Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 1 März

Stereolab: Electrically Possessed (Switched On, Vol. 4)

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The fourth volume in the endlessly innovative group’s long-running series reminds us that they often dropped their best work away from their full-lengths.“ – Robert Ham

„Was man hier hört, ist eine Band, die ihren Sound nie gefunden hat, weil sie nie danach suchte. Stereolab bewegen sich nicht durch die Musik. Die Musik bewegt sich durch Stereolab.“ – Lars-Thorge Oje

 

Durch ungeklärte Umstände bin ich in letzter Zeit, nach langer Pause, mal wieder in das Schaffen von Stereolab eingetaucht. Ende der Neunziger hatte bzw. kannte ich ein paar Alben wie die Doppel-CD-Kollektion Aluminium Tunes oder das poppige Sci-Fi-Lounge-Elektropop-Album Dots and Loops mit seinen heiteren Sixties-Melodien. Irgendwie fand ich aber eben diese etwas zu lockerflockige Singerei mit Hang zum nostalgischen „Easy Listening“-Gedudel aber auch schnell etwas nervig, und so habe ich der Band damals stets die angemessene Aufmerksamkeit verwehrt.

 

Ausgelöst durch Retrospektivberichte und die Reihe von Wiederveröffentlichungen der Stereolab-Alben in exzellenten 2-CD- bzw. 3-LP-Ausgaben („Expanded Editions“ mit jeweils unterschiedlichem Zusatzmaterial) habe ich über die letzten Jahre so nach und nach die Band erst langsam so richtig schätzen gelernt. Ende der Achtziger in London zusammengekommen, u.a. mit der Pariserin Laetitia Sadier, die mit ihrer Stimme für den französischen Touch (manche/r fühlte sich an Françoise Hardy erinnert) bei Stereolab verantwortlich zeichnet, erschienen ab 1992 eine Reihe durchweg spannender, empfehlenswerter Alben, von denen jedes einzelne eigenen Charakter, andere stilistische Schwerpunkte hat – und doch klingen Stereolab ganz oft etwas aus der Zeit gefallen und letztlich in ihrer musikalischen Präsenz wunderbar idiosynkratisch, unter anderem durch den Einsatz analoger Synthesizer. Dieses Aus-der-Zeit-Gefallensein macht sie auch im Jahr 2021 noch immer genau so hörenswert wie damals in den Neunzigern – bzw. möchte ich wohl eher sagen: Jetzt erst recht treten die singulären und zeitlosen Qualitäten von Stereolab umso stärker hervor, unverstellt von den postmodernen Moden jener Jahre.

 

Eine echte Entdeckung war der Kauf ihres zweiten Albums Transient Random-Noise Bursts with Announcements aus dem Jahr 1993 (der Titel könnte auch zum Album der Flaming Lips aus jenem Jahr passen), wobei die 2-CD-Edition das 60-minütige Originalalbum um eine Reihe überzeugenden Bonusmaterials aus jener Zeit bereichert. Höhepunkt ist wohl die 18 Minuten lange, hypnotische Krautrock-Nummer „Jenny Ondioline“, aber das ganze Album fasziniert mit schönen Kreuzungen aus Velvet-Underground-Energie, Neu!-Spleen und Popsongs (man denkt auch an die Warp-Records-Kolleg/innen von Broadcast). Heraushören kann man, dass Stereolab damals – wie ungezählte andere Bands auch – von My Bloody Valentine und dem „Shoegaze“-Stil beeinflusst waren, doch mit dem französischen Pop-Einfluss und den gesellschaftspolitisch aufgeladenen oder kapitalismuskritischen Texten durch Sängerin Laetitia Sadier fanden Stereolab schon da ihre ganz eigene Nische – neben ihr sang hier erstmals auch die australische Gitarristin Mary Hansen, die allerdings 2002 nach sechs gemeinsamen Alben im Alter von 36 Jahren bei einem Fahrradunfall ums Leben kam, was die Banddynamik einer wichtigen Gegenspannung beraubte.

