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2023 13 März

„Back Door Man“

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For the first time of my life, I listen to the first Doors album. Of course  I did often hear the hits, but never let that 1967 record happen to me from the first roar to the final note, and certainly not on „true mono“. But now it happens, one week long. I do have it here, for seven days, the edition of the Electric Record Co. The experience is intense, and in the end there will be a story. Fear of music?  The music is not a relict, it‘s still raw, on the border.

 

 

 

 

But The Doors made Willie’s “Back Door Man” their own. Like the Stones did it with old blues at their very beginning. Side Two bursts wide open with one of Jim’s best feral screams. Morrison sounds dangerous and unpredictable, like a wild animal suddenly freed from its cage, while Robby Krieger‘s fuzz-tone guitar soars and swoops around Jim’s every word like a maniacal bumblebee.

 

 

 

 

Im dritten Stock, ganz oben, hinter der schmiedeeisernen Ballustrade, starb im Juli 1971, elend, Jim Morrison. Rue Beautreillis Nr. 17. Er hatte seinen Tod vorhergesehen, war sich sicher, Janis Joplin bald zu folgen. Er konnte die Abwärtsspirale nicht stoppen. Es war nur traurig, und Nostalgie der völlig falsche Reflex, die Nähe zum Himmel eine Fata Morgana.

 

Wenn du aufs Bild klickst, siehst du die Balkonbepflanzung im obersten Stock ganz deutlich, wie ein ohne Unterlass mit frischen Blumen gepflegtes Himmelsgrab. Damals, bei ersten Parisreisen, suchten wir auf dem Pere Lachaise lange nach dem Grab des Sängers und Poeten, der in seiner letzten Phase, als er sich schon immer mehr in einen Geist verwandelte und für die Doors kaum noch erträglich Bühnenauftritte wie volltrunkene Exzesse absolvierte, Rimbaudgedichte und ein Notizbuch mit eigenen Gedichtfragmenten sich führte, das noch den Stoff für manch grossen Song hätte liefern können. The End…

 

Das war ein Ritual, eine Nostalgie, eine Herzensangelegenheit, was immer, auf den berühmten Friedhöfen, sich zu sammeln und erinnern: so wusste ich lange nicht, wie nah Heine und Truffaut beieinander liegen, in Paris, an einer anderen Ruhestätte. Kerzen, Blumen, kleine Briefe, über Jahrzehnte hinweg, wie bei Morrison.

 

Dabei begegnen wir und doch vor allem uns selbst.

2023 10 März

Die Geschichte von Eden Ahbez (1)

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„Erst 1995 – dem Jahr, in dem Eden starb – erblickte sein einziges Album, 35 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ein zweites Mal das Licht der Welt. Bob Keane, der Gründer von Del-Fi Records, hatte seit der Wiederbelebung seines Labels bereits acht Jahre Zeit gehabt, es neu aufzulegen, aber sein Zögern sprach Bände. Zwar hatte Eden mit seinen Liedern echte Hits gelandet, aber andere hatten sie interpretiert, vor allem „Nature Boy“, ein Nummer-1-Hit von Nat ‚King‘ Cole aus dem Jahr 1948, auch heute noch ein immer wieder aufgegriffenes Kapitel im Great American Songbook. „Eden’s Island“ hingegen, eine konzeptionelle Kuriosität, verkaufte sich nur ein paar hundert Mal, und obwohl Ahbez‘ unkonventioneller Lebensstil die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog, bestand er darauf, das Album zu Fuß zu touren.

Doch die Zeiten ändern sich, und vermutlich erkannte Keane das Easy-Listening-Revival Mitte der 90er Jahre als Grund für die Wiedergeburt von Eden’s Island. Was ist schließlich exotischer als eine Proto-Hippie-Suite über eine mythische Insel? Mit Tiki- und Latin-Einflüssen, dem Quaken von Ochsenfröschen und seiner Bambusflöte, die Vogelgezwitscher und Stammesrufe erklingen ließ, erinnerte das Stück stark an Martin Dennys Quiet Village, während seine blättrige Sentimentalität die Technicolor-Nostalgie des Südpazifiks wiedererweckte.

Dieser eskapistische, berauschende Cocktail befriedigte jedenfalls die käsigen Schwärmereien der Lounge-Champions der 90er Jahre. Die Wiederauferstehung von Eden’s Island war jedoch erst der Anfang. Heutzutage wird es von so unterschiedlichen Musikern wie Agnes Obel und Lias Saoudi von Fat White Family gepriesen, der extra nach Kambodscha reiste, um es in angemessener Umgebung zu hören.

