Manafonistas

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Archives: The Coral

 

“Yeah, I think it can only work on a telepathic level. It was natural – you live almost like a cult when you’re younger. Each person would have their thing they were into most and they’d bring that to the table. (…) We’d all gravitate to certain things – Everyone loved Lee Perry, I loved Frank Sinatra and doo-wop groups. My grandad had all these old records, like Reader’s Digest Hawaiian and choral records, and that’s where we’d pick a lot of stuff up from.“

(James Skelly, The Coral)

 


Im letzten Jahr fand ein Doppelalbum viele begeisterte Hörer, „Coral Island“ von The Coral, eine Zeitreise entlang alter englischer Küstenkäffer, mit wunderbaren spoken word-stories und einem Melodientaumel, der in alter Zeit manche Jukebox in Beschlag genommen hätte. Seltsamerweise  war ich der einzige Manafonist, der in den Sog dieses Trips geriet – was meine Erinnerung an zwei Wochen Torquay wachrief, an eine surreale Bootsfahrt mit einem sprechenden Hund. 
Eine urbritische Band knüpfte damit an den Zauber von „Magic and Medicine“  und ihres Debuts „The Coral“ an, aus dem Jahre 2002, das jetzt neu aufgelegt wird (diese „anniversary edition“ enthält die üblichen b-sides und rarities, mit einigen echten Granaten – und das Cover spricht sowieso Bände) –  und damit sind schon mal in einem Satz drei ziemlich grossartige Popalben genannt. 


Damals waren einige von den sechs Freunden noch Teenager, und sie liebten gutes Haschisch, Captain Beefhearts „Safe As Milk“ (das auch ein gewisser Brian Eno grandios fand), und „Forever Changes“ von Love, dass in unendlich vielen Bestenlisten auftaucht. Nun habe ich immer nur vom Kopf, aber nie vom Bauch her verstanden, was an diesen beiden Platten so weltbewegend sein soll, aber ganz sicher war ich damals dem rauen Charme des Debuts der Briten erlegen. Wer noch eine alte Aufnahme der „Klanghorizonte“ aus jener Zeit besitzt (verwittert, Chromdioxid) – das Interview mit James Skelly war ein echtes Highlight. 
Mein alter Bekanter Tom Pinnock lebte vor Ort und besitzt wesentlich mehr Insiderwissen – er bringt es so auf den Punkt:


Die Zeit hat eine Art, die rauen Kanten von Songs zu glätten, das, was einst schockierend war, abzuschleifen, bis es sich sicher anfühlt. Einige Momente sind jedoch seltsam widerstandsfähig: Zum Beispiel „Revolution“ von den Beatles, dessen stechender Fuzz immer noch so ungesund aufregend ist, wie er es vor fast 54 Jahren gewesen sein muss. Auch „Skeleton Key“ von The Coral hat sich als ziemlich hartnäckig erwiesen: Der erste richtige Vorgeschmack auf ihr selbstbetiteltes Debüt aus dem Jahr 2002 kombinierte ungelenkes Beefheart-Geschepper mit Shanty-Gesängen und einem Space-Rock-Mittelteil, der wie von einem Post-Syd-Floyd-Album herübergebeamt schien. Oh, und ein scherzhaftes Disco-Funk-Coda, in dem die Band scheinbar die Kinderfernsehserie Byker Grove zitiert. Die Mischung dieser Elemente ist an sich nicht bemerkenswert, aber die Art und Weise, wie das Sextett es geschafft hat, dass sich das Ergebnis so natürlich und zusammenhängend anfühlt, ist es schon.

