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Category: Musik vor 2011

Natural Causes

 

Werke von Steve Tibbetts erscheinen in gehörigen Abständen; der Mann hat es nicht eilig. NATURAL CAUSES heisst der jüngste Streich, und in seiner In-Sich-Gekehrtheit erinnert er von ferne (zumindest im meditativen Gestus) an NORTHERN SONG, sein Debut auf dem Label ECM. Was Marc Anderson (Perkussion, Steel Drum, Gongs) und Steve Tibbetts (Gitarren, Piano, Kalmba, Bouzouki)zu Wege bringen, entstand damals ohne Overdubs in einem norwegischen Tonstudio an zweieinhalb Tagen – jetzt haben sie die vertraute Studiotechnologie in St. Paul benutzt, um in feinen Schichtungen musikalische Essenzen zu destillieren. Immer wieder schimmert da ein fernes Asien durch, selbst, wenn die Klänge einer Bouzouki, Kalimba und Steel Drum eher mit anderen Erdregionen assoziiert werden. Tibbetts hat lange Erfahrungen gesammelt, vor Ort.

Rückblende: man nenne dies nicht Fusion Music und auch nicht Crossover. Die Musik des 1954 in Madison, Wisconsin, geborenen Steve Tibbetts erzählt vom Reisen. Mit sechs Jahren hatte Steve begonnen, die Ukulele zu erforschen, und griff zur akustischen Gitarre, sobald seine Hände sie fassen konnten. Später spielte er in Rockbands und richtete sich im Laufe der Zeit in St. Paul, Minnesota, ein eigenes Studio ein, das bald zum zweiten Instrument wurde – Klangmanipulationen gehörten zum Handwerk eines Musikers, der in seienr Jugend mal über Wochen Tomorrow Never Knows von den Beatles und Ege Bamyasi von Can hörte.

Der Globetrotter aus Passion hielt Abstand zu jedem drohenden Mainstream, vermied die mechanische Griffbrettartistik mancher Kollegen und kämpfte gegen den üblichen Etikettenschwindel: „Folkmusik vom Mars“ nannte ein Journalist sein Klanggebräu. Seine erste große Reise führte nur nach Oslo: Unter der Klangregie Manfred Eichers entstand die karge, leicht pulsierende Gelassenheitskunst von Northern Song. Seitdem mischte der Gitarrist die Höhen- und Breitengrade seiner Musik nach den Gesetzen des freien Falls von Mikadostäbchen und produzierte brillante Werke, mit Titeln wie Safe Journey (1984), Big Map Idea (1990) oder The Fall Of Us All (1994) – eine konstante Verletzung des Orientierungssinnes. Manchmal sind da Geräuschspuren der Fernstraßen um Minneapolis zu hören, der Rocky Mountains oder eines Mönchschors aus Tibet.

Fetzen eines fremden Alltags fanden sich Anfang der Nuller Jahre auch auf seiner CD A Man About A Horse, wenn beim Sampeln Natur- und Tierlaute zusammen mit den bronzenen Sounds von Gongs gespeichert werden (ECM 1814). Fasziniert ist Tibbetts von der Kebyar-Schule der Gamelan-Musik, ihren explosiven Attacken, kühnen Synkopen und verwickelten Läufen aus Blockakkorden. Bali, Indonesien und Nepal wurden bald zum ständigen Reiseziel. Er hört zu, wenn ein Einheimischer von den Geistern der Bäume spricht, und lässt sich vom endlosen Klingklang indonesischer Puppenspiele in den Schlaf wiegen. Kehrt Steve Tibbetts von seinen Reisen zurück, arbeitet er mit frei schwebenden Erinnerungen, nicht mit akustischen Abziehbildern. Asien wird hier zu einer Welt, von der ein später Jimi Hendrix geträumt haben könnte. Komplexe Texturen, die, allem Gitarrenfeuer, aller Perkussionsdichte und Basswucht zum Trotz, eine seltsam beglückende Klarheit verströmen – als könnte man der Musik beim Luftholen zuhören!

Zurück zu NATURAL CAUSES. Hier klingt kaum etwas nach der tantrischen Ekstase von THE FALL OF US ALL oder A MAN ABOUT A HORSE. Hier bricht sich eine (so seltsam das klingen mag) vibrierende, durchdringende Ruhe Bahn, in vornehmlich akustischen Texturen. Lebendige Pulsschläge einer Musik, die eine fantastische Balance findet zwischen Stille und Klang und Rhythmus (abseits der Klischees, die hier immer gleich etwas Heiliges und Spirituelles ins Feld führen!). Was inspirierte Steve Tibbetts diesmal? Nun, es war (u.a.) das an die menschliche Stimmme erinnernde Sarangi-Spiel eines virtuosen indischen Musikers. Tibbetts weiß, wie wenig Sinn es macht, solche asiatischen Klänge naiv oder haarklein in amerikanische Kontexte zu überführen – die fremde Welt darf ihre Fremdheit nicht einbüßen. Das Resultat ist ein Gewebe aus Orient und Okzident, wie man es selten zu hören bekommt. Aber auch solche Kunst führt ins Private, beharrt nicht in abrakten Landkartenideen. Zu der Zeit, als Tibbetts und Anderson an der Musik arbeiteten, war Steves Schwester schwer erkrankt, und die Famile spürte die Gegenwart des Todes. Man lebte in der Vorstelllung, eine geliebte Person bald zu Grabe tragen zu müssen. Und auch dieser Schmerz hat Eingang in diese leise intensive Musik gefunden. Nun, die Dinge nahmen eine Wendung zum Guten, aber etwas von dieser Zeit hat sich in den Zwischentönen niedergelassen, eine Art ungezwungene Einkehr und Nachdenklichkeit.

Sean Kutzko, a long-time fan of Steve Tibbetts, wrote a review on Amazon.com:  „I’ve noticed a curious trend with me whenever Steve Tibbetts releases a new CD: I immediately freak out at the news, order it as soon as possible, and then wait for it to arrive without trying to learn any more about the release. When it finally arrives, there is a very conscious period of time when I hold it in my hands and wonder just what I’m going to get. It’s kind of like in baseball, when the runner rounds third and you realize there’s going to be a play at the plate. There’s a very fun couple of seconds where you know you’re going to see something exciting but you don’t know exactly how it’s going to turn out. I love that about Steve’s CDs. The other thing I’ve learned since Big Map Idea was not to make any initial reviews on the CD. Whether acoustic or electric, Steve’s music is exceptionally rich. It takes time to digest. Natural Causes is a definite shift from his last non-collaborative release, The Fall Of Us All. Yet the album is pure Steve; No track drove this point home to me more than „Chandogra.“ At :18 into the piece, as the acoustic guitar sets the theme, there is a two-note wisp of haunting guitar that definitively sets the mood as Tibbettsian. The rest of the piece features the all-too-familiar mood of Marc Anderson’s frame drums, cymbals and other incidentals coupled with Steve’s thumb piano and stream-of-consciousness lines and hammer-ons. There is no other duet that has such a signature like Tibbetts and Anderson. Like Northern Song, there’s a lot of space between the notes here. It’s beautiful; enjoy it several times, and you will come to see that nobody else could have possibly made such a recording as this.“

 

 

for more information:

https://stevetibbetts.com/

 

