Manafonistas

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Archives: My 33 favourite albums of 2021

 

These two music lovers from the unbeatable team of The Manafonistas come to mind first after some deep listening of Masabumi Kikuchi‘s final recording. (Playing solitaire is nice, but I like sharing my enthusiasm from time to time.) Guys, you should listen to „Hanamichi“ in the next blue hour available (this album might  suit your taste for the unknown in the well-known). „Poo“ (as he was called by friends) had his influences reaching from the spheres of classical music to the phenomenal horizons of Keith Jarrett‘ s solo flights, but, with a very distinct, personal touch, he had never been just strolling old venues. I think you know some of his ECM recordings. This album, produced by Sun Chung in December 2013, is the pianist‘s final recording and has only now seen the light of day, being the first release on Red Hook Records. And what a beautiful one that is. Freewheeling and lyrical in equal measures, the music draws me inside, and even an old tune like Gershwin‘s „Summertime“ makes me stop in the tracks. Every solo piano album comes along with a decent amount of cultural baggage – a joy to hear Masabumi Kikuchi handling the weight of tradition with a perfect balance of forgetting and remembering. The sound is perfect, too, intimate, warm, and crystal clear. In my next radio night I will probably play a sequence of five tracks in a row – Masabumi‘s performance of that old movie tune, „Ramona“ at the centre, surrounded by two songs from the latest „Mountain Goats“ album, and two solo bass pieces by Marc Johnson, from his forthcoming album „Overpass“. Excellence guaranteed!

Es schien alles ganz normal, als ich gestern das alte Ritual beging, meine Runde über und unter dem roten Kliff zu drehen. Normal gerate ich in einen leicht meditativen flow, der Kopf wie leer gefegt: eine kleine Atemkonzentration, die  Gedanken hierhin und dorthin lenkt, schwebend, flüsternd, leisetretend. Aber dann dachte ich doch etwas länger an Peter Laughner, an den sich die wenigsten von euch erinnern werden. Er war ein Musiker aus Cleveland und gelegentlicher Musikrezensent, der im Juni 1977 im Alter von 24 Jahren an akuter Bauchspeicheldrüsenentzündung starb. Ungefähr ein Jahr zuvor, im März 1976, schrieb er eine vernichtende Rezension von Lou Reeds „Coney Island Baby“ für das „Creem Magazine“, im Stil von Lester Bangs (der selbst weitgehend ein  Lou-Reed-Verächter war).

Ich selber besass die Platte einmal, meine Erinnerung ist undeutlich, aber ich glaube, ich mochte einige Songs und Atmosphären des Albums (und gab es da nicht auch ein wunderschönes Liebeslied?) – ich hätte ihm wahrscheinlich drei oder dreieinhalb Sterne gegeben. Ich holte meinen museumsreifen Sony Walkman raus, und liess diesen einen Song aus dem neuen Album „Dark In Here“ der Mountain Goats. Übersetzt liest er sich ungefähr so:  

„Man stelle sich eine Zeit und einen Ort vor / Empfindungsfähige Objekte, die im Raum treiben / Versuchen, die notwendigen Berechnungen zu machen / Versuchen, den geheimen Pfad zu finden / Stumm gewordene Meere in der Spiralhülle / Als du fielst. / Fackeln brannten, um den Weg zu erleuchten / Der ganze Treibstoff verbrannt in nur einem Tag / Wird es einen anderen Weg geben? / Das wirst du nicht sagen können / Du, der du den alten Zauberspruch mitnahmst / Als du fielst / Zu hart zu lange verletzt und zu jung gestorben / Silberdollar glitzert auf deiner Zunge / Möge dein Durchgang gesichert sein / Mögen alle deine üblen Leiden dort geheilt werden / Systeme schließen sich an mehreren Fronten / Du wirst immer einmal hier gewesen sein / Die letzte Wildkatzenquelle des Westens / Als du fielst.“  

