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Archives: Philosophica

 

 

 

Bevor nun der Reiter erneut sein schwarzes Roß sattelt und teufelsgleich einen altersgemäß kontrolliert ekstatischen Ritt in die Sommerlandschaft unternimmt – für den der geeignete, ihn begleitende Soundtrack vielleicht die Christopher-Cross-Songs Ride like the wind und Sailing wären oder das von Sting in Wildwestmanier gecoverte Hung my Head, das ja vom Leichtsinn singt, weil einer Rast macht und die Rifle ausprobiert, als Ziel seines Spiels aber fatalerweise eine Lebendattrappe wählt und somit fortan als Gehängter (el colgado) gilt – nimmt er die Gelegenheit wahr, falls er dann irgendwo auch am Galgen baumeln sollte oder an einem Schild für Vorfahrt, die er nicht gewähren wollte, seiner Nachwelt obenstehend ein seit längerem gewähltes Lieblingszitat quasi als Erbschaft zu übermitteln. Es entstammt dem Buch Logik der Sorge des Philosophen Bernhard Stiegler, der während seiner Inhaftierung aufgrund eines bewaffneten Banküberfalls in seiner Zelle zur Philosophie fand und inzwischen zu den bedeutenden zeitgenössischen Denkern Frankreichs zählt. Sein Buch mahnt den Verlust der Aufklärung durch Technik und digitale Medien an, einhergehend mit dem globalen Schwinden der Aufmerksamkeit und einer Infantilisierung der Gesellschaft, die beispielsweise Erziehungsberechtigte davon entbindet, Verantwortung und Vorbildfunktion zu übernehmen. Der vom Autor verwendete Begriff Retention fällt ins Auge: die Fähigkeit, in den gegenwärtigen Moment auch das (unmittelbar) Vorangegangene zu integrieren. Ein weiterer markanter Begriff: die Psychopharmaka – sie bezeichnen unter anderem fertige Kulturleistungen, die gar nicht mehr in ihrer geschichtlichen Entwicklung beziehungsweise Komplexität nachvollzogen, vielmehr ohne Respekt gegenüber Künstlern, Wissenschaftlern und Produzenten (per Mausklick) konsumiert werden. Was mich beeindruckt am Denken Stieglers, das sich zunächst schwer erschließt (die Franzosen, die spinnen, denkt man sich), sind seine Schärfe und Triftigkeit, die ja laut allgemeinem gesellschaftlichen Konsens in der Philosophie besser aufgehoben sind als in der Räuberei.

2014 29 Apr.

Besenreine Besessenheit

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Struwelpeter und der stets in die Luft guckende Hans, ferner die böse endenden Abenteuer von Max und Moritz: das jagte manchem Kind gehörigen Schrecken ein. Und dann dieses Lied von einem Eimer mit Loch, den der dumme Karlhenry nicht flicken konnte. Geschichten am Rande des Traumas. Später, in weit humorvollerer Zeit, kam mal wieder ein R4 nicht durch den TÜV und man bekam den Tipp: „Gut putzen und dann ab zum Schrott!“

Es gibt Dinge, die ich gerne tue, obwohl sie Anderen schwerfallen. Das Gehen über Brücken zählt dazu – es sind schon weit mehr als sieben – und das Aufräumen auch. Zur Hippiezeit wäre man nicht en vogue gewesen ob seiner Aufräumleidenschaft. Unvergesslich ist die Szene, als Tom Sawyer von seiner Tante dazu verdonnert wird, den Zaun zu streichen, und es ihm gelingt, Passanten diese vermeintlich unangenehme Sache so schmackhaft zu machen, dass sie das beglückt für ihn übernehmen.

So wundert es nicht, wenn eine Philosophieprofessorin namens Nicole Karafyllis, die dazu noch Biologin ist, ein Buch schreibt über das Putzen als Passion. Wie Nietzsche das Chaos, so scheint sie den Dreck zu lieben, kennt seine Zusammensetzung bis ins Mikroorganische hinein, kennt ferner die chemischen Wirkkräfte aller Putzmittel und weiss doch: am Anfang war die reine Kraft, das Schrubben, das Sichmühegeben – denn nur der Laie kompensiert mangelnde Ausdauer durch ein Zuviel an Chemikalien.