„We’d always wanted to make an album about the lost pier towns like Blackpool and Morecambe. It wasn’t an effort, it developed as it went on. I wrote liner notes and the band said, “We should record these, let’s get an actor to do it.” But James and Ian’s grandad was always this storyteller. We used to come in on acid and he would sit there and get his diaries out. He’s this really storied, beatific kind of guy. So we got him, and James put him through the space echo.“ (Nick Power)


“In a bar called The Calico Girl, a Jukebox plays an echo of music from another time, another place, maybe. It‘s hard to pin. But the sound is of railroads and Wurlitzer notes. It washes over you like dandelion floats. The rush of childhood and the arms of the arcade. Here‘s where hallucinations are made.“ 

 

„Ideen wie diese entstehen immer nachts um 1 Uhr während dunkler Autobahngespräche. Wir dachten uns: Warum fassen wir nicht einfach unsere Erfahrungen zusammen, die wir gemacht haben, als wir in einer kleinen Stadt an der Küste aufwuchsen, im Schatten von Liverpool und Wales, in diesem Niemandsland zwischen diesen beiden wirklich starken magnetischen Kräften, ohne jemals Teil einer von beiden zu sein.“ (Nick Power)

 

„Es geht auch um den Versuch, eine Idee von der Küste einzufangen, die in unserer Vorstellung existiert. Ich habe am Meer gelebt, aber Mama und Papa besaßen Pubs, also bin ich auch viel umgezogen. Ich bekam meine Ideen aus Büchern und Musik, aber ich fühlte mich immer von dem Gefühl dieser Küstenwelt angezogen. Ich fasse es so zusammen: Wenn dz jemals das Geräusch des Windes zwischen den Segeln der Boote im Hafen gehört hast …  für mich klingt das wie die Musik von Joe Meek, Jahrmarktsmusik. Es ist der Klang von Geistern; der Klang einer Welt zwischen den Welten. Der Klang der Koralleninsel.“ (Richard Skelly)

 

Ich war 17, hatte meine Baskenmütze auf dem Kopf, und sass auf einem Pier in Torquay. Ich sah auf die Palmen und hatte bis zu diesem Trip nach England nichts von den Palmen und dem Golfstrom dort gewusst. Vor mir auf der Kai-Mauer lag ein kleines Taschenbuch über das richtige Pfeiferauchen. Ich hatte alles Nötige dabei, und auch den Tabak meiner Wahl. Da es der einzige Tabak ist, den ich je in einer Pfeife rauchte, habe ich ihn nie vergessen: „Mac Baren‘s Mixture Scotish Blend“ verströmte einen süssen Honigduft, das Whisky-Aroma liess sich allenfalls erahnen. Er galt, wie ich las, als zungenfreundlich, ein Tabak, der langsam und kühl abbrennt, wenn er mit Bedacht genossen wird. Ich befolgte die Anweisungen zum Stopfen der Pfeife sorgsam, aber im Endeffekt scheiterte ich, immer wieder ging mir nach wenigen Zügen die Glut aus. Eine klare Niederlage. Wie in der Zeit davor, in der ich mir das Bridgespielen beibrachte, aus dem dann ein Solo für Vier wurde, weil kein Kumpel das Spiel lernen wollte. Ich hatte die Lektion gelernt, und mir später ein Buch mit Patiencen besorgt.

Das alles kommt mir in den Sinn, weil gerade „Coral Island“ läuft, das neue Doppelalbum von The Coral: und wenn man auch nur das kleinste Faible für englische Küstenkäffer hat, sind bei diesem Album Zeitreisen garantiert. Echos von den Beatles bis Leonard Cohen, von den Small Faces bis zu den Kinks, aber doch eine ganz eigene „Geisterwelt“.

Damals, auf diesem Pier in Torquay, als ich an der Pfeife scheiterte, ist noch etwas passiert, das ich nie vergessen werde. Ein grosser Hund mit Schlappohren, eine Promenadenmischung, kam zu mir angetrottet, kein Besitzer war weit und breit zu sein, und er hockte sich zu mir. Wir erzählten uns ein paar Geschichten, jeder auf seine Art. Er hiess Joe. Irgendwann signalisierte er mir, ihm zu folgen, und über einen Steg gelangte ich auf ein luxuriös augestattetes Boot. Klein, aber oho! Wir machten es uns dort gemütlich, er mit einem, Knochen, ich mit einem Fernrohr, das ich in der Kajüte fand.