Diese Verse darf man auch erstmal auf sich wirken lassen. Das Lied wird von den Mountain Goats mit luftiger Würde  vorgetragen wird. Wie gesagt, um der Magie des Albums nahezukommen, sind die Texte unerlässlich. Ich lese hier und da Besprechungen, die sich schlicht an der Coolness einiger Melodien erfreuen, und dabei einfach ausblenden, welch verstörenden  Schrecken sie von Fall zu Fall  in Wort und Bild verbreiten. Nun weiss ich nicht, ob John Darnielle „Coney Island Baby“ liebte – auf jeden Fall ist es spannend, wie er in diesem Song an Peter Laughner erinnert, an seinen Verriss der alten Lou Reed-Platte.

Es schien also alles ganz normal, als ich gestern das alte Ritual beging, meine Runde über und unter dem roten Kliff zu drehen. Mein Gedanken wanderten hierhin und dorthin, und manchmal in dieselbe Richtung wie die Füsse. Aber dann stockte ich. Die Max-Frisch-Steintafel war verschwunden. Kein einziges Mal ging ich im letzten Jahr achtlos an ihr vorbei, stets hielt ich an, und inhalierte die Naturbeschreibung des Schweizers geradezu – eine Yogaübung verlangsamten Lesens. Jetzt aber war die Steintafel fort, die hier seit Jahrzehnten ihre Arbeit verrichtete, die darin bestand, einfach da zu sein. Ich fragte zwei Ureinwohner der Insel, aber keinem war etwas aufgefallen, keiner hatte etwas über einen Kulturraub gelesen. Ich fragte mich, ob ich träume. Ich fragte mich, ob ich zu sehr im Song der Mountain Goats aufgegangen sei, oder in meiner Erinnerung an ein fast vergessenes Album von Lou Reed, als ich Max Frischs Nachtgedanken passierte. Ein kleines Inselrätsel.

Natürlich gibt es eine Geschichte der „Konkreten Musik“, die aus Geräuschen eine eigenartige Klangwelt filtert, oder sich inspirieren lässt von Geräuschen, Naturklängen, mitunter aussterbenden Geräuschen einer bestimmten Tier- und Pflanzenwelt – aber so erfinderisch, so verwegen, habe ich in den letzten Jahren kaum eine Musik wahrgenommen, die eine Bio-Sphäre erforscht, durch Recherchen und Studien vor Ort, um später im Studio aus all den Fundstücken ein Album zu entwickeln, das alle gängige Esoterik erhabener New Age-Sounds so vollkommen abstreift wie nüchtern-akademische Feldforschung. Gab es Vorbilder für diese Musik, und ihre einzigartige „Psychedelik“?

 

 

