Manafonistas

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Archives: August 2017

2017 31 Aug

„Family Affair“

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Ich möchte mit einem Experiment beginnen: Denken Sie an ein Kunstwerk – an ein Stück Literatur oder Musik zum Beispiel -, das historisch betrachtet möglichst alt ist, von dessen Urheber Sie jedoch eine bildliche Vorstellung haben, vielleicht eine Büste von Plato oder ein Gemälde, das Mozart zeigt. Beeinflusst das Bild des Künstlers Ihre Rezeption des Kunstwerks? In seinem Essay „Edges and Center“ aus dem Jahr 1996 hat Brian Eno das Diagramm einer Pop-Platte mit den Schichten einer Zwiebel verglichen: Nur aus Bequemlichkeit, schreibt er, deponiert er im Zentrum die Musik selbst, dann kommen die Texte, dann der Look der Band, die Modelandschaft, der Lifestyle und die Geschichten. Wo liegen die Grenzen des Kunstwerks? Die Hochkultur beansprucht, reiner Inhalt zu sein. Das zentrale Spiel der Popkultur dreht sich hingegen um die Frage: „Wer könnte ich sonst noch sein?“ Der schöpferische Akt der Fotografie ist die Entscheidung, welche Art von Lüge man zeigen will, in den Nuancen von Licht. Brian Eno hat seinen Essay in mehreren Büchern mit Künstlerportraits von Anton Corbijn publiziert, zum Beispiel in dem faszinierenden Band „Anton Corbijn: everybody hurts“. Hier finden sich Portraits, meist von Musikern, aus einer Zeitspanne, die Mitte der 70er Jahre beginnt und bis über die Jahrtausendwende reicht. David Bowie, Joe Cocker, Ian McCullough, Iggy Pop, Jon Bon Jove, Keith Richards (mit Shelfie! Wenn Sie den Begriff nicht kennen, geben Sie ihn bei der Manafonistas-Suchfunktion ein.) Eno erzählt auch von Corbijns Tricks. Wie der Fotograf es schafft, dass jemand bereit ist, sich versuchsweise zum Volltrottel zu machen. Die Portraits wirken nicht nur auf das Publikum, sondern auch auf die Portraitierten zurück. Alan Bangs schrieb in einem Essay „Splendid Isolation“, der sich ebenfalls in dem genannten Buch findet, Corbijn sei davon überzeugt, seine Aufnahmen von Depeche Mode hätten der Musik eine neue Richtung und ihr mehr Tiefe gegeben.

Der Anspruch, mit der Fotografie die Wirklichkeit abzubilden, wurde bereits während des Ersten Weltkriegs aufgegeben. Im Jahr 1917 reiste der Kriegsfotograf Frank Hurley an die Westfront, um das Geschehen dokumentarisch und möglichst unvoreingenommen festzuhalten. Der Erste Weltkrieg war jedoch der erste technisierte Krieg und das Schlachtfeld sah anders aus als in den Kriegen zuvor. „Ich habe immer wieder versucht, Ereignisse auf ein einziges Negativ zu bringen“,  schreibt Hurley in sein Tagebuch, „aber die Ergebnisse waren hoffnungslos. (…) Die Personen zerstreut, die Atmosphäre mit Rauch dicht erfüllt – Granaten, die einfach nicht explodieren, wenn man sie braucht. (…) Die Schlacht ist in vollem Gang, aber wenn ich meine Platten entwickle (…) Ich finde nichts als die Aufnahmen von ein paar aus den Gräben stürmenden Gestalten und einen Hintergrund aus Dunst. Nichts könnte einer Schlacht unähnlicher sein.“ Hurley fertigte die ersten Montagen in der Geschichte der Fotografie an, indem er in der Dunkelkammer mehrere Negative zu einem Abzug kombinierte. Diese Methode nannte er „composite printing“. Hurleys bekanntestes Bild setzt sich aus zwölf Negativen zusammen, die er im Oktober 1917 bei Zonnebeke aufgenommen hat. Es ist, wie die Fotografien Anton Corbijns, Teil des kollektiven Gedächtnisses.