Dann muss ich eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, waren wir auf offener See, und ausser dem Hund und mir war weiterhin niemand an Bord. Ich sah in der Abenddämmerung das Funkeln der Lichter der Küstenpromenade, und pure Freude durchströmte mich. Ich erkannte Fetzen eines Songs, wohl aus einer Jukebox, und aus weiter Ferne, „Mellow Yellow“ von Donovan. Wie kann ein Lied so unbedrängt aufs Meer hinaus fliegen? „…Born-a high forever to fly….A-wind-a velocity nil….Born-a high forever to fly…If you want, your cup I will fill…“ Aus meinem Rucksack holte ich ein Büchlein über das ABC des Bootfahrens. Wir waren gerettet.

 

(Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. So hinreissend, wie auf „Coral Island“  Song und spoken word einander bereichern, so schwebend und profund gelang dies im letzten Jahr einem anderen, viel zu wenig wahrgenommenen,  Meisterstück made in Britain: „Tunng presents Dead Club“. Das Album ist nicht nur eine fesselnde, vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Tod, es gibt dazu auch einen nicht weniger interessanten Podcast. Wäre ich Musiklehrer, stände dieses Album in meinem Unterrichtsplan, wäre ich Philosophie- oder Englischlehrer, ebenso.)

 

“In a bar called The Calico Girl, a Jukebox plays an echo of music from another time, another place, maybe. It‘s hard to pin. But the sound is of railroads and Wurlitzer notes. It washes over you like dandelion floats. The rush of childhood and the arms of the arcade. Here‘s where hallucinations are made.“ 

 

Ich war 17, hatte meine Baskenmütze auf dem Kopf, und sass auf einem Pier in Torquay. Ich sah auf die Palmen und hatte bis zu diesem Trip nach England nichts von den Palmen und dem Golfstrom dort gewusst. Vor mir auf der Kai-Mauer lag ein kleines Taschenbuch über das richtige Pfeiferauchen. Ich hatte alles Nötige dabei, und auch den Tabak meiner Wahl. Da es der einzige Tabak ist, den ich je in einer Pfeife rauchte, habe ich ihn nie vergessen: „Mac Baren‘s Mixture Scotish Blend“ verströmte einen süssen Honigduft, das Whisky-Aroma liess sich allenfalls erahnen. Er galt, wie ich las, als zungenfreundlich, ein Tabak, der langsam und kühl abbrennt, wenn er mit Bedacht genossen wird. Ich befolgte die Anweisungen zum Stopfen der Pfeife sorgsam, aber im Endeffekt scheiterte ich, immer wieder ging mir nach wenigen Zügen die Glut aus. Eine klare Niederlage. Wie in der Zeit davor, in der ich mir das Bridgespielen beibrachte, aus dem dann ein Solo für Vier wurde, weil kein Kumpel das Spiel lernen wollte. Ich hatte die Lektion gelernt, und mir später ein Buch mit Patiencen besorgt.

Das alles kommt mir in den Sinn, weil gerade „Coral Island“ läuft, das neue Doppelalbum von The Coral: und wenn man auch nur das kleinste Faible für englische Küstenkäffer hat, sind bei diesem Album Zeitreisen garantiert. Echos von den Beatles bis Leonard Cohen, von den Small Faces bis zu den Kinks, aber doch eine ganz eigene „Geisterwelt“.

Damals, auf diesem Pier in Torquay, als ich an der Pfeife scheiterte, ist noch etwas passiert, das ich nie vergessen werde. Ein grosser Hund mit Schlappohren, eine Promenadenmischung, kam zu mir angetrottet, kein  Besitzer war weit und breit zu sein, und er hockte sich zu mir. Wir erzählten uns ein paar Geschichten, jeder auf seine Art. Er hiess Joe. Irgendwann signalisierte er mir, ihm zu folgen, und über einen Steg gelangte ich auf ein luxuriös augestattetes Boot. Klein, aber oho! Wir machten es uns dort gemütlich, er mit einem, Knochen, ich mit einem Fernrohr, das ich in der Kajüte fand. Dann muss ich eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, waren wir auf offener See, und ausser dem Hund und mir war weiterhin niemand an Bord. Ich sah in der Abenddämmerung das Funkeln der Lichter der Küstenpromenade, und pure Freude durchströmte mich. Ich erkannte Fetzen eines Songs, wohl aus einer Jukebox, und aus weiter Ferne, „Mellow Yellow“ von Donovan. Wie kann ein Lied so unbedrängt aufs Meer hinaus fliegen? „…Born-a high forever to fly….A-wind-a velocity nil….Born-a high forever to fly…If you want, your cup I will fill…“ Aus meinem Rucksack holte ich ein Büchlein über das ABC des Bootfahrens. Wir waren gerettet.

