Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: Februar 2021

 

„Beim Punktfestival in Kristiansand, Anfang September 2011, wird ein altes Intrumentalwerk von dir neu aufgeführt, David, neu interpretiert: “Plight and Premonition”. Du hast die Musiker dafür extra ausgewählt, als Ko-Kurator. Was macht da den Reiz aus, so viele Jahre zurückzugehen zu einem alten Album, und es nun im 21. Jahrhundert zu präsentieren?“

 

Das ist ein Stück Musik, auf das ich immer recht stolz war. Ich denke, in aller Bescheidenheit, dass „Plight and Premonition“ ein wichtiges Album ist. Es wurde nie live aufgeführt. Ich hatte die Idee, es in den Kontext von improvisierter Musik stellen. Dass da rohe Elemente von „Plight“ vielleicht als Samples auftauchen, wäre vielleicht spannend. Philip Jeck, dieser Meister im Umgang mit alten Vinylplatten, mochte „Plight and Premonition“ seit er es zum ersten Mal gehört hat, vor über 20 Jahren. Auch Jan Bang und Erik Honore, die Gründer des Punktfestivals, werden natürlich auf der Bühne sein. John Tilbury wird mitwirken, der auf „Manafon“ so feine Klänge fabrizierte. Das wird ein Abenteuer. Und die Musiker arbeiten zumindest teilweise mit ihrer eigenen Erinnerung an diese Schallplatte, so vertraut sind einige mit der Komposition. Ich bin neugierig, wo ihre Erinnerungen sie hinführen.“ 

 

Nachklang: Ein paar Tage nach der Aufführung traf ich David Sylvian, der während des Festivals sehr zurückgezogen lebte, am Ausgang eines Fahrtstuhls, erinnerte ihn an unser Telefonat, und das Interview zu „Manafon“ in der Ecke eines Flurs eines Hamburger Nobelhotels. Ich fragte ihn, ob ich die Rechte für eine einmalige Aufführung von „Plight & Premonition“ im Deutschlandfunk erwerben könne. Er sagte, er wolle es sich überlegen. Die Erlaubnis wurde nie erteilt, die Aufnahme nie veröffentlicht, obwohl sie voller zauberhafter Passagen war.

 
 


 
 

2021 28 Feb

„Riding For The Feeling“

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“Es ist nie einfach, Goodbye zu sagen zu den Gesichtern / So selten sehen wir einander / so nah und so long / Ich fragte den Raum: habe ich genug gesagt / Niemand antwortete wirklich / Sie sagten nur: geh nicht, geh nicht / All dieses Fortgehen hört niemals auf / ich hoffte auf eine weitere Frage / oder auf jemanden, der sagt: wer denkst du, wer du bist? / Sodass ich es ihnen sagen könnte  / Mit der Intensität, mit der sich ein Tropfen gesetzmässig verflüchtigt, / ist, insgesamt, Fortgehen leicht, / wenn du einen Ort hast, an dem du verweilen kannst. / Vor dem stummgestellten Fernseher / höre ich, auf dem Hotelbett alte Kassetten / meine, meine, meine Apokalypse / Mir wurde klar, wie wenig ich gesagt hatte über Wellen oder Räder / oder darüber zur reiten einfach für das Gefühl / Reiten für das Gefühl ist die schnellste Art, die Küste zu erreichen / Was, wenn ich dort, am Ende gestanden hätte und wieder und wieder gesagt hätte / Reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl / wäre das ein angemessenes Goodbye gewesen?“

 

 
 