 

 
 
 

It’s a beautiful day. I have all the words piled up, stuffed, caused to collapse reflecting those Lucinda Williams vibes still running through my veins. But not now. In the very early morning I saw a ship appearing out of a milky horizon. My borrowed blue metallic caravan did a risky thing tonight, wild camping in the Netherlands. Before sleep, a cold swim, and Björn Meyer’s forthcoming „Provenance“ from discreet loudspeakers. Where-am-I-drifting-music. I can’t get enough from small waves‘ tender touch. There’s an anti-nostalgic side in everything. That’s the way the mind works suddenly turning a different page. Remember Sgt. Pepper, remember „A Day in the Life“. The song is overpoweringly heartsick, John sings in his most spectral voice, treated with what he calls his „Elvis echo“, a la „Heartbreak Hotel“. As the hours go slowly by, and in the company of appel pannenkoek and Bessen Genever, one of the darkest albums of the ’70s springs to mind, Neil Young’s „On The Beach“. Beauty hurts, and darkness works as medicine. I blame it on C.J. Box’s „Paradise  Valley“ that a serial killer visited me tonight. Learned my lesson, do love all these empty pages of a fucking beautiful day, all these empty pages …

2017 28 Aug

Welche Art Ankunft?

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Vor zehn Jahren gründete Julietta Fix das literarische Onlineportal fixpoetry.com, um vor allem der Lyrik einen Raum im Internet zu bieten. Gedichte, Rezensionen zu Neuerscheinungen, vor allem solchen in kleineren Verlagen, Grafiken, Poesieplakate (sogenannte Poetryletter), Interviews, Essays, aktuelle Meldungen und andere Rubriken (wie zum Beispiel das literarische Selbstgespräch, ein Interview ohne Fragen) runden das Angebot ab. Angela Gutzeit vom Büchermarkt des Deutschlandfunks führte mit Julietta Fix ein Interview über deren Arbeit, das Sie hier hören können. Julietta Fix, die das Portal von Hamburg aus betreibt, spricht darüber, was ein Online-Literaturportal im besten Fall leisten muss, welches Profil sie entwickelt hat und was sie heute anders machen würde. Heute ist mein Gedicht „Welche Art Ankunft?“ Gedicht des Tages. Sie können es auf der Startseite von Fixpoetry lesen und später hier.

 

 

 
 
 
Gestern durch Zufall bei Youtube gefunden: Werner Penzels Dokumentarfilm Vagabundenkarawane von 1979 über die achtmonatige Reise der Gruppe EMBRYO mit drei ziemlich schrottreifen Bussen durch Griechenland, Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan und Indien – der Hippie-Trail im O-Ton sozusagen.

Lange Fahrten auf öden Straßen. Regenzeit. Brennende Sonne. Montezumas Rache. Und eine natürliche Geburt irgendwo am Ende der Straße in Afghanistan, aber auf eine Ärztin möchte man doch lieber nicht verzichten. Dazwischen Auftritte der Band, teils spontan und mit örtlichen Musikern, etwa dem Karnataka College of Percussion, aber auch mit z.B. einem lokalen Zauberer, der zum ersten Mal in seinem Leben auf einer elektrischen Orgel spielt. Andere, offizielle, Auftritte waren in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Goethe-Instituten organisiert.

Ich meine den Film 1979 oder 1980 in seiner Originalfassung im ZDF gesehen zu haben. Es gab ihn zeitweilig auch auf DVD, die aber sehr schnell zu Fantasiepreisen gehandelt wurde. Ich habe den Film deshalb seit damals nicht mehr wiedergesehen – und nun, zu meiner Überraschung, steht er plötzlich auf Youtube (jetzt mit zeitgemäßem Deppenleerzeichen: „Vagabunden Karawane“), anscheinend sogar auf einem „offiziellen“ Kanal, so dass man hoffen darf, dass er dort eine Weile bleiben wird. Der Film ist digital restauriert, dem Ton ist das gut bekommen, dem Bild nicht immer. Hauptproblem allerdings ist die Kürzung: Von den ursprünglich 115 Minuten sind jetzt nur noch 88 übrig. Man hat, wenn mich meine Erinnerung an die ZDF-Ausstrahlung nicht trügt, etliche Reisebilder weggelassen und weitgehend auf die erklärenden Kommentare verzichtet. Die fehlen dem Film jetzt. Man wollte sich offenkundig auf die Musik konzentrieren. Die allerdings, wenn wir mal ehrlich sind, ist nicht immer so mitreißend, dass sie den ganzen Film allein tragen kann. Ab etwa der sechzigsten Minute beginnt sich die Angelegenheit ein wenig zu ziehen.

