergehen ganz anders als sich Owen als Amerikaner und Vietnam-Veteran das vorgestellt hat: er arbeitet als Asphaltierer im Straßenbau in Kalifornien. Zurück in New York findet er ab 1978 eine Beschäftigung in einer Klavierfabrik, später wird er Pianist im Showroom eines Klavierhändlers und dann vermittelt ihm im Herbst 1985 ein Förderer einen Job bei der Firma KPM Music-Recorded Library (diese Firma gibt es wirklich, sie stellt `Gebrauchsmusik´ her: KPM is a huge, diverse, and growing library of recordings, specifically produced for use in films, television, radio and new media. Currently KPM consists of over 30,000 recorded tracks and 800 CDs. Music styles vary from symphonic to cutting-edge, through dramatic, ethnic, historic, and more.) Johan Harstad bringt es übrigens fertig, fast eine komplette Buchseite mit Musiktiteln aus dem Katalog von KPM zu füllen. Die Arbeit bei dieser Firma ist sicher nicht das, was Owen sich vorgestellt hat, aber immerhin, er kann Musik aufnehmen und er macht bei KPM auch durchaus Karriere. Inzwischen wohnt Owen längst im berühmten Apthorp-Gebäude, wo er dann auch auf Max und Mischa treffen sollte.

Hier nun noch einige bemerkenswerte Sätze aus dem Roman:

 

  • Der Zweifel ist immer wichtiger gewesen, er war der eigentliche Ausgangspunkt und das wichtigste Instrument. Wir haben uns gemeinsam vorangezweifelt.
  • Das Gedächtnis ist ein Archiv mit unzuverlässigen Mitarbeitern.
  • Wenn die Leute auch nur die Hälfte der Energie, die sie dafür vergeuden, passende Strümpfe zu finden, auf ihre Mitmenschen verwenden würden, wäre die Welt ein viel angenehmerer Ort.
  • Nach Anschlag auf das WTC: „Es war, als wäre ich noch einmal heimatlos geworden.“
  • Wie Beckett sagte: Ich kann nicht weitermachen, ich werde weitermachen. Man stürzt sich mit der Hoffnung in die Arbeit, einen Teil von sich selbst zu erkunden und zu bewahren, von dem Wunsch erfüllt, mehr über sich zu erfahren. Aber es ist immer dasselbe: Wenn man auf der anderen Seite wieder herauskommt, begreift man weniger als zuvor…
  • Deshalb schreibe ich dies. Weil wir einander abhandenkommen und uns in Menschen verwandeln, die wir noch nie waren, ohne die Fäden, die uns einmal zusammenhielten. Ich glaube, Owen schrieb aus demselben Grund. Nicht aus Sentimentalität, sondern um zu überleben, und dies ist die Hand, die ich über euch halte, beschützend, ein Versuch, uns ein für alle Mal, ein allerletztes Mal, in die Arme zu schließen.
  • Du solltest alt genug sein, um zu wissen, dass die romantische Vorstellung, für immer mit deinem besten Freunde verbunden zu sein, bis weit in die unüberschaubare Zukunft hinein,…, genau das war, eine romantische, schwärmerische Vorstellung, über die du eigentlich lächeln müsstest.
  • Es ist ein merkwürdiges Erlebnis, Zeuge dessen zu sein, wie alles weitergeht, während man selbst auf das Ende zusteuert.
  • Mitunter wird er vollständig von dem Gedanken gelähmt, nicht mehr da zu sein und wie unmöglich es ist, sich vorzustellen, dass man nicht weiter existiert, nie wieder; alles, was er je getan und gesagt hat, all die Erfahrung, jeder Witz, über den er herzlich gelacht hat, all die Musik, alles, was er gesehen und gelernt hat, alle, mit denen er gesprochen hat, die Einkäufe, die er getätigt hat, all seine Sachen, all die Freude und all das Leid, absolut alles wird seine Bedeutung verlieren, alles wird zurückbleiben.
  • Zuhause – das schönste Wort meiner Muttersprache.

 

Bezüglich des Soundtracks zum Buch seien nun noch weitere im Buch erwähnte Musiker, Komponisten, Schallplatten und Musik-Titel genannt:

 

Blind Melon: No Rain

Björk: Debut; Violently Happy, The Anchor Song

 

 

 

 

Lemonheads: Come on Feel

Pearl Jam: Vs.