Das Putzen ist dem Pflegen (engl. maintainance) und dem Reparieren verwandt: will man beispielsweise seinen Toaster von der angesammelten Krümelmasse befreien, aus der sich ein ganzes Brot backen liesse, dann schraubt man ihn bei der Gelegenheit gleich mal auf und inspiziert das Innenleben. Kauft man ein gebrauchtes Fahrrad, will man es sogleich saubermachen. Doch dabei bleibt es nicht: es folgen die Einstellung der Gangschaltung, der Umbau des Vorbaus, das Wechseln der Reifen und Verlegen neuer Bremszüge …

Hier kommt noch einmal Robert M. Pirsig zum Zuge: In Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten beschreibt er den Gegensatz zwischen romantischer und klassischer Anschauung und dessen Auflösung im Begriff Qualität. Was kann es Sinnvolleres geben als die mittels Mechanik kalkulierende Bodenständigkeit des Homo Faber verbunden mit den ästhetischen Ekstasen des Schwärmers?

 


 
 
 
Um die Mittagszeit auf einer Bank am Kanal: im herbstlichen Sonnenlicht kurz verweilend, im Rücken das Naturschutzgebiet. Den Blick erst übers Wasser auf die Hafenkräne und Container mit der Aufschrift „Hamburg Süd“ gerichtet, dann das über dem Kopf sich vollziehende Schauspiel ziehender Kraniche beobachtend, öffnet sich plötzlich etwas. Sich vornehmen, fortan beständiger Zeuge zu sein und Botschafter der magischen Kraft kontemplativer Zustände, ohne die wenig geht: denn sie garantieren die Fähigkeit zur Abstandnahme, den kreativen Zufluss von Nichts und bringen wieder Spiel ins Getriebe. Zuhaus auch gleich den Sloterdijk aus dem Regal geholt (aus der Apotheke filosofischer Vitamine), in Streß und Freiheit geblättert, das die Ambivalenz zwischen Liberalitätsdrang und gesellschaftlichem Engagement thematisiert. Von Becketts Eleutheria ist dort die Rede und von Rousseaus beschaulicher Fahrt auf dem Bieler See in seinem fünften Spaziergang. Ein ergoogeltes Gedicht von Nietzsche aber, mit dem Titel Sils Maria, bringt das Phantom der Öffnung in aller Kürze auf den Punkt:

 

Hier saß ich, wartend, wartend, — doch auf Nichts,
Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.

Da, plötzlich, Freundin! wurde Eins zu Zwei —
— Und Zaratustra ging an mir vorbei …

 

„Schlagen Sie sich seitwärts. Behalten Sie die wiedererkennbare Methode oder die Methoden in der Hinterhand, für den Fall, dass Krankheit, Mißgeschicke oder Ermüdung Ihnen zu schaffen machen; aber begeben sie sich wieder auf die Wanderung. Erkunden Sie den Raum wie eine Fliege, die durch die Luft schwirrt, wie ein Hirsch, den das Gebell aufschreckt, wie ein Spaziergänger, den die an den komfortablen Plätzen umherstreifenden Wachhunde immer wieder vom gewohnten Weg abbringen. Sehen sie sich Ihr eigenes Elektroenzephalogramm an, das in alle Richtungen ausschlägt und über das Blatt Papier streift. Irren Sie umher wie ein Gedanke, lassen Sie Ihren Blick in alle Richtungen schweifen, improvisieren Sie. Die Improvisation setzt den Gesichtssinn in Erstaunen. Sehen Sie in der Unruhe Reichtum, in der Sicherheit Armut. Verlassen Sie den Gleichgewichtszustand, die sichere Spur des Pfades, streifen Sie über die Wiesen, von denen die Vögel auffliegen. Im Französischen gibt es einen Ausdruck dafür: débrouillez-vous, befreien Sie sich aus dem Gewirr, sehen Sie zu, wie Sie zurechtkommen. Der Ausdruck unterstellt einen verwirrten Strang, eine gewisse Unordnung und jenes vitale Vertrauen in das Unerwartete, das für Naive, Einzelgänger, Verliebte oder Ästheten typisch ist, bei voller Gesundheit.“

 

