Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: Dezember 2018

Tomorrow´s Harvest kannte ich schon, aber erst Michaels Auswahl und Moderation zum Gesamtwerk von Boards of Canada in der Zeitreise seiner Augustausgabe der Klanghorizonte hat mich dazu gebracht, mir sämtliche verfügbare Alben von BoC zu kaufen und es ist diese Musik, die mich seit Sommer mitten ins Herz trifft, vielleicht noch mehr als Flying Saucer Attack, Bark Psychosis und Pan American. Trotzdem, klar, die Erde dreht sich weiter, ich spiele mit; hier ist meine Jahresliste:

 
 
 

 
 
 

  1. Kammerflimmer Kollektief: There are Actions which we have neglected and which never cease to call us
  2. Andy Shepphard Quartet: Romaria
  3. Jacob Bro: Returnings
  4. Jon Hassell: Listening To Pictures
  5. Steve Tibbetts: Life of
  6. Mueller & Roedelius: Imagori II
  7. The Necks: Body
  8. Sonar & David Torn: Vortex
  9. Qluster: Elemente
  10. Fire!: The Hands
  11. Andrew Cyrille Trio: Lebroba
  12. Joey Baron / Robyn Schulkowsky: Now You Hear Me

2018 25 Dez.

Those were the days (154)

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Es begann ja alles zwei Monate vor Weihnachten, rückblickend betrachtet, als ich den, zum Meeressaum hin, schiefen Strand auf einer Nordseeinsel ablief, was schon bescheuert war, orthopädisch betrachtet, und mich seitdem kleine Meldungen vom Knie begleiteten. Als es doch auf Dauer lästig wurde, besprach ich mit meinem Hausarzt, der bei mir fast immer richtig liegt, zwei, drei kleine Baustellen, und er beruhigte mich wegen des Knies, was voreilig war. Ganz kurz vor Weihnachten schwoll es jetzt an, und nur noch humpelnd ging es über kleinste Strecken. Eine führte ins Badezimmer, ich richtete mir ein Schaumbad her, stellte eine kleine Box auf, und hörte, in aller Ruhe, und zum ersten Mal, das ganze Album Drift Code von Rustin Man aka Paul Webb, einem einstigen Mitstreiter von Talk Talk. Der legale Download kam von Domino, das Werk erscheint am 1. Februar. Nun sind meine Musikoffenbarungen in Badewannen Legende, ich erinnere an meine allerliebste, und hier schon mit viel Schaum ausgebreitete, Erzählung, wie einst mein alter Freund David Webster mir aus London die Schallplatten The Plateaux of Mirror von Harold Budd und Brian Eno und Possible Musics von Jon Hassell und Brian Eno per Päckchen in meine WG nach Würzburg schickte (ich konnte es nicht abwarten, und in Deutschland waren sie noch nicht herausgekommen), und ich den beiden Platten zu Kerzenschein Stunden lang in der Wanne lauschte, wieder und wieder aus dem Wasser sprang, um die Plattenseiten zu wechseln. Und auch wenn ich jetzt nur einmal zuhörte, war die Wirkung ähnlich tiefgehend, und Grund genug, aus dem Staunen nicht mehr rauszukommen. Wäre das Album von Rustin Man in diesem Jahr erschienen, es wäre mein Album des Jahres geworden. Ich habe keine Erinnerung, ihn je singen gehört zu haben, den Job auf dem bislang einzigen Rustin Man-Opus hat Beth Gibbons erledigt, aber nun dies: eine gewisse, gelegentliche, einfach in der Natur seiner Stimme liegende Verwandtschaft mit Robert Wyatts Gesangsorgan, pure Koinzidenz, und auch nicht des Pudels Kern – variabel ist die Stimme ohnehin, einmal kam ich mir kurz vor wie in einer Parallelwelt von David Bowies Station to Station. Sechzehn Jahre habe er an diesen Songs gearbeitet, daheim, im Hinterland von Stanstead, erzählt er. Und ich glaube es gerne, obwohl sich nichts gedrechselt und überdreht anfühlt, eher wie aus dem Ärmel geschüttelt, Schicht für Schicht. Drift Code unterläuft konventionelle Formate, ich kam mir vor wie in einem Theater der Träume, jederzeit konnte sich die Szenerie wandeln, es gab keinen schwachen Moment, Paul Webb ist bestimmt, man kann es an manchen, ins Unwirkliche treibenden, Atmosphären erkennen, ein passionierter Kinogeher oder Filmeschauer. Es ist mir komplett egal, wie die versammelten Kritikerstimmen lauten werden. In meiner Welt ist Drift Code ein Meisterwerk, und eines der ergreifendsten Songalben der ersten neunzehn Jahre des 21. Jahrhunderts. Verzaubert, glücklich und ergriffen stieg ich aus der Badewanne, und bereitete mir eine Quarkwickel fürs Knie.