Steve Martin: Let´s Get Small; A Wild And Crazy Guy; Comedy Is Not Pretty

Peter, Paul & Mary: Leaving On A Jetplane

Pink Floyd: Meddle

Leonard Cohen: Ten New Songs; Dear Heather

T.Rex: I Love To Boogie; Come To Me

Bill Evans: Autumn Leaves

Jan Johansson: Visa från Utanmyra; Emigrantvisa

Wilhelm Peterson-Berger: Damernas album; Vest i fjellom og; När jag för mig själv i mörka

skogen går

Fartein Valen (Musiker und Komponist aus Stavanger)

Agathe Backer Grøndahl

Louis Armstrong: St. James Infirmary

Frank Sinatra: The House I live in

Charlie Parker: Mood

Hüsker Dü: New Day Rising; The Girl who lives on heaven hill; Zen Arcad

John Cage 4:33

J.S.Bach: Wohltemperiertes Klavier; Goldberg-Variationen

Joan Baez: Sweet Sir Galahad

Neil Young: Live Rust

und: Bob Mould; Lovin´ Spoonful; Fairport Convention; Byrds; The Band; Love; Mose Allison; Ornette Coleman; Lester Young; Eric Dolphy; Grateful Dead; Jimmy Hendrix; Arne Nordheim; Nat King Cole; Joni Mitchell; Byrds; Buffalo Springfield; Frank Zappa; Jim Morrison; Townes Van Zandt; Sly and the Family Stone; Lee Morgan; Freddie Hubbard; Dexter Gordon; McCoy Tyner; Oscar Peterson; Erroll Garner; Richie Havens; Charles Mingus; Kim Gordon

und Glenn Gould; Frédéric Chopin; Friedrich Liszt; Josef Haydn; Edvard Grieg

Max, Mischa & Die TET-Offensive (Teil 1)

 

Von Stavanger habe ich bisher wenig gehört; die Hafenstadt war zusammen mit Liverpool europäische Kulturhauptstadt 2008; wunderschön gelegen zwischen Fjorden und Bergen ist die Stadt mit ihren 134000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Norwegens. Hier wächst Max Hansen in den 80er Jahren auf, der Vater SAS-Pilot, die Mutter betreibt einen eigenen Handarbeitsladen. Die Eltern waren in jungen Jahren engagiert im Kampf gegen den Vietnam-Krieg, nicht nur das, sie zählten sich auch zehn Jahre lang zu den Mitgliedern der norwegischen Kommunistischen Arbeiterpartei. Sie träumten von einer ganz anderen Welt. Sohn Max wird mit fünfunddreißig Jahren einmal sagen: „Ich denke oft, dass sie die letzte Generation waren, die glaubte, sie könnte etwas verändern: ich gehöre der ersten Generation an, die verstand, dass wir es nicht konnten.“

Im Alter von acht Jahren findet Max eines Tages eine Kiste mit Erinnerungsstücken aus dieser Zeit: FNL-Abzeichen, eine rote Flagge, die Mao-Bibel uvm. Er befragt seine Eltern zu den Funden, die allerdings haben ihre einstigen Parolen und Ideale längst vergessen. Immerhin erfährt Max zum ersten Mal etwas über den Vietnamkrieg. Ein paar Jahre später wird er zusammen mit Freunden den Film Apocalypse Now sehen, ein sein ganzes Leben prägendes Ereignis. Im Sommer 1988 spielen Max und seine Freunde Krieg – Vietnamkrieg. Zwei Jahre später emigriert die Familie in die USA, die Arbeitsbedingungen seien für den Vater hier in den USA ungleich besser als in Norwegen. Für Max bedeutet die Auswanderung eine Katastrophe, den Verlust der Heimat. Der Umzug nach New York stellt sich für den Jungen als eine totale Entwurzelung dar, er fühlt sich allein, einsam, entortet und schreibt: „Zuhause. Das schönste Wort in meiner Muttersprache. Ich will nachhause und weiß nicht mehr, wo das ist. Das ist die Essenz des Ganzen, eine tiefsitzende Angst davor, kein zuhause mehr zu haben. Ich kenne niemand. Ich habe niemand. Niemand!“ Für Max wird dieser Verlust zum Lebensthema, in der Mitte seines Lebens wird er sagen: „Ich war dabei, mich zu verändern, von jemanden, der sich wünschte nach Hause zurückzukehren, in jemanden, der wünschte, er würde sich wünschen, nach Hause zurückzukehren.“