 

Es folgten 1994 und 1996 die Meisterstücke Mars Audiac Quintet und Emperor Tomato Ketchup,  sowie 1997 das elektronischere Dots and Loops, auf dem der Popsong-Einfluss langsam deutlicher zutage trat, um Bossa Nova und „Swinging ’60s“ bereichert, aber wiederum vom Chicago-Postrock jener Jahre infiziert (John McEntire war gelegentlich mit dabei). An und an tauchen auch jazzige und psychedelische Passagen auf. Dass diese Veröffentlichungen der Neunzigerjahre durchweg famos sind (auch aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit allesamt hörenswert), führt(e) ein wenig dazu, dass oftmals die Alben ab 1999 als weniger interessant oder als Stagnation auf hohem Niveau abgetan werden, Cobra and Phases Group Play Voltage in the Milky Night etwa, wieder ein Titel, den auch die Flaming Lips gewählt haben könnten, dann Sound-Dust (eröffnet von dem minimalistischen Black Ants in Sound-Dust“), Jim O’Rourke produzierte mit (in jeden Jahren war er ja auch mit Wilco und Sonic Youth unterwegs) und Margarine Eclipse, und noch drei weitere Alben folgten bis 2010. Danach wurde es ruhig um die Gruppe. Man hatte sich nichts mehr zu sagen und die Freude am gemeinsamen Musikmachen verloren.

 

Aus dieser produktiven Zeit, im Wesentlichen 1998 bis 2008, stammen nun die gesammelten „Non-Album-Tracks“ der neuen 2-CD- bzw. 3-LP-Veröffentlichung Electrically Possessed. Stereolab haben bereits in den Neunzigern begonnen, ihre zahllosen Stücke, die sie jenseits der Alben veröffentlichen, auf vier „Switched On“-CDs zusammenzustellen (1992, 1995, 1998). Electrically Possessed knüpft nun dort an mit zwei weiteren CDs. Hier finden sich vor allem Stücke von limitierten Tour-Singles, EPs und Kompilationen, unveröffentlichte Tracks und auch zwei Outtakes, die bei den bisherigen „Expanded Editions“ offenbar vergessen wurden. Ich weiß so gut wie nichts über die Entstehungshintergründe – außer den sorgfältig zusammengetragenen Fakten, die sich hinter den CDs verstecken, etwa in welcher Zahl die limitierten Vinyl- und CD-Editionen einst erschienen:

Calimero“ was originally released July 1999 via Duophonic Super 45s „Caliméro / Cache Cache“. Catalogue number DS45-25. A collaborative 7″ release between Brigitte Fontaine and Stereolab. The B side was Cache Cache by Monade. A total of 4100 vinyl copies were pressed [1800 on white vinyl and 2300 on black vinyl], there was also a CD edition of 7076 copies.

Brigitte Fontaine ist übrigens eine 1939 geborene französische Avantgarde-Sängerin, Roman- und Theaterautorin, die auch schon mit Sonic Youth, Georges Moustaki, Grace Jones, dem Gotan Project und dem Art Ensemble of Chicago zusammengearbeitet hat.

 

Obwohl die 25 Stücke aus unterschiedlichsten Quellen stammen, fügt sich das ganze Projekt doch zu einer sympathischen Auslese, die sich wunderbar kurzweilig durchhören lässt. Einiges kommt, ohne unfertig zu wirken, spontaner und weniger durchgetüftelt daher als die elaborierten Alben von Stereolab. Da bricht gelegentlich ein Stück auch mal im richtigen Moment einfach ab oder wirkt – siehe „Free Witch And No Bra Queen“, „Jump Drive Shut-Out“ oder „Solar Throw-Away“ – frech zusammengestückelt aus verschiedenen Teilen. Daher stört auch nicht im geringsten, dass die Auswahl einer eigenartig achronologischen Anordnung folgt, vielmehr passt das sehr gut. Nur die sieben im Januar 2000 aufgenommenen Tracks des limitierten Minialbums First of the Microbe Hunters sind en suite geblieben, was anfangs der ersten CD einige Gelegenheitshörer auf eine falsche Fährte locken könnte. Quer durch die Kollektion gibt es heiter Krautiges wie „Heavy Denim Loop Pt 2“ mit simplem Drumloop und röhrendem Synth oder das neuneinhalb Minuten lange, fast minimalistisch-funkige Instrumental „Outer Bonglia“ mit Marimba-Trance, dann flirrend-versponnenene Popsongs wie „Variation One“ für einen Dokumentarfilm über Robert Moog (dessen Instrumente Stereolab hörbar gerne hatten) oder „Dimension M2“ für eine Disco-Compilation (Giorgio Moroder schaut kurz zur Tür herein), eine mit John „Tortoise“ McEntire in Chicago entstandene achtminütige Mini-Suite („I Feel The Air (Of Another Planet)“) mit Klangspielereien oder natürlich auch mal „klassische“ Stereolab-Nummern wie „The Super-It“ oder „Household Names“