 
 
 

 

Zwanzig zu sein ist kein beneidenswertes Alter. Das Leben kann wie eine unendlich große  und leere Fläche erscheinen, bedrohlich fast in seiner Weite, man weiß, es kommt jetzt auf die richtigen Weichenstellungen an, scheinbare Zufälle, Begegnungen, inspiriert durch die eigenen Visionen. Man lebt noch nicht das, was man ist, es sei denn, jemand ist ein Naturtalent, und deshalb verkörpert man das, was man irgendwann sein will, und das mit aller Entschiedenheit. Ungefähr eine solche Figur verkörpert Ryan Gosling als Henry Letham in dem grandiosen Film „Stay“ aus dem Jahr 2005.

 

Henry Letham ist Kunststudent in New York und als er in die Sprechstunde seiner Psychiaterin kommt, sitzt ihm deren Vertretung gegenüber, Sam Forster (mit hinreißendem leicht schottischen Akzent: Ewan McGregor). Die Begegnung der beiden ist von Anfang an ein gegenseitiges Spiel zwischen Anziehung und Flucht. Sam Forster fühlt sich an Ereignisse aus seinem Privatleben mit seiner Freundin Lila (Naomi Watts) erinnert und er wirft alle Regeln seines beruflichen Codex über Bord und bemüht sich außerhalb der Sprechstunde um Kontakt zu Henry, einmal zum Beispiel an der Universität, wo Henry eine Vorlesung vorzeitig verlässt und Sam vor der Tür steht, die beiden gehen im Unigebäude herum, die Studierenden strömen aus dem Hörsaal (es sind Zwillinge dabei, sogar Drillinge), die Treppen leuchten wunderbar blau, plötzlich steht Henry vor einem riesigen Aquarium, in dem sich ein Walross auf ihn zu bewegt, das Wasser wird zum Himmel und wir befinden uns in Lilas Atelier, wo Sam sie kurz besucht. Am Ende der Szene im Atelier Blick nach oben auf einen Kronleuchter, dessen Lichter verselbstständigen sich und werden zu Straßenlaternen. Marc Forster sagte über seine Regiearbeit, sie sei irrational und instinktiv gewesen, eine Reise ins Unbekannte. Eine weiße Leinwand ohne Rahmen, die vage, unzuverlässig reflektiert, was sich ihr zeigt. Jede Realität sei eine Reflexion der Realität. Samuel Beckett sagte über Kunst, sie müsse die Rätselhaftigkeit des Lebens widerspiegeln. Henrys Lieblingskünstler ist Tristan Rêveur, Lila kennt ihn auch, er ist ein Künstler, dessen Bilder jedoch nie jemand gesehen hat. Die Kameraführung ist unberechenbar, die Aufnahmewinkel brechen die Regeln der Branche. Die Energie der Zeitverschiebung. Gehen durch strömenden Regen, bei Nacht. Die Wände des Tanzstudios sind aus Glas. Der Tanzlehrer ist schwarz gekleidet und zeigt der Tänzerin die Schritte, bis sie sie verinnerlicht hat, dann lässt er sie los. Einmal betritt Henry eine Erotikbar und während er in sein Getränk starrt, fällt ihm plötzlich auf, dass in einer Videoinstallation nacheinander geschalteter Polaroids Bilder zu sehen sind, die ihm sehr bekannt vorkommen. Ein Spiel um Wahrheit, Selbstwahrnehmung und Lüge. Your trouble will cease and fortune will smile upon you. Das stand auf dem Zettel im Glückskeks. Hatte das nicht schon eben Henry zu Sam gesagt?