So beginnt die Lebensgeschichte von Max Hansen, erzählt von dem norwegischen Autor Johan Harstad in dem Roman mit dem Titel Max, Mischa & Die TET-Offensive (VÖ April 2019). Harstad, Jahrgang 1979, kam wie sein Held im Buch in Stavanger zur Welt. Dieser Roman hat, ich sage es besser gleich, 1242 Seiten, aber es lohnt sich sehr, dieses großartige Werk zu lesen.

 

 

Der Roman gliedert sich in vier Teile, der erste beginnt und der vierte endet im Jahr 2012, beide erzählt aus der Sicht von Max, der es inzwischen zu einem erfolgreichen Theaterregisseur gebracht hat und gerade mit einer Theatergruppe durch die USA tourt; aufgeführt wird das Stück Better worlds Through Weyland-Yutani. Die beiden zentralen Buchteile zwei (S.131-660) und drei (S.663-1151) erzählen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven das Leben von Max – von den ersten, zunächst sehr schwierigen Jahren im neuen Land, in der Schule, von der Begegnung mit dem jüdischen Mitschüler Mordecai, der sein bester Freund werden sollte und dem Kennenlernen der sieben Jahre älteren Künstlerin Mischa, die über sechzehn Jahre seine Lebensgefährtin werden sollte – und schließlich von seinem Onkel Owen, dem Bruder seines Vaters, der schon in jungen Jahren Norwegen verlassen hat und, weil er keinen anderen Weg gesehen hatte, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhalten, am Vietnam-Krieg teilnahm, weshalb es zum Bruch mit seiner Familie gekommen war.

Und das sind die wesentlichen Themen, die in diesem Roman verhandelt werden: Auswanderung, das Böse, Gier, Krieg, Heimat, Zeit-Sterben-Tod, Erinnerung, Freundschaft, Homosexualität, Scheidung, Zufall, Musik (das ist ein ganz wichtiges Thema, Musik als Lebensbegleiter, als Soundtrack zum Leben) Kapitalismus, Entmietung (das Apthorp, ein riesiges Gebäude, in dem preiswertes Wohnen wegen der Mitpreisbremse möglich war, wird verkauft, es war über viele Jahre Heimat für Owen, Max und Mischa), Zukunft und vor allem die Frage: Hat Samuel Beckett recht, wenn er sagt: NICHTS ZU MACHEN? Das Thema „Kann der Mensch etwas machen“ zieht sich durch das ganze Buch, und Max scheint in seinem Leben immer wieder erfahren zu haben, dass man nichts machen könne: gegen Auswanderung, gegen Heimatverlust, gegen Krieg und Tod, gegen den Verlust geliebter Menschen usw. Endet das Buch in Resignation oder doch mit der Möglichkeit des Aufstehens, des Aufbruchs?

 

Bezüglich des Soundtracks zum Buch seien für heute zunächst folgende im Buch erwähnte Titel genannt:

 

The Doors: „I Can´t See Your Face in My Mind“ / „Summer’s Almost Gone“ / „When the Music’s Over“ / „The End“

Miles Davis: „Bitches Brew“

Ry Cooder: „Paris, Texas“

Crosby, Still, Nash & Young: „Ohio“

Neil Diamond: „Coming to America“

Thelonious Monk Quartet with John Coltrane at Carnegie Hall

Bruce Springsteen: „Born to Run“

Harald Sœverud: „Kjempeviseslåtten (Ballad of Revolt)“

Percey Sledge: „When a Man Loves a Woman“

Duke Ellington: „Take The A-Train“

Simon and Garfunkel: „The Only Living Boy in New York“

Maurice Ravel: „Gaspard de la Nuit“

Sonic Youth: „Hyperstation“

Jane’s Addiction: „No One´s Leaving“

Miles Davis, Hank Jones, Sam Jones & Art Blakey Cannonball Adderley: „Somethin‘ Else“

 

2019 28 Juni

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von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 4 Comments