 

Electrically Possessed kann man als Einstieg in der Stereolab-Kosmos sogar noch mehr empfehlen als schon die vorhergehende Kollektion der Reihe, Aluminum Tunes. Wer sich davon wegtreiben lässt, wird dann sicherlich die „odds and ends“ dieser Auswahl in Richtung der regulären Alben der Band weiterverfolgen wollen, egal ob Stereolab noch einmal etwas veröffentlichen werden oder es mit diesem lange erwarteten Album bewenden lassen.

 

 

2021 1 März

„71/72 – Die Saison der Träumer“

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Mein Verein ist damals abgestiegen. 71/72. Nicht gut. Meine Kindheit ging einige Male zuende, das jahrelange Verschwinden des BVB in der Zweitklassigkeit war nur der erste kleine Blues-Akkord. Endgültig wurde das Kapitel meiner jungen Jahre, und manch naiv hochfahrender Träume, zugeklappt, an dem Tag, als John Lennon erschossen wurde. Zu Beginn der nachfolgenden Dekade. Zwischen den Polen der Rockmusik und Fussball spielte sich einiges ab, wenn man neben Kohlenhalden aufwuchs. Sichtbar war der damalige Zusammenprall einer alten, konservativen, reaktionären Welt und einer neuen Generation natürlich auch auf, und rund um den grünen Rasen. Eine Zeit, in der das politische Klima, gelinde gesagt, aufgeheizt war. Wer meint, das Damals ganz gut im Gedächtnis parat zu haben, wird erstaunt sein, welche Räume dieses Buch von Bernd-M. Beyer, über unsere abgespeicherten Erinnerungen hinaus, öffnet. Und für den Rest ist es einfach eine spannende, hervorragend recherchierte, Zeitreise. A propos 71/72, ich war in der Untersekunda des Max Planck-Gymnasiums und kaufte meine ersten ECM-Platten. Manche Dinge begleiten einen halt ein Leben lang. 

 

Wer sind die Träumer in dem Buch?

 

Es gibt einige Träumer in dem Buch, manche sind auch Alpträumer. Aber hauptsächlich sind damit Stan Libuda und Rio Reiser gemeint, die beiden wichtigsten Protagonisten in „71/72“.Libuda träumt vom Idyll einer vertrauten Umgebung: auf dem Platz, in der Familie, in der Nachbarschaft. In der Saison 71/72 träumt er davon, dass sein Fehltritt, die Annahme von Bestechungsgeldern, nicht auffliegt und dieses Idyll zerstört. Rio Reiser ist eine Art Antipode. Er flieht aus der Provinz ins angesagte Berlin, rebelliert gegen das Spießertum, träumt von einer besseren Gesellschaft und davon, dass er sein Schwulsein ausleben kann. Die Jahre 1971 und 1972 bringen seinen Durchbruch als Politrock-Musiker und seine Träume zum Fliegen.

 

Woher und wann kam die Idee zu dem Projekt?

 

Ich habe selbst intensive Erinnerungen an diese Zeit, es waren die Jahre, als ich zu studieren begann und selbst politisiert wurde. Fußball geriet damals für mich in den Hintergrund – ausgerechnet in der spielerisch wohl besten Phase des deutschen Fußballs. Inzwischen ist mir natürlich klar, was ich damals verpasst habe. Und so habe ich begonnen, dieser Zeit genauer nachzuspüren. Erst einmal für mich und für meine Erinnerungen. Als ich mich dann entschloss, ein Buchprojekt daraus zu machen, war für mich klar: Das geht nur, wenn es sich nicht auf Fußball beschränkt, sondern all die wilden Sachen, die damals noch so passierten, mit in den Blick nimmt.