Dass es sich dabei um eine Strandhütte handelte, in der man „Pillen an der Bar kaufen konnte“, sagt viel über die Schwächen der Platte aus. Nicht, dass man Drogen bräuchte, um die wesentlichen Reize des Albums zu schätzen; seine Höhepunkte sind in der Regel die ruhigeren Momente, wie sein unerwartet meditativer, freier Streifzug in der Mitte von „La Mar“ oder das kultivierte Klavier von „Island Girl“, unter dem ein Guiro unruhig pulsiert, während „Myna Bird“ einfach so sanft wie eine Brise ist.“ (soweit der erste Teil von Wyndhams Rezension, mit Deepl und hier und da etwad freizügig übersetzt)

 

 

Meine kleine Erleuchtung, was Miles Davis betrifft, ereignete sich bei Schummerlicht in Marokkos Kinderzimmer. Natürlich waren wir schon ungebändigte Teenager, die sich bei den Monkees im Fernsehen abrollten, und dann einfach den elektrischen Magus im Fillmore East auflegten. Mir ein Rätsel, dass wir beide da so schnell die Zugänge fanden. Dass diese Phase des Trompeters für altgediente Jazzfans zumeist einen Kulturschock darstellte, bekamen wir nicht mit. Wir waren zu jung,um „Birth of the Cool“ mitzuerlebt zu haben.

Aber bald schon fand sich, lang vor dem Abitur, eine alte Miles Davis-Platte bei mir ein, die nie so berühmt wurde wie andere seiner ganz frühen Alben, aber ich liebte sie. Sie stammte aus meinem Geburtsjahr, glaube ich, 1955, und wenn mir später zufällig so eine Lp in die Hände fiel, aus dem Jahr, als ich etwas voreilig auf die Welt kam, sah ich mich in der Wiege rumschreien, und parallel, an einem ganz anderen Ort der Welt, im Tonstudio eine Handvoll Jazzmusiker vor mir. Ein Spiel von Gleichzeitigkeiten.  Da begegnete ich Eden zum ersten Mal, auf „Blue Moods“, denn Miles spielte da, übrigens in Gegenwart eines traumwandelnden Vibraphonisten (Elvin Jones und Charles Mingus waren auch dabei), Nature Boy. Traumverloren.

Der Name des Komponisten sagte mir nichts. Eine Exot. Klang halt anders als Hammerstein. Oder Gershwin. Eine dermassen versunkene Stimmung, hochmelodisch, verweilend, nie vorwärtseilend. Keiner hat es eilig im Paradies. Eden. Das hatte was. Und erst als dann auch Jon Hassell Nature Boy intonierte, und seine Trompete erstmals wie eine Trompete und nackt wie selten klang, wurde ich neugieriger. Eden. Eden Ahbez. Martini Dry. Martin Denny. Weltenbummler. Hippies auf Kreta. Weiter mit Wyndham und meinem Remix aus Deep L und persönlichen Einmischungen… (m.e.)

 

 

„Am markantesten sind die träumerischen Selbstgespräche in „The Wanderer“ und „Full Moon“, in denen aufrichtige, beruhigende Philosophien inmitten von Marimbas und Supper-Club-Pianos vorgetragen werden. Diese Konstrukte bestätigen Ahbez als den Mann, der „Nature Boy“ geschrieben hat, und nehmen gleichzeitig die wunderbar absurden „Spock’s Thoughts“ von Leonard Nimoy vorweg, eine rührende, böhmische Adaption von Max Ehrmanns inspirierendem Gedicht „Desiderata“ aus den 1920er Jahren. (Na, hier werden ja mal gleich einige Fässer geöffnet, und wer „Desiderata“ kennt, möge bitte einen erhellenden Kommentar schreiben.) 

Die Bedeutung von Edens Album  ist so groß, dass Everland nur das letzte von einem guten Dutzend Labels ist, die Eden’s Island im letzten Vierteljahrhundert veröffentlicht haben. Die Jungs haben es jedoch neu gemastert und 50 Minuten seltenes Material hinzugefügt – Demos, einen Jam, Aufnahmen von zeitgenössischen Künstlern mit weiteren Kompositionen – sowie ähnlich aufschlussreiche Linernotes von Brian Chidester, dem Co-Regisseur einer bevorstehenden Dokumentation. Man kann natürlich immer noch seine Eigenartigkeit und Skurrilität feiern, aber dank dieser Extras wirkt die Platte nun deutlich weniger kitschig und dafür revolutionärer, weniger exzentrisch und mehr vorausschauend, ein ganzes Glaubenssystem inbegriffen.