In diesem Jahr wimmelt es vor 50-Jahre-Jubiläen. Ich kann eines hinzufügen, das weltweit so viel Beachtung findet, wie die 50. Geburtstage aller Helmbrechtser. Es interessiert nur jene, die dabei gewesen sind. Vor 50 Jahren – während meines Studiums – leitete ich die Kurrende der ESG München. Vor 50 Jahren waren wir auf Tournee im Frankenwald, mit Auftritten in Presseck, Kronach und Helmbrechts. Letzte Woche trafen sich viele Überlebende dieses seit langem nicht mehr existierenden Chores in Presseck. Es wurde gesungen, wir wanderten den schönsten Weg des Frankenwaldes und besuchten Probstzella, eine Ortschaft, von der ich immerhin weiß, dass man durchfahren kann. Vom Haus des Volkes hatte ich bis vor wenigen Tagen nie gehört.

 
 
 

 
 
 

Das Haus des Volkes in Probstzella (Thüringen) wurde 1925 bis 1927 im Auftrag des Industriellen Franz Itting von Alfred Arndt und Ernst Gebhardt als Hotel und kulturelles Zentrum erbaut. Die Inneneinrichtung wurde vollständig von Künstlern des Bauhauses Dessau gestaltet, es handelt sich um das größte in Thüringen realisierte Bauhaus-Ensemble.

 
 
 


 
 

 
 

 

Whatever you now find weird, ugly, uncomfortable and nasty about a new medium will surely become its signature. CD distortion, the jitteriness of digital video, the crap sound of 8-bit – all of these will be cherished and emulated as soon as they can be avoided. It’s the sound of failure: so much modern art is the sound of things going out of control, of a medium pushing to its limits and breaking apart. The distorted guitar sound is the sound of something too loud for the medium supposed to carry it. The blues singer with the cracked voice is the sound of an emotional cry too powerful for the throat that releases it. The excitement of grainy film, of bleached-out black and white, is the excitement of witnessing events too momentous for the medium assigned to record them.”

(Brian Eno)

 

Selbst manch grosser Erfolg, wie die Erfüllung des durchkalkulierten Menschheitstraums der Mondlandung, trägt in sich die Spuren der Auflösung und des Verlusts einer Utopie. Und in diesem Sinne sind sämtliche Empfehlungen für den Juli sogenannte „Grenzsprenger“. Man könnte auch sagen: mitunter gnadenlose Kost. Die natürlich die Spuren und Grooves hinreissender Schönheit in sich tragen kann, die überwältigen, verzaubern, schockieren, verstören kann, ohne dass man weiss, wie und wann welche emotionalen Erschütterungen die Oberhand gewinnen. Keine Frage, wenn Stories und Klänge und Bilder zum Zerreissen gespannt sind, wenn Visionen kippen und korrumpiert werden, ist das Scheitern allgegenwärtig. Es gibt nie einfache Lösungen, aber die wunderbare, das Lächeln zelebrierende, Paradoxie des Widerstandes. Unbeirrbar sein im Angesicht grassierender Idiotie! „We are stardust / we are golden“.

2019 26 Juni

„ … ground control to major neil … “

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2019 26 Juni

Get on out of the Rain

von | Kategorie: Blog | | 3 Comments

So klinge ich – so werde ich sein, wenn ich sein werde. Ich bin das Aufschäumen, der Klangblock, die befreite Figur, ich bin die schöne, die kühne Stelle, ich bin der Sprung in den höchsten Ton; die Welt klingt nach mir, wenn ich mich zeige, wie ich mir versprochen bin. (aus: „Blasen“, von Peter Sloterdijk)

 
50 Jahre ECM, vor 50 Jahren Apollo 11. In 50 Jahren ECM auf dem Mond?
 
Bleiben wir auf mother earth, bleiben wir bei den Musikern, die mit dem Gimmick bekannt wurden, ihre Gitarren auf dem Boden zu zerschlagen. Für Gregor – yes, The Who. Vor ziemlich genau 50 Jahren machten The Who die Oper salonfähig. Die Zuhörer saßen nicht in roten Plüschsesseln, sondern im Dreck von Woodstock und lauschten der Rockoper Tommy – ein Meisterwerk.

