
Die Themen, welche von Coffee Table Books abgedeckt werden, sind vielfältig. Es kann sich um Kunstbände handeln, häufige Inhalte sind zudem Landschaftsfotografien, Mode, Design oder Innenarchitektur, was immer. Ich mochte die heissen Models, die Helmut Newton ablichtete in verwaisten Grossstadtstrassen, der Tiefgründigkeit ihrer zur Schau gestellten Coolness habe ich aber stets misstraut. Die klassische Platzierung eines solchen Bildbandes ist auf einem Beistelltisch, den man gerne coffee table nennt, neben oder vor einer Sitzgelegenheit. Es soll zudem als dekoratives Wohnaccessoire dienen, welches durch seine oft edle Aufmachung als Blickfang wirkt. Keine Frage, die Super Deluxe Edition des „White Album“ ist das perfekte Coffee Table Book, Idioten können es stylish platzieren, unangetastet lassen, und sich bei seinem Anblick den Bauchnabel pinseln. Gestern habe ich das Hochglanzbuch geöffnet, mit all den geschickt designten Schlitztaschen für die CDs, und die eine BluRay (ich ahne, was der Surround-Mix bereithält). Oh well, ist wohl das erste Coffee Table Book, das ich von der ersten bis zur letzten Seite aufsaugen werden, es wird Kaffeeflecken geben, vielleicht sogar zwei, drei Eselsohren. Gestern abend zog ich den Vorhang beiseite, sah einen Stern hinter Dunstwolken, der auch ein Flugzeug hätte sein können, ich legte „CD 1“ in meinem „Oppo“, stellte den „Amethyst“ auf „Bakoon“, setzte „Audeze-3-Kopfhörer“ auf (wirkt wie der Beginn einer Raumfahrtexpedition, haha), nahm ein grosses Glas meines Lieblingsrotweins zur Hand („Enchanted Path“, kein Witz, von der Farm von Molly Dooker), und lauschte dem neuen Stereo-Remix der ersten Hälfte des Doppelalbums. Da ich diese Songs am Stück, dank David Websters altem Kassettenrekorder im Studentenwohnheim in der Friedenstrasse, und unserer schönen Vernarrtheit in dieses Werk (ich könnte sogar eine langen Text schreiben, wieso gern geschmähte Songs wie „Honey Pie“ oder „Obladi-Oblada“ mehr Wunder als Plunder enthalten), dank nie nachlassender Lauschlust wohl an die 185 mal gehört habe, bei vollem Bewusstsein, in Halbschlafzonen, an Meeresküsten auf Kopfhörern, in Hampstead in einem Hotel in verregeneter Nacht (Dezember 82), kann ich nun leicht und lässig behaupten: so fabelhaft, so klar und konturiert, und in jedem Moment dem Geist der Beatles verpflichtet, habe ich es noch nie gehört. Was ein solches Kunstwerk letztlich ausmacht, ob man es in gloriosem alten Mono hört, in schlichten oder Breitwand-Formaten, auf dem betagten Ghettoblaster, oder in den ehrwürdigen Abbey Road-Studios, ist nicht die perfekte Nostalgie, die es produzieren mag, sondern das unaufhörliche Öffnen von Räumen im Hier-und-Jetzt unseres in die Jahre gekommenen Lebens. Es gibt einen grossen Spielraum jenseits dessen, was wir, durch Routine geschult, unser Ich nennen. Manch unerwartete Reise kann sogar mit einem Coffee Table Book beginnen.