Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 


 
 

 
 

 

„There’s a dark side to each and every human soul. We wish we were Obi-Wan Kenobi, and for the most part we are, but there’s a little Darth Vader in all of us. Thing is, this ain’t no either or proposition. We’re talking about dialectics, the good and the bad merging into us. You can run but you can’t hide. My experience? Face the darkness, stare it down. Own it. As brother Nietzsche said, being human is a complicated gig. Give that old dark night of the soul a hug! Howl the eternal yes!“

(Chris in the morning, Northern Exposure)

 

 

 

 

Es ist eine erhebende Erfahrung, in begeisternden TV-Serien zu versinken, wie früher in immensen, am besten nie zu Ende gehenden Romanen, die manche von uns eben nicht als „alte Schinken“ oder „dicke Wälzer“ erlebten, sondern als rauschhafte Ware. Ich kenne drei Menschen, die haben sich in Marcel Prousts opulentes Lebenswerk hinein begeben, über Monate hinweg, Thomas Köner, Annette von Aretin, der Dritte hat nach Tausenden von Seiten einen Suizidversuch begangen. Wir sprechen hier sowieso nicht von simpler Unterhaltung.

Die Option besteht noch immer, aber nicht alle Tage finde ich einen dieser schweren Schmöker, die sich der 1000-Seiten-Grenze nähern oder sie gar überschreiten, und zugleich den geschätzten Sog erzeugen. Da bin ich glücklich, in grandiose Erzählwelten solch überragender, abgründiger, tiefsinniger und tief sinnlicher Serien einzutauchen wie Banshee, The Leftovers, Justified, Fargo oder Sons of Anarchy, und danach wie verwandelt aus dem Fluss der Bilder und Stories zu steigen. All die genannten Serien haben auf ureigene Weise Standards gesetzt. Seelennahrung sind sie mir obendrein.

Und dann ist es wieder mal was ganz Besonderes, einen dieser prächtigen, schier „unendlichen“ Romane für sich zu entdecken, der einen flugs in all seine erfundenen Wahrheiten lockt, seine Rätsel und Mysterien. Seltsamerweise ist mir das in den letzten ein, zwei Jahren, neben der „Gitarrenstunde“ von Clemens J. Setz, mit zwei japanischen Romanen so gegangen, die, wie alle sehr guten Kriminalromane, weitaus mehr sind als „nur“ sehr gute Kriminalromane.

Das eine Buch stellte ich in meiner Japan-Stunde der letzten Klanghorizontevor, Unter der Mitternachtssonne. Das andere heisst, viel schlichter, „64“, nicht minder mitreissend dargeboten in einem so betörend auf adagio gestimmten Erzählfluss, dass mir die Welt ringsherum, permanent aufs Neue, abhanden kam. Zehn Jahre hat Hideo Yokoyama daran gearbeitet. Jetzt ist 64 als Taschenbuch erschienen – man kann es nicht mehr so gut, nebenher, als Fitnessgerät benutzen wie die Hardcover-Ausgabe des Atrium-Verlages:

 

Hideo Yokoyama’s Six Four is the size of a small brick. But as this new elephantiasis in the size of crime fiction novels seems to be the new norm, we have at least some consolation with this book: those who stick with the complexities of Six Four beyond its first hundred or so pages will find themselves gripped, and complaints about its considerable extent will melt away.“

(The Independant)

2019 27 Apr.

Aldous‘ Dance

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 1 Comment

 

Aldous Harding – „The Barrel“ (Official Video)

 

As for her singing, Harding seems to have honed her instrument and matured as a performer – the inflections of her voice give shape and color to every line, and her choices never seem forced. Though the songs certainly have more or less traditional structures – they have verses and choruses, after all – they sound more like a series of meditations than they do folk or pop songs. Precisely by opting for simplicity and tautness, the arrangements (both instrumental and vocal) lend a greater depth to her phrasing than a more explicitly experimental approach might have been able to allow. As her voice makes a silky slither toward the higher notes on “Zoo Eyes,” the song lifts to a blissful state, coaxing the listener into a secret garden populated by the ideas Harding has planted there.

(Dylan Mintanari, Spectrum Culture)

 

2019 25 Apr.

