Manafonistas

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Archives: Byung-Chul Han

Roy Orbison singt schoene Lullabays. Besonders LEA kann eindudeln und in anmutige Gefilde leiten. Es ist immer noch moeglich, anspruchslose Literatur dabei zu lesen.

So dachte ich, als ich nach dem schmalen Baendchen von Byung-Chul Han griff: MUEDIGKEITSGESELLSCHAFT. Ich wurde hellwach, als ich zum Kapitel mit dem Titel „Die tiefe Langeweile“ kam. Dort las ich, dass Multitasking ein Regress sei. „Multitasking ist gerade bei den Tieren in der freien Wildbahn weit verbreitet.“ Ich machte meinen CD Player aus und las weiter: „Es ist eine Aufmerksamkeitstechnik, die unerlaesslich ist fuer das Ueberleben in der Wildnis. Ein Tier, das mit dem Fressen beschaeftigt ist, muss sich gleichzeitig anderen Aufgaben zuwenden. Es muss z.B. seine Fressfeinde von der Beute fernhalten …“

Der Philosoph Han spricht von dem Strukturwandel der Aufmerksamkeit. [S.27] Der Begriff hat mich sofort fasziniert, weil ich mich im Studium mit dem „Strukturwandel der Oeffentlichkeit“ von Habermas herumgequaelt habe. Heute lese ich in einem Artikel von Han in der FAS von gestern, dass Pegida die Oeffentlichkeit von dem Versagen der Politik ablenke. Sie sei kein politischer Diskurs, weil sie die Debatte verweigere. „Der politische Wille, einen oeffentlichen Raum, eine Gemeinschaft des Zuhoerens zu bilden, nimmt radikal ab. Die digitale Vernetzung beguenstigt diese negative Entwicklung … Der digitalen Kommunikation fehlt die Gegenwart des Anderen, die konstitutiv fuer den Dialog, fuer das Zuhoeren ist.“

Konkret heisst das fuer mich, was Uwe schon genannt hat: wenn ich mit auf Sylt sein koennte, wuerde ich ein HINZU von den Manafonistas bekommen. Dass Michael nach Sylt eingeladen hat, ist wirklich aussergewoehnlich fuer einen „Blogmaster“ :) Wir werden vorort anders erzaehlen als hier im Netz. Dunewhisper.

2014 11 Apr

Es war Neuland

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Vor ein paar Jahren begrüßte man das Internet, diese schöne neue Wohltat, als eine ungekannte Form der geistigen und imaginären Ausweitung, begeistert von der Möglichkeit, nun von seiner Wohnung, seinem Zimmer aus, vom Schreibtisch her, mit und in einer Sphäre zu kommunizieren und sich spielend leicht Informationen heranzuholen. Es war Neuland. Man genoss den wilden Wechsel zwischen Realwelt und virtual reality und wenn man kurz mal zum Einkaufen über die Strasse ging – wofür kaum Zeit blieb – dann war man in Gedanken noch auf seinem Desktop. Welt am Draht. In einer digitalen Wolke schwebend, fühlte man sich jung, geadelt, zugehörig. Wunderbare Metamorphose, aus Looser wurde User. Und wenn einem dabei, wie von einem Auto angefahren, im Tagtraum eine zahnlose Alte rücklings hinterherrief: „Das Internet wird euch noch alle ins Verderben bringen!“ – entgegnete man etwas angefasst: „Ja red´ du nur!“ Auch die ehrwürdige Grossmutter verweigerte schliesslich noch zeitlebens jegliches Telefonat – und die ersten Eisenbahnen galten als viel zu schnelles Teufelszeug … Aber die Zeiten ändern sich. Man kehrt heut gerne tendenziell zurück: zu den habhaften und handlichen Dingen, zu den Menschen, zur konkreten Welt. „Das einfache Leben!“ forderte Susanne und Jan bejahte das. Seine Haut retten und sein Hirn – vor diesem nimmermüden Flackern der Bilder: Bitte Augen schließen, bitte zum Abschluss kommen, bitte sterblich werden.

 
 
 

 
 
 
Byung-Chul Han: Bitte Augen Schliessen.
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„Diesen Snowdon finde ich gut“, sagt Susanne morgens in der Kaffeepause und Joachim verschweigt dabei eine Bildungslücke, die es alsbald zu schliessen gilt. Wozu Wikipedia, wenn nicht, um solch blinde Flecken nachzubessern?