2021 4 Mai

The Sound of Coral Island

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„Ideen wie diese entstehen immer nachts um 1 Uhr während dunkler Autobahngespräche. Wir dachten uns: Warum fassen wir nicht einfach unsere Erfahrungen zusammen, die wir gemacht haben, als wir in einer kleinen Stadt an der Küste aufwuchsen, im Schatten von Liverpool und Wales, in diesem Niemandsland zwischen diesen beiden wirklich starken magnetischen Kräften, ohne jemals Teil einer von beiden zu sein.“

(Nick Power)

 

„Es geht auch um den Versuch, eine Idee von der Küste einzufangen, die in unserer Vorstellung existiert. Ich habe am Meer gelebt, aber Mama und Papa besaßen Pubs, also bin ich auch viel umgezogen. Ich bekam meine Ideen aus Büchern und Musik, aber ich fühlte mich immer von dem Gefühl dieser Küstenwelt angezogen. Ich fasse es so zusammen: Wenn dz jemals das Geräusch des Windes zwischen den Segeln der Boote im Hafen gehört hast …  für mich klingt das wie die Musik von Joe Meek, Jahrmarktsmusik. Es ist der Klang von Geistern; der Klang einer Welt zwischen den Welten. Der Klang der Koralleninsel.“

(Richard Skelly)

Irgendwann an diesem seltsamen Tag (heute) schrieb mir David Webster eine Mail aus London, wo das Leben vorübergehend oder dauerhaft, auf jeden Fall, allmählich wieder erwacht. Und er sprach mich auf das neue Album einer seiner Lieblingsbands an, und ich antwortete: „Ich glaube, ich bin zu alt für diesen Scheiss.“ Wir sind gute Freunde (obwohl mich seine Frau nie mehr leiden konnte, seit mein letzter Liebeskummer im alten Jahrhundert ihr gehörig das Weihnachtsessen trübte), und es besteht nicht die Gefahr, dass er dauerhaft traumatisiert wird durch mein freches Mundwerk. Als ich dann vorhin den Spargel dünstete, einen Obstsalat anrichtete, und einen Sauvignon öffnete, liess ich das Opus auf spotify laufen, und, meine Fresse, wie gut ist das denn?! Ein Lagerfeuer, Merseybeat Time, ein uralter Storyteller, und querbeet die Schwingungen, mal eine verlorene Spur der Kinks, mal die Art, einen Vers zu wenden, a la Leonard Cohen. “It’s worth every penny that you spend / the golden age has just begun / Hear the laughter, sing the song. We’ll make you feel like you belong.” Ach, ach. Wenn das Altmodische zeitlos wird. Wetten, dass die Klanghorizonte im Juni mit diesem Album beginnnen?! Und wenn  ich in all den Jahren  nicht in London City war,  zuweilen mit David in einem Pub an der Themse (immer meine liebsten Pubs, in Flussnähe), wollte ich zu den Küsten nach Dorset und Cornwall. Da herumzustreifen, das hat mich stets ein wenig berauscht (das grösste Reisebenteuer in einem verlassenen Haus, mit Blick Richtung Meer und Orkney-Inseln, in den Tagen nach dem Tod von David Bowie) –  auch deshalb scheint mir dieses ganze Album so verführerisch: „A concept album based on the band members‘ sepia-tinged memories of spending time at seaside resorts on the West Coast of England, the album is wide ranging, deeply felt, and sonically enthralling.“ Südküste, Westküste, Nordküste,  ganz egal, ich bestelle gleich das Vinyl. “I walk alone, laughing in the face of love / I glide through the alleyways / It’s bittersweet, like a glass-half-full with rain.” 


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