 

Wie lange hat die Arbeit an „71/72“ gedauert?

 

Ich habe einige Wochen in Zeitungs- und anderen Archiven verbracht. Aber die Recherchen beispielsweise für meine Biografien über Helmut Schön oder Walther Bensemann waren deutlich aufwändiger. Bei „71/72“ ging es eher darum, den üppig vorhandenen Stoff in eine sinnvolle und lesbare Form zu bringen. Ich habe den Text mehrfach umgearbeitet, um eine möglichst stringente Erzählung daraus zu machen.

 

Hatten Sie als Quellen auch direkte Gespräche?

 

Ganz wenige, und zwar ganz bewusst. Ich wollte keine gefilterten oder geglätteten Erinnerungen, die schon x-mal heruntererzählt worden sind und sich bei den jeweiligen Erzählern verfestigt haben. Das alles ist ja nun 50 Jahre her, da geht im Detail manches durcheinander oder ist schlicht vergessen. Ich habe mich also, soweit möglich, an zeitgenössische Quellen gehalten, insbesondere Zeitungen und, falls verfügbar, auch an damalige Fernsehsendungen. Mein Glück war, dass die Spieler seinerzeit noch frei von der Leber sprachen, und zwar, wie es für jene Generation üblich war, mit ziemlich großer Klappe und direkt in die Notizblöcke der Reporter. Das verleiht den zeitgenössischen Äußerungen eine große Authentizität: Uli Hoeneß drohte unverhohlen und öffentlich damit, die Bayern zu verlassen, wenn er nicht gefälligst mehr Geld kriegte. Franz Beckenbauer erklärte lauthals, Bundeskanzler Willy Brandt sei ein nationales Unglück. Und ein Hannoveraner Spieler erzählt der Bild, dass er trotz der damals zeittypischen „Sexwelle“ nur am Wochenende Geschlechtsverkehr habe. Ehrlicher geht’s wohl nicht.

 

War diese Gemenge- und Ereignislage in dem Jahr einmalig?

 

Einmalig ist ein schwieriger Begriff. Es war natürlich einiges los, im Fußball wie in der Gesellschaft, und vieles davon war sozusagen historisch. Aber was ich bemerkenswert fand, war der zeitliche Kontext: Viele dieser spannenden Entwicklungen spielten sich genau zwischen Sommer 71 und Sommer 72 ab, und zwar so, dass sie sich langsam entwickelten und im Mai 72 kulminierten. Fußballerisch gab es diese großartige Europameisterschaft 1972 mit dem Wembley- Spiel, gab es Gerd Müllers Torrekord und gab es die jungen Schalker Himmelsstürmer, die sich aufmachten, die Dominanz der Bayern und Gladbacher zu brechen. Diese tolle Entwicklung wird konterkariert mit der Aufklärung des Bundesligaskandals, die sich durch die ganze Saison zog und vielen Fans die Freude am Fußball verleidete. Politisch gab es den Versuch von CDU/CSU, Bundeskanzler Brandt mit seiner Ostpolitik als Verräter an den deutschen Interessen zu brandmarken und ihn schließlich, Ende April 1972, per Misstrauensvotum zu stürzen. Und es gab den Plan der RAF, das Land in einen Bürgerkrieg zu bomben, der mit der sogenannten Maioffensive im Frühjahr 72 seinen blutigen Höhepunkt und zugleich sein Scheitern erlebte. Diese zeitliche Koinzidenz mehrerer dramatischer und wichtiger Ereignisse ist vielleicht wirklich einmalig.

 

Hat das Arbeiten an dem Thema für Sie selbst einen neuen Erkenntnisgewinn gebracht?