Der obige Textauszug stammt von Michel Serres, aus seinem Werk Die Fünf Sinne – für mich einst grundlegende, inspirierende Lektüre, um der Psychologie den Rücken zu kehren und die Liebe zur Philosophie zu entdecken – vielleicht auch deshalb, weil philosophische Texte einerseits um Sinnstiftung bemüht sind, ihnen aber auch etwas Spielerisches innewohnt und sich die Philosophie entdecken lässt wie eine Landschaft. So wirkt auch Michel Serres´ Schreibstil: man kann seine Texte auch als Ermutigung zum Selber-Schreiben und Selber-Denken lesen, so wie der Leser ja auch selber wandert und umherschweift, sich Gedanken macht. In tentativen Sätzen und Beschreibungen versuchsweise sich herantastend, offenlassend, andeutend, in einer Mischung aus Klartext und Poetik, fein gewoben und von ganz eigenem ästhetischen Reiz: das ist genau der Stoff, aus dem kontrollierte Ekstasen sind.

2013 20 Feb.

Der gelbe Ginster

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Ich bin, aber ich habe mich nicht – darum werden wir erst. Dieser Satz von Ernst Bloch bleibt im Gedächtnis wie der des Descartes: cogito ergo sum. Sind das Melodie-Motive in einer Gesamtkomposition der conditio humana, die auf Selbstkonstitution verweisen? Wie aber finde ich mich, wenn wir uns noch nicht haben? Die Spur führt hier zu Hegel:

„Ein nicht-unglückliches Bewußtsein kann es bei Hegel nur geben, wenn das Individuum sich als Lokal der absoluten Reflexion begreift. Sobald die Reflexion in sich selbst den Sonntag der Geschichte herbeiführt, schließt sie den Kreis und ist daheim – ob in Ithaka oder Berlin-Mitte.“

Peter Sloterdijk schreibt das in seinen Zeilen und Tagen und bietet damit einen Zündfunken für die Erkenntnis: Ich bin auf meinem Weg. Souveränität bedeutet nämlich zunächst einmal Emanzipation von sklavischem Bewußtsein – und das Vermögen zur Reflexion als ein Akt der Betrachtung und Verneinung geht jeder Kommunikation voraus.

So verstehe ich die aktuelle Kritik an den neuen, digitalen Medien: Sie überschwemmen den Rezipienten und lösen das Cogito-Ego wieder auf, bevor es so recht geworden ist. Reduktion ist ja nicht nur eine musikalische Strategie (Peter Niklas Wilson), vielmehr eine für den gesamten Alltag: Simplify your life – Abstand nehmen, reflektieren, aussortieren.

Als Gegenpol zum Immermehr ressourcenschonend und lustvoll allem Wachstumswahn Paroli bieten – wer kennt das nicht: aufräumen, etwas von der Liste streichen, Dinge „erledigen“ und ad acta legen, das hinterlässt ein Gefühl von Befriedigung und Befriedung. Denn im Mangel blüht der gelbe Ginster der Erleuchtung, wie Detlef Linke es einst nannte.

Wenn man Bücher nicht rezipiert und Platten nicht hört, als würde man etwa eine Schachtel Zigaretten aufrauchen, um sich dann am Automaten schleunigst neuen Stoff zu holen und wenn man kulturelle Dinge nicht abfrühstückt, als seien sie die Requisiten eines One-Night-Stands – sondern mit diesen Dingen eine dauerhafte Beziehung eingeht, immer wieder auf sie zurückgreifend, herumstöbernd, dann könnte auch die Literatur des Philosophen Byung-Chul Han ein idealer Begleiter sein. Der aus Korea stammende Autor schreibt in Kamikaze-kurzen, sehr präzisen Sätzen: weder ausschweifend noch allumfassend und hybrid, vielmehr aus einer östlichen Weltsicht heraus derart, dass der Leser zum Weiterdenken animiert wird. Es wundert nicht, wenn man vor Jahrzehnten schon beim dilletantischen, will sagen: genußvollen Versuch, das heideggersche Werk zu erfassen, auch diesen Autor zur Hilfe nahm und sich wunderte, welch frischer Wind einem in dessen Buch Heideggers Herz entgegenwehte. Hans Bücher finden reichlich Anklang und er ist inzwischen wohl zum „Star-Philosophen“ avanciert – so jedenfalls wurde er kürzlich in einem Beitrag der Fernsehsendung Aspekte genannt. Das mag daran liegen, dass sich aus einem ursprünglichen kontemplativen Kontext, der wenig zu tun hat mit der Übertragung oder Fortführung buddhistischer Traditionen in die westliche Hemisphere, eine kritische Abstandnahme herstellen lässt zur heutigen Lebensweise.

