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Archives: My 25 favourite albums of 2022

„On listening back to the finished album, I felt that it could be seen as a series of short stories or photographs of indiviudual scenes, each containing their own character. It was only after I‘d finalised the running order, that I realised just how much of a close relationship one piece has to another, and it was this realisation perhaps that led me to the album‘s title. I thought about how our years comprise of moments, days and changing months, of how we live our lives in facets, how we catch fleeting glimpses, how we walk through our lives. How we notice the turning year.“

(Roger Eno)

 

 

 



It happens that things and sounds which move at the edges, almost shadowily, have an equally profound influence on the centre of things as that which sparks in the burning glass of concentrated attention. In this way, „The Turning Year“ is a little masterpiece (to be released on April, 22, on vinyl, cd and dl).  I know most of Roger Eno’s albums since his first appearance on a milestone from  the „golden years of Ambient Music“ („Apollo“) quite well. Before the word „neo-classical“ became the „simplifier“ for introspective explorations between classically trained / self-taught composing  and contemporary sound-shifting, his first solo album „Voices“ (when will this gem be carefully reissued, along with Michael Brook’s „Hybrid“ – two treasures from Bob and Dan Lanois’ Grant Avenue Studios in Hamilton, Ontario) set the bar high for a music, that didn‘t grab for attention, but provided us armchair travellers with a peace of mind and a contemplative mood that (most of the time, in the years and works to come) found a delicate balance between harmonic figurations, melodic gestures and surprising „second sounds“ resp. „atmospheric values“ wrapped around them.

And when that happens, the trap of cheap saccharine trickery is a thousand miles away. This is damned serious music with a child-like sense of wonder.

And once inside this new music, with Roger’s hushed piano figures (how can softness be so thrilling?), the contributions of the string ensemble „Scoring Berlin“ – and Tibor Reman‘s clarinet on the title called „On The Horizon“, many listeners will be hungry not to miss a second, hungry for tiny details, distant echoes, the full experience of an always fragile now.

In contrast to the very different (kind of „nomadic“) life of brother Brian, Roger Eno decided from early on to not leave too often the landscapes of his „heimat“ in Suffolk / Norfolk – the geographics of East Anglia. And when the album starts with „A Place We Once Walked“, we can assume he’s trying to restore forgotten feelings and sights and things with the quiet power of sound. Think for yourself what’s going on when discovering (out of nowhere) a nearly forgotten walking path from the ole’ days, the kind of shiver running down the spine, the rush of pale memories. Roger Eno is masterfully catching such fleeting glimpses. And some of  these pastoral sceneries require a „double take“: traces of the uncanny, hidden behind many a shimmering surface. By the way, open the gatefold cover and you‘ll find an assembly of small photos enhancing all these sepia-tinged „East Anglia“-hinterland vibes.

I love to listen to this album on vinyl, and I‘ve done so for a while now (thanks to Martin G from DGG), but, to be honest, I‘ve had one little problem with the longplayer. More than once I looked at the circling vinyl trying to figure out, if there‘s still some running time left. I just wanted the music to stay just a little bit longer. In times like these, this music is medicine.

 

„Naked Truth“, das mag grossspurig klingen, in einer Zeit, in der nichts so leicht zu verbiegen und deformieren ist wie schlichteste Fakten und Wahrheiten. Doch lauscht man dieser neunteiligen Suite des Avishai Cohen Quartetts vom ersten bis zum letzten Ton (und nur so macht es Sinn), wird kaum jemand eine Spur von Pathos ausfindig machen – das ist tatsächlich „nackte Musik“ fernab von Verzierungen, selbstgenügsamen Kunstgriffen, edlen Wallungen. Und jeder der vier Musiker waren sich bewusst, dass der existenzielle Kern dieses Albums das Gedicht „Departure“ von Zelda Schneurson Mishkovsky ist, dessen englische Übersetzung aus dem Hebräischen dem Album beiliegt – Avishai Cohen trägt es im Finale fast seelenruhig vorträgt – ein Gedicht, das, manch schockierenden Zeilen zum Trotz, auch Trost, Akzeptanz und Dankbarkeit bereithält – es beginnt so … 

 

„Es ist notwendig, mit dem Abschied von der Pracht des Himmels und den Farben der Erde zu beginnen, allein zu stehen und sich der Stille des Todes zu stellen, sich von der Neugierde zu trennen, sich von den Worten zu trennen, von all den Worten, die ich gelesen und gehört habe. Und vom Wasser, das ich gesehen habe und nicht gesehen habe. Zu sterben, ohne das Meer gesehen zu haben. Ich trenne mich von der Luft der Nacht und von der Luft des Morgens. Vom Unkraut, von einem Obstbaum und von einem kahlen Baum, vom schwachen Licht und von den Sternen. Verzichte auf den Anblick eines fliegenden Vogels, verzichte auf den Anblick eines Tieres oder eines Insekts, verzichte auf meine Freunde und Kameraden, verzichte auf die feuchteste Aufregung und auf die Angst vor dem undurchsichtigen Wahnsinn.“

