Manafonistas

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2022 16 Aug.

Sidseliana (5) – „Uncommon Deities“

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Die beiden Schriftsteller Paal-Helge Haugen und Nils Chr. Moe-Repstad verfassten eine Reihe von Texten, in denen es um abwesende Götter ging, und ihren Blues. Im ersten Set der Klanginstallation mischte sich die warme dunkle Stimme von Haugen mit Klanggespinsten von Arve Henriksen, Evan Parker, und ausgewählten Passagen einer Komposition von David Sylvian. Es war angenehm, der Märchenerzählerstimme des Norwegers zu folgen, ihr Klang transportierte mich an den Rand des Schlafes. Später dann, im zweiten Teil, strömten einige Stories über die unglücklichen Götter aus den Lautsprechern, mit dem dunklen Samt von Sylvians Sprechstimme. Sidsel Endresen trat ans Mikrofon, John Tilbury saß am Klavier. Das Album „Uncommon Deities“ ist wunderbar.

 
 

 
 

THE GOD OF CROSSROADS

 

In the one spot where all roads meet he is bound. He sees that there are more points to the compass than the heavens can hold. Curved behind His back, the universe encloses him. All roads dissolve into the dusk. He has deep Mongolian eyes that stay open as long as sight remains. He sees the light broken into Small fragments bevor his very eyes, shattered into a thousand colours that can never reassemble. All our desires converge in him, our longing to find the way, the one way. He can hear our questions, but He cannot answer. He stammers and falls silent. Under a coffee-brown sky He has lost his sense of time and direction, in the dwindling windless light. Above him there is a clashing of clouds, the rain soaks him, and his feet are cold. He paces, without direction, wanting to be replaced. He is dreaming of a long holiday, a heavenly break, He would prefer to leave all responsability to a senior official in a grey suit. He dreams of cycling off on an upright placid bicycle of unknown make, cycling into green roadless woods and disappearing.

 

The poems by two Norwegian lyricists are sensual explorations and mythical fantasies about the lifes of absent gods. A journey that might even please hard core atheists. A shangrila for agnostics, open ears, lyric lovers and other strangers. Sidsel Endresen is the singer here, not the the speaker. She nearly never sings conventional language. But The listener can detect more torch and passion in her performance than in any well-mannered, recycled love song. The landscape created by the musicians adds to the lyrics another layer, inspires an intimate approach to the verses. The voice of Sylvian in the center, calm, focussed, within these stories about twilight worlds, power, well, the loss of power, and alienation. And it is a voice that knows when to leave the stage for the spirits around him. The album was released in 2012. on the early September days 2011 all came into being, on stage. Great Punkt memory. 

 

 

 

 

26. Januar 2017. When I found the two first Kraftwerk albums in a vinyl record store in Berlin two days ago, I immediately bought them carefully watching both sides of the street when leaving the shop. Now, fact is, I wanted to get hold of these highly acclaimed works for a very long time, ready to wait for the real thing, not updating my memory with youtube. Fact is I only heard them two or three times in my teenager days, and missed the copies when a very limited, officially blessed, number of vinyl reissues had been published in the 90’s. Fact is, too, I only have a pale memory, and the guys from Kraftwerk didn’t care for these objects of desire very much. It will be a delight to hear if they stand the test of my ears (or time). Will the experience be overpowered by nostalgia, is it just a thrilling insight into the band’s first line-up and their first steps to stardom and class?“

 

(I came to fall in love with these early works again. Wonderful stuff. And one of them was a first pressing)

 

13. August 2022. Bei den „first pressings“ gab es damals eine zeitweilige, seltsame Allianz der Fernseh- und Radiozeitschrift „Hörzu“  und der Horizonte öffnenden Popkultur: ob bei Kraftwerks „Radio-Aktivität“, oder bei „Sgt. Pepper“. Dass diese beide  Welten sozusagen auf Vinyl zusammentrafen, fand ich schon als 11-Jähriger erstaunlich. Martina zieht mich gelegentlich – halb bewundernd vielleicht? – damit auf, was für ein frühreifer Musiklover ich gewesen sein muss. Naja. Das war leicht damals. Und weit verbreitet. Ich ärgere mich noch heute, dass ich, ungefähr 15-jährig, Kraftwerk im Westfalenpark verpasste. Dann hätte ich sie wenigstens einmal live gesehen, Jan. Die waren in der BRD lange Zeit kein Act, der Stadien füllte, sie waren Underground. Wie ich, Martina – ich war auch Underground!!!😅