 

Video

2012 22 Nov.

Groys re-written

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„Sansara ist gleich Nirvana. Alles, was Teil des Sansara ist, also alles, was uns quält und schlecht gelaunt macht – das alles, ohne jede Kompensation und Änderung, kann uns auch glücklich machen. Man muss nur den Gesichtspunkt und den Kontext der Betrachtung richtig wählen.“

(Boris Groys)

Es gibt keine Welterfahrung ohne Vermittlung durch Symbolsysteme, ohne Vorstellung und den Willen zur Macht, die nicht Unterdrückung meint, vielmehr Zuordnung und Integration. Metaphern, Songs, Bücher, Erinnerungen … hilfreiche Markierungen, die die Eigenwelt vor Chaos und Auflösung schützen. Eine solche Form der Abgrenzung und Markierung ist auch das Zitieren. Es wirkt wie ein Katalysator, an dem sich Gedanken und Erfahrungen festmachen können. Der obige Gedanke entstammt dem Buch „Politik der Unsterblichkeit“ – vier Dialoge mit dem Kulturphilosophen Boris Groys. Als ich es einen schönen Sommertages bei Zweitausendeins in Hannovers Lister Meile für weit unter Wert, nämlich gradmal drei Euro erstand, war klar: das ist ein Schnäppchen und dabei keine Billigware. Groys hat das Wechselverhältnis von Wert und Müll untersucht. Wann kommt etwas ins Museum, wann findet man es auf dem Schrott? Viele, vielleicht alle Kulturwerte sind ja zeitlich limitiert. Das vorangestellte Zitat kommt mir oft in den Sinn, etwa wenn ein Missgeschick passiert und Dinge nicht so laufen wie gewünscht. Bald zeigt sich: Gutes kommt nicht nur durch Intention, sondern auch auf Nebenwegen. Mancher Überfluss wirkt als Ballast, mancher Verlust verwandelt sich in einen Vorteil: man trennt sich beispielsweise von Gewohntem. Warum tut mir der Jackpot-Knacker leid?

(aktualisierter Beitrag vom 22. November 2012)

2012 9 Okt.

Knacks! Und weiter gehts …

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„Mit Ihnen ist das Leben interessanter!“ Dieser an FBI-Agent Starling adressierte Gruß des Hannibal Lector im Film Das Schweigen der Lämmer liesse sich passenderweise auch dem Autoren und Fernsehmenschen Roger Willemsen übermitteln, der mit seinem Redefluß und umstrittenem Schreibstil zwar zuweilen nervt, insgesamt jedoch sehr unterhaltsam ist.

Speziell sein Essay Der Knacks war überhaupt das erste Buch, das unsereins gleich am Erscheinungstag aus der Buchhandlung holte und – zeitweilig untermalt von den Sylvian-Songs des Albums Snow Borne Sorrow – genüsslich rezipierte. Als es zu Ende war, las man es gleich nochmal von vorne. „There´s comfort in entropy“ – selbst dem Verfall lässt sich Positives abzugewinnen, zumindest als beschauliches Studienobjekt.

Der Knacks sei der Übergang vom Werden zum Vergehen, schrieb ein Rezensent treffend. Vom Trauma unterschieden verläuft er als subtiler Wandel, ist eher physiologischer denn psychologischer Natur – so wie sich im zerbrochnen Krug schon vorher feine Risse bildeten: die berüchtigten Sollbruchstellen. Man hört´s dann am Klang: es schwingt nicht mehr, wird störrisch, spröde. Dieses Phänomen, das in Literatur und Musik sein Echo findet, wirkt in jeder alternden Kreatur.

Wo Entropie ist, ist auch Evolution. Ein Mangel des Menschen ist es, das wissen die Buddhisten: er nimmt sich viel zu wichtig. Dem Diktum, er sei die Krone der Schöpfung, setzt man, grad angeknackst und auf den Gipfeln der Verzweiflung, gerne mal entgegen, die Schöpfung sei verfehlt. Doch von solchen Höhen folgt stets der Abstieg und auf jene unerträgliche Schwere folgt eine neue Leichtigkeit: a breeze, a change, a shift.

2012 13 Aug.

