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2018 28 Okt

Begegnung am Kanal

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Ein Sommertag und doch schon Herbst. Um die Mittagszeit herum reflektiert das Wasser am Mittellandkanal die Sonnenstrahlen und es wird noch einmal richtig warm. Hier jetzt einen Moment verweilen. I took the old track, the hollow shoulder across the waters. Am anderen Ufer überfüttern sie Möwen, Hunderte, so will es scheinen. Auch die Kinder kreischen, jauchzen. On the tall cliffs – sons and daughters, they were getting older. Warum kommt mir hier in dieser Gegend stets der alte Peter Gabriel Song in den Sinn? Anyhow … Ab und zu schippert ein dicker Kahn vorbei, die meisten tragen Frauennamen am Bug, doch dieser hier, der heisst „Extase“ und ich muss schmunzeln. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Freundlich rücke ich ein wenig auf der Bank nach rechts und kündige sicherheitshalber an, ich wolle eh gleich weiter. Doch schnell spüre ich: hier geht was. Sie habe schon weiter vorn dort auf der Bank Platz nehmen wollen, doch die Tussi mit dem Smartphone habe sie genervt: „Ohrstöpsel raus und Häh, da kann ich gar nicht drauf.“ Passt gut, sage ich und füge an, was ich des Morgens dachte: ich sei wohl der letzte Mohikaner ohne Handy. Niemals offline? An absolute no-go! Die Unterhaltung nimmt ihren Lauf. Auf jedes Stichwort des einen fällt dem anderen sofort etwas ein – so kenne ich das selten. Still life talking. Sons and daughters, we are getting older. Sie ist gebildet, agil, braungebrannt mit Designerbrille und sehr hager, hat eine degenerative Erkrankung an den Händen, kann nicht mehr Fahrrad fahren, sei aber gut zu Fuss. Mein Rad sei mein Rollator, kontere ich beipflichtend. Sie mache auch Krafttraining, zeigt mir die Muckis ihrer Oberarme. „Beachtlich!“ Artists are allowed to praise each other. Das Gespräch läuft eine lange Weile so, mit der Geschwindigkeit eines grassierenden Steppenbrands, und irgendwann dann setzen wir beide behutsam zum Landeflug an. Vielleicht treffe man sich ja mal auf einer Kunstausstellung oder Party. “ … dann besaufen wir uns, aber richtig!“ Gut zwei Stunden sind schnell vergangen, die geplante Radtour kann ich jetzt knicken. Sei es drum – we took the long way home.

 


 
 
 
Um die Mittagszeit auf einer Bank am Kanal: im herbstlichen Sonnenlicht kurz verweilend, im Rücken das Naturschutzgebiet. Den Blick erst übers Wasser auf die Hafenkräne und Container mit der Aufschrift „Hamburg Süd“ gerichtet, dann das über dem Kopf sich vollziehende Schauspiel ziehender Kraniche beobachtend, öffnet sich plötzlich etwas. Sich vornehmen, fortan beständiger Zeuge zu sein und Botschafter der magischen Kraft kontemplativer Zustände, ohne die wenig geht: denn sie garantieren die Fähigkeit zur Abstandnahme, den kreativen Zufluss von Nichts und bringen wieder Spiel ins Getriebe. Zuhaus auch gleich den Sloterdijk aus dem Regal geholt (aus der Apotheke filosofischer Vitamine), in Streß und Freiheit geblättert, das die Ambivalenz zwischen Liberalitätsdrang und gesellschaftlichem Engagement thematisiert. Von Becketts Eleutheria ist dort die Rede und von Rousseaus beschaulicher Fahrt auf dem Bieler See in seinem fünften Spaziergang. Ein ergoogeltes Gedicht von Nietzsche aber, mit dem Titel Sils Maria, bringt das Phantom der Öffnung in aller Kürze auf den Punkt:

 

Hier saß ich, wartend, wartend, — doch auf Nichts,
Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.

Da, plötzlich, Freundin! wurde Eins zu Zwei —
— Und Zaratustra ging an mir vorbei …

 


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