Auf dem Cover ähnelt Eden Ahbez einem zotteligen Landstreicher. Als Waisenkind, das Ende der 30er Jahre vor der Weltwirtschaftskrise mit dem Zug nach L.A. geflohen war, zog er es tatsächlich vor, unter den Sternen zu schlafen, sich den California Nature Boys anzuschließen, Anhängern der deutschen Lebensreformbewegung des 19. Jahrhunderts. Nachdem er durch seine anonyme Übergabe des Songs Nature Boy“ an Nat King Coles Kammerdiener die Erlaubnis zur Aufnahme erhalten hatte, wurde er schlafend unter dem Hollywood-Schild gefunden. Wenn er bis zu seinem Debütalbum weitere Songs u. a. für Sam Cooke („Lonely Island“) schrieb, gab er an, von 3 Dollar pro Tag zu leben, und zahlte angeblich 30 % der Tantiemen von „Nature Boy“ an den Portier, der den Diener ausfindig gemacht hatte.“  

 

(Im Spiegel findet sich, schon ein paar Jahre alt, eine Geschichte über den „Obdachlosen“ und seinen Millionenhit (bei den Tantiemen wurde er demnach auch von dem berühmten Irving Berlin mächtig übers Ohr gehauen – so erging‘s  ja auch vielen frühen Popbands, ob CCR oder den Kinks.)

 

 

Nat King Cole – „Nature Boy“

 


1 – Wenn Jon Hassell über Amerikas Exotika-Musik sprach, all die Werke mit skurrilen Covergestaltungen, in denen Afrika und Asien und die Geheimnisse ferner Kulturen mit leicht erhöhtem Martini-Blutspiegel eine sehr westliche Perspektive erhielten, dann tat er es mit ironischem Schmunzeln. Und Hintersinn. Das Fremde wurde einem nicht gefährlich, wenn es mit einem netten Swing daherkan, und so koloriert und karikaturenhaft daherkam wie die alten Südseefilme mit putzig zurechtgemachten Eingeborenen. Aber natürlich hatten diese Platten von Les Baxter und Martin Denny auch einen beträchtlichen Charme, und wir wollen mal hoffen, dass diese american cats keinen white supremacy-Gedankenschrott pflegten. 
Mit dem Namen Les Baxter assoziiere ich als erstes immer Lex Barker, den berühmten Old Shatterhand-Darsteller, der mir als 15-jährigem Kid mal an einem Swimmingpool mit Mario Adorf gegenüber sass, während der Super-Minister Schiller mit seiner Geliebten ein paar Runden im Mallorcinischen Pool schwamm. In einem abgelegenen Super-Hotel. THE WHITE LOTUS 1970. Schade, dass ich das Paparazzi-Foto, das ich damals schoss, nicht mehr habe, das wäre hier DER historische Schnappschussknaller aus der alten BRD. Diese ganze Exotika-Musik hatte viel gemein mit der TV- und Kinowelt, in der Flipper, Rin Tin Tin, Lassie, Karl May, James Bond, Emma Peel und hundert andere Namen (Gesichter, unvergesslich) Fenster in eine andere Welt öffneten. Ganz egal, wie naiv und kindlich und regressiv das teilweise daherkam: es waren Fenster in eine andere Welt. Entferne das Glitzern, und hinter Traumgesichtern erzählen dir die Projektioen, Schatten und  Schemen von einst ihre wahre Geschichte. Do it one more time, Diana Rigg! (m.e.)

 

I look crazy, but I am not. And the funny thing is that other people don‘t look crazy, but they are.“

(Eden Ahbez)

 

2 – Eden Ahbez war eine Art Mittler zwischen dem alten Amerika und der Ära der Hippies. Ein Go-between. Wer sich anno 2023 auf „Eden‘s Island“ einlässt, mit Scotch und Candlelight, oder mit einer Bong und Räucherstäbchen (aber auf keine Fall mit tierischem Ernst) kann tatsächlich einem alten Staunen nahekommen, dieser Schwelle von Kindheit und Erwachsenen-Status. Schmunzeln, lachen, träumen. GETTING THERE. Ein Blinzeln, und wir sind wieder dort, aber wie VERWANDELT.  Oder, mit „Professor“ Leary gesagt: TURN ON, TUNE In, DROP OUT. Blue moods reloaded. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. On the shores of Monterey / it’s such an beautiful day. Wyndham, auf zur letzten Runde deines Trips auf „Eden‘s Island“… (m.e.)