Even in the context of Towner’s brilliant career, „Diary“ is an outstanding album — one of the four or five masterpieces in Towner’s solo oeuvre. It’s an astonishingly intimate album, almost private and hermetic as it drills down through layers of gorgeous melody to the roots of music itself in free pieces like „Entry in a Diary.“ This is one of the great rainy day albums of all time, featuring probing dialogues between Towner’s guitar and piano, with occasional percussion. There’s a tender sadness here, but there’s also joy and triumph. Note: This is „early“ Towner — the same moody genius of Oregon’s „Distant Hills“ and „Winter Light.“ The oft-played „Icarus“ gets a victorious reading here, with a tension between the unbridled ecstasy of the melody and Towner’s fragmented attack; „Mon Enfant“ is a perfect solo guitar miniature for the ages — one can imagine Bach hearing it and musing on its delicate melancholy; „Images Unseen“ and „Entry in a Diary“ extend the guitar and piano landscape into free space, adding percussion, in the manner of Oregon’s set-opening improvisations; and one wishes that „Ogden Road,“ with its poignant exchanges between Towner’s inimitable crystalline guitar and his Bill Evans-style piano meditations, would go on forever. A fine introduction to Towner’s solo work — even more inward than, say, „Open Letter,“ if not quite as incendiary as „Solo Concert,“ and more intense than his later all-solo all-instruments outing, „Blue Sun.“ Highest recommendation. (Steven Silberman, Wired)

 
 
diary LP
 

 
 
Absencen
 
 
 
Es war einmal in Deutschland eine wilde Zeit, da schossen die seltsamsten Experimente wie Pilze aus dem Boden. Ende der Sechziger Jahre und im Laufe des nicht minder magischen Siebten Jahrzehnts sorgten Gruppen wie Can, Kraftwerk, Cluster und andere für eine Alternative zur anglo-amerikansichen Vorherrschaft der Rockkultur. Die Musik war systemisch, schrullig, archaisch. Brian Eno besuchte Moebius und Roedelius im Weserbergland und fand dort Seelenverwandte seiner „Ambient Music“!

Jahrzehnte später, Ende der 90er Jahre, entwickelte sich, in fast provinzieller Abgeschiedenheit und um den Karsruher Multinstrumentalisten Thomas Weber herum, eine Formation, die manche dieser alten Rezepturen durchleuchtete, verwarf, sich seitwärts treiben liess, und, nach Lehr- und Wanderjahren, drei Alben von einsamer Klasse in die Welt setzte: „Cicadiae“ (2003), „“Absencen“ (2005) und „Jinx“ (2007).

Die Grenzen zwischen digitaler und analoger Musikproduktion verschwammen bei diesen Klangsuchern zusehends. Es entstand eine Gegenwelt zu allem Modisch-Technoiden: wäre da plötzlich eine flüchtige Trompetenfigur  von Jon Hassell aufgetaucht, eine vekratzte Tonspur aus King Tubby´s jamaikanischer Holzhütte, oder ein verlorener Akkord aus einem Go-Betweens-Song: alles wäre an seinem Platz gewesen!   

Musik funktioniert nie ohne Erinnerung: was das Kammerflimmer Kollektief heraufbeschwört, mit seiner Melange von Jazz und Elektronik, mit dem langen Atem des Folk und den langsam rollenden Wellen unbewusst wirkender Melodien, ist eine Form des Erinnerns, der das Zitieren mittels postmoderner Heiterkeit abhanden gekommen ist. Hier steht vor dem Zitat das Vergessen, der Punkt Null – und was dann, in sehnsuchtsvollen, ihre Spannung nie ganz preisgebenden Kompositionen ans Licht kommt, ist reich an fernen Anklängen, und zugleich ureigene Handschrift! 

So mag man sich, in Momenten, erinnert fühlen an die Schwebezustände alter Robert Wyatt-Lieder, an die offenen Stimmungen von Joni Mitchell´s „Hejira“, an ätherisch freie Improvisationen melancholischer West-Coast-Musiker, die abends Richard Brautigan lesen und nachts mit John Coltrane´s „Live At The Village Vanguard Again“ im Ohr einschlafen!  

Die Musik des Kammerflimmer Kollekitefs bleibt indes ein Geheimnis, verrätselt, nicht wirklich zu entziffern! Endlich gibt wieder eine  Formation – „post krautrock“ und „post postrock“ -, die in stillen Kammern das lyrische Potential des freien Jazz genauso weiter wirken lässt wie die unverblümte Lust an Ohrwürmern, Erosionen und all den Stillständen, aus denen Unerhörtes und Unheimliches kommt!

 

Wildling

 

Thomas Weber: Im Unterschied zur Live-Situation, wo wir vor allem mit dem Holz kämpfen, wo die Schwerpunkte eher in der Gruppendynamik und in der Improvisation liegen, gibst bei der Arbeit im Studio Abweichungen: ein bisschen ist es da so wie in dem schönen John Cage-Zitat: am Anfang brummt einem alles Mögliche durch den Kopf, Menschen, Erinnerungen, Verbindungen, Bilder, Texte, andere Stücke, und was weiss ich noch alles, und nach und nach wird alles lichter, und am Ende ist fast gar nichts mehr da, und wer Glückt hat, vergisst sich dann sogar selbst.

Michael Engelbrecht:  Der erste Track eures Album WILDLING, Move Right in, zieht einen ja gleich richtig in die Musik hinein, und über die Jahre hast du mit dem Kammerflimmer Kollektief eine  eigenen Stil  entwickelt. Und oft liest man, gibt es da Bezüge zur alten deutschen elektronischen Musik, zur Krautrockmusik. Wie kommen diese Parallelen zustande bei Musikkritikern?

Thomas:  How, Gott schütze Renate Kropp Krötenschwanz – wenn Krautrock nicht nur experimentelle und drogeninduzierte Musik aus vorzugsweise Westdeutschland ist, sondern auch noch das motorische Moment, und das Improvisationslastige betont wird,  von mir aus können wir dann ruhig Nachfahren des Krautrock sein. Es kann dann aber auch gerne aus Tanger oder Ulan Bator kommen, ist mit am Ende egal. Julian Cope, der britische verrückte Druide, sagt ja, beim Krautrock geht es am Ende allein um Erleuchtung. Und Erleuchtung gibt’s eben nicht bei Hölderlin oder Eloy, Erleuchtung gibt’s  nur bei Can, Faust, Amon Düül und Neu!  Schöner und treffender wäre für unsere Musik, glaube ich, der Begriff „Psychedelic“, der beschreibt für mich sehr gut so eine geistige Mischform aus psychoakustischem und intuitvem Mäandern zwischen einerseits Improvisation und andererseits Loop. Irgendwie bewusstseinsverändernd, aber immer zwischen Präzision und Freiheit, und vor allen Dingen ohne Weltflucht.

Michael:  Spätestens seit der Musik von Jinx spielt ja bei der Musik des Kammerflimmer Kollektiefs dein Gesang eine besondere Rolle, Heike.  Was mir aufällt, jetzt gibt es eine ganze Spannbreite zwischen Phantasiesprache, indisch klingenden Lauten und englischem Gesang. Ist das für Sie eine besondere Herausforderung, bedeutungshaltige Wörter und sinnfreie Wörter zu mischen und die Grenzen zwischen ihnen auszuloten?

Heike Aumüller:  Ja, es hat eine große Wichtigkeit, dass bestimmte Dinge klar sind und bestimmte Dinge unklar sind. Durch das Nichtbeschreiben oder Nichtbesingen oder Auslassen einer sprachlichen Textur entsteht assoziativer Freiraum, der es mir ermöglicht, auf den restlichen instrumentalen Kosmos einzugehen. Unsere Produktion ist ein extrem wandlungsfähiges Ganzes, und es gibt jetzt keine Hierarchien, z.B. Gitarre vorne, Stimme vorne; das ist etwas, das sich so wachsend entwickelt. Das ist jetzt auch nicht von Anfang an so gezielt, dass wir einen Song machen wollen –  oder eine Struktur haben, an der wir festhalten wollen; das ändert sich während des Prozesses und endet in etwas, das vom Anfang nur noch eine bestimmte Stimmung abzeichnet.