 

 

 

 

Und was immer ich in den Siebzigern von ihnen hörte, mochte ich sehr. Aber erst das Album, in dem das „Model“ zu hören ist, schrieb den Soundtrack meines Lebens mit. Die ganze Platte war ein Trip. Beim Duschen, auf dem Balkon, nachts im Bett. Wir wohnten in Gerbrunn in einem Hochhaus, in einer Wohnung, die Uschi kennenlernte, als C., „my greatest love of the 70‘s“ ausgezogen war. Und das angesprochene Album sollte immer meine No. 1 von Kraftwerk bleiben, weil die elektronischen Lieder auf dieser LP so einen seltsam tiefen „human touch“ hatten. Wie ging das? Die berüchtigte Sache mit der „soul in the machine“. Michael Ludwigs hat eine andere No. 1 – und stellt sie HIER vor. Aber das Schöne, Uschi, wenn ich heute die remasterten Werke der Band höre, auf Vinyl oder Cd, dann kann ich mich in der Musik genauso verlieren wie damals. Life‘s company. Bei den hundert Platten meines Lebens wäre „Die Mensch-Maschine“ dabei. Irgendwo zwischen „Another Green World“ und „Solstice“. Manche lernten durch Kraftwerk die Liebe ihres Lebens kennen, anderen leistete die Musik, ihrer Künstlichkeit, ihren robotorischen Elementen zum Trotz, beste Gesellschaft, Trost, Seelennahrung, elementare Freude, schöne Unheimlichkeiten – und Flowfaktor 10!

Cynthia und Evelyn hatten natürlich eine Vorgeschichte. Das ist ja kein Märchen, das uns Peter Strickland da erzählt in seinem erotischen Meisterwerk „The Duke of Burgundy“, egal, wie unwirklich uns diese reine Frauen- und Lesbenwelt irgendwo im europäischen Hinterland erscheint. Was niemand im Film gesehen hat: es gibt  auch ein Caféhaus nahe dem Seminargebäude der Schmetterlingsforscherinnen, und dort lernten sich die Zwei kennen, beim Katalogisieren einer neuen Schmetterlingslieferung aus Uruguay. Anfangs hatten die Zwei den natürlichen, elementaren, heissen Sex,  den wir hoffentlich alle, homo oder hetero oder beides, aus unserem Leben kennen, oder auch aus dem grossartigen Film „Blau ist eine warme Farbe“. Gäbe es also das Prequel zu Stricklands Film, würden wir wunderbaren Gesprächen lauschen, die von ferne an unsere Zeit in den Siebzigern erinnerten, als wir Milan Kundera  verschlangen, von „erotischer Freundschaft“ träumten, und noch immer latent dem Ende der Beatles nachtrauerten. Und rauschhaft viele ECM-Platten hörten. Zurück zum angedachten Prequel: wir würden ausschweifenden Erotikszenen beiwohnen, mit einer Präferenz von Stellung 69 und ein wenig Kamasutra für die westliche Welt. Cynthia und Evelyn würden zum Glück auch nicht in Pastell abgefilmt, sondern am Fluss frühmorgens, im Bett bei Kerzenlicht, einmal (klassisch) auf einem langen Beistelltisch im Audimax – es war schon in ihrer Frühzeit eine seltsam dunkle Freude spürbar, wenn sie, ausser in präorgiastischen Liebesanrufungen („ich liebe dich, Evelyn“), ihre Sprache entromantisierten, und bei einer Tasse Milchkaffee den nächsten „Fick“ terminierten. Der Soundtrack wäre allein von den zwei Duoplatten von Ralph Towner und John Abercrombie gekommen, und „Saragasso Sea“ wäre der Titel  des Films gewesen. Peter Strickland tat dennoch ein Gutes daran, von diesem Prequel die Finger zu lassen – die Story hätte nicht annähernd den Thrill des Hauptfilms erreicht, ausser in der Schlussszene, als das Liebespaar den Zugewinn an Lust entdeckte, wenn eine sich auslieferte, und die andere den Ton angab, unter anderem mit einer sehr ungewöhnlichen Bondage-Technik. Peter bat mich, diese hier nicht näher zu beschreiben, weil er diese Fesselung in einen bald anstehenden, postmodernen lesbischen Vampirfilm einbauen möchte. Es wäre letztlich, trotz toller Momente und guter Musik, ein relativ blasser Nachklapp gewesen, der eher in Bahnhofskinos gelandet wäre, oder im ZDF als „Erotisches Sommerkino“ gepriesen worden wäre, Goodfeel-Kino mit viel zu wenig Irritationen. Was also macht die Magie von „The Duke Of Burgundy“ aus – die Auflösung bald hier, und bis dahin empfehle ich jedem, sich den Film auf Amazon prime auszuleihen, oder als Bluray oder Dvd zu erleben. Und, am besten DANACH, noch mal Uschis Text lesen! Der dem Film auf etwas andere Weise als ich auf  die Spur und Schliche kommt. P.S. Es schadet auch nicht, mal wieder die Platten „Saragasso Sea“ und „Five Years Later“ von Ralph und John aufzulegen. Welcome in the Seventies and early Eighties! Welcome, you dark joys of surrender! „Cynthia, this is all I ever dreamed about!“