Der kleine, stämmige Roger Daltrey sang gegen Tod und Teufel an. Und doch verlor er viel zu bald zwei seiner Bandmitglieder, Keith Moon am Schlagzeug, John Entwistle am Bass. Allein den hoch überragenden Pete Townsend konnte er am Leben halten. Tommy war ein großer  Wurf. Ich wage den Vergleich mit Goethes Die Leiden des jungen Werther. Dieser Briefroman traf in die Herzen einer ganzen Generation. Ebenso magisch wirkte Tommy. Millionen pilgerten zu den Konzerten. Millionen demonstrierten gegen den Vietnamkrieg.

Das war vor 50 Jahren. Daltrey erfüllte sich jetzt ganz in der Nähe von Woodstock seinen Traum. Er trat mit seiner Band und einem ordentlichen Symphonieorchester auf und nannte das ganze: „Tommy-Orchestra“. So heisst auch das neu veröffentlichte Album.

Noch in diesem Jahr soll es ein neu eingespieltes Album mit Pete Townsend geben.
 
Zudem hat er einen zeitlosen, neuen Song geschrieben:

 

„Get On Out of the Rain“

 

When will we all start gettin‘ together

Learnin‘ to live and love one another

Hey hey hey hey hey

When will the people stop fightin‘ each other

Learn to forgive and help another

Hey hey hey hey hey

2019 26 Juni

2 Tagesnotizen

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 4 Comments

Ob man musiziert, fotografiert, Bilder malt oder Texte schreibt, es gibt einen Moment der Abstandnahme und Rückschau, der für sich schon lustvoll ist. Am Nachmittag war C zu Besuch und ich erzählte ihr, dass die Kunst ihres Onkels (der mein Freund war) mir ganz anders erscheint jetzt, da er nicht mehr lebt: mit kühlerem Blick, aus der Distanz. Klar, die Ateliergespräche fehlen, das Heissblut auch, die Leidenschaft, das Schwelgen und der Streit. „It needs blood for a new erection“ singt Aldous Harding und M übersetzt es feinsinnig: es braucht Blut für die Neukonstruktion. Auch Wolfgang Rihm schreibt ja seine Stücke für die Lebenden, nicht für die Toten.

Fotografieren und Fahrradfahren, das macht Spass, ein bisschen ist es auch wie Jagen. Man verfolgt das Wildbrett (in diesem Falle das Motiv) nicht aktiv und ist doch ständig innerlich auf der Lauer, es könnte plötzlich etwas auftauchen. Dann fährt man, wie jüngst zu Pfingsten dort, wo man jeden Tag langradelt, dreht sich zufällig um und staunt: „Das ist doch hier und jetzt wie von de Chirico gemalt: ein leerer Platz, geometrische Architektur, Schattenwurf, hoher Sonnenstand!“ Fehlt nur das Mädchen mit dem wehenden Faltrock auf einem Einrad.

 
 


 

Es kann ja immer etwas dazwischen kommen, aber momentan sieht es so aus, dass meine nächste Ausgabe der der Radionacht Klanghorizonte im Deutschlandfunk eine spezielle wird: „Produced by Manfred Eicher – fünf Jahrzehnte ECM in fünf Stunden“. Das Tempo dieser Reise durch die Dekaden wird trotz der „mission impossible“ kein eiliges sein. Ob ich Manfred Eicher noch treffen werde im Vorfeld, ist unklar. Auf jeden Fall konnte ich zwei Musiker für die Sendung gewinnen, die seit ziemlich früher Zeit auf unterschiedliche Art mit dem Label verbunden sind. Steve Tibbetts wählt jeweils eine seiner Lieblingsplatten aus den „Siebzigern“, „Achtzigern“ und „Neunzigern“ aus, Jon Balke macht das mit den „Neunzigern“, „Nullern“, und „Zehnern“. Beide werden etwas zu diesen Werken erzählen, Steve wird sich dazu wohl in seinem Studio in St. Paul ein paar ruhige Minuten nehmen, Jon ist derzeit in Kompositionsarbeiten versunken, wird aber spätestens in Venedig, wo er demnächst auftritt, morgens auf einem Hotelbalkon, genug Musse haben, seine kleinen Stories beizusteuern. Das alles in der Nacht von Freitag auf Samstag, im Deutschlandfunk, am 17. August. Vielleicht kommt auch noch der eineoder andere Überraschungsgast hinzu. Natürlich wird von beiden auch etwas zu hören sein, spätestens in der letzten Stunde – Jon Balkes „WARP“ (2016) und Steve Tibbetts‘ „LIFE OF“ (2018) sind zwei fantastische Alben.

