Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2022 1 Jan.

Oren‘s „Live Hubris“

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Wire-writer Noel Gardner even detects „e2-e4“ hypnosis here, Manuel Göttsching-style. Famous album, that one, I never liked it too much, to my own surprise. But I like this one. 2016 erschien „Hubris“, eine spannende Platte von Oren Ambarchi auf Editions Mego, und gefragt, was es damit auf sich habe, sagte er: „Guitars, guitars, guitars, and voice.“ Das war formidable Musik, und Monate, bevor der Scheiss mit Corona losging, gastierte Oren mit einer weitaus grösseren Formation, der das Sprengen von Stilistiken schon an der Besetzungsliste abzulesen war (schauen Sie mal, auf dem Cover!), im Londoner Café Oto, und fabrizierte „Live Hubris“. Das Vinyl erschien so kurz vor Weihnachten in so wenigen auserwählten Plattenläden, dass 99,9 % der Leser dieses Blogs erst jetzt davon erfahren dürften. Nun, drei Teile hat das Opus, und nicht nur ist das Vinyl vortrefflich gepresst, die Aufnahme transparent und herrlich dynamisch – auch können Sie hier eine Zeitreise ins Jahr 2019 antreten, nach London: wer hätte gedacht, dass die gute alte Zeit einmal nur so kurz hinter uns liegen würde?! Welcome! Even the ghosts of Can alive and kicking. Amongst Mars Gustafsson rocking his horn and so much else. (And in all those 31 years past, I would have noted: to be presented at Klanghorizonte.)

 

An einem Tangotanzkurs teilzunehmen, kam für mich nie in Frage. Genausowenig wie eine Oper von Verdi oder U2 oder Sting oder einen Luther-Chor live zu erleben. Oder ein Bewunderer von Osho zu werden. Aber ein paar dezente Spuren haben Gardel und Co. bei mir hinterlassen, und eines Tages konnte ich den Meister des Nuevo Tango treffen, in Köln. Ein kleines Interview. Ein paar Jährchen her. Ich liebte den Soundtrack von Gato Barbieri zum „Last Tango In Paris“ viel mehr als den Film selbst, erinnere mich, wie ich  auf einem alten Plattenspieler die Platte mit Astor Piazzolla und Gerry Mulligan wieder und wieder hörte, aber soweit kam es nicht, dass ich mal nach Buenos Aires fliegen und jene verruchten Quartiere und Rotlichtbezirke aufsuchen wollte, in denen der Tango (mit Carlos Gardel) seine Triumphe feierte.

Piazzolla hatte allerdings gedacht, ich wolle mit ihm von der Rezeption aus telefonieren und mir dabei Notizen machen; schliesslich empfing er mich in einem perfekt geschneiderten Schlafanzug auf seinem Zimmer. Mir fielen plötzlich nur Standardfragen ein; der Mann war nicht gut gelaunt, und das übertrug sich auf mich. Wenn man nur in dem, was man weiss oder halb weiß, stochert, ist das ermüdend. Der Schlafanzug war skurril. 

Dann holte ich meinen Trumpf aus dem Ärmel, erzählte ihm, wie sehr ich den Schriftsteller Julio Cortazar lieben würde, und der hätte ja auch so einiges über ihn, Astor, geschrieben. Und da erzählte er mir dies: – Ja, Julio und ich, wir gingen mit unsern Frauen einmal in eine Kneipe im Quartier Latin. Plötzlich kam ein Mann und sagte, ich sei doch der Tango-Mann. Der Tango sei ganz fürchterliche Musik, und wieso ich so einen kindischen Mist machen würde. Ich stürzte mich auf den Idioten, der mich da so anpöbelte und wollte ihn ins Gesicht schlagen. Julio warf sich dazwischen und sorgte dafür, dass nichts passierte. Wir verliessen das Etablissement, und sassen dann später woanders, und ich lauschte wieder den Geschichten von Julio Cortazar. Ja, er war ein Großer. Wussten Sie, fragte er mich, dass er Boxen liebte. Ja, sagte, ich, boxen – und alten Jazz.

Und ich erzählte ihm, wie ich den Roman RAYUELA – Himmel und Hölle – verschlungen hätte, dabei immer einige der alten Platten, die im Roman vorkamen, aufgelegt hätte (bei Naura in der NDR-Jazzedaktion durfte ich mich mit lauter Schätzen eindecken), und wieviel Mate-Tee ich getrunken hätte in den Wochen der Lektüre, so nah waren mir die verrückten Mate-Tee-schlürfenden Glückssucher des Schlangenclubs, zum großen Teil Exilanten.