Wenn man an jene Alben dieser Drei denkt die eine gewisse Beliebtheit und Popularität erlangten dann war da gelegentlich ein Ohrwurm ein Drive ein Hook hier und da und zuweilen wieder und wieder ein Singalong aber nun 2022 sind diese Dinge Mangelware und die lyrics werden jeden hippen Kritiker stutzig machen weil sich da so nichts schnell übersetzen lässt in Alltagsgefilde und tatsächlich ist der Hintergrund der deplatzierteste Ort für diese gesammelten Niemandshorizonte in den sich junges Leben nur kurz zeigt ansonst aufflackert auflöst aber seltsam beharrlich Funkenflüge absetzt und Reisen durch Endspiele sind das allesamt aber unterm Kopfhörer in abgedunkelten Räumen hinter geschlossenen Lidern  scheucht ein Bild ums andere ein wunderliches Empfinden auf und der nächtliche Blick zum Himmel ist nur eine Episode aber hallo was ist denn hier los it‘s magic

 

Perhaps the reason I was never a real fan of Roxy Music was they had the wrong singer. This, of course being an offense for Roxy Music die-hards, may raise eyebrows. In hindsight I would have preferred Eno taking center age on the first two albums, but then again, with a voice not perfectly suited for stadium rock, the band might only have gained underground status, who the fuck knows, you can‘t rewrite history. So, when „For Your Pleasure“ was circling our tables in school, I only became mildly interested. (Ferry did a great job, no doubt, but I was looking for something else. Paradoxically, my favourite Roxy album, one I really liked, was „Stranded“, the first without Eno.) This all changed on a rainy December day 1975 in Würzburg, when my first copy of an Eno album blocked my record player for weeks, „Taking Tiger Mountain (By Strategy)“. The songs, their sonic textures, their singing voice, their lyrics had an entrancing quality, and I knew from the start, I had found another favourite musician – and singer. Here‘s an interview with Brian (Detroit, 1974 – the deep static mix).


As time goes by. Now, after those other, quite rare song- or song-related albums (all a class of their own), Here Come The Warm Jets“, „Another Green World“, „Before and After Science“ (close the 70‘s at this point), „Wrong Way Up“ (with Cale), „Drawn From Life“ (with Schwalm), „Another Day On Earth“, „Someday World“ (with Hyde), and „The Ship“ (close the next four decades at this point), here we will have another song cycle, to be released on October 14, „Foreverandeevernomore“ – no catchy songs, no singalongs, no fairytale searches of parallel worlds, no hooks, no future evergreens, oh, hold on, in their own peculiar way these songs which could be coined as modern day lamentations, may contain a collection of future „everblues“ at least, striking quite a special, different note, corner, space, in Brian Eno‘s song life. The album is a challenge, haunting, uncanny, ethereal, anti-nostalgic, lost in space, beautiful in a dark way, and a fantastic melting of ambient and song worlds. Even Scott Walker, I guess, would love it in his tower of song, Leonard anyway. (My German review will be posted in the days of release, as will a second review of mine, in English language, on the same day. Two reviews, each of them coming from a differerent angle.)