 

„Stay“ ist ein ästhetisches Meisterwerk, in dem sich die Welt, wie wir sie zu kennen meinen, auflöst. Die Filmmusik wurde von Asche & Spencer hergestellt, die mit alten Tonbändern arbeiteten, an denen sie beim Abspielen herumritzten. Andere musikalische Highlights sind die Songs „Angel“ von Massive Attack und „Who am I“ von Peter Kruder. Die Polaroids stammen von Stefanie Schneider und finden sich auch in ihrem Band „Stranger than Paradise“. Und auch diese Arbeiten, die mit den unberechenbaren Effekten abgelaufener Haltbarkeitsdaten Jahrzehnte alter Polaroidkameras spielen, erinnern mich an die Alben von Boards of Canada, und an Orte, die wir suchen, und die es nicht gibt.

 

 
 

„Kurz vor Weihnachten im Jahr 1954 ging das 24 jährige Trompetenwunderkind, Clifford Brown, ins Studio, um eine der schon damals grössten Sängerinnen zu begleiten, die 30 jährige Sarah Vaughan, …“

– so erzählt Roger Willemsen auf  der CD: MUSIK!

 

I have to admit, that I opened already one X-mas present, inside was this wonderful CD. Sarah Vaughan (1924-1990) is the most mature singer of her generation, a bit moody, capricious, but what a great voice! She takes the song apart, what a prolonged tempo she creates, how she glides over the notes … (frei übersetzt nach Willemsen)

Ich höre sie seit zwei Tagen bewusst. I adore her voice. Nothing can happen to me in the „Raunächte“.

2018 23 Dez.

Aaron Parks – Little Big

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I didn’t know Aaron Parks had a new release until I accidentally stumbled across it a few days ago on Tidal and was happily surprised to see the title, Little Big, which happens to be the title of one of my very favorite novels. Apparently it’s one of Parks’ favorites as well.

Little Big the novel was an allegory of life, a fantasy about a peculiar family, an exploration of relationships and karma, and a blend of mysticism and magic set in a sort of parallel Macondo deep in the heart of New England. Little Big was a fairy tale for adults, populated with visions of an alternate reality as filled with mysteries, paradoxes, and conflicts between light and dark as the world we inhabit.

Little Big the album (Ropeadope,) takes us on a journey that is at first deceptively simple, but a closer listen reveals deep roots under the soil. It grooves, lopes, and meanders along with its own logic, at times sounding like a Bruce Hornsby tune without words, at other times like an early Jarrett solo piano piece, at various times melding and synthesizing influences as disparate as Phillip Glass and Stephen Foster, Return to Forever and Procol Harum, an indie soundtrack vibe a la Sufjan Stevens, occasional forays into ‘70s fusion, and even hints of EDM. Every so often, Parks ratchets up the energy into a near frenzy of good old-fashioned rock ‘n roll. Yet regardless of the detours it takes, the sound of Little Big is decidedly Parks’, and always remains distinctively American.

Clocking in at about 80 minutes, it’s a long ride. I admit that at first I didn’t quite get the moderate tempos, stacked up one after the other after the burning opening track, but then I let the music wash over me and began to settle in for the trip.

Parks is a sure-footed conjurer of unique sonic textures. He needs far less notes than most to evoke these tonal hanging worlds, and the band seems to fully understand their job: Like Parks’, it isn’t to grandstand or show off their chops. Rather they are all entirely in service to the music and the particular spaces and stories Parks is invoking. Indeed, in a way, this music is entirely focused on storytelling; Parks and his band are all about the telling of the tale.

Some of compositions are long-form, while some consist of not much more than a repeated hypnotic ostinato. Odd time signatures appear as do phrases that require an extra measure or two, but these devices are never self conscious or employed to merely be clever; clearly these are the kinds of things that came unforced and organically, right out of the fingers and the heart. They have that fresh, newfound sense of joy that only seems to flow from genuine, improvised discoveries.