Michael:  Wie hast du dich denn mit dem indischen Text dieses Lee Perry-Songs „Bird In Hand“ angefreundet?

Heike: Ja, da gab es so eine längere Anlaufphase. Ich habe versucht, den Text erst über das Hören zu begreifen, ich wusste lange Zeit auch gar nicht, was er bedeutet. Es war im Sommer, es war eines der ersten Stücke für die Platte, ich bin an der Alb gesessen, das ist so ein kleiner Fluss, der bei uns in der Gegend entlang fliesst, ich habe versucht, das so lautmäßig nachzuziehen, was ich höre und hab versucht, das für mich so klarzukriegen. Ich hab gesummt  und gesungen, und das habe ich eine ziemlich lange Zeit gemacht, und auf dem Heimweg, auf dem Fahrradweg lag eine Amsel, die ziemlich desolat aussah, und da musste ich da absteigen   und sie auf die Seite räumen. Was mir erst im Nachhinein so klar wurde, dass der Vogel sprichwörtlich vom Himmel gesungen wurde, weil natürlich…  „Bird In Hand“, also die „Amsel in der Hand“, die ich versucht habe in den Schatten zu räumen in der großen Hitze.

Johannes, du spielst den Kontrabass, damit kommt in die Musik so etwas vom Jazz hinein, aber Ihr Spiel funktioniert ganz anders als in herkömmlichen Jazzbands. Wie definierst du deine Rolle im Kollektief?  

Johannes Frisch:   Mit Jazz habe ich, außer dass ich es gerne höre, eigentlich sehr wenig zu tun; wohl habe ich aber mit der Improvisation zu tun, das war ein Anknüpfungspunkt für mich, hier im Kollektief seit den Anfängen eine Basis zu haben. Wo es einerseits eine Struktur gibt, die allerdings mit sehr viel Improvisation zum Leben gebracht wird. Ich bin also nicht im üblichen Sinne einfach für das tiefe Element zuständig, sondern ich bin als Instrumentalist sehr gerne auch experimentell unterwegs, und suche alle möglichen Klänge aus dem Instrument herauszulocken, die jetzt nicht unbedingt zu den tiefen Tönen gehören oder zu der Basis von dem Song, es gibt viele ganz hohe Dinge, es gibt viele flächige Dinge, und es gibt viele geräuschhafte Elemente, die für mich sehr reizvoll sind. Man experimentiert einfach mit dem Instrument, mit japanischen Haarstäbchen zum Beispiel die man versucht, auf geschickte Weise einzusetzen, dass das eigentlich ein präpariertes Instrument wird, der Kontrabass, vergleichbar mit dem präparierten Klavier von John Cage. (…) Bei unserer Musik ist es so, dass viele Dinge um ein tonales Zentrum kreisen, und oft sind es tonale Zentren, die auch mit offenen Saiten zu spielen erreichbar sind, d.h. es gibt eine ganz große Fülle von Obertöne, die zu einem bestimmten Stück gut passen, mit denen man sehr viel erreichen und ausmalen kann. 

Heike: Die räumliche Expansion unseres Bassisten entsteht ja in irgendeiner Weise chamäleonartig, der Bass wechselt die tonalen Farben,  er gleitet in Sphären ab, wo er als Baß schlichtweg nicht wahrnehmbar ist.

Johannes: Im Prinzip ist das einfach ein live gespieltes Stück. Es ist eine Atmosphäre, die wir gern auch auf der Bühne erzeugen, das  Sich-Verlieren-Können in einer Atmosphäre, in einem Motiv … es gibt ja verschiedene Motive,  die in diesem Stück auftauchen , wieder verschwinden, Dinge, die sich entwickeln, die sich anbahnen, die dann wieder abzweigen, aber trotzdem bleibt das Ganze in so einem Zustand, in dem man anfängt zu fliegen, ohne dass man jetzt dazu irgendwelche Hilfsmittel ausser der Musik selbst einsetzt.

Michael:  Auf manche Weise geistert ja Pop- und Jazzgeschichte  durch die Musik des Kollektiefs. Ich denke da an euren Track „There´s A Crack In Everything“, eine Zeile aus einem Leonard Cohen-Lied. Gibt es in diesem Lied tatsächlich einen Bezug zu diesem Cohen-Song, assoziativ, oder wie ist der?

Thomas: Dass die jazz-und pophistorischen Verweise sich durch unser Werk ziehen, muss wohl daran liegen,  dass die Musik schlicht und ergreifend sowas wie eine Art  Ersatzreligion geworden ist für mich über die Jahre. Schon früh hat sich mir die Welt vor allem über gehörte Musik und die ganzen spinnwebenfeinen unterirdischen Verbindungen erschlossen und erklärt. Und gerade so manche Zeilen wie „There´s a Crack in everything / that´s how the light gets in” sind mir über die Jahre im Synapsenflimmern so anhänglich geworden, dass die Worte am Ende wahrscheinlich in einer unaufgeregten Ecke im Gehirn abgelegt wurden und aus irgendeiner unterbewussten Schublade, so Gott will, wenn die Zeit gekommen ist, wieder abgerufen werden können.

„Wildling ist ein Füllhorn von zartem Groove, feinem Geräusch, frei herumgeisternden Melodien. Wildling befreit sich aus jeder Schublade. Wer  an Krautrock denkt, wird  von Sauerkraut träumen. Natürlich gibt es bei diesem Wildling Anklänge, aber die sind so feinstofflich, dass sich wie bei Zaubertinte alle  Referenzen verflüchtigen, kaum hat man sie aufs Papier gebracht.“ (M.E., in einer Klanghorizonte-Sendung)

TEUFELSKAMIN, das neue Werk des Kammerflimmer Kollektiefs, erscheint am 11. Oktober 2011. Hier gibt es daraus bald einen Track zu hören.

 

Hörte ein Stück im Radio, 1995, eine Interpretation von „Don’t Let Me Be Misunderstood“ und dachte: Hey, das ist was Neues. Also ab in´n Plattenladen, denn da werden sie geholfen, und gefragt: Wo kommt das her? Robben Ford and The Blue Line, aha, HANDFUL OF BLUES. Pocketful of Money, deshalb gleich gekauft. Wurde Kult, für mich persönlich.

Die Stimme: gewöhnungsbedürftig, etwas dünn, aber mit Feeling. Umso fülliger, auch mit Feeling: die Gitarre. Das Trio mit Tom Brechtlein on drums und Roscoe Beck (der im Cover-Booklet aussieht wie ein geschniegelter Tom Waits) on bass bildet die Grundformation, teilweise verstärkt durch Hammond, Harmonica, E-Piano, 2nd Guitar (Danny Kortschmar). Produced by Danny Kortschmar, Chick Corea and Ron Moss.

Handwerklich perfekt, absolut zeitlos, Referenz. Dazu eine Intensität, Geradlinigkeit und postmoderne Spielfreude, die einen Bluesabstinenzler wie mich zum Bluesfan machte und heut‘, nach 16 Jahren, geht immer noch die Post beim Hören ab. Ging damals auch zum Konzert (4 Linden in Hildesheim). Viele Rocker war’n da, Bluesfreaks, Holzfällerhemden und Holzfällerhemdenbräute, als wäre Twin Peaks in Niedersachsen. Fantastische Live-Performance, auch. Robben Ford Live: jederzeit wieder.