 

„We met in the summer and walked ‚til the fall
And breathless we talked, it was tongues.
Despite what they’ll say, it wasn’t youth, we’d hit the truth“

– Aztec Camera, Walk Out To Winter

 


Diese drei kleinen Begebenheiten fielen mir ein, als ich vorhin Seite 1 des Doppelalbums „A Light For Attracting Attention“ von „The Smile“ auflegte, und nach einem sehr interessanten Email-Pingpong, in den letzten 24 Stunden, zwischen Henning und mir. Henning lebt in Amsterdam in einer pulsierenden Musikszene, und ist mehr an diesen Orten des Live-Musizierens unterwegs als daheim allein mit seiner Hifi-Anlage. Ich hingegen gehe viel sparsamer mit Konzert- und Festivalbesuchen um (sehe mich auch als Journalist in der Rolle eines Einzelgängers, all meiner Kommunikationsfreude zum Trotz), und ziehe all dem kreativen Trubel oft das Verweilen in meiner „elektrischen Höhle“ vor. Zwischen den folgenden Episoden gibt es Schnittmengen, etwa die Präsenz einer Einkaufstasche in meiner Hand, gute Musik (real oder virtuell), und London, mal in hellem Tages-, mal in wärmendem Kunstlicht.

In der ersten Erinnerung gehe, stromere ich Westbourne Grove entlang (Damon Albarn hat mal einen wunderbaren Song über die Historie dieser Londoner Strasse geschrieben) und lande nah der Metro-Station, auf deren Namen ich gerade nicht komme (Bayswater vielleicht?) in einem modernen „paper and pencil“-Shop. Was hören meine Ohren auf einmal, aus diskret angebrachten Lautsprechern? Eine Musik, weit davon entfernt, die übliche Berieselung abzuliefern: „Hail To The Thief“ von Radiohead (das Album war gerade frisch erschienen, ich hatte die Cd noch gar nicht gehört, sollte sie erst daheim in Dortmund in meinem Briefkasten finden). Ich sperre also meine Ohren sperrangelweit auf und erfreue mich an federfüssig vibrierendem Getrommel und Thom Yorkes darüber hinweggleitenden Singsang. Das Licht in dem Geschäft, warmes Kunstlicht, ist eine Wohltat im Umfeld dieser Klänge, und ich kaufe Briefpapier, hellblaues und sandfarbenes, so berauschend in jenen Minuten, wie die Farbenpracht des Covers von „The Smile“. 

Die zweite Episode, ein paar Jahre früher, führt mich in die Portobello Road, wo wieder mal Strassenmarkt ist. Es gibt ein paar kleine „record shops“ da, und in einem finde ich (die viertel Melone, die ich gerade gekauft habe, verstaue ich etwas tiefer in meiner Papiertasche) ein Bündel Les Baxter-Platten, voller farbgesättigter Motive, Einblicke in ferne Welten, so, wie unser „Exotica“-Spezialist eben, mit einem sehr westlichen Blick, und einem Glas Martini mit Eis neben dem Steinway, sein privates Afrika imaginierte.

 

 

 


Aber viel tiefer berührt mich, als ich ein paar Hausnummern weiter einen kleinen Friseurladen entdecke (man muss erst mal ein paar Stufen runtergehen, um ihn zu betreten), und einem „traumhaften“ Popsong lausche. Alle Plätze sind besetzt, und einen neuen Haarschnitt brauche ich auch nicht. Dieser Song ist nicht einfach traumhaft in der Art von „ganz nett in dieser Hitze zu hören, an einem schattigen Plätzchen, mit Ventilator“. Und auch wenn ich kurz darüber nachdenke, was mich in das Lied hineinzieht, und journalistische Reflexe einsetzen a la „irgend so ein Indie-Juwel einer unbekannten Band aus den Achtzigern“, oder „hey, so deep wie ein Song aus dem ersten Album von Aztec Camera“, bleibe ich einfach wie verzaubert stehen, ehrlich jetzt, und obwohl es ein Leichtes wäre, jemanden mit Schere und Fön nach dem Track zu fragen, mache ich nichts dergleichen, und traumwandle (under a spell / enchanted / speechless) nach dem fade-out zurück zu den Marktständen. Roddy Frame war es nicht, es war, gottweisswer, Anonymous & The Painbreakers.