 

Über die Taten der RAF, das Ringen um die Ostpolitik und Netzers Vorstöße aus der Tiefe des Raumes wusste ich natürlich einiges. Was mir so nicht klar war: wie tief die Gräben damals in der Gesellschaft waren. Willy Brandt wurde von CDU/CSU in einer Heftigkeit und mit einem Vokabular angegriffen, wie man es heute von der AfD erwarten würde. Und in der Gesellschaft war schon damals viel Hass vorhanden, es gab nur keine digitalen sozialen Plattformen, die das vervielfältigten. Aber es gab Hass- und Drohbriefe massenhaft, auch im Fußball: gegen Spieler wegen ihrer langen Haare, gegen Canellas, weil er den Skandal aufgedeckt hatte, gegen Kindermann, der die bestochenen Spieler anklagte und so weiter. Schließlich war es bestürzend zu sehen, wie sich auch im Fußball damals Nazis völlig ungezwungen und unangefochten bewegen konnten. Der vormalige SS-Mann Rudi Gramlich behinderte in seiner Funktion als „Bundesligaobmann“ – eine Art früher DFL-Chef – die Aufklärung des Skandals massiv. Karl Lamker, der mit Arminia Bielefeld einen der Hauptsünder anwaltlich verteidigte, war nicht nur ein überzeugtes Mitglied der NSDAP gewesen, sondern inzwischen wieder bei den alten Kameraden gelandet, nämlich im Bundesvorstand der NPD. Es gibt weitere Beispiele. Für mich ist unfassbar, dass dies damals überhaupt nicht problematisiert, nicht einmal für erwähnenswert befunden wurde.

 

Haben Sie schon ein neues Buchprojekt in Arbeit?

 

In den nächsten beiden Jahren widme ich mich vor allem der Kampagne „Boycott Qatar 2022“, die wir vor einigen Monaten ins Leben gerufen haben. Es geht darum, dass Fans und andere Fußball-Interessierte nicht tatenlos zusehen, wie die FIFA diesen wunderbaren Wettbewerb Fußball-Weltmeisterschaft an einen autokratisch regierten Staat ohne Fußballkultur, ohne Respekt vor den Menschenrechten verschachert hat. Das einzige Argument ist das viele Geld, das in Katar angehäuft ist. Zu dieser Kampagne wird noch in diesem Frühjahr ein von Dietrich Schulze- Marmeling und mir herausgegebener Band in der Reihe „Werkstatt aktuell“ erscheinen.

 

 

Dieser Blog wird im April zehn Jahre alt. Und das erste Jahr 2011 wird in  ausgewählten Teilen ins Jahr 2021 transportiert. Warum? Weil es viele Texte nicht verdient haben, „hinter dem Knick“ zu verschwinden, auf ewig. Weil sie durch subtiles Remixing (das Verändern von Nuancen, das Hinzufügen von minimalen Ergänzungen) aus der reinen Geschichtlichkeit in spannende Gegenwart verwandelt werden können. So habe ich es heute morgen mit meinem 2011er Text zu „Plight and Premonition“ gemacht. Dieser Rückgriff liegt auch nahe, wenn zwei Texte aufeinanderstossen mit visuellen Elementen, was in der Regel stört, wie in den letzten Tagen, wenn Bilder vom Licht nach Sonnenuntergang mit dem Cover der französischen Kriminalserie „Spiral“ kollidieren.  Niemand  braucht darauf Rücksicht zu nehmen – schwuppdiwupp werden ausgewählte Zwischenspiele aus dem Jahre 2011 auftauchen. Oder andere Interludien. Das ist auch eine Arbeit des Redigierens. Manche alte Texte haben im Heute nichts verloren, weil sie einfach nicht gut genug sind. (Fotos von damals sollten, ausser in besonderen Ausnahmen, aussen vor gelassen werden. Keiner muss z.B. an alte Albencover erinnert werden.) Jochen kann „sein 2011“ nach Lust und Laune durchforsten, wenn er will, ich ebenso, und dabei Qualitätssicherung betreiben, durch Löschung, oder Verwandlung / Transport. Die Begegnung mit einem früheren Ich ist zuweilen anregend. Ich denke, wir haben nicht das Recht, so mit den Texten des Dritten im damaligen Bunde (2011), Dirk Haberkorn, zu verfahren, es sei denn, er gäbe die Genehmigung. So verwandelt sich der Blog der Manafonisten mit der Zeit, und wenig Aufwand, in ein Perpetuum Mobile, in dem ferne und nahe Zeiten einen munteren luftigen Austausch betreiben. Lasst uns, bei diesem Spiel, dieses Jahr, als Fest des Zehnjährigen, im Jahr 2011 verbleiben. Später rücken dann andere Jahre, andere Mitspieler nach.