Kraft des Innehaltens

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Viel ist die Rede dieser Tage vom Ungemach der Leistungsgesellschaft, von Überforderung und Desintegration (Farewell To Multikulti) und von den Gefahren der digitalen Demenz. Passend zur Urlaubszeit im Folgenden ein Zitat zur Bekräftigung des Innehaltens – einer Potenz, die der Vita Activa das Vermögen zur Kontemplation entgegensetzt. Gemeint ist die Fähigkeit zur Abstandnahme und Abschlusshandlung – angesichts des Übermasses an Möglichkeiten und Beliebigkeiten. Die Sufis nannten das „Retreat“:

Ohne jene „abschließenden Instinkte“ zerstreut sich das Handeln zu einem ruhelosen, hyperaktiven Reagieren und Abreagieren. Die pure Aktivität verlängert nur das bereits Vorhandene. Eine wirkliche Wendung zum Anderen setzt die Negativität der Unterbrechung voraus. Nur vermittels der Negativität des Innehaltens kann das Handlungssubjekt den ganzen Raum der Kontingenz durchmessen, der sich einer bloßen Aktivität entzieht. (Byung-Chul Han, Die Müdigkeitsgesellschaft)

Besser also wäre es, nicht immer gleich dem nächstbesten Projekt hinterherzujagen, in das unsere Wünsche und Pläne uns verstricken. „Wie´s frömmt, so´s kömmt!“ – so die kritische Bemerkung eines Kunstprofessors zum erstbesten zu Papier gebrachten Einfall eines von sich selbst überzeugten Studenten. „Wer sich schon anschickt, Pinsel und Leinwand zu kaufen …“ – gerne auch gedachten wir dieser Mahnworte des Joseph Beuys und seiner Honigpumpe am Arbeitsplatz, als wir jüngst die dOCUMENTA (13) in Kassel besuchten.

 

 
 
 

Wenn einem gerade das Knie schmerzt, weil man aus Wut gegen die Waschmaschine trat, die unwuchtig im Schleudergang versagte, und keine HB griffbereit zur Hand liegt … dann greift man eben zur passenden Lektüre, die ermahnt und erinnert an die Vorzüge der Affektfreiheit und auch ansonsten gründlich aufräumt mit so manch falscher Vorstellung vom Glück. Nicht Selbstbeherrschung und Selbstentfaltung sind die Garanten dessen, wie uns der französische Philosoph Michel Foucault einst darlegte, sondern sondern die Aufgabe eines Glaubens an „das Selbst“ und andere kontraproduktive Einbildungen. So erklärt es Robert Pfaller in seinem Buch „Die Illusionen der anderen“:

 

„Denn für Kyrenaiker, Kyniker, Stoiker, Epikureer und Pyrrhoniker geht es niemals um Beherrschung eines Selbst, sondern vielmehr um Beherrschung der Einbildung. Wenn darum der Begriff der Beherrschung, wie Foucault es tut, als Selbstbeherrschung aufgefasst und auf ein Verhältnis zweier Teile derselben Seele, etwa Platons Bild vom Gespann mit den zwei ungleichen Pferden, bezogen wird, dann verfehlt dies nicht nur die glücksphilosophische Fragestellung; es führt sogar dazu, das man geradewegs aufs falsche Pferd setzt. Was die Glücksphilosophien meinen, ist nämlich keineswegs, daß dafür gesorgt werden müßte, daß das edlere Tier die Herrschaft über das struppigere ausübt. Im Gegenteil: Was bekämpft werden muss, ist genau die Einbildung, daß es ein solches edleres Pferd gäbe, welches Unterstützung in seinen Herrschaftsansprüchen verdiente.“

 

Wir ahnen, warum das HB-Männchen so schnell und ständig in die Luft ging. Es fand den Stachel nicht im Fleische: den Irrglauben an ein Ideal-Ich und das versteckte Leiden an dessen Herrschaft; die Vorstellung, ein edles Pferd müsse gegen ein struppiges siegen. Sieht man hier nicht auch eine Parallele zu all den Derivaten des Fanatismus mit seinen versteckten und offenen Moralismen, diese Verteufelung struppiger Pferde? More Momo than Moral! Wohl dem, der seinen Pullover noch verkehrt herum anzieht, zuweilen im Schlafanzug zum Kiosk rennt oder einfach eine raucht. Und morgen geh´ ich zum Friseur, vielleicht. Seis drum, Freunde der Hochglanz-Fassaden: das Leben ist anderswo.


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