 

 


Mittlerweile läuft der luftige Dub-Ambient-Flow des Doppelalbums „360 business / 360 bypass“ von Pan-American auf meinem Plattenspieler, und ich hole mir ein Fläschchen Sinalco aus dem Keller. Die dritte Episode stammt aus dem Sommer 1993 (?), und ich bin unterwegs in einer Ecke von London, deren Strassennamen ich gerade nicht parat habe. Wieder betrete ich einen „Paper and Pencil“-Shop und sehe eine Frau mit fesselndem Pagenschnitt, die mir auf den ersten Blick anmutig, attraktiv und intelligent erscheint. Ich warte auf einen günstigen Moment, sie in ein Gespräch zu verwickeln, um  sie – idealerweise – zu  meinem „scout“ zu machen, die mir die Strassen von London zeigen soll, wie in dem Song von Ralph McTell. In dem Evergreen geht es viel dunkler zu als manche Nostalgiker denken, ich bin aber auch bereit für die dunklen Ecken von Eastend, wie mein alter Freund, der Protagonist von Ernst Augustins wunderbarem Roman „Eastend“ (das Rot der Ausgabe der Reihe „Suhrkamp Taschenbuch“ leuchtet gerade so „zinnoberisch“ auf wie das Rot des archetypischen Londoner Doppeldeckerbusses).

Ich bin also bereit, das Spiel zu eröffnen, „auf dem Sprung“, da höre ich aus dem hinteren Ladenteil jemanden „Michael“ rufen, und es ist Brian Eno. Wir sind für den Nachmittag verabredet, um uns über „Neroli“ zu unterhalten, und er merkt, dass ich ein, zwei Takte lang „off balance“ bin, fragt mich, ob er mich gerade gestört habe, und ich antworte ihm, mit einem Schmunzeln, ich hätte bloss meine Reiseführerin entdeckt („the travel guide of my dreams“), spiele aber, wohl zurecht, die Tiefe der Anwandlung herunter. Wir machen herzlichen „small talk“, ich kaufe zehn Blätter sandfarbenes Briefpapier, meine „Liebesgeschichte“ hat sich natürlich verflüchtigt, und wenige Stunden später sitzen wir in seinem alten Studio, unweit seines Häuschens in Maida Vale, und Brian erzählt von seiner jüngsten Parfümmischerei, von der technischen Seite seiner zwei Alben mit Harold Budd (ich komme mir vor wie in einem Kapitel aus Robert Pirsigs „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“), und von einem Orangengarten in Marokko.

2022 8 Aug.

XTC in concert

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Wie Tagesreste doch fulminante Traumszenarien befeuern können! Was also ist passiert? Zuerst schickte ich dem Gewinner des letzten Musikrätsels das Duoalbum von Enrico Rava und Fred Hersh. Er wiederum schickte mir – aus seinem Leinfeldener Domicil – ein Foto meines Päckchens (mit Cd-Regal im Hintergrund) – das schaute ich mir gestern morgen an, dem alten JonHassell-Spruch folgend: zeig mir deine Musiksammlung, und ich sage dir, wer du bist! Da standen etliche XTC- Alben, in bester Gesellschaft von Robert Wyatt. Mittags, nach einer ausgedehnten Wanderung, verdunkelte ich meinen Raum und hörte Skylarking von XTC, in Surround und voller Länge. Atemraubendes Werk, von Todd Rundgren mit bukolischem Flair produziert, um die altgediente Vokabel psychedelisch mal zu vermeiden.

