Manafonistas

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Archives: Michael Naura

 

 

Der Komponist Johannes Brahms, wäre ihm nicht der Leberkrebs dazwischengekommen, hätte vor einigen Tagen seinen 190. Geburtstag feiern können. Was mich daran erinnerte, dass Michael Naura und Wolfgang Schlüter ein Stück eingespielt haben, das sich lose improvisierend an eines der „Abendlieder“ des Geburtstagskindes anlehnt.

Country Children heißt dieses Album, aufgenommen 1977 von Dietram Köster bei Radio Bremen, erschienen 1980 auf dem wohl eigens für das Trio Naura/Schlüter/Rühmkorf geschaffene Imprint-Label ECM-SP. Die LP erlebte nur eine einzige Auflage; auf eine CD oder in einen Streamingdienst hat es die Platte nie geschafft — vielleicht, weil Manfred Eicher an der Produktion nicht selbst beteiligt war.

Michael Naura ist nicht Chick Corea und Wolfgang Schlüter ist nicht Gary Burton. Genau das spielen die beiden hier aus. Schlüter spielt Vibraphon und gelegentlich Marimba, er dreht Pirouetten und riskiert gelegentlich gewagte Sprünge auf dem Fundament, das Naura mit ruhigen, meist fließenden Klavierakkorden bildet. Fast alle Stücke könnte man sich auch als Begleitung für Peter Rühmkorfs von ihm selbst gesprochene Gedichte vorstellen, aber auf diesem Album ist er nicht dabei. „Ballade für eine Silberhochzeit“ legt die Stimmung fest, die das Album in wesentlichen durchhält. Ein paar atonale Einwürfe überraschen in „Schlafen“, „Rosemary’s Baby“ (die einzige Fremdkomposition) bringt ein paar klangtechnische Spielereien, die in ihrer Verwischtheit an den gleichnamigen Film denken lassen. Der Titeltrack „Country Children“ ist dem „Abendlied“ wie aus dem Gesicht geschnitten, „Call“ erinnert an ein früheres Album des Michael Naura Quartetts von 1971.

Wer Crystal Silence mochte, wird Country Children lieben. Zeit für ein Remaster!

 
eine generation verlässt uns
 
 
 
 


 
 

2017 16 Feb

Naura

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Sie waren alte Gefährten, Michael Naura am Klavier, und Peter Rühmkorf,  der an den Wörtern schmiedete. Naura hörte ich erstmals, und sehr oft, als Teenager, auf den Nordseeinseln, auf Langeoog (wo ich ein Buch von Rühmkorf erstand in der Buchhandlung Krebs, „Haltbar bis Ende 1999“), auf Borkum, auf Wangerogge, wo die grossen Ferien dann grosse Jazztage waren. Später, in den Neunziger Jahren, fuhr ich regelmässig mit dicken Tonbändern zur Rothenbaumchaussee, er liess mir freie Hand, vertraute meinen Themen fürs Jazzlaboratorium: beim Spätwerk von Talk Talk fragte er dann doch mal nach, aber als ich ihm versicherte, Ellington und Coltrane, Davis und Evans hätten ihre Auftritte da, war er beruhigt. Konrad Heidkamp lief in den Hallen umher und suchte Rares von Nina Simone. Einmal schickte mich die Jazzredaktion, in der immer auch die wohltuenden Wesen Tobias Hartmann und Hannelore Raukuttis ihr Werk verrichteten, eine Woche in den strömenden Londoner Regen, um die Experimentierstuben der Metropole aufzusuchen, ich traf Max Eastley, David Toop und andere, ich hörte Free Jazz im Polar Bear Club. Zu selten hörte ich spät abends Nauras bärbeissige Tiraden am Mikrofon, wenn er nachharkte, und desillusionierte, wo sich falscher Zauber ausbreitete. Wenn er sich begeisterte, war er in seinem Element. Ein bisschen NDR konnte ich immer mit nach Dortmund nehmen, und mir rare Jazzschallplatten aus dem Archiv leihen. Naura habe ich viel zu verdanken, als 1990 etliche Türen für mich aufgingen, unter anderem das Jazzmekka meiner Jugendzeit. Im Deutschlandfunk schlummert irgendwo mein 45-Minuten-Portrait. Onkel Pö kommt da nur am Rande vor, die Reisen mit alten Weggefährten durch das Ende der DDR schon mehr. Ich liess ihn einfach erzählen. Als er sich zurückzog, Ende 99, waren  die grossen Jazzzeiten im hohen Norden Geschichte, Jazzbeamte übernahmen das Zepter. Die alte Bundesrepublik ging permanent zuende. Naura, ein kauziges Original, nie aufs Maul gefallen – seine „blue notes“ und Blockakkorde trieben Rühmkorfs Texte an, während Wolfgang Schlüter dem Vibraphon reines Schweben entlockte und Eberhard Weber luftigste Erdungen besorgte – zwei gute, weitgehend vergriffene ECM-Platten dokumentieren Jazz & Lyrik in bewegten Hamburger Zeiten.