Hallo zusammen. Sind Sie bereit für ein weiteres düsteres europäisches Polizeidrama mit einer starken weiblichen Hauptrolle, angesiedelt in einer nihilistischen Welt, in der Zynismus vorherrscht, gute Menschen tendenziell untergehen und das Böse zu oft triumphiert? Ich hoffe es jedenfalls. Und, es ist nicht ganz so düster, wie der Auftakt erscheinen lässt. Es ist noch düsterer. Aber die französische Serie Spiral hat auch lichtere Seiten, zumindest lichtere Momente. Die kompletten acht Staffeln sind nun in einem Box Set erhältlich als DVD, im französischen Original, mit englischen Untertiteln. Unfassbar gut. Alles andere als ein Abklatsch von „The Wire“ schafft diese französische Serie es, noch weitaus fesselnder zu sein, und komplexen Verwicklungen aus Wirtschaft, Politik, Polizei, Strafverfolgung, Unterwelt etc. mit hochgradigem Realismus darzustellen, ohne dabei äussere oder innere Spannung zu opfern. Und ein Betriebsgeheimnis dieser Serie ist folgendes, und ich sage es ganz schlicht: einige Figuren wachsen einem wirklich ans Herz, man fiebert mit ihnen mit (zumindest nach einer ersten Gewöhnungszeit), und hofft inständig, sie mögen von Fall zu Fall wieder etwas mehr Licht in ihrem Leben finden. Und somit steht bei mir „Spiral“ auf einer Qualitätsebene mit „Sons of Anarchy“ und „Justified“. Und, ehrlich, mein Französisch wird von Tag zu Tag wieder besser. „Engrenages“ ist übrigens der treffliche Originaltitel, das Wort bedeutet „Rädergetriebe“. Staffel 1: ***1/2 – Staffel 2: ****1/2 – Staffel 3: ***** –  Staffel 4: ****1/2 – Staffel 5: ***** – Staffel 6: ***** – Staffel 7: ***** – Staffel 8: *****

 

2021 27 Feb

Album

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Nick Cave ist nun eindeutig bei seinem Alterswerk angekommen. Da wird sich nichts Wesentliches mehr ändern. An “Idiot Prayer” kommt “Carnage” nicht ganz heran (ich prophezeie, dass ihm das mit keinem Album mehr gelingen wird), aber wenn er dieses Level hält, dann werden wir noch so manches gute Album von ihm hören dürfen.

 

 

 

I once hung out with Michel, the late Bay Area sax player, Mel Martin, Michel’s Italian friend and bass player (whose name I forget) and a couple other folks for one wild unforgettable night at the home of the late Jerry Sealund in Sebastopol CA. A wild man, a blind bassist and a friend of Charles Lloyd, Jerry had once played with a lot of the free jazz cats and recorded with some of them, but by the time I met him, had reinvented himself as the owner of the largest health food store in Sonoma County. He was a notorious party animal, and had quite a colorful history, which included hosting Stephen Gaskin’s Monday night Class (which became a classic New Age book)in the back of his Haight Ashbury health food store, Far Fetched Foods. Incidentally, that store burned to the ground under mysterious circumstances, and it was said that was how Jerry financed his large new store in Santa Rosa. But I digress …

Parties at Jerry’s were notorious. I had been to a few and knew what to expect. Predictably, the evening was a mad melange of lots of playing, drugs, alcohol, stories and plenty of colorful expletives.

Michel dug into his wallet at one point, took out a crumpled piece of paper and handed it over for me to read. It was a note by Chick Corea that said something to the effect that Michel was a fantastic talent and that he was sure he had a big career ahead. Tragically, that career was cut short.

We were all extremely high when Michel looked at me and said, “You know, people with my condition (glass bones disease,) never live that long. I’ll be lucky to make it to 30.” He raised his glass and said, “I don’t care motherfucker, lets enjoy this life!” And we proceeded to party like it was 1999. (It was actually probably around 1983.)

Michel hated being carried around. Eventually this strong willed little giant figured out a way to use short crutches to walk to the piano. I saw him do this one memorable night @ Kimballs in SF. After he got to the piano he somehow lifted himself up to the bench, no small feat. Once situated, Instead of using his brace which in the past he has attached from his foot to the pedal, he leaned precariously forwards on the edge of the bench and managed to reach the pedal without it. Somehow he played that way the whole night. It was beautiful.

2021 26 Feb

Shai Maestro: Human

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Als ich “Human” zum ersten Mal anhörte, ist mir etwas widerfahren, das mir nicht mehr oft widerfährt. Ich war sofort gefangen von der verzaubernden Musik und das Album wurde gleichsam mein täglich Brot. Nicht mehr oft … Früher – ja, wann war das? – war es anders. Jetzt habe ich beschlossen, wieder wie einst lang und tief in ein Album zu tauchen von dem ich spüre, dass viele fortwirkende Kostbarkeiten zu entdecken sind. Danke Shai!


Noch bevor ich den ersten Ton hörte, sprach der Albumtitel zu mir mehr als sonst üblich. “Human” – genau das empfand ich als wir im November 2019 sein Trio in Nürnberg erlebten. Shai hatte noch keine Taste berührt, nur ein paar Worte an die Zuhörer gerichtet … Was für eine wunderbare Ausstrahlung, die dann zu Tönen und Klängen wurde. All das wird bei mir wieder wachgerufen mit dem jüngsten Album. Das Trio ist erweitert zum Quartett. Philip Dizack ist dabei, ein mir unbekannter trumpet player. Er spielt ein Instrument, das durch menschlichen Odem zum Klingen gebracht wird.