Obwohl mich die Musik fesselte, wurde ich zwischendurch unheimlich müde, und bewegte mich an einer dünnen Grenze zwischen völliger Hingabe in die wundersam reichhaltigen Songs und Wegdämmern. Hernach entdeckte ich, dass auf der reich bestückten bluray auch zwei Videos waren, „Dear God“ und Grass. Das erste eine Abrechnung von Andy Partridge mit Gott, das zweite eine heiter-verspielte Umsetzung von Colin Mouldings wieso-ist-das-kein-Hit-geworden-Song über all die Dinge, die man auf Gras so treiben kann (dieses Filmchen hatte etwas Traumartiges an sich, was mir schon gestern auffiel).

Heute Nacht traf ich meinen einstigen Chef aus der Klinik im Bayerischen Wald, nur eben im Jahr 2022. Irgendjemand hatte zwei Eintrittskarten für XTC besorgt, im Ruhrgebiet, und an einem verregneten Abend, nach einer Busfahrt, tauchten R. und ich am Konzertort auf, im Freien, teilweise unter einer Brücke, Neonlicht. Gar nicht so viele Zuhörer. Behaglich geht anders. Und da war die Stimme von Andy Partridge, deutlich gealtert, etwas sonorer, matter. R. zeigte sich sehr schnell sehr enttäuscht, und verabschiedete sich. Ich war mir auch nicht sicher, wie ich die Veranstaltung empfinden sollte und schlich über das weite Gelände. Überraschung: hinter der Brücke waren XTC wieder am Werk, dieses Stück hatte wesentlich mehr Feuer, und plötzlich klappte eine vielfarbige Bühne auf, schillernd bunt. Es rockte wild.

Leider löste sich an dieser Stelle der Traum auf, und ich hatte, halbwach, den Wunsch, unbedingt zu diesem Konzert zurückkehren zu wollen. Es gelang aber nicht. An keiner Stelle im Traum erkannte ich, dass es sich um einen Traum handelte, es wäre toll gewesen, da luzide geworden zu sein. XTC hatte früh in den Achtziger Jahren aufgehört, Konzerte zu geben, Andy Partridge hatte nie etwas gegen seine Bühnenangst unternommen. Im Jahr 1992 (bzw in dem Jahr, als Nonsuch erschien), besuchte ich Andy Partridge in seiner Heimatstadt, eine gute Autostunde westlich von London. Schön, ihm heute, viel zu kurz, wiederbegegnet zu sein. Und wenn sich nun jemand fragt, was mit dieser Story anzufangen sei. Och, easy.  Listen to Skylarking. And try to remember your dreams tonite.

 

(Es gibt noch eine Brücke zu diesem Traum: Brian Whistlers Text zu Gerald Cleavers Album. Anfangs hielt ich das für eine Cd-Besprechung, aber dann war es weitaus mehr eine Erinnerung an das Konzert, das der Pianst einen Tag zuvor gegeben hatte.)


Gestern haben meine grossen Ferien begonnen, mit Aufräumarbeiten und Reiseplanungen. Die Fahrt nach Grassau habe ich mit Uschi auf den Herbst verlegt. Die Romane im Gepäck: „Utopia Avenue“ (Zeitreise in die „psychedelische Ära“), und ein schwedischer Kriminalroman der Extraklasse (bin mittendrin), „Was ans Licht kommt“. Morgen  vielleicht „Warten auf Bojangles“ im Kino. Und hier noch zwei TV-Serientipps, bevor ich davonbrause: „In With The Devil“, apple+, und „Indian Summers“, arte mediathek.

 

„I had this idea that—I’m not a religious person, but I do believe that there’s a spirituality to a lot of people and they’re not religious. You don’t have to be religious to be a spiritual person, right? You just don’t have to. There should be an acceptance, or a way of recognizing spirituality without it being overtly religious.

The only prophets worth a shit are the reluctant ones, and so it was that right before he started working on what would become his new album, The Bible, Lambchop’s Kurt Wagner found himself at the proverbial crossroads. Nearing the end of Lambchop’s third decade as a recording artist, Wagner felt musically isolated. He questioned whether continuing to make music even made sense. “I feel weird because I’m going to be 64, dude,” he says on the phone in between drags of a cigarette. “What the fuck am I doing?”“   

 