„Reframing“

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 1 Comment

“David Torn’s music has always tilted toward the atmospheric, and in the 1990s he started creating film soundtracks. He played on the scores to “The Big Lebowski,” “Traffic” and “A Knight’s Tale,” among others, before starting to compose entire soundtracks himself in the 2000s. It was during this period that he suffered a life-changing brain injury, and lost the ability to hear in one ear. It was a great hardship, but Mr. Torn treated it as just another part of life’s ongoing improvisation.“

 

“Life is a continuum in most ways, so an interrupter can be a part of the continuum,” he said, explaining that he had to relearn how to listen to music. “I think my great love of distortion became very fine-tuned.”

2019 24 Apr.

Auszeit

von | Kategorie: Blog | | 4 Comments

Der Hausschlüssel lag eingewickelt in Alufolie unter einem Stück Schiefer neben der Tür. Es war ein Reihenhaus, mit langgestrecktem Garten, der Blick auf bewaldete, niedrige Berge, in der Nähe ein Fluss und ein Stausee. Der Ortsteil war in den frühen 80er Jahren als Bauland ausgewiesen worden, etwas entfernt von der Durchgangsstraße hatte sich in rascher Folge ein Einfamilienhaus nach dem anderen angesiedelt, im Bewusstsein einer privilegierten Lage. Die Vorgärten waren herausgeputzt, aber meist pflegeleicht, unkompliziert. Here comes the Ice Cream Man mit seinem Kastenwagen und einer hellen Glocke in der Hand. Die Straßen beinah leergefegt. Unten am Fluss sitzen die jungen Leute und drehen ihre Musik auf. Der Sommer war schon angekommen, Ende April, im Netto verkauften sie Mini-Klimaanlagen, als wäre es für die Touristen. Wolkenformationen, ein Nachmittagsregen, dann glänzende Straßen. Der Zierbrunnen im Nachbargarten plätschert weiter.

2019 23 Apr.

Unheimliche Musik

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 21 Comments


 
 

Wenn man näher hinschaut, wird der Anblick unerfreulich. It’s not Joey. Ich glaube nicht, dass ich düstere Dinge lostrete, nachts im Radio, aber gerne erzählt ein alter Kumpel, wie er einmal Weihnachten die Klanghorizonte eingeschaltet habe, und es wäre doch tatsächlich „mit diesem trostlosen Lied von Scott Walker“ losgegangen. Er meinte „It‘s Raining Today“ – und tatsächlich verströmt da nichts Heiterkeit, ausser der Tatsache vielleicht, solche „unpassende“ Musik am Heiligabend aufzulegen. Der Trost, den Musik spenden kann, nimmt eben mitunter seltsame Formen an. Was Sie da sehen, ist tatsächlich das Cover eines der Alben meiner Radionacht im Juni. Mit dieser Musik geht es los, wenn gerade wieder eine vertraute Stimme etwas über die Sterne und das Weltall erzählt hat. Auf diesem Album geht es, elektronisch und, Achtung, Lieblingswort, archaisch zu. Alte Dinge, Masken, Wälder, tiefe Nacht.

 

2019 22 Apr.

„Come What May“

von | Kategorie: Blog | | 5 Comments

 

Joshua Redman Quartet  (Nonesuch Records © 2019)

 

2019 22 Apr.

Dark Star Safari

von | Kategorie: Blog | | Comments off

Recently they took a picture of a black hole. Or does the title include a reminiscence to the last album of David Bowie? It opens up with a quiet and wide improvisation as the project started at all. Then the singing starts which seems to be very familiar. Obviously new but all still so familiar. Yes, they worked with Tigran Hamasyan on Atmospheres. one of the most extraordinary albums of 2017. And of course they recorded with David Sylvian severeral times. Now they’ve started their own Dark Star Safari. Listen!