Später, als Cortazar Lungenkrebs hatte, ging er mit seiner Liebe, die auch Lungenkrebs hatte (ich glaube sie hiess Carol Dunlop) auf eine Reise über französische Autobahnen. Sie notierten, was sie auf den Rastplätzen und in den runtergekommenen Hotels erlebten, und machten daraus ein tolles Buch.

 

2017

  1. Father John Misty: Pure Comedy
  2. The Mountain Goats: Goths
  3. Gas: Narkopop
  4. Ryuichi Sakamoto: async
  5. Darren Hayman: Thankful Villages, Vol. 2

2018

  1. Steve Tibbetts: Life of
  2. Brian Eno: Music for Installations
  3. Marianne Faithfull: Negative Capability
  4. Jon Hopkins: Singularity
  5. Nils Frahm: All Melody

2019

  1. Underworld: Drift Series (Box Set)
  2. Arve Henriksen: The Timeless Nowhere (Vinyl Box)
  3. Joe Lovano: Trio Tapestry
  4. Oren Ambarchi: Simian Angel (see review on Jan 9)
  5. Lankum: The Lifelong Day

2020

  1. Tunng: …presents Dead Club
  2. The Flaming Lips: American Head
  3. Jon Hassell: Seeing Through Sound
  4. Einstürzende Neubauten: Alles in allem
  5. Die Wilde Jagd: Haut

2021

  1. Lambchop: Showtunes
  2. Floating Points w/ Pharoah Sanders: Promises
  3. Jon Hopkins: Music for Psychedelic Therapy
  4. Portico Quartet: Terrain
  5. Nik Bärtsch: Entendre / The Mountain Goats: Dark In Here

2022

  1. Brian Eno: not yet titled
  2. Steve Tibbetts: not yet titled
  3. Father John Misty: Chloe and the next 20th Century
  4. Duane Pitre: Omniscient Voices*
  5. Kreidler: Spells And Daubs

 

*Fans von zeitgenössischen minimalistischen Komponisten wie Kali Malone oder Caterina Barbieri werden Duane Pitre wahrscheinlich schon begegnet sein. Mit seiner 2009 erschienenen Kompilation „The Harmonic Series“ hat er das uralte Stimmmuster der „Just Intonation“, das zuvor mit „Minimalisten“ der 60er/70er Jahre wie La Monte Young und Terry Riley in Verbindung gebracht wurde, für eine neue Generation junger Musiker wiederentdeckt. Seit dem 2012 erschienenen Album „Feel Free“ hat Pitre traditionelle akustische mit moderner elektronischer „Improvisation“ kombiniert, und dieses neue Werk, das von der Verwendung tonaler Cluster durch den New Yorker Komponisten Morton Feldman beeinflusst ist, ist das jüngste Ergebnis. Obwohl es aus fünf Stücken unterschiedlicher Länge besteht, die eine größere harmonische Vielfalt bieten, bleibt es ein komplettes Werk, ein glückselig pulsierendes Gespräch zwischen dem Organischen und dem Elektronischen, das gleichzeitig amorph und doch klar ist. Es ist schwer zu sagen, wo man sich in der Platte befindet, außer dass man sich warm und sicher fühlt und dass man sie, wenn sie zu Ende ist, noch einmal spielen muss. Jedenfalls wird es einigen Manafonisten so ergehen.

Da muss ich nicht lange überlegen, und die kurze Liste schreibt sich beinah von selbst. In einer Zeit, in der Utopien zunehmend aus der Wahrnehmung einer verheerenden politischen Situation ins Reich der Träume gedrängt werden, mag Eskapismus so nah sein wie die Auseinandersetzung mit dem Tod. Beides, das Entkommen als kreativer Akt, sowie das  Ich als fragile Rückzugszone, spielen in diese drei Werke hinein. Eines ist im Zeitreisentaumel, eines verspielt, eines versponnen. Und alle von archaischer Wucht beseelt (was nicht in jedem Falle sofort einleuchtet). Nick Caves „Ghosteen“ hätte diese Geisterstunde womöglich noch mal aufgemischt, aber es erschien bereits Ende 2019. Diese Zwanziger werden schätzungsweise nie „die wilden Zwanziger“ genannt werden.