 

 

 

 

3 – (Das Finale von Wyndham Wallaces Besprechung der Neuausgabe auf Everland) – „Für manche bleibt Ahbez sicherlich ein Sonderling, und Melodien wie das unwiderstehlich fröhliche „Mongoose“ und das schwärmerische „Banana Boy“ mit ihren Rassenklischees sind nicht hilfreich. Auch der Bonustrack „Yes, Master“ ist sexistisch angehaucht, während ein anderes Stück, „India“ von 1951, besser zu George Bruns‘ Dschungelbuch-Musik von 1967 passen könnte. „Eden’s Island“ ist jedoch eine kluge, utopische Metapher und nicht lächerlicher als andere gleichgesinnte, subversive Ansichten, die später von Hippies übernommen wurden.

Im verträumt-idealistischen „Eden’s Cove“ ist „Liebe alles, wofür sie leben“, während er in „La Mar“ eine stürmische See in „einem kleinen Boot, das ich Leben nannte“, überquert, was auch durch die knarrenden Balken von „The Old Boat“ und Ahbez‘ unverwechselbare Flöte evoziert wird. „Surf Rider“ erinnert an eine süße Schwesternschaftsgruppe, die von Brian Wilson – an dessen Smile-Sessions Ahbez teilnahm – bekehrt wurde, und im ruhigen „Full Moon“, in dem „all men are brothers“, schließt Ahbez mit „I am everyone, anyone, no-one“, womit er Lennons „I am he as you are he as you are me“ in „I Am The Walrus“ um sieben Jahre vorwegnimmt.

Der Unterschied liegt im musikalischen Kontext. Aus einer konservativen Ära stammend – unterstrichen durch weitere Boni wie „The Shepherd“ von 1949, dargeboten vom Schauspieler Herb Jeffries, und „The Planet Song“, das darauf besteht, dass „die Natur eine Symphonie ist“ – verwendete Ahbez‘ leise Rebellion Flöten, Marimbas und Vibraphone. Die Hippies fügten lediglich Gitarren, Schlagzeug und offensichtlichere psychedelische Mittel hinzu.

Die Musik von Ahbez hat sich nicht verändert, aber 63 Jahre später hat sich unser Einblick in seine Motive verändert und offenbart einen Mann, der seiner Zeit weit voraus war. Einschalten, einschalten, ausschalten.“ 

 

we are all dreamers. / Foto von Susanne Berndt, meiner Sylter Lockdownreiseleiterin

 

 

P.S.  Ich habe mir die Doppel-Cd bestellt. Und auf bandcamp beim Schreiben dieses Textes ein zweites Mal rauf und runter gehört. Ein grosses Vergnügen. Und ein tiefgehendes obendrein. Erhältlich ist diese Ausgabe von Everland in limitierter Auflage auf Vinyl und auch als 2xLP mit Gatefold-Vinyl und Booklet in einer Holzbox.  Das Foto von Susanne B. stammt vom Dach der Osloer Oper. Vielen Dank auch an Wyndham Wallaces Zeitreise. 

 

Die Einflüsse sind unüberhörbar: Diese Traumwelt überschneidet sich mit Tom Waits‘ ewigem Boho-Bar-Crawl, dem Märchenland von Gong, den Raumschiffkorridoren von The Orb, und die Stimmungen und Strukturen stammen aus einer Realität, in der Sun Ra, Zappa und Beefheart die Grundpfeiler der modernen Musik waren. Es ist seltsam und, wenn man es sich anhört, meistens sehr, sehr schön. Allerdings klingt es nicht immer gleich: Manchmal ist man vielleicht nicht in der Stimmung, sich ganz auf Hollanders Welt einzulassen, und dann mäandert es vielleicht nur verwirrend vorbei – aber ein anderes Mal, wenn man ganz durch das Portal treten kann, ist es ein Werk von totaler Magie.

(Joe Muggs, The ArtsDesk)

2023 3 März

At The Marquee (2)

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Fortsetzung des Blogeintrages „At The  Marquee“ (1) vom 26. Februar.