Aber sehenswert ist die Vagabundenkarawane noch immer. Und die Musik dazu gibt es noch immer auf Doppel-LP oder einer leicht gekürzten CD – einer meiner Langzeitbegleiter auf dem MP3-Player:
 
 
 

 

2017 27 Aug

Lucinda

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Zwei von der Klasse von ’73 fahren von Dortmund nach Köln, der eine spielt, sammelt, und liebt Gitarren, der andere liebt gute Gitarrenmusik und gute Songs, tun sie natürlich beide. Dennoch, ganz andere Hörgeschichten. Das Konzert von Lucinda Williams in der Kantine wird zu den unvergesslichen zählen, für beide. Auf der Rückfahrt schöne Sprachlosigkeit, viele Geschichten.

 
 

2017 27 Aug

This time is yours

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Ich hätte die Platte im Jahr 1994 entdecken können, als sie veröffentlicht wurde, oder im Jahr 2005, als ich über Michaels Sendung auf Bark Psychosis aufmerksam wurde, aber nun war der Anlass der, dass ich, angeregt durch Michaels Hinweis auf die Wiederveröffentlichung ihres ersten Albums, Hex, eine alte Kassettenaufnahme hörte und zu recherchieren begann. Bei Independency, meiner vermutlich liebsten Platten von Bark Psychosis, handelt es sich genau gesagt nicht um ein Album, sondern um eine Compilation, eine Zusammenstellung von 8 EPs der Jahre 1989 bis 1992. Die ist so dynamisch und das Sequencing so überzeugend wie auf einem durchkomponierten Album. Die Band, die sich im Jahr 1986 im östlichen London formierte, legt großen Wert darauf, sich von Veröffentlichung zu Veröffentlichung musikalisch weiterzuentwickeln, und findet ihren Stil zwischen Post-Rock, Post-Punk, Psychodelik, Minimalismus, introvertiertem Indie-Rock und Cooljazz. Als frühe Einflüsse werden Talk Talk, Sonic Youth und Joy Division erwähnt. Graham Sutton, Jahrgang 1972, ist von solchem Schubladendenken nicht begeistert. „Sometimes people compare us to Pink Floyd, and they are just a muso thing. I´m more interested in feeling, really.“ Die Fotografie der drei Telefonzellen stammt für uns heute wie aus einer fremd gewordenen elektronischen Epoche. Es ist nicht das Coverbild von „Independency“, sondern das Foto hinter dem Cover im Booklet. Ich weiß nicht, warum der Name der Band auf dem Cover in kyrillischer Schrift gedruckt wurde, es handelt sich nicht um eine russische Kopie. Das Cover zeigt die Ecke eines Raumes, der aufgrund der russischen Schriftzeichen in einem Hotel in Moskau verortet sein könnte, ein Wartebereich. (Eine versteckte politische Botschaft?) Die Gardinen reichen weiß bis zum Fußboden, sind zugezogen, draußen ist es hell auf eine unbestimmte Art, die orangefarbenen schlichten Vorhänge sind vor den Fernseher gezogen, der angeschaltet ist. Als ob jemand das Gegenlicht der Sonne dämmen wollte. Das Bild im Fernsehgerät zeigt einen Mann im Halbprofil, der mir aufgrund seiner Statur eher älter zu sein scheint, die Arme in Brusthöhe, steht er an einem Pult und hält eine Rede? Ist es ein Blick von außen durch ein Fenster in einen Raum, der aussieht, als wäre es kein geschlossener Raum, sondern Teil der Öffentlichkeit? Je genauer ich hinschaue, umso unschärfer und interpretierbarer wird die Szenerie. Scum ist der letzte Track der Compilation, mehr als 21 Minuten lang. Diejenigen, die „The Affair“ gesehen haben, werden sich vielleicht an den Song erinnern, der – in der 3. Staffel, meine ich – in einem New Yorker Club nachts ausgelassen von den Gästen gesungen wurde, als verkündet wurde, dass aufgrund des Starkregens alle Straßen gesperrt sind, dass eine Nacht im Club bevorsteht. We are the American Scum. „Scum“ scheint mir hier eine andere Bedeutung zu haben als bei Bark Psychosis. Zwischen Abschaum und Schaum changieren die Übersetzungsvorschläge. Die EP Scum von Bark Psychosis ist ein improvisiertes Ambientwerk, das live in einer Kirche aufgenommen wurde, ein wunderbares Stück mit großer Raumwirkung, da sind die Drums, die noise-guitar, es ist spacig, leicht und von einer inneren Dynamik getragen. Ein paar Sätze werden eingestreut, Gesprächsfetzen, wie dahingesagt, so wie Marc Nelsen es in den großartigen Alben von Labradford zu tun pflegt. „It´s probably the most spontaneous record we´ve put out“, sagte Graham Sutton. It´s all about you. It´s all around you.