1) Lambchop: Showtunes

Mit „Showtunes“ ist Kurt Wagner ein sicher nicht unmittelbar griffiges, aber rundum geglücktes Meisterwerk gelungen, experimentell und tiefgründig zugleich. Es bewegt sich in solch einsamen Höhen wie Mark Hollis‘ Soloalbum, oder Prefab Sprout‘s I Trawl The Megahertz. Eine gute halbe Stunde lang, mit keinem einzigen verschwendeten Moment, garantiere ich (natürlich ohne Gewähr und Reiserücktrittsversicherung) aufregende Erlebnisse mit jedem neuen Hören. Es gibt das Album auch, in einer Sonderedition, auf weissem  Vinyl, in einer Gatefold-Ausgabe mit 45 rpm (!). 

 

2) Father John Misty: Chloe and the Next 20th Century

3) Tunng: … presents „Dead Club“

 

 

2021 31 Dez.

Erster Vogel

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Es überrascht, hier und da, auf so manchen Songs, ein Blasinstrument, hier ist es eine Kontraaltklarinette, im Eröffnungslied. Der Sänger macht sich Gedanken, was alles Traum ist, wie wir, ohne es uns gross bewusst zu machen, morgens aus Träumen ins Wachbewusstsein zurückkehren, und abends wieder in die Welt der Träume eintreten. „Träume sind Gedanken im Lotos / Und Ketten. Ketten werden am  Morgen zerbrochen.“ Eine genaue Beobachtung von zwei Kindern schliesst sich an. Die Schatten, die sie werfen. Die Sonne. Das Meer. Der erste, und der letzte Vogel. Fast ein Singalong,  der stets wiederkehrende Refrain.

Und wir erwachen aus den Träumen
So wie wir in die Träume zurückkehren
Träume sind Gedanken im Lotos
Und Ketten
Ketten werden am Morgen zerbrochen
durch den ersten Gesang des ersten Vogels
Singende Schatten  Shashashadow

Der Schatten meines Jungen kommt den Flur entlang
Und die Hand der kleinen Schwester ist tief in seiner Handfläche
Und ihre Füße berühren nie den Boden
Weil jeder sie herumtragen will
Wie wir aus den Träumen kommen
Und wir kommen zurück in die Träume

Und wenn die Sonne sich entfernt,
wird der Schatten meines Jungen groß
Groß, groß, groß!

Wenn wir aus den Träumen erwachen
Und wir kommen zurück in die Träume
Wenn wir aus den Träumen erwachen
Und wir kommen zurück in die Träume

So lang ein Meer, das auf den ersten Vogel wartet
Komm und sing für mich oder du wirst der letzte Vogel sein

Wenn wir aus den Träumen kommen
Und wir kehren zurück in die Träume

1) Jonathan Frantzen:

2)

3)

4)

5) Andreas Körtgen: Anno Domini 1234

6)

7)

8)

9)

10)

 

2021 31 Dez.

Claus Kleber

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Gestern, das letzte Heute-Journal mit Claus Kleber, natürlich Gundula Gause an seiner Seite. Diesem Journalisten gehörte jederzeit meine Hochachtung, eine herausragende Erscheinung. Zum Schluss noch ein gutes Gespräch, faktenbezogen, empathisch, mit einem meiner Helden des Jahres, Christian Drosten. Und es wurde auch wieder klar, wie erbärmlich Deutschland im Vergleich zu manch anderen Staaten ringsum abschneidet, was die Zahl  einfach mental limitierter Impfgegner angeht. Befeuert auch von Teilen der FDP, deren dämliche Spielart von „liberal“ von jedem Proseminaristen mit dem kategorischen Imperativ ausgehebelt werden könnte. Ich weiss, der Dialog mit dieser Gruppe tut not, ist aber anstrengend. Zumal die meisten sowieso einer Parallelwelt leben, wie das gewaltbereite Gesindel der Trump-Anhänger. Wenn ich auf so jemanden treffe, mit tumben Parolen, bin ich eher auf Krawall gebürstet. Heisst: harte Worte. Wunderbar, in mancher Hinsicht, die letzten Worte von Claus Kleber in Richtung der Zuschauer.

2021 31 Dez.