 

2021 1 März

Eins Drei Einundzwanzig

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Sonntagmorgen, Ruhrwiesen

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 

„Beim Punktfestival in Kristiansand, Anfang September 2011, wird ein altes Intrumentalwerk von dir neu aufgeführt, David, neu interpretiert: “Plight and Premonition”. Du hast die Musiker dafür extra ausgewählt, als Ko-Kurator. Was macht da den Reiz aus, so viele Jahre zurückzugehen zu einem alten Album, und es nun im 21. Jahrhundert zu präsentieren?“

 

Das ist ein Stück Musik, auf das ich immer recht stolz war. Ich denke, in aller Bescheidenheit, dass „Plight and Premonition“ ein wichtiges Album ist. Es wurde nie live aufgeführt. Ich hatte die Idee, es in den Kontext von improvisierter Musik stellen. Dass da rohe Elemente von „Plight“ vielleicht als Samples auftauchen, wäre vielleicht spannend. Philip Jeck, dieser Meister im Umgang mit alten Vinylplatten, mochte „Plight and Premonition“ seit er es zum ersten Mal gehört hat, vor über 20 Jahren. Auch Jan Bang und Erik Honore, die Gründer des Punktfestivals, werden natürlich auf der Bühne sein. John Tilbury wird mitwirken, der auf „Manafon“ so feine Klänge fabrizierte. Das wird ein Abenteuer. Und die Musiker arbeiten zumindest teilweise mit ihrer eigenen Erinnerung an diese Schallplatte, so vertraut sind einige mit der Komposition. Ich bin neugierig, wo ihre Erinnerungen sie hinführen.“ 

 

Nachklang: Ein paar Tage nach der Aufführung traf ich David Sylvian, der während des Festivals sehr zurückgezogen lebte, am Ausgang eines Fahrtstuhls, erinnerte ihn an unser Telefonat, und das Interview zu „Manafon“ in der Ecke eines Flurs eines Hamburger Nobelhotels. Ich fragte ihn, ob ich die Rechte für eine einmalige Aufführung von „Plight & Premonition“ im Deutschlandfunk erwerben könne. Er sagte, er wolle es sich überlegen. Die Erlaubnis wurde nie erteilt, die Aufnahme nie veröffentlicht, obwohl sie voller zauberhafter Passagen war.

 
 


 
 

2021 28 Feb.

„Riding For The Feeling“

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“Es ist nie einfach, Goodbye zu sagen zu den Gesichtern / So selten sehen wir einander / so nah und so long / Ich fragte den Raum: habe ich genug gesagt / Niemand antwortete wirklich / Sie sagten nur: geh nicht, geh nicht / All dieses Fortgehen hört niemals auf / ich hoffte auf eine weitere Frage / oder auf jemanden, der sagt: wer denkst du, wer du bist? / Sodass ich es ihnen sagen könnte  / Mit der Intensität, mit der sich ein Tropfen gesetzmässig verflüchtigt, / ist, insgesamt, Fortgehen leicht, / wenn du einen Ort hast, an dem du verweilen kannst. / Vor dem stummgestellten Fernseher / höre ich, auf dem Hotelbett alte Kassetten / meine, meine, meine Apokalypse / Mir wurde klar, wie wenig ich gesagt hatte über Wellen oder Räder / oder darüber zur reiten einfach für das Gefühl / Reiten für das Gefühl ist die schnellste Art, die Küste zu erreichen / Was, wenn ich dort, am Ende gestanden hätte und wieder und wieder gesagt hätte / Reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl / wäre das ein angemessenes Goodbye gewesen?“

 

2021 28 Feb.