 
 
 

 

2017 25 Aug

Self-Tracking in Berlin

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„You see dear diary,

Fate will have an easy time with me, for

I prescribe everything for him.“
 
(Karen Horney 1885-1952)

 
 
21.8.
 
Heute waren wir zum High-Tea im Adlon. Der Elefantenbrunnen ist so prächtig. Man hört das Plätschern des Brunnenwassers, das sich mit den Piano Klängen aus der oberen Etage vermischt. Marie spielte die ganze Zeit mit ihrem Smartphone. Als ich sie fragte, ob sie Lust hätte zu der neuen angesagten Location von radioeins zu fahren, antwortete sie, dass sie heute schon 11.724 Schritte gelaufen sei. Ich schlug vor, mit der U-Bahn nach Charlottenburg zu fahren. Nach kurzem Blick auf ihr Teil meinte sie, wir brauchen 27 Minuten inklusive Umsteigezeit von 6 Minuten. Als sie von mir erfuhr, dass die neue Lounge im 14. Stock sei, sagte sie, no problem, sie dürfe nur nicht auf 180 kommen, um ihre Herzfrequenz stünde es nicht so gut. Ich freute mich auf den Besuch von etwas Unbekanntem. Ich dachte, ob Marie sich überhaupt noch ein Leben ohne Zahlen vorstellen könnte.
 
 
radioeins
 
Seit Juli 2017 gibt es eine Bar im RRB-Gebäude. Wie gesagt im 14. Stock: draussen und umsonst. Man kann bei Wein und Snacks den Hörfunk live miterleben oder einfach draussen stehen und sich dem Himmel über Berlin näher fühlen.
 
 
22.8.
 
Heute war ich in der Banksy Ausstellung. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich einige seiner Antithemen ansehen konnte. Marie war nicht mitgekommen, weil die App Affectiva ihr zu negative Emotionen zeigte. Sie führte das auf den gestrigen Besuch in der Lounge von radioeins zurück. Alle ihre Selfies zeigten ein frustriertes Gesicht. Zudem wären die 500g Reis plus Hähnchenspiess für ihre Vitalwerte verheerend gewesen. Ihre FitBit hätte rot angezeigt. Seltsam, dass sich Marie körperlich so vermessen lässt.
 
 
The Art of Banksy
 
Das ist eine Ausstellung, die in der Behrenstr. 72, hinter dem Adlon gezeigt wird. Die Eintrittspreise sind hoch, Banksy soll nicht damit einverstanden gewesen sein. Wer ist Banksy? Er spricht nie im Radio, man sieht ihn auch nicht im TV. Wir wissen, dass er ein Streetart-Künstler ist und die bleiben bekanntlich im Dunkeln. „I don’t know why people are so keen to put the details of their life in public. They forget that invisibility is a superpower“. Banksy kann schocken, aber den Kontext kann man immer verstehen. „The Bomb Hugger“ drückt unsere Angst vor dem Atomkrieg aus. „Guantanamo Bay“ ist so heftig, dass ich mehrmals zu dem Bild lief. Wir wissen, dass Guantanamo in einer Sehnsuchtslandschaft liegt. Mir haben alle Werke kritisch, anarchistisch und gewagt den Blick auf die Welt werfen lassen.
 
 
23.8.
 
Heute besuchte ich das Pop-Kultur Festival in der Kulturbrauerei (Eberswalderstrasse). Marie blieb im Hotel. Sie war verärgert, weil ihre App Sleep Cycle Alarm Clock sie nicht geweckt hatte. Zudem seien ihre Schlafphasen falsch berechnet worden. Sie wollte den Abend nutzen, eine neue Schlaf-App zu finden und zu installieren. Ich hatte sie mit meiner Vorfreude auf eine von mir seit langem geschätzte Musikerin nicht anstecken können. Mein Gott dachte ich, sie verpasst das Leben.
 
 
Pop-Kultur Festival
 
Dieses Festival findet drei Tage statt. Ich wollte nur einen Abend dorthin, um Shirley Collins zu treffen. Auf Drängen von Patty Smith ist die 80 jährige angereist. Shirley erzählte, dass sie 30 Jahre nicht mehr singen konnte. In dieser Zeit hätte sie angefangen, Songs zu sammeln. Im 19. Jahrhundert nannte man England „the land with no music.“ Sie ging von Tür zu Tür und foderte die Landbevölkerung auf: „Sing!“ Ihre field-Arbeit nennt sie „Archäologie der Musik“. Es wurden Ausschnitte von dem neuen Film „The Ballad of Shirley Collins“ gezeigt. Danach sang sie lange Balladen. Touchy.
 