Zum 5-Uhr-Tee dann: Joachim recherchiert die faszinierende real-life-story, in der Polit-Thriller und Medien-Philosophie Hand in Hand gehen. Wann wohl die Filmrechte vergeben werden für diesen Megaplot? Es begann auf Hawaii und Edward lebte dort ein traumhaftes Leben, doch er verfolgte seit langem schon einen ausgeklügelten Plan … Genialerweise fügt sich auch das abendliche TV-Programm nahtlos in die Recherche ein.

„Was gibts denn heute bei Scobel? Überwachte Welt – na, da fügt sich was!“

Sie diskutieren im Fernsehstudio über die negativen Folgen zunehmender Transparenz. 

„Und wo bleibt Han?“ fragt sich der philosophisch informierte Joachim. Und tatsächlich, im Verlaufe des Gespräches wedelt der TV-Gastgeber verschmitzt mit einem gelben Büchlein in der Hand und bedauert, der Autor des Schriftstücks sei so ungern Studiogast, weil er nicht zum Gespenst der Medien werden wolle – doch es gab ein Treffen.

Und da sitzen sie dann in einer konspirativen Kneipe tief im Wilden Osten der Republik. Scobel meets Billy the Kid alias Byung-Chul Han, den koreanischen Schriftsteller subversiver Phänomenologie in Minibuchform. Als Scobel Han nach Snowden fragt, wird dieser etwas ungehalten: das kommentiere er nicht, denn er hätte das Problem, lange bevor der whistleblower kamin seiner Transparenzgesellschaft schon beschrieben.

Vom Einspieler zurück in der Studiorunde, wird sogleich bestätigt, dass der Philosoph das Thema treffend analysiere und geradezu systemisch betrachte, sich in einem Punkt aber irre: es sei nicht auf individueller, sondern nur auf politischer Ebene zu lösen – schärfere Gesetze zum Schutz der Privatsphäre seien nötig.

Scobel stellt dann noch ein zukünftiges Interview mit Billy the Kid in Aussicht – bis dahin aber studiert Joachim weiterhin andächtig dessen Ansichten vom digitalen Schwarm, und er wird in einer morgentlichen Kaffeerunde mit Susanne sicher davon schwärmen.

Zur aktuellen Lieblingslektüre den passenden soundtrack finden – und darüber hinaus Anhaltspunkte und Inspirations-Schmankerl für eigene Schritte in die Welt der Freien Improvisation: das ist Glück. Seit Tagen, Wochen stöbere ich im preisgekrönten Essayband Duft der Zeit des koreanischen Philosophen Han. Eine seiner Kernthesen ist die, dass es in der heutigen Zeit an Abschlussformen fehle, die Erfüllung vermitteln. Alles schwirrt im Uferlosen herum. Erzählungen und andere Narrative wären solche Abschlüsse, ferner Rituale, Feste und, so meine ich, auch gute Songs und Musikwerke. Satoko Fujii´s Time Stands Still erklingt im Duft der Zeit. Musik, die dem, der sie nie vorher hörte, sogleich vertraut vorkommt, frisch und ungekünstelt. Immer auf der Suche nach kontrollierten Ekstasen, in denen sich zahlreiche Musikstile entfalten; wo es keine Tabus gibt; Salsa neben Freejazz stehen kann und Hardrock neben Folk, wird der Glückliche zuweilen fündig. Die schüchtern-sympathische Satoko Fujii, von Kindesbeinen an in der Klassik ausgebildet, gehört zu jenen, die alsbald ihren Ausbruch in freiere Gefilde suchten. Man hört ihrem japanisch rabiaten, aber auch warmherzigen Spiel an, dass sie alle Formen und Stile beherrscht. Da gibt es Bachsonaten neben Anklängen aus Südamerika. Auch Paul Bley, Aki Takase, Masabumi Kikuchi – sogar Joachim Kühn – kommen in den Sinn. Fujjii´s Spiel ist im positiven Sinne einfach, natürlich, und leicht nachvollziehbar. Sie gehört auch gewiß nicht zu jenen aus der Klassik Kommenden, die sich süffisant auf dem Feld des Jazzrockpop versuchen und ganz toll dabei finden, weil sie auch mal swingen dürfen. Abschließend und Augen schliessend im Sinne des Philosophen Han sei gesagt, dass die persönlichen Musikforschungen hinsichtlich dieser Pianistin, im Quartett mit MA-DO ebenso wie in ihrem Trio-Album Spring Storm, noch nicht zum Abschluss gekommen sind – die Neugierde darauf fängt soeben erst an.