 

 

 

Am 16. April wurden die diesjährigen Preisträger des Pulitzer Prize bekannt gegeben. Mit großer Freude konnte ich lesen, dass Richard Powers für seinen Roman “The Overstory“ (“Die Wurzeln des Lebens“) den Preis in der Kategorie Belletristik gewonnen hat. Kürzlich erst habe ich dieses Buch gelesen und ihm viele Leser gewünscht. Wieder einmal hat Powers einen großartigen Roman geschrieben, der nicht nur der Unterhaltung dient, sondern aufrütteln soll, es ist ein Plädoyer für Bäume. Und man lernt sehr viel über Bäume in diesem Buch. Powers hat sich einmal mehr in ein weiteres Thema gründlich eingearbeitet. Stellenweise erinnert der Roman an ein Sachbuch über Bäume, was durchaus positiv gemeint ist. Im Oktober 2015 habe ich im Zusammenhang mit Olivier Messiaen seinen Roman Orfeo (Frankfurt 2014) empfohlen, auch ein ganz großer Roman, in dessen Mittelpunkt die Musik steht. Erinnert sei auch an seine Werke „Das Echo der Erinnerung“ und „Der Klang der Zeit“. Nun erschien Ende letzten Jahres “Die Wurzeln des Lebens“. Powers, geboren am 18. Juni 1957 in Evanston, Illinois, möchte in diesem Buch zeigen, dass der Mensch, der sich doch so gerne für die Krone der Schöpfung hält, gerade dabei ist, seine eigenen Existenzgrundlagen zu zerstören. Seine Profitgier macht ihn blind, sodass er den Zusammenhang von Mensch und Natur nicht mehr sieht. Er nimmt nicht mehr wahr, dass alles miteinander verwurzelt ist und wir – die Natur und der Mensch voneinander abhängig sind. Obwohl – streng genommen braucht uns die Natur nicht, aber wir sie, um atmen und leben zu können.

 
 
 

 
 
 

Wenn man den 624 Seiten umfassenden Roman aufschlägt und zu lesen beginnt, meint man zunächst einen Band mit Erzählungen vor sich zu haben oder einen zweiten “Wolkenatlas“ (David Mitchell). Powers hat seinen Roman in vier Großkapitel unterteilt, die zusammen genommen einen Baum darstellen: Beginnend mit den Wurzeln, dann der Stamm, gefolgt von der Krone und schließlich die Samen. Im Großkapitel “Wurzeln“ werden uns zunächst ganz unterschiedliche Geschichten erzählt, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, außer, dass sie alle irgendwie Bäume thematisieren. Da lesen wir etwa von Nicholas Hoel, Urururenkel von John, dessen Vater einst Norwegen verlassen hat, um in Iowa ein neues Leben zu beginnen. Auf dem Gebiet seiner Farm pflanzte er einen Kastanienbaum, der für seine Familie eine besondere Bedeutung haben sollte. Er begann die Tradition mit seiner Kamera von einem bestimmten Standpunkt aus jeden Monat ein Foto von diesem Kastanienbaum zu fotografieren. Dieses Ritual wurde von seinen Kindern und Kindeskindern fortgeführt, bis schließlich 900 Baum-Fotografien das Leben dieses einen Baumes zeigen. Nicholas Hoel wird dieses 900-Fotografie starke Daumenkino in seinen Händen halten, als er die am Ende heruntergekommene Farm seiner Vorfahren ausräumen muss. Eine andere Geschichte handelt von Neelay Mehta, der gelähmt im Rollstuhl sitzt, weil er als Junge vom Baum gefallen ist. Jetzt arbeitet er als Entwickler von Computerspielen, in denen die Natur eine wichtige Rolle spielt, die Geographie, das Klima, die Rohstoffe. Die Gegenspieler: Konquistadore, Immobilienhaie, Technokraten usw. Oder die Erzählung von Patricia Westerford, einer Biologin. Sie entwickelt eine Theorie vom Wald als einem sozial interagierenden System. Natürlich macht sich alle Welt über sie lustig, viel später allerdings sollten ihre Texte zumindest unter Umweltschutzaktivisten Anerkennung finden. Fünf weitere Geschichten werden uns in diesem ersten Teil des Romans erzählt, bevor sie sich alle im Großkapitel “Stamm“ miteinander verbinden, um sich in der Krone wieder voneinander entfernen.