Das beste Stück neben „Running Out On Me“ und „When I Leave Here“ ist „Strong Will To Live“ (mit Kontrabass!!). Von der ersten bis zur letzten: jede Note, jede Phrasierung steht wie ’ne Eins. Blues wird hier zelebriert, als sei´s ein akkurates und gediegenes Handwerk – along the blue line.

 
 
 

 

Vom Suchen im dunklen Walde 

Als ich Brian Eno an einem warmen Berliner Junimorgen des Jahres 2005 traf, war auch der Bundeskanzler zugegen. Der trinkt gerne eine Tasse Kaffee im Hotel Adlon, sagte man mir. Es ist ein Irrglaube, daß nur privilegierte Künstler wie Brian Eno an einem Tag durch die  unterschiedlichsten Realitäten driften, das tun wir alle. Erst mal zeigte er mir den Blick aus seinem Zimmer in der dritten Etage, und der fällt auf das Brandenburger Tor. Mit einem Foto, das er am Vorabend machte, beteiligte sich der englische Klangkünstler an einem beliebten Touristenspiel: man nimmt eine geschickt platzierte Postkartenkulisse vor dem Brandenburger Tor zusammen mit dem Original auf und betrachtet die Überlappung der Zeitebenen. Nur, Enos Aufnahme zeigte eine Besonderheit: auch der Himmel über Berlin changierte zwischen grau und ocker und erschien, mehr als die überlebensgroße Postkarte zu ebener Erde, wie ein gemaltes Bild. Ein Trick? Ein Spiel mit Farbfiltern? ein Sample von Magritte? Oder einfach ein unwirklicher Himmel? Auch Brian Enos neues Songalbum „Another Day On Earth“ ist alle Eindeutigkeit fremd. Wie schon bei seinen vier Song-Klassikern aus den Siebziger Jahren, beispielsweise „Another Green World“, sind die Grenzen von Liedern und Landschaften oft fließend. Wo er kann, bricht er aus stereotypen Formaten aus. Alles ist so prall mit Leben gefüllt wie die chinesischen Marktstände auf dem Cover. Zeiten und Räume bleiben durchlässig: man muß ja nur den Himmel in dieser digitalen Kamera betrachten. Oder einen Blick in das Buch werfen, das Eno gerade mit Begeisterung liest: „Otto Friedrich: Before The Deluge – Portrait of Berlin in the 1920s“. Schatten ziehen immer herauf.

Die Hymne und der  Geigerzähler

Michael Engelbrecht: Dein neues Album beginnt mit einem Power-Song. Die Energie springt einen auf „This“ förmlich an, John Lennon hätte diese Melodie gerne geträumt. Aber die große Beschwingtheit kippt um in Angst. Ein irres Lied, das einige Grundthemen von „Another Day On Earth“ einführt.

Brian Eno: „This“ beginnt als eine Art Feier des Lebens, aber dann bemerkt man nach und nach, daß diese Person doch ein wenig verloren ist in dieser Welt. Kennst du die ersten Zeilen von Dantes „Inferno“, wo es ungefähr heißt: „Nur halben Weges durch die Reise dieses Lebens, und ich finde mich verloren in einem dunklen Wald“ – in dem Lied heißt es: „Was ich dachte, was ich wußte, was ich dachte, was wahr sei, was ich verstand im dunklen Wald.“ Ich versuche den Eindruck zu vermitteln von einem Menschen, der sein Leben mit großem Enthusiasmus beginnt, und dann nicht mehr sicher ist, wohin die Reise geht. Und das ist ein Thema – ich bin jetzt siebenundfünfzig, es ist nicht mehr so viel Lebensszeit übrig; und eine der Fragen, die ich mir oft stelle, ist, was man alles erleben wird auf der anderen Seite des Berges.

Michael Engelbrecht: Und das Ende von „This“, mit diesem  krassen Abriß, nimmt schon das schockierende Finale des Albums vorweg, die Komposition „Bonebomb“.

Brian Eno: Ich habe am Ende von „This“ die letzte Gitarrenphrase extrem verlangsamt, bis sie sich nach einzelnen Atomen von Sound anhörte, wie ein Geigerzähler, der nur nur noch „klick“ macht, „klick“ …. „klick“ …. „klick“. Das ist doch auf verrückte Wiese herzzerreißend, wenn nach all der ausladenden Opulenz mit einem Mal der Strom ausläuft. Im Grund beschreibt dieser kleine Song einen Weg von der Wiege zum Grab. Am Schluß wäre die Figur des Liedes schon glücklich, jemandem folgen zu können, der ihm den Weg zeigt, oder irgendeinen Weg, er würde darum betteln!

Die Fehler in der Maschine

Michael Engelbrecht: Mit dem ersten Song bluffst du ja auch die Hörer, die sich auf einem großen Tanz wähnen. Für eine Weile nimmst du dann alles Adrenalin heraus. Der zweite Song, „And Then So Clear“, entführt den Hörer in eine bizarre Schnee- und Stimmenlandschaft. Eine sehnsüchtige Melodie, eine irritierende Stimme voller Risse und Sprünge…

Brian Eno: Ich benutze für den Song „And Then So Clear“ ein elektronisches Hilfsmittel, um meine Stimme eine Oktave zu heben. Oft versuchen Musiker, den Eindruck des Artifiziellen zu glätten , wenn sie solche Mittel einsetzen. Viele würden diese seltsamen Einrisse sofort entfernen, wenn die originale Stimme für den Bruchteil einer Sekunde  durchbricht oder die Maschine die Stimme nicht korrekt in der Spur hält. Ich dachte hingegen, daß alle Fehler in der Maschine die Stimme noch anrührender machen, noch bewegender. Mir stand der Sinn nicht nach einer Maschinenstimme. Ich wollte etwas Halb-Menschliches, Halb-Maschinelles, das nicht richtig rundläuft und wie ein Geisterwesen um Menschlichkeit ringt. Ich ließ also all die kleinen Probleme  mit dem Sound  unangetastet. Ich lasse  Technologie gerne scheitern und erkläre das Scheitern zum Teil des Bildes.

Michael Engelbrecht: Es folgt ein Song, der nun aber auch noch die letzten Regeln für „normale Lieder“ außer Kraft setzt. Ein ganz zartes Teil. Übrigens heißt der neue Bestseller von Nick Hornby, in dem ein paar Leute auf einem Wolkenkratzer ihr freiwilliges Ableben diskutieren, auch „A Long Way Down“!

Brian Eno: Echt komisch. Ich wußte nichts davon und war sehr überrascht, „A Long Way Down“ an der Spitze der englischen Bestsellerliste zu sehen – meine Güte, ich habe endlich eine erfolgreiche Platte gemacht, aber es war das Buch, nicht mein Song (lacht) . Es begann damit, daß mich der englische Tänzer Noel Wallace um ein Stück Musik bat. Ich wollte ein Stück schreiben, das einen klaren Rhythmus hat – die Melodie aber sollte an nicht vorhersagbaren Stellen auf den „beat“  fallen. Wie eine Autofahrt mit einem schlingernden Reifen. Nachdem ich das Stück geschrieben hatte, wollte ich einen dazu passenden Gesang entwickeln, was sehr schwierig ist, eben weil die Melodie und „beat“ nicht im Einklang sind. Also übte ich und und bewegte die Wörter mit dem Computer so, daß sie einigermaßen auf die richtigen Noten fielen. Ähnlich wie die Stimme in „And Then So Clear“ geht es auch hier um eine Studie des Scheiterns, und nicht um eine polierte, professionelle Performance.