Derzeit muss ich die Tage so durchplanen, wie zuletzt in meinem „goldenen Jahrzehnt“ im Radio, in den Neunzigern, als ich noch quer durch die alte Bundesrepublik düste, mit dicken Tonbändern im Gepäck für Michael Nauras „Klanglaboratorium“, oder einer Kiste Musik für „Radio Unfrisiert“ im Hessischen Rundfunk.

Die einzige Konstanten der kommenden Tage sind der Morgencappuccino bei Larry und die Begradigung meiner Steuerschluderei. Und dann, vier Tage lang, in Klausur, für eine „englische Vorlesung“ in abgedunkeltem Raum! Mein Aufnahmegerät für Interviews hat nach so vielen Jahren den Geist aufgegeben – ein Ersatz muss her, für ein, zwei Interviews beim Punktfestival.

Nach den letzten 9 1/2 Wochen, einer Mischung aus Medizin- und Psychothriller (alles begann mit dem von Opium begleiteten „High“ nach dem Aufwachen aus einer Vollnarkose), frei nach dem fröhlichen Motto: „Schluss mit dem Eiertanz!“, darf, neben dem Auftritt beim Punktfestival, ein frühseptemberlicher Aufenthalt in einer sauerländischen Klosterklinik als echtes Highlight meditativer Unternehmungen gewertet werden. In der Schmallenberger Klinik wird an mir eine ASS-Deaktivierung durchgeführt, was erst mal nach Philip K. Dick klingt, und dann doch eine prosaische Angelegenheit mit potentiellen Nebenwirkungen der unlustigen Art ist.

 
 
 

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Wegen meiner so gut wie sicheren Allergie gegen Salicylsäure (vermuteter Hauptgrund für wiederkehrende Probleme in den Nebenhöhlen, die somatischen Reaktionen laufen, Tücke und Segen zugleich, im Verborgenen ab) werde ich auf sanft steigende Dosierungen von ASS eingestellt, in der Hoffnung, der Körper reagiert in Zukunft eher wohlwollend auf diesen Stoff, der viel verbreiteter in unseren Nahrungsmitteln und Getränken ist als die Gefahrenliste der weitaus populäreren Lactose-Allergie. In der Zeit, in der ich gezielt ausser Gefecht gesetzt bin, beneide ich Wolfram und Gregor, die  am 9. September in Stuttgart King Crimson live erleben könnten.

Im Sauerland sagt man früh abends den Füchsen gute Nacht, und da strenge Klosterschwestern mich kaum in Wallung bringen, habe ich einen exezellenten Pageturner im Gepäck (die ersten 60 Seiten getestet, wow!): „Regengötter“ von James Lee Burke, der in Deutschland ein hochverdientes Revival erlebt. Meine Thrillerspezialistin aus Düsseldorf ist gerade im Burke’schen Leserausch.

(Abschweifung: wer mehr an Sachliteratur interessiert ist, oder unserer monatlichen „Philosophica“-Rubrik, dem empfehle ich das bei Bloomsbury herausgekommene Buch „Oblique Music“, ein wahrlich multiperspektivisches Buch über Brian Eno. In einem der dort versammelten Essays werden auch die Manafonistas ausführlich zitiert, und im Quellenverzeichnis exakt verlinkt.)