 

Ja, lieber Michael, alter Freund, gerne steuere ich eine kleine Erinnerung von meinen Marquee Besuchen bei.

Es war ebenfalls 1970, ich hatte gerade mein Abi gemacht und gönnte mir einen London Trip zur Belohnung. Ich war am Vortag in London angekommen mit Ruckdack und Schlafsack und war mit meinem Schulfreund Peter am Trafalgar Square verabredet. Wir wollten uns ein paar Tage in London herumtreiben, aber ich habe umsonst gewartet. Später habe ich dann erfahren, dass er eine Woche zuvor einen Autounfall in Katalonien hatte und in einem Krankenhaus lag.
Abends bin ich dann nach Soho in den Marquee gegangen um Blodwyn Pig zu hören. Bereits ein Jahr zuvor hatte ich dort Yes gehört, ein tolles Konzert. Der Marquee war damals das Sprungbrett für die angesagten Newcomer Bands auf dem Weg zur Karriere. Nun, es war nicht das erhoffte Highlight, unerträglich laut und unerträglich eng, gefühlt 1000 Leute in dem überschaubar großen Marquee Club. Ich muss gestehen, dass ich zur Hälfte des Konzerts die Segel gestrichen habe und das Weite gesucht habe. Zuviel Stress für einen Schwarzwälder Bub. Nach Fish und Chips, zu mehr reichte das Budget nicht, habe ich mir dann eine Platz zum Schlafen gesucht und ihn in einem der Parks, ich glaube im Regents Park, gefunden. Alle Parks waren damals voll mit Hippies. Eine unbeschreibliche Atmosphäre!
Ich war gerade dabei meinen Schlafsack auszurollen, als sich eine sehr junge Frau zu mir gesellte. Sie war sehr gut bürgerlich gekleidet, und sie hatte einen übergroßen Rucksack dabei, darauf noch eine riesigen Schlafsack. Wie sie mir erzählte, hatte sie zwei Tage zuvor geheiratet und – dummerweise danach – kalte Füße bekommen und wollte einfach nur weg. Ich hab sie dann mit meinem Schulenglisch getröstet und ihre Stimmung hellte sich zunehmend auf. Zweimal wurden wir in dieser Nacht von der Polizei vertrieben, nur um uns dann 100 Meter weiter wieder hinzulegen. Sie hat mich dann gefragt, ob ich sie mit nach Deutschland nehmen würde. Meine Antwort muss dann doch etwas zögerlich ausgefallen sein. Wir sind dann nebeneinander in unseren Schlafsäcken eingeschlafen, keine weitere Störung durch die Polizei. Als ich am Morgen aufwachte, war sie weg und ich hatte ein schlechtes Gewissen. Seltsam, diese Geschichte hat mich eigentlich nie richtig losgelassen.
Lieber Micha, das ist nun kein Report über ein Konzert im Marquee geworden. Ich habe dann zwar im Marquee auch noch King Crimson erlebt, ebenfalls laut und eng, aber auch faszinierend schön. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

2023 3 März

Aus dem Reich der Abgründe

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Zu ihrem 125. Geburtstag veröffentlicht die Deutsche Grammophon legendäre Aufnahmen in höchster Klangkultur: Die neue audiophile Vinyl-Serie The Original Source präsentiert herausragende Aufnahmen der 1970er Jahre in ganz neuer Klangqualität. Dafür haben die renommierten Emil Berliner Studios die originalen Vierspur-Bänder mit eigens für die Produktion der Serie entwickelten Technologien in 100% analoger Qualität (AAA) neu gemastert und geschnitten. Die klanglichen Unterschiede zu den Originalveröffentlichungen sind beträchtlich: Größere Klarheit, mehr Feinheiten und Verbesserungen im Frequenzgang, zugleich weniger Nebengeräusche, Verzerrungen und Komprimierungen ermöglichen ein audiophiles Hörerlebnis wie nie zuvor.

Auf 180g Vinylplatten und in einer Deluxe-Gatefold Edition mit Originalcovers und -texten werden die Exemplare dieser Serie limitiert und nummeriert veröffentlicht. Begleitet werden sie von zusätzlichen Fotos und Faksimiles der Aufnahmeprotokolle und Bandkartons, außerdem erklärt ein Beitrag die genauen technischen Hintergründe.  (DGG HQ)

Mahlers 5. zum Beispiel, aus dem Reich der Abgründe. (m.e.)