Die Nacht der Klanghorizonte am 19. Juni beginnt mit einem langen Musikstück, ich sage vorher kein Wort. Wenn man die ersten Minuten davon gehört hat, weiss man ohnehin, wo der Bartel den Most holt in dieser Nacht. Es gehört zu einem Genre, das gar nicht so fest umrissen ist, und von Nik Bärtsch „ritual groove music“ genannt wird. Damit verhindert er die üblicherweise ins Spiel gebrachten Wörter mit langen grauen Bärten, wie „Jazz“, „Minimalismus“, „Ambient“ und „Klassik“. Klassik hat den längsten Bart, historisch gesehen – um ihn zu stutzen, beschränken sich einige auf „Zeitgenössische Klassik“. Wörter wie „zeitgenössisch“ halten sich auch nur noch im Feuilleton wacker aufrecht, sie sind massiv einsturzgefährdet, so obsolet wie heutige Parteitage der von Gerhard Schröder abgewirtschafteten SPD, auf der man sich immer noch feuchtfröhlich als „liebe Genossinnen und Genossen“ anredet. Zur „ritual groove music“ könnte man leichterhand The Necks zählen, „Joshua Abrams & The Natural Information Society“, Nik Bärtschs Ronin sowieso, und das wunderbare Album, das meine Radionacht einleiten wird. Interessant, das ich bei dem ersten Stück der CD hier und da an die feinen repetitiven Wirbel der „ride cymbal“ von Eberhard Webers Album „Yellow Fields“ dachte! Ein Album, das man „organische Puls-Musik“ nennen könnte (wenn das nicht zu sehr nach veganem Lebensstil klingen würde), und bis heute nichts von seiner Magie verloren hat. Mein erstes Album der Nacht ist ein Werk, dem man daheim am besten von Anfang bis Ende lauscht. Es ist, nebenbei bemerkt, exzellent aufgenommen, und muss keineswegs laut gehört werden. Die Musiker leisten sich den Luxus, ihre Tableaus in oft recht hohen Tonlagen anzusiedeln, ohne schrill zu werden. Die Luft ist halt dünn in solch entlegenen Terrains (und Nachtlandschaften), über denen das  beste Opus, das diese Bande Gleichgesinnter je gemacht hat, schwebt, in all seinen aufregenden Perspektivwechseln, Eindunklungen, und Verwirrspielen. Ich verleihe dem Album 4 1/2 Sterne. Soviel, wie John Green in seinem tollen Essayband über das Anthropozän den Höhlenmalereien von Lascaux gibt. A strange, strange world, und, for sure, one my 33 favourite albums of 2021. Dim the lights, and follow the tapestries. 

 

As Soul Jazz Records HQ (London) announced in 2020, the duo from Tucson, Arizona, Trees Speak,  sees their project „as much a sound laboratory as a rock and roll band.“ Combining elements of experimental rock, electronic avant-garde, Krautrock and Miles Davis „Bitches‘ Brew“ era jazz. They construct abstract improvisational jams into coherent compositions in the „sound lab“ of the studio. The result is a collection of dynamic songs, as the band described them, „translucent jams for a virtual autobahn“.

 

Philosophically, the members of Trees Speak also draw inspiration from the philosophy and creative process of the Surrealist, Dadaism, The Avant-Garde and Vanguard movements from the 1920s. So far, so good, or even better – with the release of „PostHuman“ at the end of May, Soul Jazz Records will have published three albums of this highly creative duo of the Diaz brothers. „Trees Speak are Daniel Martin Diaz and Damian Diaz from Tucson, Arizona and their music often draws on the cosmic night-time magic of Arizona’s natural desert landscapes. ‘Trees Speak’ relates to the idea of future technologies storing information and data in trees and plants – using them as hard drives – and the idea that trees communicate collectively.“ (SJR HQ)

 

 

 

 

I discovered their music with the second album, „Shadow Forms“, and was particularly thrilled by their ways of keeping diverse spirits of „the golden era of kraut rock and beyond“ alive, alive and kicking – and pushing them into new landscapes. It was not a short affair, I went back to the albums again and again. Nostalgia is only a small part in the game of digging into the world of Trees Speak.

 

We exchanged some mails, and sending them some of my night hours and ideas, they obviously appreciated my ways of curating music, and are now in the mood to be virtual, real, really virtual guests on my „Moon In June“- radio night in Cologne, giving their first interview ever (which came as a surprise for me, looking at the high critical acclaim of their music). They will speak about all of their three albums and their special approach to sounds from distant eras and distant horizons. Improvisation is one of the tools of their modus operandi. Excerpts of or „trance-atalantic“ conversation will be part of the first hour, and the fourth one (the first time travel section of the June 19).  Make a mental note, don‘t miss the show for your own good. Get high without drugs – trees speak!