Mein Schallplattenarchiv ist ein schön (und keineswegs heillos) geordnetes Durcheinander. Ich habe eine gute Stunde darin gestöbert, um meine Seelennahrung für die kommenden Monate zusammenzustellen. Was mir da alles in die Hände fiel: „Tales of Mozambique“ von Count Ossie and The Mystic Revelation of Rastafari“, „360 business / 360 bypass“ von Pan American, „English Settlement“ von XTC, „Dawn Of Midi“ von Dysnomia, „El Corazon“ von Don Cherry und Ed Blackwell, „Everybody‘s Talking“ von  Fred Neil (die Langspielplatte, nicht die Single), „Masterpieces“ von Duke Ellington, „Hybrid“, von Michael Brook (mit Eno und Lanois), „Staircase“ von Keith Jarrett, „Magical Mystery Tour“ von den Beatles (in Mono), „Hitchhiker“ von Neil Young,  „Trios“ und „Tropic Appetites“ von Carla Bley  –  dies und das. (Während dieser Minuten nahm übrigens eine Idee etwas konkretere Gestalt an, für einen eigenen youtube-Kanal, mit der vorläufigen Bezeichnung „The Vinyl Griot Corner“. Dazu werde ich mal Michael Ludwigs aka „Mr. 45RPM“   befragen. Der Mann hat schliesslich Ökonomie und Philosophie studiert, und wird mir (haha!) ein paar Rosinen aus dem Kopf picken.)

 

 

 


Aber ganz zu Beginn des freudigen Wühlens stiess ich gleich auf eines meiner liebsten Alben mit Songs aus dem 21. Jahrhundert, Lambchops „Showtunes“. Und hörte es von vorne bis hinten. Das fraglos experimentellste Werk von Kurt Wagner ist nicht weniger herzergreifend als
 sein erster Klassiker „Is A Woman“ – ein grösseres Kompliment gibt es für solche kühn gestaltete Texturen kaum, die ja nicht auf Ohrwürmer und Jukeboxen zielen.

Gleich entfaltete sich in meinen Hintergedanken die kleine Liste aus der Anteilung „my most stunning, beloved albums with songs from 2000 onwards“, und, was findet sich da, in munter assozierter Reihung, was kommt mir als erstes in den Sinn, neben „Showtunes“, unvollständig sowieso: „Everyday Robots“ von Damon Albarn, „Someday World“ von Eno und Hyde, „The Ship“ von Eno und ohne Hyde, „Another Day On Earth“ von Eno, „Cuckooland“ von Robert Wyatt, „Psychedelic Pill“ von Neil Young with Crazy Horse, „Dream River“ und „Apocalypse“ von Bill Callahan, „Negative Capability“ von Marianne Faithfull, „Pure Comedy“ von Father John  Misty, sowie, ähem, „Mr. M“, „Damaged“, „FLOTUS“, „This Is (What I Wanted To Tell You“), allesamt von Lambchop (ich sollte einem Fanclub gründen),  und,  für spezielle Nächte, „The Drift“ von Scott Walker.

Und nun ist es soweit, der Herbst verkündet neue Liederzyklen von Brian Eno (ausgrechnet auf dem Klassik-Label „Deutsche Grammofon Gesellschaft“, was ich bis vor kurzem für unmöglich gehalten hätte) und – Lambchop. Der Titel „The Bible“ – und geht man von dem ersten zu hörenden „Song“ aus, „Police Dog Blues“, wandelt Kurt weiter auf unerschrocken unausgetretenen Pfaden. Auch da habe ich gleich das Vinyl bestellt, mit einer sehr speziellen Farbe, eventuell gibt es ein weiteres „Zoom“-Interview dazu. Hinzu kommt wohl noch ein allerseltsamstes Klavieralbum (ohne Songs) von Daniel Lanois. Soweit zum munteren Stöbern in der Vinylsammlung, im Gedächtnis (mit all den aufspürbaren Falltüren, doppelten Böden, Überblendungen, Traumstoffen).