 
 
 

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Und für den Notfall (die Notfälle treten im Leben zuweilen seltsam gedrängt auf) gibt es im tiefen Sauerland auch Akuteingriffe (bei schweren Asthmaanfällen oder anaphylaktischem Schock), sowie „Glut und Asche“ (kein Alternativplan für die Einäscherung, sondern der mit in die graue, von Kreuzen und Bibeln nur so wimmelnde, gespenstische Grossanlage geschmuggelte Nachfolgeroman der „Regengötter“).

Wenn das alles so halbwegs happyendig ausklingt, mit einer Jazzsendung am 23. September, dann schlage ich drei agnostische Kreuze, berausche mich spät abends (ganz dezent) mit „The Enchanted Path“ von Molly Dooker – zur unprätentiösen, neuen Zufallmusk von Peter Broderick, oder Glenn Jones‘ Gitarrenklängen -, und besteige in den Tagen danach, in Düsseldorf oder Frankfurt a.M., ein riesengrosses Flugzeug. Natürlich kann es auch ganz anders kommen.

Und deswegen lande ich schon mal vorab an dem einzigen Ort, der einem wirklich sicher ist, der Gegenwart, und sehe mir nun jenen Film (zum wiederholten Male) an, der meine ganz persönliche „Resilienz“ (das Modewort für Widerstandsfähigkeit) genauso kräftigt wie die erste Staffel von „Justified“ – das Movie namens „Frank“ handelt nicht zuletzt von der Suche nach unerhörten Klängen – nie nostalgisch wie der Brian Wilson-Film, lässt „Frank“ jenes Quantum Verstörung zu, das nicht so ganz selten (neben allem Enthusiasmus und „flow“) Teil des kreativen Prozesses ist.

Ich fuhr mit einem Studienkumpel nach Hamburg, die Siebziger Jahre zeigten sich von ihrer besten Seite, ECM veröffentlichte reihenweise Meilensteine, und als wir die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein hinter uns hatten, hörte ich das beste Jazzprogramm, das es in der alten Bundesrepublik je gab. Michael Naura hatte Narrenfreiheit, holte alle möglichen Stars zum NDR, der Jazz boomte, ich war verliebt in Katrin E., und hatte vor, ihr Herz und ihren Körper zu erobern. Immerhin hatte ich die Einladung ins elterliche Herrenhaus “An der Glinder Au” in der Tasche.

Ich war noch ein Teenager, und hatte Katrin auf einer Nordseeinsel kennengelernt, wir spielten in den Dünen, verschlangen ganze Backbleche Pflaumenkuchen, ohne ein Pfund anzusetzen, und jeden Tag hörte ich grandiose Jazzmusik im NDR: der junge Jan Garbarek, Art Lande, Chris Hinze, Gary Burton, Bill Connors, Volker Kriegel, Dave Liebman, Chick Corea. Und plötzlich, die Tore Hamburgs waren noch ein Stück entfernt, verkündete Michael Naura im Autoradio, dass der “Meister” just an diesem vorweihnachtlichen Abend im Congresszentrum der Hansestadt auftrete. Solo. Ahh! Als ich dann in 2 Hamburg 74 oder 14 eintraf, der Nachmittagstee aufgetischt wurde, machte ich den Vorschlag, die ganze Bande, Katrin, ihr Bruder, die Clique, solle heute Abend aufbrechen, um den Magier am Klavier zu erleben. Die Reaktion war reserviert. Hanseatisch unterkühlt. Stattdessen nahm das Grauen seinen Lauf.

Ich war einfach zu verknallt sonst wäre mir das nicht passiert. Mit der angehimmelten Katrin und den anderen trottete ich in eine Old Jazz-Kneipe namens Rempter oder so, wo trister Stimmungsdixie gespielt wurde, und sich eine biergetränkte Fröhlichkeit breitmachte. Die Nacht durfte ich im Zimmer des Bruders verbringen, der den Aufpasser spielte. Am nächsten Morgen, mit dem Katrin- und Jarrett-Blues in den Knochen, stellte ich mich noch überaus ungeschickt an beim Köpfen des Frühstückseis.