Richard Powers hat in seinem Buch durchaus reale Ereignisse aus den Neunzigerjahren verarbeitet, damals gab es in den USA tatsächlich hartnäckige Baumbesetzungen, großangelegte Aktionen gegen Kahlschläge, gegen Holzfirmen und riesige Demonstrationen. Mich erinnert all das an ein Ereignis, das erst vor ein paar Monaten die Nation bewegte: Der Kampf um den Hambacher Wald. Und, vor ein paar Jahren gab es mitten in Stuttgart eine Menge Menschen die um den Erhalt Bäumen kämpfte, es ging im Zusammenhang von Stuttgart 21 um mehr als 280 alte Bäume, mit bis zu fünf Metern Stammumfang, die gefällt werden sollten und nun auch längst umgehauen worden sind. Johannes Kaiser besprach für DeutschlandRadio-Kultur das Buch und kam zu dem Schluss: „Powers ist erneut das Kunststück gelungen, Forschungsergebnisse in aufregende und faszinierende Literatur zu verwandeln. Und er stellt dabei die grundsätzliche Fragen nach unserer Verantwortung für die Natur, nach Solidarität, Opferbereitschaft, Freundschaft und Empathie. „Wurzeln des Lebens“ ist ein poetischer Roman, der berührt, fasziniert, erschreckt und staunen macht.“

Musik spielt in diesem Roman übrigens keine Rolle, jedenfalls nicht Musik im engeren Sinne verstanden, John Cage würde natürlich überall Musik entdecken: im Rauschen des Waldes, im Klang der Kettensäge, im Pfeifen des Windes und im Trommeln des Regens. Mich erinnert all das an eine Sendung von Michael, als er vor zwölf Jahren, am 8.Januar 2007, in seinen Klanghorizonten eine geniale Zusammenstellung zweier Platten präsentierte, diese Komposition ist für mich der Soundtrack zum Buch Zunächst wurde von “Chris Watson – BJ Nilsen“ aus der CD “Storm“ das über fünfzehnminütige Stück “Austrvegr“ gespielt und im Anschluss daran legte Michael die damals gerade erschienene Platte “Fly High Brave Dreamer“ von Chris und Carla auf.

 
 
 

 
 
 

Ein Zitat aus dem Buch zum Schluss:

„ … ich schlage eine Faustregel vor: Wenn Sie einen Baum fällen, dann muss das, was Sie daraus machen, mindestens so großartig sein wie das, was Sie zerstören“ (S.559)

2019 21 Apr.

Time Travel into Liquid Sky

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 1 Comment

Völlig irre Story: unsichtbare winzige Aliens sind auf der Suche nach dem ultimaten Kick, den sie vorzugsweise in heroingeflashten Gehirnen finden. So landen sie auf dem Dach eines neonbeleuchteten New Yorker Penthouses, das von der drogenbenebelten, androgynen und promiskuitiven Margeret und ihrer Loverin Adrian bewohnt wird. Margeret versucht in der New Wave-Fashionszene ein bisschen weiterzukommen und lässt sich mit erstaunlicher Indolenz auf diverse (oder auch mal perverse) Typen ein, die sie vögeln wollen. Während die Aliens entdecken, dass die körpereigene Opiatausschüttung beim Orgasmus der bessere Kick ist, kommt ihnen ein deutscher Wissenschaftler durch höchst obskure Hypothesenbildung gefährlich nahe. Doch dann beginnt die grelle Story zu eskalieren, Margeret kriegt an einem echt miesen Tag einen deftigen Run und ihre Geschlechtspartner haben auf einmal eine lange Kristallnadel im Kopf und verschwinden dann schlagartig.

Eine zugegebenerweise etwas krude Geschichte, wie sie nur in der New Wave-Szene New Yorks Anfang der 80er Jahre entstehen konnte, irgendwo zwischen Post-Punk, Fashionhypes und Discofieber, die mit teilnahmslos-paranoiden Realitätsverlust unterkühlt und optisch überzogen eine eigene surreale Welt mit fatalem Ausgang entfaltet. Dieser Low-Budget-Film von 1983 avancierte schnell zum Kultfilm und hielt sich 28 Wochen in den amerikanischen Top-Filmcharts und hat bis heute nichts von seiner künstlerischen Faszination verloren. Und der Soundtrack des Regisseurs Slava Tsukerman trägt mit seinem sehr reduzierten, wavig-technoiden elektronischen Sound viel zu der eigenwilligen Atmosphäre bei und ist nun endlich wieder zu haben.

 
 
 

 


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