This is a very well recorded album of a simpatico band playing beautiful, accessible music. Go ahead- turn it up; Much of it is meant to be played loud. It’s not intellectual music per se, yet it certainly is intelligent. It is far less a jazz album than Parks’ fine ECM trio album, Find the Way, and more aligned with his first Bluenote release, Invisible Cinema. Parks is mining his roots here, while keeping his head high in the sky.

2018 23 Dez.

Die Sache mit George

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Also, wenn wir dieser Tage schon des öfteren bei Tastenspielern verweilen, bei Jarrett, Wells, Roedelius und Co., dann sei hier auch die Sache mit George erzählt. Vor vielen Jahren sagte mein Chef im Deutschlandfunk, also, Michael, du hast doch, ist schon lange her, mal ein Portrait über George Duke gemacht, und ich sagte ihm, nein, auf keinen Fall, der wäre mir auf Dauer zu smooth gewesen, unmöglich, doch, sagte Harald R., ich erinnere mich doch, und ich war dann schon verunsichert und kramte im Gedächtnis umher. Schliesslich hatte er einst bei MPS ein paar spezielle Alben aufgenommen, die breite Horizonte spannten, aber auch hier und da einen romantischen Overkill zelebrierten. Und, klar, einmal sass ich als Teenager gebannt vor dem Radio, und sog zu einem Glas Milch (wenn man abends etliche Biere gezischt hatte, galt ein grosses Glas Milch als Vorbeugung gegen den Kater am nächsten Morgen) das lange tolle Solo von, ja, George Duke mit beiden Ohren auf, der da, ich glaube, es war auf der Isle of Wight 1972 oder 73, in der Frank Zappa Band wirbelte. Man lausche heute noch „The Grand Wazoo“, beeindruckendes Album. Es kam dann doch klar heraus, ich hatte nie George Duke getroffen, und jetzt spiele ich was von ihm in der langen Radionacht. Zum ersten oder zweiten Mal überhaupt. In einer Zeitreise zur Zeit des Hahnenschreis. Aus guten Gründen, und aus den MPS-Zeiten, die ja auch für viele exzentrische, tolle Covergestaltungen sorgten.

 

 

 
 
 

Zu den Zeiten als es noch echte Telefonzellen gab, spendierte die englische Partnerstadt (man könnte auch Schwesterstadt sagen, wohingegen Bruderstadt gendermäßig verwirrend wäre) unserem Städtchen eine typisch englische Telefonzelle als Zeichen interregionaler Verbundenheit. Aber heute, wo fast jeder mehr Mobiltelefone als Ohren hat, braucht natürlich keiner mehr eine Telefonzelle. Abbauen geht aber auch nicht, wenn man die inzwischen brexitgefährdete Verbundenheit nicht ernsthaft in Frage stellen möchte, also liegt es doch nahe das nicht mehr Benötigte mit etwas anderem aus der Zeit Gefallenem zu kombinieren und dieserart kulturelle Nutzwerte zu kreieren: Einen honorigen Bücherschrank! Eine Schatzgrube des Vergangenen und Vergessenen! Hat man sich erst mal durch die redundanten Berge von Nachkriegs- und Wirtschaftswunderromankultur und unglücklich verschenkter Belletristik durchgekämpft, können in der zweiten Reihe oft unverhofft wahre Schätze auftauchen.

So stieß ich heute recht unverhofft auf eine Totalausgabe (!) der gesammelten Werke von Wolfgang Neuss. Noch bei Zweitausendeins verlegt. Die hatten damals ständig Ärger mit der Zensur und etliche Bücher mussten wieder eingestampft, geschwärzt oder erst über 18 angeboten werden. Amerikanische Untergrundschriftsteller, anarchistische Basisliteratur oder damals als volksgefährdend eingestufte Literatur zur sexuellen Revolution und eigenverantwortlichem Drogenkonsum standen regelmäßig im Programm und auf der Kippe. Heute verkaufen sie handgeschnitzte Holzvögel, feine englische Wollplaids und den Orient-Express als 3D-Modell. Sogar einige der Merkhefte von Zweitausendeins mussten wegen offiziell fragwürdigen Inhalten eingestampft werden, woran heute keiner mehr denken würde, da sie eher in der Masse der Druckerzeugnisüberschussresteverwertungswerbung klanglos untergehen. Nein, ich kann darüber keine Träne vergießen, denn der Anarchismus der Ja-Sager ist uneinholbar. Und Wolfgang Neuss ein höchst visionärer Konterrevolutionär:

 

Man sollte lieber davon reden, dass heute in der Gesellschaft ein starker Hang zum Über-Anarchismus besteht. Wenn jemand sagt: … ich bin damit einverstanden – das ist die größte Gefahr. Und bei solchen Super-Anarchisten, den Kopfnickern, den Ja-Sagern … wäre ich gerne dabei, denn die könnten wirklich etwas verändern. Eine Sache geht sofort kaputt, wenn hemmungslos ja dazu gesagt wird.

 

Ja, Wolfgang Neuss ist Anarchist. Fast auf jeder Seite politisch unkorrekt: nennt Schwarze, wie es früher üblich war Neger, aber so, dass er sie damit nicht diffamiert sondern satirisch würdigt, empfiehlt Vögelkunde anstatt unverhältnismäßigem Philosophieren (inclusive eines anschaulichen Exkurses) und erinnert uns daran, dass ein Hund im Sinne des Gesetzes ist, wer steuerpflichtig scheißt. Seziert die makabre Wirklichkeit bundesdeutscher Politik als Testamentsverwalter von François Villon. Von brandtaktueller Bombenstimmung bis Tunix. Dazwischen steckt aber auch viel Ernstes: eine wohlbegründete Abneigung gegen dunkelbraune Sümpfe,  unverarbeitete Zeitgeschichte und politische Frontalversager, wie eine ebenso wohlbegründete Zuneigung dazu die Verdummten so zum Lachen zu bringen, dass ihnen Einges im Halse stecken bleibt und sich gleichzeitig genüßlich eine dicke Tüte anzuzünden. Wofür er schließlich auch in einer kabarettreifen Gerichtsverandlung verurteilt wurde und einer nervenärztlichen Untersuchung zustimmen musste, wobei er pressewirksam dem Chefarzt der Nervenklinik vermittelte: Ja, in der Anstalt werden wir so lange reden, bis sie so reden wie ich!

 
 

Jeder weiß, sagt, tut alles.

Es gibt keine Geheimnisse mehr.

Nicht weitersagen!

 

Eine Frage schwirrt

mir durchs Hirn:

Kann man so geschickt schweigen,

dass man verstanden wird? 

 

 

 
 

I wanted to make a xmas record that was representative of the way I, and many of the people I know feel about it so it has a more melancholy, reflective atmosphere though still retaining some kind of a, as you say, „magic quality“. Also, while there are beautiful melodies in some of these tunes (e.g.) In The Bleak Midwinter. Jingle Bells is a song that I’m not very keen on which has a rather weak and insipid melody so it was a challenge to adapt it in a way that made it palatable; therefore that one was as much of a musical matter. I do like working with well known tunes though, as in the case of the Nursery Rhymes album; since everyone knows the original so well it’s ideal material for highlighting an arranger’s approach to it.

 

(Bill Wells, aus einer Email von heute nachmittag – die dritte Stunde der Klanghorizonte am 29. 12. ist vor allem Bill Wells und seinem National Jazz Trio of Scotland gewidmet)

Jetzt, kurz vor dem 4. Advent, erinnere ich mich an den Wunsch von Anonymous – wer immer das sein mag.

 
Keith in Kronach, die ganze Geschichte, please …
Vor Weihnachten
 

Den Wunsch möchte ich jetzt erfüllen, zumal Micha nichts dagegen hat, eine spannende Ausgabe über Keith Jarretts KÖLN CONCERT zu lesen, besonders wenn Manfred Eicher und Keith Jarrett Erinnerungsarbeit leisten. Meine Erinnerungen sind natürlich provinziell, gemessen an den Erzählungen weltberühmter Personen. In typischen Urlaubsgesprächen werde ich gelegentlich gefragt, „where do you come from?“. Ich antworte dann kaltschnäuzig „I come from Kronach“. Meistens geht es dann so weiter: „Krounäck? Never heard.“ Dann ziehe ich eine Trumpfkarte. „Kronach is the native town of Lucas Cranach the Elder“. Mehr als 90% antworten dann „Never heard“. Werfen wir einen Blick auf älteres Kronacher Gemäuer.