(VÖ, 2.6.2023 – ab jetzt vorbestellbar bei der DGG)

 

„Das Miasma aus Free Jazz, kosmischem Jazz, New Thing, Fire Music und Improvisation, das sich Ende der 1960er und in den 1970er Jahren entfaltete, ist eine der großen Schatzkammern der Musik des 20. Jahrhunderts. Jahrhunderts. Angeführt von John und Alice Coltrane, Pharoah Sanders, Ornette Coleman, Sun Ra, Cecil Taylor und anderen ließ sich eine Generation von Musikern dazu inspirieren, die schnell erstarrenden Manierismen des Post-Bop zugunsten einer explosiven neuen Sprache aufzugeben, die die Grenzen der Musik verschob und gleichzeitig politische Realitäten, soziale Belange und Spiritualität auf frische, auffallend konfrontative Weise ansprach.“

2023 26 Feb.

At The Marquee (1)

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1 – War der Marquee Club wirklich das größte Musiklokal der Welt, wie der Untertitel einer neuen Geschichte des Clubs nahelegt? Die Carnegie Hall, das Olympia in Paris, das Ronnie Scott’s, die Berliner Philharmonie, das Village Vanguard und einige andere mögen dafür sprechen. Aber von der Eröffnung im Jahr 1958 bis zur Schließung des letzten Clubs, der diesen Namen trug, im Jahr 2006, hatte der Club einen berechtigten Anspruch auf diesen Titel, da seine Attraktionen im Laufe der Jahre von Dexter Gordon, Chris Barber und Dudley Moore über Alexis Korner und Long John Baldry, die Stones, die Yardbirds, Manfred Mann, Graham Bond, Little Stevie Wonder, The Who, David Jones/Bowie, Sonny Boy Williamson, Rod Stewart, Jimi Hendrix, King Crimson, Led Zeppelin, Fela Kuti, Genesis, Dr. Feelgood und Dire Straits bis hin zu den Damned, den Sex Pistols (als Support von Eddie and the Hot Rods), The Jam, The Police, Motorhead bis hin zu REM und Guns N‘ Roses und Hunderten und Hunderten von anderen, von denen die meisten noch in der Entstehungsphase sind, einschließlich fast aller britischen Blues- und Prog-Rock-Bands, die über die Musicians Wanted-Rubriken des Melody Maker zusammengetragen wurden.

(Richard Williams, zu einem Buch über diesen legendären power spot, s. nebenan: The Blue Moment)

 

 

2 – Der Kollege drehte sich eine Zigarette, er sass mir gegenüber in unserem Zwei-Mann-Büro. Zwei Psychologen, einer hatte Liebeskummer. Michael, um aus dieser Nummer raus zu kommen, flieg nach London, über Weihnachten, das ist doch deine Stadt. Du musst einfach ständig wach sein, saug Piccadilly auf, das tut richtig weh, aber gut, alleine, ganz alleine, saug die Einsamkeit auf. In vollen Zügen. Das hilft. Down to the bottom! Ja, sie ist bestimmt die schönste Frauen Regensburgs. Du warst ihr Ausbruch, sie hat die Reissleine gezogen.  


Die Würfel sind gefallen. Er hatte ja so recht. Ich wohnte noch immer am Ende der Welt, die Wölfe der Tschechei kamen manchmal über die Grenze, und ein Buch mit Kurzgeschichten von Richard Brautigan lag neben dem Bett. Ich fuhr von Bergeinöden nach Frankfurt und besorgte mir ein Flugticket nach London. So allein wollte ich auch nicht sein, und so kündigte ich meinem alten Würzburger Freund David Webster meinen Besuch an. Er freute sich darauf, mich wiederzusehen.

In Frankfurt verweigerten sie mir die Einreise nach London. Ich landete in Büros, und musste sogar zu einem amerikanischen Konsulat, wieso musste ich auf das fucking amerikanische Konsulat? Ein Riesentheater, und ich war sauer, und zeigte das auch. Da klärte es sich, dass ich als Amerikareisender gebucht war, ohne Visum, alles war ein Missverständnis im Frankfurter Nieselregen. Lauter Sorrys und Entschuldigungen, und Lufthansa schenkte mir ein Ticket für die Business Class, mit Sekt und allem Drum und Dran für eine Dreiviertelstunde Flug in den Londoner Nebelregen.