 

 

„Ehrlich jetzt, die Platte begann mit Steely Dan, mit dem, was so 1970 bis 1977 in der Musik abging, in den USA, besonders die Sachen, die in New York entstanden?“

„Yes, and every Steely Dan record, always. I remember driving to Corpus Christi, Texas, on a beach vacation. Eating fried clams while looking at an amateur version of Botticelli’s The Birth Of Venus and then listening to Katy Lied on the way back to our geriatric condo. The balmy air.“

 

v i d e o

 

Sie hat erzählt, dass die Lieder ihres neuen Albums von dem Sound der Siebziger geprägt seien, „those rocking radio times in NYC.“ Eine zeitliche und geografische Blase, erstmal kaum mehr als eine blitzgescheite Übung aus dem weiten Feld von Retro, wäre der Grund für die Inspiration nicht so verheerend.

Vor zwei Wintern wurde ihr Vater aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er seine Zeit für seine Rolle in einem millionenschweren Aktienmanipulationsprogramm abgesessen hatte. Sie begann zu dieser Zeit mit dem Schreiben dieser Songs, „um den Kreis einer Reise zu schließen, die mit seiner Inhaftierung im Jahr 2010 begann.“ Die Inhaftierung und anschließende Freilassung ihres Vaters habe sie zurück zu den Schallplatten geführt, mit denen er sie in ihrer Kindheit bekannt gemacht habe, erklärt sie. Platten, von denen sie glaubt, dass sie die „wahrscheinlich mehr als jede andere Musik“ in ihrem ganzen Leben gehört habe.

Der Effekt ist nicht so sehr eine musikalische Imitation, sondern eher etwas aus den Abteilungen „Tieftauchen“ oder „Tiefgraben“; ein Hinabsinken in die persönliche Gedächtnisbank der Sängerin, eine greifbare, sinnliche Erfahrung. Die Verschmelzung von Saxophon, Synthesizern, Wurlitzer, Bläsern, die außergewöhnlichen Winkel ihrer Gitarre, die Dehnung und das Schnappen ihrer Stimme bringen ein Gefühl von Großstadthitze: sie drücken gegen die Haut und winden sich um die Beine, schwül und durstig und fiebrig. Dazwischen hängen drei Interludien wie Dunst. Alles, Achtung Modewort, tiefenentspannt. Aber hinter der Pose das Trauma, das Tanzen, und das ganze Theater namens Ich (schwankende Grösse), Du (schwankende Grösse). Und Welt (verloren, gefunden). Man höre das Album mal in aller Ruhe. Und stellt dann wohl fest, wie verstörend dieser Sound der Seventies daherkommt, nämlich nicht als Ruhekissen, Seelenbalsam, sondern als, zumindest streckenweise, reichlich tollkühne Wiederbelebung voller Verfremdungen. Ob das Album nun verstört oder verzaubert, liegt ganz im „ear of the beholder“. Bei mir wirkt‘s!  (P.S. Liebwr Jan, hier ist als Co-Produzent, und Co-Player, wie bei Lana Del Ray zuletzt, wieder Jack Antonoff dabei, der Typ ist ganz gross!)

 

(getextet, remixt von Laura Barton, Michael E. Und Deep L.)

 