Der kurze Blick auf die Erde

Michael Engelbrecht: Das ist aber ein faszinierendes Scheitern! Anders als Schriftsteller wie Robert Carver oder John Updike, mit ihren gnadenlosen, eisgrauen Abrechnungen und gesammelten Trostlosigkeiten, schwingt in deiner Musik immer eine Qualität des Staunens und Träumens mit.

Brian Eno: Es tut mir gut, wenn man das heraus hört. Ich habe immer geglaubt, daß im Zentrum des Lebens Freude ist. Ich erlebe depressive Zustände wie jeder andere auch, und manchmal bin ich sehr deprimiert, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, wenn ich tief genug sinke, dann würde das, was ich dort finde, keineswegs Depression sein, Traurigkeit oder Melancholie, sondern Freude, und  ich denke, in vielen Dingen, die ich getan habe, schimmert immer noch so eine warme Glut durch. Bei aller Dunkelheit gibt es in den neuen Songs immer noch genug Wärme. Es ist die Wärme von jemandem, der denkt, daß letzten Endes das Leben doch großartig ist, und der sehr gerne am Leben ist (lacht) !

Michael Engelbrecht: Immer wieder geht es in dieser Musik um etwas, was man Loslassen und Hingabe nennen könnte. Nicht im esoterischen Sinn. „Love – Devotion – Surrender“, das war ja mal so eine Formel bei Jazz- und Rockpoeten in den Siebziger  Jahren! Hier, in diesen Stücken, geht alles falsche Pathos verloren, es gibt  keine aufgeblasene Transzendenz, eher ein ambivalentes, ernstes Spiel mit Grenzsituationen. „Caught Between“ oder „Passing Over“ sind Sehnsuchtsstücke mit einem ganz feinen Sog!

Brian Eno:  „Passing Over“  ist ein sehr seltsamer Somg, ich habe ihn mir vor kurzem noch mal angehört. Wo er herkommt, weiß ich nicht!   Einige der  Songs  entstanden sehr schnell, aber an  „Passing Over“ habe ich wieder und wieder gearbeitet, wahrscheinlich  Jahre (lacht)!   Ich mag dieses fremdartige dunkle „jazz feeling“ im Rhythmus.  Aber ich war so lange nicht glücklich mit den Klängen, die mir dazu einfielen. Und dann schrieb ich eines Tages ein paar kurze schroffe Zeilen –  dieses Harsches und Gedrängte im zweiten Teil bildet ein Gegengewicht zur ätherischen Melodie.  Die fehlenden Passagen stellten sich fast von alleine ein.  Gegen  Ende etwa dieser Piano-Loop, der sich in der Ferne verwirbelt. Eine Szenerie, als würden fremde Wesen mit einem Jet unterwegs sein, einen kurzen Blick auf die Erde werfen und weiterziehen…

Variationen mit Michel Faber

Michael Engelbrecht: Kann man schöner „lost in space“ sein? Da hat die Ambient Music endgültig deine Songs eingeholt. Was mich wundert, ist dein Rückgriff auf anderer Schreiber. An dem  Text zu „How Many Worlds“ war der Schriftsteller Michael Faber beteiligt, aber diese „lyrics“  sind ja eher einfach und wären für jedes Kind guter Traumstoff.

Brian Eno: Das kam so: Michel Faber und ich wurden vor ein paar Jahren Freunde. Ich mag seine Art zu schreiben sehr, mein Lieblingsroman ist „Das karmesinrote Blütenblatt“. Ich merkte bald, was für ein passionierter Muskhörer er ist.  Er kennt sich speziell in Bereichen aus, an denen ich wirklich nicht besonders interessiert war, so ist er  ein  absoluter Experte für den französischen Prog-Rock der Siebziger Jahre  (lacht) , und er ist ein Experte,  was meine Musik betrifft. Als ich ihm erzählte, woran ich gerade arbeitete, erinnerte ihn das an eine Musik von mir, an der ich 1979 gearbeitet hätte – und gescheitet sei (lacht). Er ist sehr kritisch.  Eines Tages schrieb ich ihm, ich hätte Probleme mit einem Song.  „How Many Worlds“ war eigentlich in Windeseile fertig,   einschließlich  der wunderschönen Violinenpassage. Es gab gar nicht soviel zu singen für mich in  dem Lied, ich sang also irgendwelchen Unsinn und besaß nur die Worte für die letzten zwei Zeilen.  „How many worlds will we ever see? / How many people will we ever be?“ Ich fragte Michel, ob ihm etwas für die offenen Stellen  einfiel. Das große Problem bei Songtexten ist: sie können einen Song klein machen. Viele Musiker erproben ein Lied, in dem sie erst mal Nonsense singen. Sobald du aber die Musik in Worte verwandelst, ist es Musik „über etwas“, und das kann dem Lied Räume nehmen. In zwei Tagen war dieser Song  da, aber unendlich lang zog es sich hin, bis ich, mit Michels Hilfe,  herausfand, was ich in den drei kurzen Versen singen wollte.

Michael Engelbrecht: Eine ausgeprägte Zeitreise unternimmt ja die Violine in „How Many Worlds“, sie klingt anfangs nach radikalen elektronischen Bearbeitungen und am Schuß nach etwas  Jahrhundertealtem!

Brian Eno: Die Violine besitzt absichtlich einen naiven Anteil, der nicht weit entfernt ist von der Chinesischen Oper. Sehr einfache, große Bewegungen (demonstriert die Klangfigur).  Überhaupt nicht indisch oder arabisch! Die Intervalle zwsichen den Noten sind  groß. Und einen andere Anregung  fand ich in einem  Ableger des  Portsmouth Symphony Orchestra. Da üben sich  Menschen ohne jegliche muskalische Ausbildung an einfachen, kindlichen Melodien. Das berührt mich, diese Mischung aus wilder Entschlossenheit und großer Unfähigkeit (lacht)!   Nun ist Nell Catchpole eine exzellente Violinistin. Und sie wußte genau, daß ich in dieser langen Sequnez einmal mehr das Gefühl eiens nicht rund laufenden Rades entfalten wollte, einen leichten Drehschwindel.  Zudem wird der Hörer in seinen Erwartungen genarrt, weil das Stück unübliche zwanzig  Takte umfasst, die noch dazu dreimal wiederholt werden.  Du denkst, jetzt geht es zuende, und dann dreht  die Violine eine weitere Runde!

Bitternis und Wahn

Michael Engelbrecht: Springen wir kurz ans Ende. „Bonebomb“ ist große unerbittliche Musik. Erzählt sie von Geistern, von Untoten?

Brian Eno: Die Geschichte hinter diesem Song ist bitter. ich las vor Jahren eine Zeitung, in der auf einer Seite zwei Artikel über palästinensiche Selbstmordattentate waren. In dem einen wurde der Prozess beschrieben, den  eine junge Frau durchlaufen muß, um in diese Rolle hineinzuwachsen. Der  Artikel basierte auf einem Brief, den ein Mädchen hinterlassen hatte. Wenn sich jemand für diese Art von Märtyertum hergibt,  dann weiß das jeder in der kleinen Gemeinde, und man betrachtet das Mädchen als eine schon  Gestorbene.  Sie haben dann den Status von Auserwählten, die bereits im Himmel sind und daher  als Heilige gelten an den letzten Tagen ihres Lebens. Für „Bonebomb“ habe ich eine weibliche Stimme eingesetzt.