 

Dieses Album ist ein ganz besonderes für mich. Wir haben den unglaublichen Trompeter Philip Dizack in unsere Familie aufgenommen, und das hat uns unendlich viele neue Möglichkeiten eröffnet, sowohl auf der Kompositions- als auch auf der Performance-Seite. Philip, Jorge Roeder und Ofri Nehemya haben sich bei diesem Album wirklich selbst übertroffen und das Ergebnis ist etwas, auf das ich sehr stolz bin. Es war mir eine Ehre und ein Privileg, wieder einmal mit Manfred Eicher zusammenzuarbeiten, dessen Einfluss nicht nur während der Aufnahmen, sondern auch während des Komponierens und Schreibens der neuen Songs zu spüren war, was mindestens ein Jahr dauerte.  

(Shai Maestro)


Mir gefallen alle Stücke des Albums. Mit “The Thief’s Dream” wird Kontinuität zum vorangegangenen Album “The Dream Thief” beschworen. “Mystery and Illusions” ist ein höchst abwechslungsreiches Stück aufgrund seiner formalen Freiheit. Zwei besondere Lieblinge habe ich. “GG” beginnt mit einer Ostinatofigur der sich eine verführerische Melodie zugesellt. Hier scheint kaum improvisiert zu werden, denn Philip und Shai spielen die Melodielinie im unisono, soon they
Follow a Crooked Path … bei Keith Jarrett steht in Klammer (Though It Be Longer) – ich würde hier (And You Will be Surprised) ergänzen. Herrlich die Hommage an Hank Jones und Charlie Haden “Hank and Jones” und an “Ima (For Talma Maestro)”, wohl für seine Mama.

 

Jahrbuch der Lyrik 2021

 

 

Gestern erreichten mich die beiden Belegexemplare des aktuellen Jahrbuchs der Lyrik, der Schutzumschlag diesmal in einem diskreten Silbergrau. Mein Beitrag sind drei Übersetzungen aus dem Englischen (Gedichte von Richard Siken, Ben Lerner und W.S. Merwin) und eine Gemeinschaftsübersetzung mit Geraldine Gutiérrez-Wienken aus dem Spanischen: Das Haus über mir, von Erika Martinez. Übersetzungen enthält das Jahrbuch der Lyrik erst seit einigen Jahren, auch Bildgedichte. Wie immer finden sich im Jahrbuch viele bekannte Namen und darunter die in einem gewissen Rahmen zu erwartenden sprachlich und thematisch entsprechende Texte – Zeichen einer ausgebildeten Poetologie. Die  Gedichte von Sylvia Geist scheinen mir immer in einer weiten, amerikanischen Landschaft angesiedelt, Andreas Altmann verwandelt Landschaften in Magie, Mikael Vogel schreibt über ausgestorbene Tiere und Jan Wagner hat sich diesmal die Spezies der Karotte vorgenommen. Im Jahrbuch kündigen sich aber auch Themen-, und manchmal gar Paradigmenwechsel von Schreibenden an. Der Auswahlprozess ist frei von Kumpanei, in jedem Jahrbuch, so auch hier, tauchen neue Namen auf, Kurzbiographien ohne Publikationen. Imponiert hat mir das raffinierte, zwischen räselhaften Ebenen (Computerspiel und Realität?) wechselnde Gedicht glasbirken von Elke Bludau. Kathrin Bach gelingt es mit „8.3.19“, ein Trauma auf diskrete Art zu umschreiben. Das Kapitel schu-schu, hier kommt der seuchenzug (S. 83-99) enthält das Unvermeidliche, nämlich Coronagedichte. Der Einsendeschluss des Jahrbuchs lag Ende Juni, es waren also dreieinhalb Monate Zeit, über ein kollektives Trauma zu schreiben, das wir kaum dabei waren, in seiner Dimension zu erahnen. Im nächsten Jahrbuch werden Coronagedichte im weitesten Sinn vermutlich das Zentrum bilden. Ein Abschnitt geht zu Ende. Das Jahrbuch der Lyrik feiert mit dieser 35. Ausgabe seinen 40. Geburtstag. Christoph Buchwald gibt den Stab des ständigen Herausgebers an den Programmverantwortlichen beim Berliner Haus für Poesie, Matthias Kniep, weiter. Wie immer lesenswert sind die Nachworte des Herausgeberteams. Carolin Callies hat „ein Püree aus Nachworten, Briefen, Dialogen und abschließenden Notizen und Anmerkungen aus 42 Jahren“ zusammengetragen und Christoph Buchwald hat in seinem letzten Nachwort dargelegt, „warum Geschmack kein Kriterium zur Beurteilung von Lyrik sein kann“. Vive la poesia!