Irgendwann an diesem seltsamen Tag (heute) schrieb mir David Webster eine Mail aus London, wo das Leben vorübergehend oder dauerhaft, auf jeden Fall, allmählich wieder erwacht. Und er sprach mich auf das neue Album einer seiner Lieblingsbands an, und ich antwortete: „Ich glaube, ich bin zu alt für diesen Scheiss.“ Wir sind gute Freunde (obwohl mich seine Frau nie mehr leiden konnte, seit mein letzter Liebeskummer im alten Jahrhundert ihr gehörig das Weihnachtsessen trübte), und es besteht nicht die Gefahr, dass er dauerhaft traumatisiert wird durch mein freches Mundwerk. Als ich dann vorhin den Spargel dünstete, einen Obstsalat anrichtete, und einen Sauvignon öffnete, liess ich das Opus auf spotify laufen, und, meine Fresse, wie gut ist das denn?! Ein Lagerfeuer, Merseybeat Time, ein uralter Storyteller, und querbeet die Schwingungen, mal eine verlorene Spur der Kinks, mal die Art, einen Vers zu wenden, a la Leonard Cohen. “It’s worth every penny that you spend / the golden age has just begun / Hear the laughter, sing the song. We’ll make you feel like you belong.” Ach, ach. Wenn das Altmodische zeitlos wird. Wetten, dass die Klanghorizonte im Juni mit diesem Album beginnnen?! Und wenn  ich in all den Jahren  nicht in London City war,  zuweilen mit David in einem Pub an der Themse (immer meine liebsten Pubs, in Flussnähe), wollte ich zu den Küsten nach Dorset und Cornwall. Da herumzustreifen, das hat mich stets ein wenig berauscht (das grösste Reisebenteuer in einem verlassenen Haus, mit Blick Richtung Meer und Orkney-Inseln, in den Tagen nach dem Tod von David Bowie) –  auch deshalb scheint mir dieses ganze Album so verführerisch: „A concept album based on the band members‘ sepia-tinged memories of spending time at seaside resorts on the West Coast of England, the album is wide ranging, deeply felt, and sonically enthralling.“ Südküste, Westküste, Nordküste,  ganz egal, ich bestelle gleich das Vinyl. “I walk alone, laughing in the face of love / I glide through the alleyways / It’s bittersweet, like a glass-half-full with rain.” 

 

Als Olaf W. mich vor Wochen auf dieses Album hinwies, war ich erstmal sehr zurückhaltend. Ein Elektronik-Produzent, ein alter Jazz-Hase, und dann noch das London Symphony Orchestra. Mir fielen fürchterliche Verbindungen von Jazz und Symphonik ein. Und dann noch Synthesizer. Zu Pharoah Sanders hatte ich meist einen guten Draht, aber leicht kann es närrisch zugehen, wenn das hohe Alter naht. Es gibt nun mittlerweile dutzendweise Lobgesänge auf „Promises“. Auch in Pop-Zirkeln, ähnlich wie vor Jahren bei diesem Dingsda, dessen Namen ich zum Glück gerade vergessen habe. Ein verquastes Gebräu war das, aus Pomp, betont tiefschürfendem Jazz, und kosmischem Geraune – die Naiven witterten tatsächlich einen neuen Coltrane. Nun hat Pharoah Sanders einst selbst mit Coltrane gespielt, noch dazu auf Augenhöhe. Aber Zeiten ändern sich, und es sind schon andere Wilde in der Nostalgie und Weichzeichnung alter Meriten gestrandet. Der Londoner Elektroniker nennt drei Künstler in einem Atemzug, die seine Arbeit an den „nine movements“ inspiriert hätten: Claude Debussy, Olivier Messiaen und Bill Evans. Hoch hängt die Latte – mein lieber Herr Gesangsverein! Sam Shepherd hatte natürlich zwischendurch immer wieder Kontakt zum Saxofonisten, und einmal erzählte ihm dieser vielleicht schon weise, gewiss aber sehr alte Mann folgendes:  „Ich bin auf einem Schiff auf dem Ozean. Bären kommen vorbei und rauchen Zigarren. ‚Wir haben die Musik‘, singen die Bären. ‚Wir haben, wonach du gesucht hast.‘ “ MhhmmmEin Traum. Vielleicht ein Schlüssel zur Musik? Wenn man in diesen Tagen auf die Uwe-Düne steigt, ist man dort stundenlang allein. Der, nach dem die Düne benannt ist, hat hier im Norden deutsch-dänische Geschichte geschrieben, landete zwischendurch im Knast, und nahm sich Ende der Dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts in Rio de Janeiro das Leben. Jeder Wanderweg ist hier ein Bildungsweg. Aber klar ist auch: wenn ich meine Boom-Box raushole, spotify anzapfe, bin ich in exklusiver Gesellschaft eiskalter Ostwinde, und dieser Musik von Floating Points, Pharoah und dem LSO. Ich hatte mich ganz dick eingepackt, und lauschte der Musik vom ersten bis zum letzten Ton. Ich traue meiner Faszination im nachhinein noch nicht so recht über den Weg – der Raum, in dem ich die Komposition in mich aufnahm, auf dem höchsten Punkt von Sylt, war zu speziell, um nicht jedem Sound eine bestimmte Aura zu verleihen. Ich blickte aufs Meer hinaus, um herauszufinden, ob ich gerade vielleicht selber träumte – aber ich sah keine qualmenden Bären. Was die wohl geraucht haben?! Und so habe ich alle Fertigurteile ausgesetzt, und mich ein weiteres Mal mit Pharoah verabredet, dann aber nachts in einem Strandkorb. Immerhin kann ich schon eins sagen: die Musik hat was.