2019 24 Juni

Kunst in der Natur

von | Kategorie: Blog | | 2 Comments

 


 
 

 

Musik Produktion Schwarzwald (Teil 5)

 

Im September letzten Jahres wurde in Villingen richtig groß gefeiert, das MPS-Studio wurde 50 Jahre alt. Der Techník-Chef von SABA, Hans Georg Brunner-Schwer, hatte 1968 den Schritt gewagt vom Privat-Studio in seinem Wohnhaus hin zu einem großen professionellen Studio.

Zum Jubel-Fest am 7. September 2018 wurde eine fette Doppel-Langspielplatte herausgebracht: Junges Forum 65, Unreleased Tapes From The MPS Studio, mit dabei: Benny Baily, Rolf Kühn, Hans Koller, Stuff Smith, Jimmy Woode, Tubby Hayes, Roger Guérin, George Gruntz, Leo Wright, Erich Kleinschuster, Michael Hausser and others. Es handelt sich um Aufnahmen, die während des 40. NDR-Jazzworkshops am 1. und 2.Juli 1965 in der Vestlandhalle in Recklinghausen gemacht und bisher nicht veröffentlicht wurden (warum nicht? – das ist auch Michael Laages, der die Liner-Notes schrieb, ein Rätsel).

 
 

 
 

Angefangen hatte alles 1961 mit der Entwicklung des SABAmobils (siehe Foto), das 1963 als bahnbrechende Sensation auf dem Markt kam. Das SABAmobil war ein Vorläufer eines Kassettenrecorders, eigentlich eine Kombination aus Kassettengerät und Autoradio.

 
 

 
 

Für die speziell entwickelten Kassetten nahm H.G. Brunner-Schwer die Musik selbst auf. Das war streng genommen der Beginn der SABA-Musikproduktion. Von Beginn an mit dabei Wolfgang Dauner, Albert Mangelsdorf, Hans Koller, Horst Jankowski und bald auch – 1963 – Oscar Peterson. Aber erst 1968 kam es zur Gründung des MPS-Labels. Immerhin umfasste der SABA-Jazz-Katalog zu diesem Zeitpunkt bereits 80 Titel.

Dem Familienunternehmen SABA allerdings ging es damals gar nicht gut, nur große Firmen, wie etwa der Konkurrent GRUNDIG, hatten noch Chancen auf Selbstständigkeit. SABA war auf den Einstieg des amerikanischen GTE – Konzerns angewiesen, die Musikproduktion wurde allerdings ausgegliedert, sie war für GTE nicht von Interesse.

Wer sich für die wunderbaren SABA-Geräte aus dieser Zeit interessiert, der mag das Franziskaner-Museum in Villingen aufsuchen – hier findet man eine kleine Auswahl sehr schöner SABA-Geräte – oder besser gleich ins nahe Villingen gelegene St. Georgen reisen und das Deutsche Phono-Museum aufsuchen. Hier findet man nicht nur alles über die Erfindung und Ursprünge der mechanischen Schallaufzeichnung – man kann etwa ein Modell des mechanisch zu betätigenden Edison-Phonographen (1880) bewundern, sondern kann auch die Blütezeit des Grammophons in all seinen Ausprägungen nachvollziehen, die Geburt des Radios und des Plattenspielers erleben (Perpetuum Ebner / DUAL), die Entwicklung der ersten Tonbandgeräte verfolgen –  von SABA bis REVOX – hin zu High-Fidelity und HIGH END.

 
 

 
 

Es gilt die ersten „Disco-Lichtspiele“ über Grammophon (1920!) zu bewundern, man kann Jukeboxen, SABA-Geräte, die ganze DUAL- und PE-Entwicklung bestaunen, bis hin zur Gegenwart und dem erfreulichen Neustart der Plattenspielerproduktion von PE und THORENS in St.Georgen.

 

Zurück in Villingen:

 

2010 erhielt das MPS-Studio vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg den Titel „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“. Der Förderverein MPS-Studio Villingen e.V. bemüht sich um die Erhaltung des Studios und führt auch wieder Tonaufnahmen durch. Das sind doch mal gute Nachrichten!

Und hier kann man die Lichtmaschine aus dem Jahre 1920 in Aktion erleben:  DSCN7905


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