2013 18 Mrz

Viel Rauch um Nichts

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In einem Interview beklagt die Piraten-Politikerin Marina Weisband den Druck auf Journalisten, ständig Neuigkeiten rauszuhauen und dabei wenig Zeit zu haben für Recherche. Recht hat sie: das Tempo, in dem heute die Medien Schlagzeilen und Themen generieren müssen, macht den Thesen des Geschwindigkeitsphilosophen Paul Virilio vom „rasenden Stillstand“ alle Ehre. Dennoch besteht ja jederzeit für Jedermann die Möglichkeit, ein gutes Buch in die Hand zu nehmen, sich geruhsam in literarische Gefilde zu vertiefen – um so den tagesaktuellen und oberflächlichen Aufregungen zu entkommen.

Wie einst Virilio den Finger auf die Wunde des Zeitgeistes legte, so tut das neuerdings der Philosoph Byung-Chul Han. Auch die Piratenpartei bekommt dabei ihr Fett weg, denn die hat die Forderung nach Transparenz auf ihre Fahnen geschrieben. Transparenz, Müdigkeit (Burnout) und eine Agonie des Eros aufgrund ausufernder Wahlmöglichkeiten – das aber sind Hans wunde Punkte. Im Vergleich zu seinem „Ex-Chef“ Peter Sloterdijk (dem Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung) ist er weniger affirmativ, inklusiv und erbaulich – eher depressiv. Folgende Notiz findet sich dazu in Sloterdijks Zeilen und Tagen:

„Ein Autor der NZZ will in Fragen der Psychopolitik das letzte Wort behalten: Nicht Zorn und Wut seien die Affekte, auf die es ankommt, die Zukunft gehöre der Depression. So outet der Verfasser sich als zustimmender Leser des Kollegen Han, dessen jüngst gehaltene Antrittsvorlesung an unserem Haus über die „Müdigkeitsgesellschaft“ bei den Kollegen und Studierenden wenig Anklang fand, um so mehr bei den abgehetzten Mitarbeitern von deutschen Kulturredaktionen.“

Womit wir wieder bei Frau Weisband wären und der Forderung nach mehr Zeit und Qualität für journalistische Arbeit. Den Wert von Hans Werken mag jeder selbst überprüfen – es muss ja nicht alles affirmativ sein: der Lauf der Welt gibt auch zu Negativität und Skepsis Anlass. Unsereins vertieft sich bis auf weiteres unbeirrt in Sloterdijks Notizbücher, liest dort amüsiert von waghalsigen Radtouren des Autors, von Luxushotels in Abu-Dhabi und von Trinkgelagen mit dem Maler Neo Rauch – abseits des rasenden Stillstands tagesaktueller Kata-Strophen und diesseits des weissen Qualms vatikanischer Schornsteine.

Wenn man Bücher nicht rezipiert und Platten nicht hört, als würde man etwa eine Schachtel Zigaretten aufrauchen, um sich dann am Automaten schleunigst neuen Stoff zu holen und wenn man kulturelle Dinge nicht abfrühstückt, als seien sie die Requisiten eines One-Night-Stands – sondern mit diesen Dingen eine dauerhafte Beziehung eingeht, immer wieder auf sie zurückgreifend, herumstöbernd, dann könnte auch die Literatur des Philosophen Byung-Chul Han ein idealer Begleiter sein. Der aus Korea stammende Autor schreibt in Kamikaze-kurzen, sehr präzisen Sätzen: weder ausschweifend noch allumfassend und hybrid, vielmehr aus einer östlichen Weltsicht heraus derart, dass der Leser zum Weiterdenken animiert wird. Es wundert nicht, wenn man vor Jahrzehnten schon beim dilletantischen, will sagen: genußvollen Versuch, das heideggersche Werk zu erfassen, auch diesen Autor zur Hilfe nahm und sich wunderte, welch frischer Wind einem in dessen Buch Heideggers Herz entgegenwehte. Hans Bücher finden reichlich Anklang und er ist inzwischen wohl zum „Star-Philosophen“ avanciert – so jedenfalls wurde er kürzlich in einem Beitrag der Fernsehsendung Aspekte genannt. Das mag daran liegen, dass sich aus einem ursprünglichen kontemplativen Kontext, der wenig zu tun hat mit der Übertragung oder Fortführung buddhistischer Traditionen in die westliche Hemisphere, eine kritische Abstandnahme herstellen lässt zur heutigen Lebensweise.