 

Ich ahnte es, als ich erste Beschreibungen des Albums las, und ich wusste es, als ich die Schallplatte zum ersten Mal hörte. Und mich wunderte auch nicht mehr, dass ich beim Zusammentragen einiger Hintergründe bemerkte, dass Robert Wyatts „Maryan“ und Brian Enos „Julie with …“ auf der Playlist ihrer ersten Sammlung von Coverversionen für Piano und Klarinette  auftauchen. Genauso wie Arthur Russell und Roedelius. Ich habe das Teil leider nie gehört. „Volume 2“ ist jedenfalls ein dermassen bezauberndes Werk dieses walisischen Duos namens „Group Listening“, dass ich schon nach dem ersten Hören zwanzigtausend Zeichen dazu aus den Gedanken schütteln könnte. Es tauchen auf „Volume 2“ auch mehr Klangquellen auf als die beiden einmal mehr so spröde angeführten (p, cl). Und wieder sind es alles Coverversionen – obwohl die Ursprünge wesentlich weiter voneinander entfernt sind als bei „Volume 1“, realisiert das Duo einen entspannten wie zwingenden „erzählerischen“ Bogen, und ich bin schlicht beglückt von dieser Platte, in der auch mal Teile eines Telefongesprächs vorkommen, eine rhythm box, die wie von den Young Marble Giants geborgt klingt, und am Schluss scheinen die Zwei durch abenteuerlich matschiges Marschland zu stiefeln (so endet ihre Version von „Seeland“ von „Neu!“ – wie schreibt ein Hörer auf youtube zum Original: „The rain wakes you up at the end“). Aber das ist vielleicht nur eine Halluzination meinerseits. Durch diese zehn Aneignungen und Entdeckungen, die mehr Wert auf natürliche Wohnzimmeratmosphäre legen als auf gestochen scharfe Klangaufzeichnung (auch, weil sie nun mal in einem Wohnzimmer entstanden), taumeln so viele hinreissende Eingebungen des Augenblicks, dass ich aus dem Staunen kaum rauskomme. Das erste Stück heisst „Sunset Village“ und ist ihre Deutung der Komposition aus Beverly Glenn-Copelands „Keyboard Fantasies“. Ich wünsche eine gute Reise.

 

Es ist eine interessante Arbeit, die JazzFacts zu gestalten.  Nachdem der „Baukasten“ der Sendung mit Hilfe einiger Hörer konkrete Gestalt angenommen hatte, aus einer ganzen Reihe spannender neuer Produktionen ein paar der Kohärenz des Ganzen geopfert werden mussten („killing your sweetest babies“ – sorry, Steven Bernstein, sorry, Tim Berne), die drei Beiträge geklärt waren, begann das „sequencing“, das heute morgen eine weitere Volte erlebte: ich tauschte die Plätze von Niklas‘ Suche nach den Bertriebsgeheimnissen des Münchner Quintetts „Fazer“ mit meiner Vorstellung des wunderbaren „Korallen-Trios“ von trumpet magus Leo Smith (80 Jahre jung, ultraproduktiv) mit zwei Gitarristen. Vor dem Finale mit „Dedication“ werden also drei Trompeter den Ton angeben – unterschiedlicher können Trompetenhorizonte kaum sein.

 

Der ganze Plan bekam vor einer Woche einen zusätzlichen Kick, als  das Basssolowerk von Dieter Ilg in der Post lag, und ich ganz und gar beeindruckt von der Musik, über Michael Gottfried, den Kontakt zum Künstler herstellte. Meine Fragen beantwortete er schriftlich. Kein Problem, wir haben gute Sprecher im Sender. Aber was für scharfe, gewitzte Antworten das waren – Dieter Ilg nimmt kein Blatt vor den Mund, und zwei Passagen seines „Briefes“ bilden den gelungenen Rahmen dieser Jazzstunde. Und es beginnt wie in einem Film: jemand erzählt, der sich „Einzelwolf“ nennt, lässt seine  Worten Töne folgen … und wir sind mitten drin im Geschehen.

 

Und dann der schöne Übermut in Zeiten blitzschneller Kontaktmöglichkeiten. Ich mailte Steve Tibbetts die „Korallenmusik“, und bat ihn – vorausgesetzt er habe Zeit (er hat derzeit sehr wenig), und fände grossen Gefallen an diesen mäandernden Gitarrensounds von Leos Reise zum Pazifik – mir seinen Höreindruck zu schildern. Vom Schlagwerker Ziv Ravitz wollte ich auch gerne was wissen, fand seine Adresse im Netz, formulierte knapp gehaltene Fragen ins Blaue („Naked Truth“ hat gewiss einen magischen Mehrwert – aber fassen Sie den mal in Worte, ohne Poesie). Und dann nahm ich mir spasseshalber noch die originelle wie wimmelbildfeudige Website von  Bill Carrothers vor, bat auch ihn um ein „audio-file“ zu meiner Frage, worin denn die Eingebungen des Augenblicks bestanden hätten, als er sich in der Provence mit Vincent Courtois Joni Mitchells „Circle Song“ zugewandt hatte, ein Song, der vielen eine Menge bedeutet.