Heiligabend war ich bei den Websters eingeladen, bis dahin hatte ich zwei Tage: billige Absteigen, alte Cafes, und ich besorgte mir sofort ein Musikmagazin. Musik sollte Teil meiner Selbsttherapie sein. Ich liess mich in einem Pub nieder, erleichtert nach dem Tagesstress, der Kaktus auf der Ablage über mir geriet in Bewegung und plumpste dem Mann hinter mir in den Nacken. Ein Aufsschrei. Ich kümmerte mich sofort um ihn, zog ihm einzelne Stachel raus, ein paar Stellen waren blutig, aber er blieb freundlich. Der Pubbesitzer hatte sogar ein Desinfektionsmittel. Am Abend ging ich in den Marquee Club, um Jah Wobble & The Invaders of the Heart zu erleben.

Jah Wobble hatte einen Trenchcoat an, der aussah, als wäre er den ganzen Tag durch den Londoner Dunkelregen gewandert. Man konnte hören, dass Jah Wobble nach der Zeit mit Public Image Ltd. noch viel mehr in die Welt des „elektrischen Miles“ eingetaucht war. Dunkel pulste sein Bass durch den Raum. Eine Trompete mit Wah-Wah-Pedal verschickte knappe telegraphische Notizen, der Drummer hämmerte wohltuende Monotonie. Da erkannte ich sie und taufte sie Healy. Du bist die Fremde, mit der ich diese Nacht erobern werde. Sie stand alleine an der Seite, und trug auch einen fucking beautiful Trenchcoat. Hoffentlich war sie kein Jah Wobble-Groupie. War sie nicht.

Nach dem Konzert lud ich sie zu einem Drink ein, nachdem ich mich freundlich vorgestellt hatte. Why me, fragte sie mich, und ich sagte, your eyes. Sie hatte ein kleines Appartment in West Hampstead. Sie legte eine gemeinsame Lieblingsplatte auf, Chairs Missing von Wire, und dann schliefen wir miteinander. In dieser Nacht lösten sich die Bilder der schönsten Frau Regensburgs in den Umarmungen einer Wildfremden  auf. Wir kifften, lachten, und mochten einander – small talk with a beating heart.  Sie hatte kleine feste Brüste und einen extrem schlanken Körper, Londoner Regenblässe. Sexual Healing. Ein wenig.

Ich wanderte den ganzen Tag durch Hampstead Heath, ich hörte spät am Abend John Peel im billigen Hotelzimmer (er spielte Musik von Howard Devotos Band  „Magazine“, ich weiss es noch genau, einen Song aus „Second Hand Daylight“, oder „The Correct Use of Soap“, wunderbar) und am nächsten Abend, Heiligabend, traf ich bei den Websters ein. Es gab Gans, Rotkohl, und Plumpudding. Es waren noch andere Gäste da. Ich hatte mir einen Infekt eingefangen, und später nachts 39.5 Grad Fieber. Ich schnupfte. Ich glühte. David sagte: Michael, erzähl, wie war das Jahr? Wollt ihr das wirklich hören? Ja, Mann! Und ich erzählte die ganze Geschichte. Bis zu dem Augenblick, wo mein Kollege sich eine Zigarette drehte. In einer Fachklinik für Suchtabhängige. Ich ruinierte die Party mit dieser Story, leider. Obwohl ja alles so magisch anfing, mit einem Western mit James Stewart,  und dem berühmten Song der Gruppe Grauzone. Ich hätte gerne als Entschuldigung einen Weihnachtsbaum gestiftet. Für Mrs. Webster wurde ich zum roten Tuch.

Das Allerschönste in diesen Tagen waren die Fahrten mit der Underground, besonders die Augenblicke, wenn man die letzte Treppe zum Tageslicht betrat. Immer wieder gerne: Piccadilly Circus, die bunten, flackernden Werbetafeln im Dauerregen. Ich kam mir vor wie in einer ungeschriebenen Geschichte von Richard Brautigan. Eine, in der  Duftkerzen Patchouli verströmen, die Kinks im Radio „Mr. Pleasant“ spielen, ein Hirschbraten mit Preiselbeerrahm serviert wird, und  ein paar Glückskekse am Tannenbaum hängen.