Michael Engelbrecht: Also wird dieses verstörende Stück Musik aus einer Innenperspektive  entwickelt. Aber es kommt eine zweite Ebene hinzu, Teenager in der amerikanischen Provinz, die von wunderschönen Todesarten  träumen und Bilder von Popstars über ihren Betten hängen haben. Das Wirkliche ist hier porös, aber es ist auf dem  ganzen Album porös!  Und auf keinem deiner vier vorigen Songalben aus den Siebziger Jahren hast du ein dermaßen schroffes Ende gewählt. Selbst bei dem extravertierten Debut,  „Here Come The Warm Jets“,  öffnet sich der Raum, du hast schon damals gerne Chill-Out-Zonen in deinen Alben eingerichtet.  Hier aber überschlägt sich die Musik ins Nichts.

Brian Eno: Ganz sicher. Und auf derselben Seite  war ein anderer Artikel, in dem ein israelischer Arzt sagte, daß eine der schlimmsten Dinge beim Umgang mit den Opfern darin bestehe,  daß man Knochensplitter  aus den Leichen der Getöteten entfernen muß, die von den Attentätern stammen, die ja bei der Explosion in Stücke zerrissen werden.  Ein Horrorbild vom  Verschmelzen zweier Körper, Horror im 21. Jahrhundert.

Michael Engelbrecht: „Bonebomb“ besitzt  eine Unerbittlichkeit wie der Mord in der Dusche von Hitchcocks „Psycho“.  Aber generell gilt für dieses Album, daß die Musik durch viele Welten driftet: da sind  bodenlose Einsamkeiten und  hingebungsvolle, süchtigmachende  Räume und Melodien. Aber als Hörer  betritt man auch  fortlaufend  unsicheres Gelände. Hier wird nichts zur Auflösung  gebracht.  Das ist das Paradoxe:  man kann,  abgesehen vom düsteren Ende, nie eine  Trennlinie ziehen zwischen dem Unheimlichen und dem Schönen. Als Songschreiber bist du Suchender und Fluchtkünstler in einem. Und selten hast du deine Stimme so variabel eingesetzt, mnachmal klingt sie wie ein Chor, und manchmal auch ganz weich und unbehandelt. Es ist wie ein Theater der Stimmen.

Das Treffen einer Saite

Brian Eno: Das Problem mit dem Songformat ist, daß die Leute denken, Stimme und Person sind eins.  Und ich bin wirklich nicht interessiert an einer stimmlichen Darstellung von meinen Problemen,  meinem Leben und  meinen Gedanken. Ich möchte, da hast du recht,   lieber  Theater spielen, an Figuren arbeiten, die in den Liedern  Rollen übernehmen. Nebenbei, das ist einer der Gründe, warum ich so viele Manipulationen  mit der  Stimme anstelle:   ich trenne sie damit von meiner Person.  Die einzelnen Figuren sind Charaktere,  die ich geschaffen habe, mit einem speziellen  Blickwinkel für den jeweiligen Song.  Und natürlich haben sie etwas  mit mir zu tun, aber das soll nicht als Botschaft rüberkommen. Es geht nicht um  Autobiographie.  Dieser Ausdruck „Theater der Stimmen“ gefällt mir sehr gut. Ein  Teil des  Durchbruches, daß ich dachte, ich könnte wieder Songs machen, hat mit diesem technologischen Durchbruch zu tun – es gibt so viele neue Möglichkeiten, mit  Stimmen zu arbeiten.

Michael Engelbrecht: Wobei den Liedern nichts wirklich Künstliches anhaftet. Was finden sich da überall für anrührende Gesänge, Lieder wie „Under“, „Caught Between“ oder „Just Another Day“, das Titelstück, das seinen Platz finden wird neben Ray Davies´ “Days“,  gehen unmittelbar unter die Haut. Mehr „Soul“, mit Verlaub, geht nicht!

Brian Eno: (jetzt ein Lächeln) Dieses Bekenntnis ist ein wenig peinlich, aber: bei  einigen dieser Songs kamen mir Tränen, als ich sie sang –   da gab es Bewegungen in der Stimme, die – jedenfalls für mich – übermächtig waren. Das geht auf die  Erfahrung zurück, als ich zum ersten Mal eine Gospelkirche  besucht habe. Das war 1978,  in den USA. Eine kleine Kirche. Und es war ein Kindergottesdienst. Ungefähr vierzig Kinder waren da, und sechs oder acht Mütter passten auf sie auf; dann dieser Priester, ein sehr großer dicker Mensch, und  zwei Kids an den Instrumenten:  ein neunjähriger  Schlagzeuger und ein zwölfjähriger Organist. Und sie begannen diesen Gospel zu singen. Und  es gab einen Moment in der  Melodie, die sich in einem fort um sich selbst drehte,  einen Moment, der so emotional bewegend war, daß ich ihn nicht singen konnte – es war für mich zu überwältigend! Diese Erfahrung ist bei mir geblieben; und  ich dachte, wenn Musik nicht so machtvoll  ist, dann möchte ich sie nicht spielen  – wenn Musik nicht fähig ist, einen solchen emotionalen Effekt auf mich auszuüben –  und mir ist es egal, wie clever sie ist, wie hip oder modern – wenn sie mich nicht dermaßen bewegt, dann will sie nicht machen!

Die Sache mit den Klassikern

Michael Engelbrecht: Im letzten Jahr sind deine ersten vier Solosongalben aus den Siebziger  Jahren wiederveröffentlicht worden. Weltweit gab es begeisterte Kritiken, man stritt sich darum, ob nun „Another Green World“ der Klassiker schlechthin sei  oder ein anderes Werk aus dem Quartett. Ist das schmeichelhaft, oder versuchst du sowas wenig zu beachten? Am liebsten scheinst du die vielzitierten gloreichen Zeiten  zu ignorieren, nicht wahr?

Brian Eno: Ja, ich neige ein wenig zu dieser Reaktion. Natürlich bin ich sehr erfreut; es ist beglückend, daß diese Dinge noch existieren, und diese Musik immer noch Hörer findet.  Dafür bin ich dankbar. Auf der andern Seite bin ich mir bewußt, daß das eine ziemliche Bürde ist. Wenn du bei einer Arbeit anfängst, dann sieht sie erst mal ganz winzig aus, unförmig, noch nicht sehr gut.  Dann  betrachtest du dieses enorme Gewicht von Gold auf deinem Rücken –  und bist  nah am Aufgeben!  Aber die Sache ist die: die Dinge werden besser mit der Zeit oder sie verschwinden.  All diese frühen Werke  wurden ziemlich beiläufig gemacht. Es war nicht, als hätte sich Wagner hingesetzt und den „Ringzyklus“ geschrieben. Ich habe einfach die Ideen, die ich zu der Zeit hatte, in Form gebracht.  Es schien damals nicht sehr schwierig, diese Platten zu machen. Aber jetzt, wo sie aus einer historrischen Perspektive betrachtet werden, sehen   sie bedeutender aus, als sie mir damals vorkamen.  Ich dachte nicht, sie seien bedeutend, ich dachte nur, sie seien sehr gut (lacht) . Und ich fragte mich, warum niemand anders so eine Musik machte. Aber man beginnt nie  mit einer Arbeit und plant, daß sie bedeutsam wird. Das funktioniert nicht.

Alte Träume im Hinterland

Michael Engelbrecht: Das erste Album, das ich von dir hörte, war „Taking Tiger Mountain (By Strategy)“. Und ich mochte die surrealen Geschichten von Menschen, die kleine Kameras in ihrem Haar trugen, durch den Dschungel wanderten und in lauter Abenteuer verwickelt schienen. Das war großes Theater. Wie entstanden denn diese Songetexte, die bei aller Exotik mit ganz viel skurrilen  Humor durchsetzt waren?