 

Lambchop: The Bible, starring:

Jim Anton: Electric Bass
Bells of the Lakes Choir: Lutheran Bells Choir  😂 (oh, my god, a lutheran choir)
Tony Crow: Inspiration  😉 (nice gesture for the old companion)
Chris Bierden: Electric Bass
Andrew Broder: Piano, Arrangements, Programming, Electric Guitar, Synths, Beats, Turntables, Bongos
CJ Carmen Camerieri: Horns and Horn Arrangements
Cole Davis: Upright Bass
Tim Fain: Violin
John Fields: Electric Bass
Madison Hallman: Additional Featured Vocal on “Police Dog Blues”
Bridget Kibbey: Harp
Kim, Kim, and Harmony: Gospel Choir
Derrick Lee: Gospel Choir Direction and Arrangement
Bill Mathis: Bells Choir Direction
Matthew McCaughan: Processing and Arrangement
Blake Morgan: Throat Singing and Background Vocals
Paul Niehaus: Steel Guitar
Alex Nutter: Electric Bass
Jeremy Nutzman; Beats and Programing
Ryan Olson: Arrangements, Editing, Programing, Processing, Beats
Evan Slack: Electric Guitar
Sid Sriram: Additional Featured Vocal on “Little Black Boxes”
Alastair Sung: Cello
Matt Swanson: Electric Bass
Twit One: Beats
Kurt Wagner: Vocal, Processing, Nylon Guitar, Arrangements

Produced by Ryan Olson and Andrew Broder

 

2022 6 Aug.

Al Salam

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Muskatnuss und Zimt, Tamarinde und Granatapfel, Kardamom und Nelken, Koriander und Safran. Die Vielfalt der orientalischen und arabischen Küche macht aus einem Abendessen eine wahre Entdeckungsreise für Ihren Gaumen. Was wie der Werbesprech eines Restaurants klingt, ist auch genau das. Seit Jahren meine Nummer 1 in Köln. Und dabei ist meine gewöhnlich favorisierte Küche die indische, noch vor der französischen und italienischen. Aber das Al Salam in Köln ist einmalig. Und sie haben ihre Gerichte über die Jahre verfeinert. Herrlich. Gestern gab‘s bei mir auf dem Teller Hummus bel Lahem Royal für 16,50 € (Gebratenes Weidelamm / Hummus / Tarator / frische Kräuter / Tomaten / Pinienkerne / Mandeln / Undefinierbares / eingelegtes Gemüse) – und als Vorspeise Shourbat Adas für 6,50 € (Arabische Linsensuppe, schlägt sogar meine indische Linsensuppe aus dem Thermomix). Sehr gastfreundlich sind die Leute da sowieso. Einmal vor Jahren bekam ich Okraschoten serviert, und dachte gleich an Can‘s grosses Album „Ege Bamyasi“, und daran, wie ein Freund und ich manchmal Holger Czukay besuchten, in den Neunziger Jahren, fünf Minuten entfernt, in der Lindenstrasse. Da bekamen wir einmal, ein Jahr vor Erscheinen, seine Walfischmusik „serviert“. Holger war der einzige Gast, den ich je nachts live dabei hatte, in den Klanghorizonten. Nach der Produktion der JazzFacts leistete ich mir ein wenig Sentimentalität. Und einen marokkanischen (arabischen?) Mokka, mit Kardamom.

 

 

 


jazz on the verge of falling apart…highly experimental, not relying on well-trodden paths…to start this hour with the latest works of Barre, Ashley  and Moor Mother signals a decent research in unpredictability, and, poetically speaking, an ocean of sound…the book on jazz echoes from the 60‘s is another look at unforeseen changes of parameters in improvised music …and then, steve tibbetts‘ breathtaking anthology, a fine entry for beginners, and deep listening for all… a freewheelin’, floating hour looking for a final chord with a whisper, or a bang…ashley paul and steve tibbetts were kindly asked to participate. erlend apneseth (hardanger fiddle) and the hurdy gurdy man (matthias loibner) join the party, too.

 
 

 
 

 
 

/ 1 / Barre Phillips & Gyorgy Kurtág Jr.: Face à Face (ECM) / 2 / Ashley Paul: I am Fog (bandcamp – digital – cassette) / 3 /  Moor Mother: Jazz Codes / 4 / Feature – Michael Rüsenberg (book review – „Jazz Echos“) / 5 /   Steve Tibbetts: Hellbound Train / 6 / Erlend Apneseth: Nova (Hubro) / 7 / Lucas Niggli  & Matthias Loibner: Still Storm (Intakt Rec.)  

 


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