„Movies Made Out Of Sound“

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Nachdem ich mit einem nächtlichen Griff ins Leere die Nadel meines Tonabnehmers gekillt habe, und das geniale Machiavelli Gold Note Red MK II vollwertig ersetzt werden muss, werde ich zum High End-Händler meines Vertrauens reisen müssen, zu Loftsound,  ins schöne Arnsberg, der gleich meinen Dreher Vpi Prime einer Inventur unterziehen kann. Nachdem auch mein Toyota aufgrund eines grossen Missgeschicks sein Leben ausgehaucht hat (er wäre sonst ewig gelaufen), der danach erstandene Golf 4, Baujahr 98, nach vier Wochen Motorbrand hatte, wird 2022 ein „big spender-year“, und der neue Yaris, metallic blue, wartet schon auf mich. Und so läuft heute, nicht auf Vinyl, sondern als CD, die erfrischende wie abenteuerliche neue Arbeit von Kreidler. Gibt es Pioniere der Post-Krautrock-Ära? Dann gehören sie dazu! Einmal hatte ich sie alle im Deutschlandfunk in einer Live-Sendung versammelt, und ich brachte auch die Sprache auf Relikte der guten alten BRD. Hatte jemand von euch mal ein Kreidler-Moped? Erinnert euch: Kreidler stellte bis in die 1980er-Jahr Mopeds, Mofas, Klein- und Leichtkraftröder von 50 bis 80 cm³ Hubraum her. Mit der ab 1951 produzierten K 50 hatte Kreidler zusammen mit Rex erster Hersteller aus dem  Fahrrad mit Hilfsmotor ein werksseitig darauf ausgerichtetes Fahrzeug der 50er Klasse geschaffen. Die K 50 hatte vorn eine Teleskopfedergabel, das Hinterrad war ungefedert. Ja, das waren noch Zeiten. Ich mit der uralten K 50  in der Gleichmannstrasse 10, bei jazz by post ein paar ECMs eingetütet, 1977, und dann ein paar Häuser weiter im Wirtshaus „Zur Post“ mit meiner Liebsten eine Gerstenkaltschale getrunken, im Pasinger Hochsommer. Wir im Englischen Garten, wir in Robert Altmans „Nashville“ im schönsten Kleinkino Schwabings. Jetzt sitze ich auf meiner Petrol-Couch und fliege durch Kreidlers Musik. Mehr als ein Hauch hand-made, eine kräftige Portion analog, und es ziehen mich all diese gesammelten und frisch erfundenen retrofuturistischen Kirmesklang- und In-Between-Schauerwelten (aber sowas von!) in sanfte Höhen, dass ich mich zwischendurch frage: „Hallo, was habe ich denn heute geraucht?“ Da sind durchaus Prisen von Cluster, Harmonia und Eno dabei, aber so heiter, so gelassen aus den elektronischen Ärmeln geschüttelt, dass die Strahlkraft von SPELLS & DAUBS einfach noch eine Spur aufregender leuchtet! Wundersames Getrommel auch, manchmal bis zum Horizont!

 

In Jahren wie 2022,

in pandemischem Blues,

absolut notwendige Musik,

dem Leben zugewandt,

Beste-Mood-Musik

für avantgardistische Armlehnensofareisende!

 

2021 29 Dez.

Quiet, Life.

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440.000 Fälle in den USA
178.000 Fälle in Frankreich
Omikron auf dem Vormarsch
Höchste Tageswerte
Immerhin: Paxlovid

 

Es gab mal eine Zeit, Mitte August, da soll es in München keinen Corona-Toten gegeben haben. Aber es gab auch eine Zeit, da wurde uns ganz unheimlich zumute, als der Rinderwahnsinn und die Vogelgrippe kamen. Sie blieben vergleichsweise harmlos. Ist schon länger her. Einige lesen in diesen Monaten „The Stand“ von Stephen King. Oder „Die Pest“ von Camus. Grossartiges Buch, ich las es mal auf Mallorca, als Lex Barker und Mario Adorf vor meinen Augen Salat auf Sonnenliegen verzehrten. Michel de Montaigne: Leben heisst Sterben lernen – gute Reise. Als Verpflegung für den Rest des Lebens, Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte, empfehle ich ein survival kit zuzulegen. Tunng presents Dead Club. Eine wunderbare Schallplatte. Erhebend.

Oder die Bücher, die du schon immer lesen wolltest. Wie hiess die Frau im Rateteam von Robert Lemkes „Was bin ich“? In meiner Erinnerung heisst sie Annette von Aretin (was für ein Name). Sie empfahl einst, mir unvergessen, in der Show, für Zeiten, wenn Krankheit oder Krise die Zeitfenster öffnen (damals redete man noch nicht von Zeitfenstern), alle Bände von Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, adagio. Ein entfernter flüchtiger guter Bekannter tat das einst, allerdings ohne Not, und versuchte sich danach, das Leben zu nehmen.

Die Bücher, die jemandem gut tun, dafür haben Menschen meist ein gutes Händchen. Wie wäre es mit den gesammelten Werken von James Lee Burke? Ähnlich umgangreich, wäre man, kommt man an ihr Ende, wahrscheinlich mitten in der achten Welle. Oder, vielleicht doch, am Ende der Pandemie?! Humor gehört sowieso zur Grundausstattung.


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