 
 
 

 
 
 

Auf der Suche nach Bildern des Hotel Sonne – letztlich habe ich selbst eines geknipst – habe ich im Internet eine treffliche Kundenbesprechung entdeckt.

 

Das Hotel Sonne ist zentral gelegen, unweit des Bahnhofs in Mitten der Fußgängerzone. Schon beim Betreten spürt man den verblassenden Charme des ehemals ersten Hauses am Platz. Die alten Porträts vieler kleiner und großer Stars zeugen von einer großen Geschichte. Doch das Haus ist mit seinen Besitzern gealtert und bedarf nun dringend der Renovierung. Sein angestaubter Charme ist, dass es „wie aus der Zeit gefallen“ wirkt, die Gefahr ist, dass es bald selbst „aus der Zeit fällt“. Wer das Morbide liebt, der wird sich hier wohl fühlen, alle anderen sollten lieber auf die Renovierung warten …

 

Dieses Jahr wurde das Hotel geschlossen. Die Besitzer haben aus Altersgründen aufgegeben. Das Hotel wird nie mehr eröffnet werden, es ist Geschichte, es gehört zu meiner Weihnachtsgeschichte. Kurz nach Weihnachten, vom 17. auf den 18. Januar 1975 haben Keith Jarrett und Manfred Eicher im Hotel Sonne übernachtet.

 
 
 

 
 
 

Der 17. Januar 1975 war ein ziemlich aufregender Tag für mich. Ich musste mich ab 13 Uhr im Hotel bereit halten, so war es im Vertrag vereinbart. Erst gegen 17 Uhr trafen Jarrett und Eicher ein. Ich war nervös aufgrund des langen Wartens und unsicher wegen des Flügels. Im Kreiskulturraum stand ein betagter Bechstein. Meine ersten Worte an Keith: „I hope you’ll enjoy the piano“. Nach einer Stunde – einloggen in die Zimmer, erfrischen und nach einer leichten Mahlzeit – fuhren wir zum Konzertsaal. Der Hausmeister führte uns durch das Foyer zu einem seitlichen Treppenaufgang. Er öffnet die Tür, man blickt in ein schwarzes Loch. Wir mögen warten bis das Licht angemacht ist, es bestehe Stolpergefahr. Es dauert ein wenig, bis der Warden durch den Saal in den Bühnenbereich zur Beleuchtungstechnik gelangt. Es wird hell und man blickt über die Stuhlreihen hinunter auf die Bühne. Keith Jarrett steht sekundenlang, lässt den Blick schweifen, sieht die Reihen ansteigender Sitze, die dunkle edle Holzverkleidung der Wände – und sagt „Oh!“. In diesem Moment hatte ich des Klaviers wegen keine Bekümmernis mehr. Alte Bilder des Saales habe ich nicht. Er ist renoviert, sieht jetzt so aus.

Jarrett fand das Piano ganz ok, die Mechanik angenehm leichtgängig. Ganz besonders gefiel ihm, dass der Klang seines Spiels aus dem Saal zurück kommt auf die Bühne. Man liest ja oft, dass für Jarrett neben dem Instrument der Raum und das Publikum entscheidende Faktoren für das Gelingen seiner Solo-Recitals seien. Überliefert sind auch diese Sätze: Das Wichtigste bei einem Solokonzert ist die erste Note, die ich spiele, oder die ersten vier Noten. Wenn sie genug Spannung haben, folgt der Rest des Konzerts daraus fast selbstverständlich. Es fällt mir nicht schwer, all das für den 17. Januar 1975 zu bestätigen. Schon die ersten Töne waren so verführerisch! Im Publikum, dem Jarretts körperliches Spiel wohl befremdlich erschien, hörte man anfangs von hier – oder war es von dort? – leises Kichern. Es verstummte bald. Etwa zwei Drittel der Zuhörer waren Schüler des Gymnasiums. Möglicherweise war es im Altersdurchschnitt das jüngste Auditorium, vor dem Jarrett je gespielt hat.