 

v i d e o

 

 
 

Ich kehre gerne zu dieser Vinylscheibe zurück, die vor Wochen bei Ozella Music erschien, und die mich schon nach dem ersten Hören, seltsam genug, an meine Zeit mit Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ erinnerte. Ich war damals vielleicht 13, und mein kleines Fischer-Taschenbuch mit Lithographien ausgestattet, die so manch unterirdische Szene in niemals klamaukartigen Motiven ausleuchtete. Immer noch weit hinter den eigenen Fantasien angesiedelt, mehr wie die Erinnerungen eines alternden Geologen, der die gesammelte Psychedelik des grossen Abenteuers seines Lebens in  eine fein ziselierte Welt aus Grautönen verwandelte. Man wurde ja in diesem Buch von Unterwelt zu Unterwelt geschleust, mit einer recht kauzig besetzten Mannschaft, in der eine junge blonde Frau so wenig fehlen durfte wie ein tollkühner Professor. Allein mit Pfadfindertugenden wäre man nicht weit gekommen, und es ist alles gar nicht so weit hergeholt, dass mir bei diesen Leseerinnerungen (immerzu abends, einmal Blitze, Donner hinter Rolleauschlitzen, nie kam ich dem See tief unter der Erde näher) Kari Ikonen in den Sinn kommt. Der Finne hat sein Album zuhause aufgenommen, und offensichtlich ein Klasseklavier mit bestens positionierten Mikrofonen umgeben, so dass ein lebhafter, springlebendiger Sound garantiert ist. Das Fachwort ist wohl „close miking“. Zu all dem hat Kari Ikonen noch ein kleines Gerät entwickelt, das geschickt zwischen den Saiten des Flüges einzuspannen ist: allerlei exotische Skalen werden da getriggert, die die Exotik merklich erweitern. Und tatsächlich, im Lauf dieses Trips, werden wir mal durch arabisches, dann wieder japanoides Terrain geschleust, was kurz den Verdacht nahelegt, der liebe Kari wäre wie der Held eines anderen Jules Verne Romans in 80 Tagen und entsprechender Tastenzahl um die Welt gehastet. Was ja nun heute, zumindest vor Corona, nichts Fantastisches mehr an sich hätte, so ausgeleuchtet ist jeder touristische Trampelpfad – und in der Musik ist es nicht viel anders. Ein Stück heisst gar „Koto“, und leicht könnte man auch hier einen „trickster“ wittern, der ein paar japanische Nettigkeiten aus dem Flügel lockt wie ein zweitklassiger Zauberer tote Kaninchen aus seinem Hut. Zum Glück passiert so ein fauler Zauber nicht mal im Ansatz. Zu lebendig gerät jeder einzelne Augenblick, und Kari Ikonen entführt uns mit seinen „Impressions, Improvisations & Compositions“ in ein erstaunliches Feld fortwährender Überraschungen (oder wäre Abenteuer das bessere Wort?). Eine gravierende Idee im Hinterkopf war es wohl, komme, was wolle, den vertikalen Blick für seine Klangbilder zu schulen, ihnen in jede erdenkliche Tiefe zu folgen, tiefer und tiefer (auch in hellsten Tönen mit leuchtendem Gelb) – immerzu den schönen Schein von Glitzer, Tand und Tollerei abstreifen, und so, Schritt für Schritt, die Reise zum Mittelpunkt des Klaviers antreten, in dem eine beträchtliche Wärme herrscht! Für solche Hausmusik braucht es kein Kaminfeuer. (In meinen Klanghorizonten am 20. Februar spielte ich, zu Anfang, nach einem Gedicht aus Dana Rangas „Cosmos!“, die Miniatur „Blue“, beflügelt von dem Kandinsky-Bild des Covers. Wie schön, dass einige Hörer auf Anhieb aufhorchten, und ahnten, welch besonderen Räume sich hier wohl, Schritt für Schritt, öffnen.)


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