 
 


 
 
… wurde Shirley nicht erwähnt. So what, Mme Grütters.
 

2017 25 Aug

Testbild

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Vor fünfzig Jahren wurde in der alten BRD das Farbfernsehen eingeführt, und das alte Testbild, vom griseligen Rauschebild ganz abgesehen, verschwand zügig aus deutschen Wohnzimmern. Dem neuen farbigen Textbild war nur eine kurze Dauer beschieden. Es wird vermisst (schwarzweiss oder koloriert), denn es stand für asketischen Leerraum, der später, von Spassvögeln aus den Redaktionsstuben, von Aquarien, oder einem flackernden Kaminfeuer, ersetzt wurde. Da wurde es schon wieder zu heimelig, man stelle sich vor, angestrahlte Gartenzwerge hätten das nächtliche Ambiente noch vervollständigt. Jede Form von Leere, ausser der hirnlosen, ist heute aus dem TV verschwunden, schade eigentlich.

 

1

 

Es war in Münster, im Kunstmuseum, ich hatte einen ultraschweren Schinken von Edmund Husserl gelesen, und beschlossen, dass die Philosophie mich nur weiter bringt, wenn sie mit Lust betrieben wird. Da liefen auch zuviele Kantianer rum, dann lieber später, in Würzburg, ein paar durchgeknallte Bhagwans, und wohldosierte Analytikerinnen.

Zur Bekämpfung leichter Ungleichgewichte von „body & mind“ kamen die drei Gentlemen gerade richtig, Mitte der Siebziger Jahre – und als sie auf einer Empore den Raum betraten, brandete der Applaus auf. „Gateway“ war ein trefflicher Name für das Trio, das der guten alten Tante Powertrio tatsächlich neue Töne beibrachte. Nach Jimi Hendrix war die Messe noch nicht gelesen. Da waren auf alten Holzstühlen und geschrubbtem Boden viele Zuhörer versammelt, die seitdem gewiss ihre ECM-Plattensammlung stetig vergrössert haben. Eine versprengte Wahlverwandtschaft, und etliche auch schon tot.

Ganz gleich, welche Historie Abercrombie, Holland und DeJohnette mitbrachten (zwei hatten danken Miles D. und Charles L. schon Legendenstatus, und Abercrombie fabrizierte, rückblickend weiss man es, in jenem Jahrzehnt diverse Meilensteine, oder gestaltete sie mit, ich sage nur Timeless, ich sage nur Sargasso Sea, ich sage nur Gateway, ich sage nur Mountainscapes, ich sage nur Grazing Dreams, ich sage nur Deer Wan, ich sage nur Eventyr) – sie waren damals Underground, und sie prägten eine Sprache, a living thing.

John Abercrombie strebte nach Transparenz, und konnte dieses Spielideal, in nachfolgenden Jahrzehnten, mit einem besonderen lyrischen Kammerjazz realisieren. Meine letzte Lieblingsplatte, Class Trip. Time is a hunter. Thank you for the music, John!

 
 
2
 

Es war bewegend, gestern Abend, nach zwanzig Jahren, mein altes Portrait erneut zu hören, das anlässlich des Todes von John Abercrombie im Deutschlandfunk wiederholt wurde. (Sie können die ganze Sendung, incl. der einleitenden und abschliessenden Worte von Harald Rehmann,  unter „comment 1“ nachhören.) Es kam mir gelegentlich so vor, als würde der sehr bescheidene, zugleich beredte Gitarrist einzelne meiner „Sternstunden“-Erinnerungen mit seiner Sicht der Dinge pulverisieren – sehr interessant zudem  die Passagen, in denen er von der Zusammenarbeit mit Manfred Eicher erzählt – da wird einmal mehr deutlich, dass die Siebziger eine grosse Zeit des Experimentierens waren, in denen auch Zweifel und ständiges Hinterfragen zum kreativen Prozess gehören konnten. Es gab keine fertigen Rezepturen für „sound and vision“.

Die Alben, die John  Abercrombie als  „Sammlerstücke“ erwähnt, sind schon längere Zeit wieder erhältlich, so etwa „The First Quartet“, drei CD’s in einer weissen Box, mit dem eingangs gespielten Stück „Madagascar“, sowie „Five Years Later“, sein zweites Duo-Album mit Ralph Towner. Letzteres ist sicher auch ein „Klassiker“, und es sollte mich wundern, hätten wir es in der Jazzredaktion nicht schon in der Reihe „Milestones“ gewürdigt.


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