Die beste französische Kriminalserie aller Zeiten

von | Kategorie: Blog | | Comments off

 
 

Hallo zusammen. Sind Sie bereit für ein weiteres düsteres europäisches Polizeidrama mit einer starken weiblichen Hauptrolle, angesiedelt in einer nihilistischen Welt, in der Zynismus vorherrscht, gute Menschen tendenziell untergehen und das Böse zu oft triumphiert? Ich hoffe es jedenfalls. Und, es ist nicht ganz so düster, wie der Auftakt erscheinen lässt. Es ist noch düsterer. Aber die französische Serie Spiral hat auch lichtere Seiten, zumindest lichtere Momente. Die kompletten acht Staffeln sind nun in einem Box Set erhältlich als DVD, im französischen Original, mit englischen Untertiteln. Unfassbar gut. Alles andere als ein Abklatsch von „The Wire“ schafft diese französische Serie es, noch weitaus fesselnder zu sein, und komplexen Verwicklungen aus Wirtschaft, Politik, Polizei, Strafverfolgung, Unterwelt etc. mit hochgradigem Realismus darzustellen, ohne dabei äussere oder innere Spannung zu opfern. Und ein Betriebsgeheimnis dieser Serie ist folgendes, und ich sage es ganz schlicht: einige Figuren wachsen einem wirklich ans Herz, man fiebert mit ihnen mit (zumindest nach einer ersten Gewöhnungszeit), und hofft inständig, sie mögen von Fall zu Fall wieder etwas mehr Licht in ihrem Leben finden. Und somit steht bei mir „Spiral“ auf einer Qualitätsebene mit „Sons of Anarchy“ und „Justified“. Und, ehrlich, mein Französisch wird von Tag zu Tag wieder besser. „Engrenages“ ist übrigens der treffliche Originaltitel, das Wort bedeutet „Rädergetriebe“. Staffel 1: ***1/2 – Staffel 2: ****1/2 – Staffel 3: ***** –  Staffel 4: ****1/2 – Staffel 5: ***** – Staffel 6: ***** – Staffel 7: ***** – Staffel 8: *****

 

2021 27 Feb.

Album

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 17 Comments

 
 

Nick Cave ist nun eindeutig bei seinem Alterswerk angekommen. Da wird sich nichts Wesentliches mehr ändern. An “Idiot Prayer” kommt “Carnage” nicht ganz heran (ich prophezeie, dass ihm das mit keinem Album mehr gelingen wird), aber wenn er dieses Level hält, dann werden wir noch so manches gute Album von ihm hören dürfen.

 

 

 

I once hung out with Michel, the late Bay Area sax player, Mel Martin, Michel’s Italian friend and bass player (whose name I forget) and a couple other folks for one wild unforgettable night at the home of the late Jerry Sealund in Sebastopol CA. A wild man, a blind bassist and a friend of Charles Lloyd, Jerry had once played with a lot of the free jazz cats and recorded with some of them, but by the time I met him, had reinvented himself as the owner of the largest health food store in Sonoma County. He was a notorious party animal, and had quite a colorful history, which included hosting Stephen Gaskin’s Monday night Class (which became a classic New Age book)in the back of his Haight Ashbury health food store, Far Fetched Foods. Incidentally, that store burned to the ground under mysterious circumstances, and it was said that was how Jerry financed his large new store in Santa Rosa. But I digress …

Parties at Jerry’s were notorious. I had been to a few and knew what to expect. Predictably, the evening was a mad melange of lots of playing, drugs, alcohol, stories and plenty of colorful expletives.

Michel dug into his wallet at one point, took out a crumpled piece of paper and handed it over for me to read. It was a note by Chick Corea that said something to the effect that Michel was a fantastic talent and that he was sure he had a big career ahead. Tragically, that career was cut short.

We were all extremely high when Michel looked at me and said, “You know, people with my condition (glass bones disease,) never live that long. I’ll be lucky to make it to 30.” He raised his glass and said, “I don’t care motherfucker, lets enjoy this life!” And we proceeded to party like it was 1999. (It was actually probably around 1983.)

Michel hated being carried around. Eventually this strong willed little giant figured out a way to use short crutches to walk to the piano. I saw him do this one memorable night @ Kimballs in SF. After he got to the piano he somehow lifted himself up to the bench, no small feat. Once situated, Instead of using his brace which in the past he has attached from his foot to the pedal, he leaned precariously forwards on the edge of the bench and managed to reach the pedal without it. Somehow he played that way the whole night. It was beautiful.


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