Brian Eno: Witzigerweise fand ich vor drei oder vier Monaten das Notizbuch, in das ich die Songtexte von “Taking Tiger Mountain (By Strategy)” geschrieben hatte. Und es war sehr interessant , da einen Blick hineinzuwerfen. Da ist eine Seite, auf der ich einen ganzen Song in einem Rutsch geschrieben habe. Als hätte jemand anders mir alles diktiert. Der Text  ist voll ausgeschrioben, manchmal ist ein Wort durchgestrichen und durch ein anderes Wort ersetzt. Oder zwei Zeilen veränderten ihre Position. Ich weiß nicht, ob meine Erinenerung mir einen Streich spielt  und die Dinge schönt:  ich erinnere mich jedenfalls, überhaupt keinen Zweifel und keine Schwierigkeiten gehabt zu haben, die Texte  zu schreiben. Es war, als wären sie schon alle in mir vorhanden gewesen. Und ich hatte ein sehr klares Bild von dem Gefühl, daß dieses Album vermitteln sollte.  Es war die Tragödie der „chinesischen Erfahrung“,  dieses große Zerplaztzen der Träume, die der  Maosimus einst repräsentiert hatte. Und wie bei allen Zusammenbrüchen revolutionärer Hoffnungen,  entwickelt sich ein kollektiver Unterton der Enttäuschung. Im letzten Song des Albums  machen sich die Menschen auf  den langen Marsch über den Berg,  sie kämpfen sich durch Schnee und Eis in eine ungewisse Zukunft. Sehr melancholisch.

Michael Engelbrecht: In deiner Musik schwingen oft ferne Landschaften mit. Als du mit Harmonia Musik gemacht hast, ungefähr in der Zeit, als mit Moebius und Roedelius die Alben „Cluster & Eno“ bzw. „After The Heat“ entstanden, Mitte  der Siebziger Jahre, da hast du ja selbst mal auf dem Land gelebt, im Weserbergland…

Brian Eno: Es war eine sehr angenehme Zeit, dort zu arbeiten. Es war eine Art Luftblase in meiner Geschichte. Teilweise, weil es eine so entlegene Gegend war. Wir arbeiteten nicht weit entfernt von diesem mächtigen Flußlauf. Der Song „By The River“ aus meinem Album „Before And After Science“ ist an diesen Ort gebunden. Wir lebten in diesem sehr stillen ruhigen alten Bauernhaus. Die Weser war dort ein schneller, fast rasender Fluß. Mir kam er vor wie ein Bild für die ungeheuer schnell verrinnende Zeit. Demgegenüber wirkte das Leben in dem alten Haus noch ruhiger! Die Musik, die dort entstand, besaß etwas Magisches. Wie können wir aus Nichts Etwas machen? Das war die Kernfrage. Wie bei einem Zaubertrick. Wir hatten nur einfache Instrumente, ein einfaches Studio. Ich weiß nicht mal, ob ich irgendwas mitgebracht hatte. Wir benutzten einfach, was in dem Raum vorhanden war, und das war nicht viel.

1 Irwin Steinberg, der damals neu verpflichtete Boss von Mercury Records, ereiferte sich auf einem Interkontinentalflug: „Das ist das größte Stück Mist, das ich je in meinem Leben gehört habe“. Gemeint war die kurz vor der Veröffentlichung stehende Langspielplatte „Looks Like Rain“. Als Mickey Newbury davon erfuhr, rief er den Company-Chef an (der genaue Wortlaut ist nicht überliefert) und kaufte die Rechte an dem Album zurück. Er landete bei Elektra Records und fand dort, bei Jac Holzmans Label, weitaus offenere Ohren. „Looks Like Rain“ eröffnet die jetzt wiederveröffentlichten drei Werke Newburys aus den Jahren 1969, 1971 und 1973.

2  „Es gibt einen bestimmten Typus melancholischer Songs, die ein gefundenes Fressen für Kritiker und Weggefährten darstellen“, schreibt Jim Irvin in seiner Besprechung von „An American Trilogy“, „aber zugleich garantieren sie lebenslängliche Unterschätzung von Seiten der Öffentlichkeit.“ Mickey Newbury war einer von jenen, dessen Songs bekannter wurden, wenn berühmte Stimmen wie Joan Baez, Elvis Presley, Johnny Cash oder Roberta Fleck sie interpretierten. Newbury war ein Solitär.

3 Der Mann aus Houston, Texas (1940-2002) war mit dem psychedelischen Folk seines Albums „Harlequin Melodies“ nicht glücklich. Er fand es überproduziert, und strebte nach größerer Autonomie bei seinen  Produktionen. Die Arbeit an „Looks Like Rain“ und den beiden andern Alben der amerikanischen Trilogie wurden denn auch eine recht teure Angelegenheit, aber Newbury konnte sein Ideal umsetzen: eine intime, nackte Musik, die alles möglicherweise Hochfahrende (Bläsersätze, Streicher; Vorsicht vor dem Zuckerbrot aus Nashville!) auf zwingend notwendige Momente reduzierte.

4 Zuerst wurde die Basis gelegt von Newburys Gitarre und Stimme. Im 4-Spur-Verfahren kamen die anderen Instrumente dazu. Einmal, spät abends, ging er mit den Aufnahmen auf sein Hausboot und war genervt vom hohen Grundrauschen der Bänder. Er hörte den Regen, das Windspiel, und kam auf die Idee, diese Sounds in die Musik einfliessen zu lassen. So wurde nicht nur das Rauschen maskiert, es kam auch ein atmosphärischer Gewinn hinzu. Newbury sah sich ohnehin als Tonmaler: sein Gewebe aus Folk und Country fiel auch deshalb aus vetrauten Rahmen, weil er die berühmten Alben jener Zeit liebte und studierte, „Sgt. Pepper“, und „Pet Sounds“; auch Newbury experimentierte mit Klangmanipulationen und Feldaufnahmen – bei weitaus beschränkteren Studioumgebungen ,  in einer  Doppelgarage.

5 „When you´re alone / there´s nothing slower than passing time“, singt er in einem der verstörendesten Einsamkeitslieder, „Frisco Depot“. Newbury wollte besondere Farben für seine Texte, die als Tongedicht, als Sekunden wahrer Empfindungen oder Short Stories daherkamen. Eines Tages kam der Gitarrist  Richard Kennedy in die Garage und brachte eine Kopie des Albums „One Stormy Night“ des „Mystic Moods Orchestra“ mit. Man benutzte Passagen daraus wie aus einer Klangbibliothek, extrem zurückhaltend. So kamen Frauenstimmen wie Geisterwesen ins Spiel. Und im Beschwören von Geistern war Newbury ohnehin in seinem Element!

6 „1973´s „Heaven Help The Child“, has one of the most beautiful opening minutes of any album, just guitar picking and strumming, some subtle tubular bells and Newbury singing „ooh“ into a long reverb, the intro to the gorgeous, dramatic title song that appears to zip between eras, taking in F Scott Fitzgerald in Paris and a battlefield somewhere.“ (Jim Irvin, Mojo, June 2011, in seiner Rezension „From Heartbreak, Tennessee“)

2011 4 Mai

Jon Balke: Siwan

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Es begann alles damit, dass ich die CD in meinen Player schob, auf dem Weg zwischen Arrecife und El Golfo. 23 Grad, spät nachmittags, und dann kam ein einsames „Wow!!!“
aus meinem Mund, als die ersten zwei Stücke von Jon Balkes neuem Werk vorüber waren. Ich kenne die Musik des Pianisten schon lange, der früher bei „Masqualero“ spielte, später mit „Oslo 13“ Fusio Music und Nordafrikanisches aufregend mixte, und schliesslich mit seinem „Magnetic North Orchestra“ Wege aufzeigte, wie man Neue Musik, Jazz und Afrika ohne akademischen Kunstkrampf & Allerweltsklänge kombinierte.