 

Ich mag diese Platte total gerne. Ursprünglich als Soloalbum eines nicht ganz unbekannten Musikers gedacht (der einst in den 80ern die Sahne auf die Torte eines Hits einer singenden Schmalzlocke zauberte), wird sie bei denen, die diesen Meister seines Instruments kennen, wahlweise für Irritation / Faszination sorgen. Es ist zurecht ein Duo-Album geworden, ausgestattet mit einer raffinierten Portion Jazz. Rein instrumental, fragmentiert, in Sekunden höllisch funky & dann wieder seltsam verloren. Das Gebräu weigert sich strikt, einem steten Groove zu folgen, wechselt nahtlos von einem halluzinatorischen Halbstil zum anderen. Das Spiel der Akteure ist sowohl abenteuerlich als auch strukturiert, und das überraschende, wohltuende Resultat hätte auch eine Veröffentlichung verdient gehabt auf Enos Obscure-Label aus den 70ern. Es wäre Obscure No. 11 gewesen. Nur ist eben eine Neuheit, und das Cover setzt genauso auf Unauffälligkeit wie der Titel dieser Langspielplatte. Die Frage ist: um welches Opus handelt es sich hier? Die Antwort wird nicht wirklich weiterhelfen, denn die Musik bleibt ein Rätsel. Wie Lana Del Ray.

2021 15 Mrz

Valerie

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Gestern hatte ich in aller Ruhe das neue Album von Valerie June gehört. Und ein interessantes Phänomen erlebt. Auf den ersten Eindruck schien es überproduziert. Zudem musste ich mich an die hohe Stimme gewöhnen. Das gelang mir beim vorigen Album, und jetzt auch wieder. Als ich mich dann durch die Lieder bewegte, von Raum zu Raum, in einem weitreichenden Sammelsurium der Stile – geriet erstmal alles in Schwingung zwischen den Ohren, es zirpte, trommelte leicht, sprühte Pastell mit lauter zart besaiteten Instrumenten – selbst sich rar machende Blasinstrumente (so kommt es mir in der Erinnerung vor) schienen bevorzugt im Hintergrund zu tänzeln. Zusätzlich waren die offiziellen Videos einzelner Songs gar nicht mein Fall, so edel designt. Sollte ich mir erste Krokosse ins Haar flechten? Doch dann kippte alles, was frühe Wahrnehmungen suggerierten: ich konnte mich hineinfallen lassen in den Strom feinziselierter Melodien, die Stimme entwickelt einen anderen Soul, von Song zu Song, es packte mich dermassen, dass die Zeit nur so dahinflog beim zweiten Hören. Zum Beispiel dieser Song: “Two Roads” begins as a soul pastiche but quickly morphs into a gorgeous country song, drenched in honey-sweet pedal steel. The song is about grappling with the consequences of past decisions, with June—like her soft, upper-register vocal hook— sounding lost in the clouds. Auf den Punkt gebracht: All that deepness in the lightness. All those spaces in between. Erstaunlich gute Platte.

 


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