 

Aber auch, wenn bis zur Produktion am frühen Morgen des 3. Februar keiner der Drei Laut gibt – es ist einfach ein gutes Gefühl, konzentriert dieser Handvoll Platten der kommenden Ausgabe mit Neuem von der improvisierten Musik ausgiebig zu lauschen, hier und da kleine Texte dazu zu verfassen, und ganz beiläufig darauf gefasst zu sein, kleine Audiodateien aus der weiten Welt zu erhalten. Aber warum so weit in die Ferne schweifen, ladies and gentlemen – die Post des „Einzelwolfs“ (aka Dieter Ilg) liess keine Wünsche offen und überraschte zudem. Zum Ende hin fragte ich ihn, wie es ihm denn an jenem Tag ergangen sei, als „Dedication“ seinen letzten Schliff erhalten hatte, und er antwortete:

 

„Auf dem Nachhauseweg stromerte ich an den Hängen des Schwarzwaldes entlang und siehe da. Meine gute Stimmung nach produktiver Arbeit verleitete mich etwas vom Weg abzukommen. Nein, Rotkäppchen lief mir nicht über den Weg. Aber einige Prachtexemplare von Steinpilzen lockten mich down, Verzeihung, zogen meine Blicke an, und verkündeten wohlschmeckende Berichte aus den Mysterien des Myzelreiches. So stieg ich hinab in die Untiefen des Pilzglücks und widmete mich stundenlang den Fruchtkörpern irdischen Glücks. Carlos Castaneda wäre neidisch gewesen.“

 

Nachdem ich mit einem nächtlichen Griff ins Leere die Nadel meines Tonabnehmers gekillt habe, und das geniale Machiavelli Gold Note Red MK II vollwertig ersetzt werden muss, werde ich zum High End-Händler meines Vertrauens reisen müssen, zu Loftsound,  ins schöne Arnsberg, der gleich meinen Dreher Vpi Prime einer Inventur unterziehen kann. Nachdem auch mein Toyota aufgrund eines grossen Missgeschicks sein Leben ausgehaucht hat (er wäre sonst ewig gelaufen), der danach erstandene Golf 4, Baujahr 98, nach vier Wochen Motorbrand hatte, wird 2022 ein „big spender-year“, und der neue Yaris, metallic blue, wartet schon auf mich. Und so läuft heute, nicht auf Vinyl, sondern als CD, die erfrischende wie abenteuerliche neue Arbeit von Kreidler. Gibt es Pioniere der Post-Krautrock-Ära? Dann gehören sie dazu! Einmal hatte ich sie alle im Deutschlandfunk in einer Live-Sendung versammelt, und ich brachte auch die Sprache auf Relikte der guten alten BRD. Hatte jemand von euch mal ein Kreidler-Moped? Erinnert euch: Kreidler stellte bis in die 1980er-Jahr Mopeds, Mofas, Klein- und Leichtkraftröder von 50 bis 80 cm³ Hubraum her. Mit der ab 1951 produzierten K 50 hatte Kreidler zusammen mit Rex erster Hersteller aus dem  Fahrrad mit Hilfsmotor ein werksseitig darauf ausgerichtetes Fahrzeug der 50er Klasse geschaffen. Die K 50 hatte vorn eine Teleskopfedergabel, das Hinterrad war ungefedert. Ja, das waren noch Zeiten. Ich mit der uralten K 50  in der Gleichmannstrasse 10, bei jazz by post ein paar ECMs eingetütet, 1977, und dann ein paar Häuser weiter im Wirtshaus „Zur Post“ mit meiner Liebsten eine Gerstenkaltschale getrunken, im Pasinger Hochsommer. Wir im Englischen Garten, wir in Robert Altmans „Nashville“ im schönsten Kleinkino Schwabings. Jetzt sitze ich auf meiner Petrol-Couch und fliege durch Kreidlers Musik. Mehr als ein Hauch hand-made, eine kräftige Portion analog, und es ziehen mich all diese gesammelten und frisch erfundenen retrofuturistischen Kirmesklang- und In-Between-Schauerwelten (aber sowas von!) in sanfte Höhen, dass ich mich zwischendurch frage: „Hallo, was habe ich denn heute geraucht?“ Da sind durchaus Prisen von Cluster, Harmonia und Eno dabei, aber so heiter, so gelassen aus den elektronischen Ärmeln geschüttelt, dass die Strahlkraft von SPELLS & DAUBS einfach noch eine Spur aufregender leuchtet! Wundersames Getrommel auch, manchmal bis zum Horizont!

 

In Jahren wie 2022,

in pandemischem Blues,

absolut notwendige Musik,

dem Leben zugewandt,

Beste-Mood-Musik

für avantgardistische Armlehnensofareisende!

 


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