SIWAN ist Jon Balkes abenteuerlicher Versuch, Parallelen hörbar zu machen zwischen Alter Musik aus Europa (Barock), al-andalusischen Traditionen (9. bis 15. Jahrhundert) und moderner Improvisationskunst. Dazu hat der 1955 geborene Pianist die idealen Spiel-gefährten an seiner Seite: den Trompeter Jon Hassell, den Violinisten Kheir Eddine M-Kachiche, den Trommler Helge Norbakken, ein norwegisches Ensemble mit versierten Kennern des Barock und – vor allem – die Sängerin Amina Alaoui aus Marokko!

Wie freigeistig die muslimische Kultur und Wissenschaft war, die in „Al-Andalous“ in gar nicht so grauer Vorzeit den Ton angab, kann man den alten Texten und Gedichten ablesen, welche die Grundlage bildeteten für diese Kompositionen. Jon Balke erinnert mit dieser Phantasie an eine Ära, die von der Inquistion gnadenlos verfolgt wurde – das „Ende vom Lied“ war, dass diese freizügige muslimische Geisteswelt (fernab der heute den Ton angebenden Fundamentalisten) heuzutage kaum noch erinnert wird. Dabei war ihr Einfluss, etwa auf die Renaissance, immens; die Bibliotheken von Cordoba horteten Wissenschätze ohnegleichen.

Wie sich auf SIWAN diese diversen Klangszenarien durchdringen, ist fabelhaft – die Musik bleibt stets melodisch, auch wenn sie ein Feuerwerk an rhythmischer Energie abfackelt oder einzelne feine Sphären ohne Eile auslotet. Die Wechselspiele zwischen der raumgreifenden Stimme der Marokkanerin und dem „Schlangenbeschwörer-Sound“ von Jon Hassell nehmen gefangen. Die Spiegelungen zwischen arabischen und barocken Figuren öffnen den Raum noch einen Spalt mehr. Seltsam genug, aber Jon Balke spielt nicht mit der postmodernen Trickkiste: SIWAN ist modern, alt, märchenhaft, verwirrend, überfliessend, transparent.

Als ich mit dem Wagen in El Golfo angekommen war – zuende gehört hatte ich die Musik
an diesen berüchtigten Vulkanklippen der Westküste Lanzarotes, deren Name mir gerade entfallen ist – nahm ich Platz im Fischrestaurant meines Vertrauens. Und dann passierte einer dieser sonderbaren Zufälle, wenn man die richtige Musik zur richtigen Zeit am richtigen Ort hört: ich las die beiliegenden Texte von SIWAN (die sowohl arabisch abgedruckt sind – viel Spass beim Volkshochschulkurs! – als auch auf englisch) und musste so sehr schmunzeln, als ich sich die Augen an folgende Zeilen hefteten:

“ A serene evening
We spent it drinking wine.
The sun, going down,
Lays its cheek against the earth, to rest … „

Nun, ich war allein, aber ein Glas Wein stand auf meinem Tisch, und die Sonne bereitete sich gerade auf ihren first-class-„westcoast“-Untergang vor. Ich blieb, bis es kühl wurde, stieg ins Auto und schob SIWAN ein. Die Musik funktioniert auch in Mitteleuropa,
habe ich später rausgefunden. Überall, wo „free spirits“ hausen … unglaublich gute Musik.

2011 30 Apr.

Nine Horses: Snow Borne Sorrow

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David Sylvian hat genau zwei perfekte Platten in seiner Post-Japan-Ära gemacht: Brilliant Trees und Secrets of the Beehive, beide bedeutend (seit „blemish“ sind die würfel neu gefallen). Ausgerechnet mit Snow Borne Sorrow nun tat ich mich Anfangs schwer. Es erschien mir zu perfekt und zu kalt abgemischt. Ich ließ es ganze vier Jahre lang links liegen, ohne es mir überhaupt richtig anzuhören. Dann aber stellte sich heraus, dass weder von Anderen noch von ihm selbst Adäquates nachkam und so widmete ich mich spät dann doch noch diesem Werk. Es kam, wie´s kommen musste: ich fand es plötzlich gut! Der Song „A History Of Holes“ bietet eine abgeklärte, aufgeräumte Rückschau auf ein bislang gelebtes Leben. „Atom And Cell“ führt mit seinem notorischen, minimalistischen Dreivierteltakt mitten hinein in die Materie. „Darkest Birds“ kann als Hommage gelten an alle Kreaturen, die sich in semi-depressiven Schattenregionen einrichten (müssen). Ihnen wäre mehr „Serotonin“ zu wünschen. Das Titelstück „Snow Borne Sorrow“ bietet diese experimentelle Vertracktheit, die Sylvians Kompositions- und Arrangierkunst deutlich von Seinesgleichen unterscheidet. Und zu guter letzt „The Day The Earth Stole Heaven“,  einer meiner  Favorite-Sylvian-Popsongs, nahezu pefekt (just a little sagging at „if you look at her sideways“). Die Riege der Musiker, die dem Meister des sophisticated-upperclass-songwriting hier zur Seite stehen, darf keinesfalls verschwiegen werden: allen voran Bruder Steve Jansen, dessen Drum-Kunst und Einfluß auf das sylvianische Gesamtkunstwerk nicht genug herausgehoben werden kann; Burnt Friedman; Keith Lowe, dessen satter Kontrabass an Danny Thompson erinnert; Stina Nordenstam; Ryuichi Sakamoto und Arve Hendriksen, um die wohl Wichtigsten zu nennen. Ja, dieses Album lässt sich heutzutage immer noch gut anhören und man kann nur hoffen, dass die neun Pferde erneut von der Koppel gelassen werden – someday, somehow.  

2011 25 Apr.

John Martyn: London Conversation

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Wenn diese Rezension einem Genius huldigt, dann völlig zu Recht: John Martyn,
leider unlängst im Alter von 60 Jahren verstorben, hat zeit seines Lebens (fast) nur
die Wertschätzung seiner Musikerkollegen und einer treu eingeschworenen Fangemeinde erfahren dürfen.

Während seine Karriere am Boden kleben blieb, schwang er sich zu Songperlen und Hymnen der angelsächsischen Popkultur empor. Im musikalischen Flug und Aderlaß der Emotionen mochte er exaltierter sein als seine Seelenverwandten der englischen Folk-Gilde, aber er manövrierte sich damit vielleicht zu sehr in die Position des Eigenbrötlers und Außenseiters.

Hier nun haben wir das Debüt von 1967 vor uns und es ist in seiner grün- schnäbeligen Abgeklärtheit nur mit dem jungen Bob Dylan zu vergleichen. Dessen „Don’t think twice…“ wird dann auch hier auf sehr berührende Weise vorgetragen. Zwei Traditionals werden noch intoniert, und schließlich überzeugen natürlich die wunderschönen, noch etwas verhalten dargebotenen Eigenkompositionen.

Fazit: Hier ist ein ganz Großer noch „klein“. Und wir ahnen bereits, daß unser Glück
noch 40 Jahre währen wird. Rest in Peace, John!


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