 
 
 

 
 
 

Der Saal war ausverkauft, und vor den Türen standen noch viele Leute ohne Ticket. Ich hatte mächtig Werbung gemacht, weil ich nicht einschätzen konnte, wie die Nachfrage in Kronach ausfallen würde. Im Gymnasium hatte ich versucht, für Kaufdruck zu sorgen, indem ich über die Klassensprecher Subskriptionslisten in Auftrag gab, mit dem bedrohlichen Hinweis, das Konzert könne ausverkauft sein. Nur wer sich in eine Liste eingetragen habe, bekäme Eintrittskarten. Die bestellten Karten holte ich beim Kreisjugendring ab und verteilte sie. Zwei Tage nach Eröffnung des Vorverkaufs kamen zwei Klassensprecher in den Musiksaal. Sie bräuchten noch ca. 30 Stück, leider hätten sie keine Liste in ihren Klassen angefertigt. Beim Kreisjugendring anrufend erfuhr ich, dass nichts mehr zu bekommen sei.

Man sieht auf dem vorigen Bild ein Mikrophon. Es gehört nicht Martin Wieland. Es ist eines meiner beiden einfachen Sennheiser Kondensatormikrophone, die ich mit meiner Revox A77 in den Kreiskulturraum mitgebracht hatte. Wer nicht fragt, bekommt keine Antworten.

 
„Mr. Jarrett, would you please allow a recording of your concert?“

„No“

„You see, an important reason for organizing your performance was, to give my pupils the opportunity to experience your music live. Many of them didn’t get a ticket after the concert is sold out. I’d like to present them a recording in my music lessons“

„Ok, but just mono.“
 
Ich baute auf, glücklich. Da mischte sich Manfred Eicher ein.
 
„Hast du nur 1 Mike dabei?“

„Nein, ich habe 2, darf aber nur Mono aufnehmen“

„Pack das zweite aus, ich klär das mit Keith.“
 

Das Konzert erklang also auch im Musiksaal des Kronacher Gymnasiums und noch viel häufiger in meiner Wohnung, damals im Schloss Haig. Eine Zeit lang war am Freitag Abend bei mir die Bude voll mit jarrettsüchtigen Gymnasiasten, die mir den Kühlschrank leer aßen und das KRONACH CONCERT reinzogen. Irgendwann ruhte die Tonbandspule in meinem Archiv. Vor etwa 10 Jahren wollte ich eine digitale Kopie anfertigen. Da musste ich feststellen, dass die Beschichtung des Bandes sich völlig auflöste, wie Kleber an den Tonköpfen haften blieb – letalis …

Nach dem Konzert saßen wir zusammen im Hotel Sonne. Ich war viel zu befangen, um mit Keith Jarrett ausführlicher zu plaudern, außerdem vertraute ich meinem Schulenglisch nicht besonders, andere ihrem schon. Am nächsten Morgen ging ich mit meiner Freundin zum Frühstück ins Hotel. Ich wollte Manfred Eicher und Keith Jarrett voraus fahrend aus der Stadt lotsen. Bei einer Tasse Tee erzählte Mr. Jarrett von den enorm hohen Treppenstufen, die er als Dreijähriger zu erklimmen hatte, wenn er to his piano teacher gegangen ist. Er zeigte uns einen simplen Münzen-Trick, den his piano teacher zu seiner Verblüffung vorführte. Seitdem habe ich nicht mehr mit Mr. Jarrett sprechen können. Die Kritik in der Neuen Presse Coburg – man kann sie hier nachlesen – schrieb Reiner Nitschke, damals Volontär bei jener Zeitung. Er ist heute Verleger, u.a. FONO FORUM. Wenn ich die Artikelseite vom 20. Januar 1975 betrachte, muss ich immer an “A Day In The Life“ denken.


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