3 – Ich war zweimal in meinem Leben im Marquee, 1982 im Dezember, und, nach kleiner Recherche rausgefunden, am 15. Juli 1970, um Steamhammer zu erleben. Gates of perception. Mein alter Freund Uwe Zemlin war wesentlich öfter dort. Seine Erinnerungen würde ich hier gerne nachlesen. Write a little story! (m.e.)

 

 

2023 26 Feb.

„Leonard at the end of history“

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In den frühen 1990er Jahren befand sich Leonard Cohen in der Popkultur in einem Quantenzustand, einer Art Schrödingers Singer-Songwriter: gleichzeitig legendär und vergessen. Es war nicht abzusehen, auf welcher der beiden Seiten er letztendlich landen würde. Fünfundzwanzig Jahre zuvor war der in Montreal geborene Dichter und Romancier mit seiner sinnlichen, aber unsentimentalen Folk-Musik zum weltgewandten Mauerblümchen auf dem schweißtreibenden Be-In des Psychedelic Rock geworden und zum Intimus brillanter Frauen von Judy Collins über Joni Mitchell bis Janis Joplin. Anfang der 80er Jahre war er ein solches Relikt, dass das Album, das seinen berühmtesten Song enthält, in den Vereinigten Staaten zunächst nicht veröffentlicht wurde.

Sein Comeback von 1988, I’m Your Man, ein Meisterwerk aus cineastischen Synthesizern und düster-komödiantischen Vorahnungen, war entscheidend für das, was Cohen gerne als seine „Wiederauferstehung“ bezeichnete. Doch der Status, den er bis zu seinem Tod im Jahr 2016 als Songwriter-Guru von beschwörender Kraft erreichte, war alles andere als sicher.

 

 

 

The Future, das Ende November 1992 als Nachfolger von I’m Your Man veröffentlicht wurde, war eine Suche nach dauerhafter Wahrheit in dem, was er als die schlackenhaften, entmenschlichten Ruinen des Spätkapitalismus empfand. Als Whitney Houstons „I Will Always Love You“ und Michael Boltons „Timeless: The Classics an der Spitze der US-Charts standen, bot das neunte Studioalbum des 58-jährigen Cohen einen ebenso extravaganten, aber mehrdeutigen Soundtrack zum Triumphalismus nach dem Kalten Krieg: lackierter Keyboard-Rock mit Streichern, einem Chor, mehreren Produzenten und Horden von Studiomusikern, aufgenommen in einem Dutzend Studios.

Im Zentrum steht Cohens heisere Stimme, die Texte knurrt, die das Heilige und das Profane nicht so sehr verwischen, sondern leidenschaftslos über ihre Koexistenz berichten. Der Himmel ist in der Gosse und umgekehrt – Halleluja, was geht dich das an? Auf dem neun Songs umfassenden Album werden einige von Cohens besten Originalen zwei unwahrscheinlichen Covers und einem Instrumentalstück gegenübergestellt. I’m Your Man erweckte Cohen wieder zum Leben. The Future zeigte, dass er auch weiterhin das Leben in all seinen chaotischen Widersprüchen einfangen würde, prismatisch mit Bedeutung.

Nach der ausverkauften Welttournee von I’m Your Man plante Cohen ursprünglich, sich in Montreal wieder mit der Crew des Albums zu treffen. Stattdessen ging er ins sonnige Los Angeles, um die langjährige Backgroundsängerin Jennifer Warnes zu engagieren, und blieb im Grunde genommen dort. Er tauschte sich mit Sonny Rollins im Spätfernsehen über spirituelle Lyrik aus. Er sonnte sich im Glanz eines neuen Tribute-Albums, I’m Your Fan von 1991, auf dem R.E.M., die Pixies, Nick Cave und – schicksalhaft – John Cales einflussreiche Version von „Hallelujah“ zu hören waren. Er war mit Rebecca De Mornay, der Schauspielerin aus Risky Business und The Hand That Rocks the Cradle, verlobt und begleitete sie zur Oscarverleihung.

 

Marc Cohens Essay über Leonards Album „The Future“ ist herausragend und heute auf Pitchfork erschienen. Mit „Deepl“ wurde der Anfang übersetzt. Ein paar Feinkorrekturen werden noch vorgenommen. Es folgen demnächst, in einem gesonderten Text, ein paar Gedanken und Erinnerungen rund um Leonard Cohens Lieder, die für viele von uns, ob Gottessucher, Agnostiker, oder Atheisten, lebensbegleitend waren und sind. Leonards Musik ist heute noch „on fire“. (m.e.)


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