 

Video

2012 13 Aug

Kraft des Innehaltens

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Viel ist die Rede dieser Tage vom Ungemach der Leistungsgesellschaft, von Überforderung und Desintegration (Farewell To Multikulti) und von den Gefahren der digitalen Demenz. Passend zur Urlaubszeit im Folgenden ein Zitat zur Bekräftigung des Innehaltens – einer Potenz, die der Vita Activa das Vermögen zur Kontemplation entgegensetzt. Gemeint ist die Fähigkeit zur Abstandnahme und Abschlusshandlung – angesichts des Übermasses an Möglichkeiten und Beliebigkeiten. Die Sufis nannten das „Retreat“:

Ohne jene „abschließenden Instinkte“ zerstreut sich das Handeln zu einem ruhelosen, hyperaktiven Reagieren und Abreagieren. Die pure Aktivität verlängert nur das bereits Vorhandene. Eine wirkliche Wendung zum Anderen setzt die Negativität der Unterbrechung voraus. Nur vermittels der Negativität des Innehaltens kann das Handlungssubjekt den ganzen Raum der Kontingenz durchmessen, der sich einer bloßen Aktivität entzieht. (Byung-Chul Han, Die Müdigkeitsgesellschaft)

Besser also wäre es, nicht immer gleich dem nächstbesten Projekt hinterherzujagen, in das unsere Wünsche und Pläne uns verstricken. „Wie´s frömmt, so´s kömmt!“ – so die kritische Bemerkung eines Kunstprofessors zum erstbesten zu Papier gebrachten Einfall eines von sich selbst überzeugten Studenten. „Wer sich schon anschickt, Pinsel und Leinwand zu kaufen …“ – gerne auch gedachten wir dieser Mahnworte des Joseph Beuys und seiner Honigpumpe am Arbeitsplatz, als wir jüngst die dOCUMENTA (13) in Kassel besuchten.

Das empfehlenswerte Büchlein “Die Müdigkeitsgesellschaft” des koreanischen Philosophen Byung Chul Han war kurz nach dem Erscheinen sofort vergriffen, ist mittlerweile aber wieder erhältlich. Gottseidank – denn es enthält eine Fülle von Anregungen und plausiblen, originellen Erklärungen zur Situation der gesellschaftlichen Gegenwart. Im Folgenden bezieht sich Autor Han auf Peter Handke´s Versuch über die Müdigkeit und es wird erklärt, warum gerade sie ein Heilmittel sein könnte für so manche Malaise:

Handke entwirft eine immanente Religion der Müdigkeit. Die fundamentale Müdigkeit hebt die egologische Vereinzelung auf und stiftet eine Gemeinschaft, die keiner Verwandtschaft bedarf. In ihr erwacht ein besonderer Takt, der zu einer Zusammenstimmung, zu einer Nähe, zu einer Nachbarschaft ohne jedes familiäre, funktionelle Band führt:

Ein gewisser Müder als ein anderer Orpheus, um den sich die wildesten Tiere versammeln und endlich mitmüde sein können. Die Müdigkeit gibt den verstreuten Einzelnen den Takt.” 

Jene Pfingstgesellschaft, die zum Nicht-Tun inspiriert, ist der Aktivgesellschaft entgegen-gesetzt. Handke stellt sie sich durch die Bank müde vor. Sie ist eine Gesellschaft der Müden im Besonderen Sinne. Wäre die Pfingstgesellschaft ein Synomym für die künftige Gesellschaft, so könnte die kommende Gesellschaft auch Müdigkeitsgesellschaft heißen. 

Die Müdigkeit lässt also alle Masken fallen und wirkt als Antidot gegen Überforderungen wie Sei Du Selbst!; Verwirkliche Dich! oder, wie jüngst Han´s Kollege Sloterdijk (beide mit Lehrstuhl in Karlsruhe) seinen Bestseller betitelte: Du Musst Dein Leben Ändern! Diese gelungene Lobpreisung an den Geist der Askesis (“Üben!”) kontert Han mit dem Seinlassen aus, Melville´s Bartleby zitierend: “I prefer not to …”

Denn alle leistungsfordernden Imperative können ins Gegenteil umschlagen in einer Kultur der Selbstausbeutung und statt zu motivieren erzeugen sie, vielleicht noch im Verbund mit einem rigiden Über-Ich, dann Das Erschöpfte Selbst (Alain Ehrenberg). Mit dem Heidegger-kundigen Han aber sind wir In-Die-Jahre-Gekommenen gerettet und setzen fröhlich-wissend dagegen: „Pusteblume! Nicht Narzissten.“ Schöne neue Welt: müdes frohes Pfingsten.


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