In dieser Story war die Vorfreude alles: wie ich in meiner Studentenbude, Wochen zuvor, Gato Barbieri hörte, das erste Kapitel seiner grandiosen Latin-Jazz-Platten (auf Impulse), und auch Fort Yawuh vom Keith Jarrett Quartet. „Facing You“, Jarretts 5-Sterne-Soloalbum kreiste unentwegt. Ich träumte von Katrin, und wie immer, wenn das Verliebtsein sich in mir ausbreitete, fuhr mir wiederholt ein Schmerz in die Fingerknöchel, ein Stechen, ein Ziehen. Ein paar Jahre später bedauerte ich noch, dieses Konzert verpasst zu haben. Und in den Neunziger Jahren arbeitete ich zehn Jahre mit dem grossartigen Jazz-Macho Michael Naura zusammen. Manchmal spielte er in seinem Büro Evergreens auf dem Klavier, und, als er einmal einen Jarrett-Akkord erwischte, fiel mir kurz jener Abend ein, in weihnachtlich geschmückten Einkaufsstrassen – und mein melancholischer Dixieland-Abend mit der schönen Kattrin.

Ich fuhr mit einem Studienkumpel nach Hamburg, die Siebziger Jahre zeigten sich von ihrer besten Seite, ECM veröffentlichte reihenweise Meilensteine, und als wir die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein hinter uns hatten, hörte ich das beste Jazzprogramm, das es in der alten Bundesrepublik je gab. Michael Naura hatte Narrenfreiheit, holte alle möglichen Stars zum NDR, der Jazz boomte, ich war verliebt in Katrin E., und hatte vor, ihr Herz und ihren Körper zu erobern. Immerhin hatte ich die Einladung ins elterliche Herrenhaus „An der Glinder Au“ in der Tasche. Ich war noch ein Teenager, und hatte Katrin auf einer Nordseeinsel kennengelernt, wir spielten in den Dünen, verschlangen ganze Backbleche Pflaumenkuchen, ohne ein Pfund anzusetzen, und jeden Tag hörte ich grandiose Jazzmusik auf NDR 2: der junge Jan Garbarek, Art Lande, Chris Hinze, Gary Burton, Bill Connors, Volker Kriegel, Dave Liebman, Chick Corea. Und plötzlich, die Tore Hamburgs waren noch ein Stück entfernt, verkündete Michael Naura im Autoradio, dass der „Meister“ just an diesem vorweihnachtlichen Abend im Congresszentrum der Hansestadt auftrete. Solo. Ahh! Als ich dann in 2 Hamburg 74 eintraf, der Nachmittagstee aufgetischt wurde, machte ich den Vorschlag, die ganze Bande, Katrin, ihr Bruder, die Clique, solle heute Abend aufbrechen, um den Magier am Klavier zu erleben. Die Reaktion war reserviert. Hanseatisch unterkühlt. Stattdessen nahm das Grauen seinen Lauf. Ich war damals noch etwas schüchtern, sonst wäre mir das nicht passiert. Mit der angehimmelten Katrin und den anderen trottete ich in eine Old Jazz-Kneipe namens Rempter oder so, wo doofer Stimmungsdixie gespielt wurde, und sich eine biergetränkte Fröhlichkeit breitmachte. Die Nacht durfte ich im Zimmer des Bruders verbringen, der den Aufpasser spielte. Am nächsten Morgen, mit dem Katrin- und Jarrett-Blues in den Knochen, stellte ich mich noch überaus ungeschickt an beim Köpfen des Frühstückseis. In dieser Story war die Vorfreude alles: wie ich in meiner Studentenbude, Wochen zuvor, Gato Barbieri hörte, das erste Kapitel seiner grandiosen Latin-Jazz-Platten (auf Impulse), und auch Fort Yawuh vom Keith Jarrett Quartet. Ich träumte von Katrin, und wie immer, wenn das Verliebtsein sich in mir ausbreitete, fuhr mir wiederholt ein Schmerz in die Fingerknöchel, ein Stechen, ein Ziehen. Ein paar Jahre später war ich nicht mehr schüchtern. Gut so. Und in den Neunziger Jahren arbeitete ich zehn Jahre mit dem grossartigen Jazz-Macho Michael Naura zusammen. Manchmal spielte er in seinem Büro Evergreens auf dem Klavier, und, als er einmal einen Jarrett-Akkord erwischte, fiel mir kurz jener Abend ein, in weihnachtlich geschmückten Einkaufsstrassen – und die unerträglichste Dixieland-Kapelle aller Zeiten!


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