Manafonistas

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Archives: August 2023

 
 

Das Wetter an der nordfranzösischen Küste in der Nähe des Pizzaautomaten ändert sich schnell. Heute, zur Zeit der Dämmerung, waren wieder Pferde am Strand, zuerst die Spuren ihrer Hufe. Am Horizont drei Tiere zu sehen, doch als sie sich wieder zurück zum Ufer bewegten, waren es fünf. Eine Frau in langem weißen Kleid starrt ins Weite. Filmaufnahmen. Handkamera. Die Unberechenbarkeit von Wind.

 

 
 

Eno, Czukay, Schwalm: Sushi! Roti! Reibekuchen! 

 
 

 


 
 
 

Die heutige letzte Etappe kann man mit knapp 10 Km eher als einen Vormittagsspaziergang bezeichnen. Wir gehen recht bald aus dem Ort raus und bewegen uns wie so oft zwischen Wald, Wiesen und Feldern. Der Himmel zieht zu, ein paar Tropfen fallen, der Wind schüttelt die Laubbäume unter denen wir langspazieren kräftig durch. Durch die vielen Niederschläge sprießen dieses Jahr am Wegesrand viele Pilze (Foto Spitzschuppiger Schirmling). In Klein-Hehlen gehen wir am Waldsee vorbei.

Wir kommen nun in die Allerwiesen und stoßen auf einen Baumlehrpfad. Auf einer der Erklärtafeln sitzt eine große Heuschrecke (Foto). Zur Eibe entwickle ich eine Theorie. Sie ist die älteste Nadelbaumart. Im Kampf um Lebensraum mit den später auftauchenden Nadelbäumen hatte sie aufgrund ihres sehr langsamen Wachstums schlechte Karten. Um in der Evolution nicht unter die Räder zu geraten, „entschloss“ sich die Eibe giftig zu werden, so dass sie Tiere nicht fürchten musste. Nur die Früchte selber sind nicht giftig und die Vögel fressen sie und verbreiten die giftigen Samen, indem sie sie ausscheiden.

In Celle überqueren wir die Allerbrücke und machen am Endpunkt des Weges vor der Tafel beim Bahnhof ein Selfie. Wir gucken uns das Schloss und die von Fachwerkhäusern dominierte Altstadt an, die eine große Fußgängerzone darstellt. Auf den Querbalken oben stehen oft religiöse Sprüche und Lebensweisheiten (Foto). Wir probieren Barfußschuhe aus und kaufen uns jeweils ein Paar. Abends essen wir die Celler Rohe Roulade, eine Art Carpaccio in dickeren Scheiben, in Dackels Krohne, wo sie angeblich auch erfunden wurde.

2023 27 Aug

Der Blues-Operator

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„John Guerin on drums, Max Bennett on Bass, Robben Ford on guitar …“ – deutlich vernehme ich die Stimme Joni Mitchells und sehe ihre red painted toenails auf der Plattenhülle vor mir, als wenn es Gestern wäre: tatsächlich zählte das Livealbum Miles of Aisles damals Mitte der Siebziger Jahre zum Meistgehörten. L.A. Express nannte sich die bereits bestehende Band, und sie blies frischen Rock-Wind in die Folk-Segel der melancholischen Lady, in Songs wie „Woodstock“ und „Free Man in Paris“. Sollte ich heute einen persönlichen Gitarren-Helden nennen (ein Spiel, das wir ja früher gerne spielten), wäre es wohl jener Mister Ford, Jahre später wiederentdeckt: zunächst Akustikgitarre spielend auf Rickie Lee Jones‘ wunderbarem Album Pop Pop. Irgendwann dann in einem hannoverschen Plattenladen kaufte ich die CD A Handful of Blues. Dem Trio The Blue Line gelang eine fantastische, so noch nie gehörte Präsentation von Stücken im Bereich von Jazz, Funk, Soul und Blues. Natürlich fuhr ich damals nach Hildesheim, um es vor Ort zu geniessen, dort in Twin-Peaks-Atmosphäre umgeben von lauter Motorradrockern in Holzfällerhemden samt Bräuten. Aus meinem Bekanntenkreis kannte niemand diesen Gitarristen. Weil aber wahre Freude stets geteilte ist, war ein gewisser Konrad Heidkamp in seiner Radiosendung voll des Lobes für das Album und E.T. (so das Kennzeichen meines damaligen weissen Polos) telefonierte daraufhin glücklich nach Hause. Das Gitarrenspiel des Robben Ford ist ja in geradezu manischer Weise hauptsächlich auf den Blues fixiert. In ihr liegt aber ein sophisticated element, wie man es bei keinem anderen hört: lockeres Westcoast-Feeling (das Bild vom Surfen passt sehr gut zu mäandernden Riffs, die über wechselnde Akkorde fliegen), hinzu kommt handwerkliche Akkuratheit. Das Wichtigste aber auch hier: die Verbindung von Tradition und Moderne. Wobei mit Letzterem dieses gewisse Etwas gemeint ist, dass der Kultautor Robert M. Pirsig in einer philosophischen Roadstorie als hip bezeichnete, im Gegensatz zu square: es blitzt etwas auf, das Licht wird reflektiert und ein transzendentaler Raum entsteht im „Darüber-Hinaus“. Ein Video-Talk brachte just Klarheit: da ist auch einer, der sich als Autodidakt die Grundlagen schrittweise erarbeitete, fast wie ein Nachzügler. Von anfänglichen „Cowboy-Akkorden“ hin zur Jazzharmonik und dann zum Skalen-Spiel. Hinzu kommt das Lernen rein durch das Gehör. Ich möchte nicht wissen, wie viele gute Musiker gar keine Noten können und trotzdem alles hören. Es ist wie eine Landschaft, in der man sich auskennt und sich intuitiv bewegt, alle Fühler ausgestreckt. Und so kommt es, dass ich ein gutes Dutzend brillianter Songs von Robben Ford in einem Schatzkästchen aufbewahre, hin und wieder daraus einen Zauberring entnehme, den ich mir anstecke – im Nu gepolt und eingenordet: „Here we are again, the Blues has always run the game“. Ein Holzfällerhemd trägt unsereins aber eher selten, eine Harley seht nicht vor dem Haus und auch die Mitgliedschaft in einem Fanclub wird bis auf Weiteres fehlen.

 

 


 
 
 

Nach einem fürstlichen Frühstück machen wir uns gegen halb zehn auf und gehen an den Kiesteichen vorbei (Foto Seerosen) zurück zum Angelbecksteich, wo wir den Weg gestern verlassen hatten. Dort kommen wir in einer Holzhütte mit Aussicht auf den Teich ins Gespräch mit zwei betagten Brüdern aus der Gegend und der Frau des einen, die überrascht sind, dass wir die ganze Strecke von Hamburg bis Celle zu Fuß machen. Der eine Bruder ist vor 70 Jahren in den Ruhrpott gezogen und hat den Akzent angenommen. Unser Weg durch den Wald ist nun dreigeteilt. In der Mitte die Autopiste, links der geschotterte Weg für Radfahrer und Fußgänger, rechts der sandige Reitweg. Wir gehen meist auf der Piste, da es kaum Verkehr gibt und es dort am wenigsten Mücken gibt.

Wir kommen nun am Dehningshof vorbei, vor dem ein Mann eine Zigarette raucht, den ich aus der Ferne für eine Statue halte, weil er sich kaum bewegt. Wir befinden uns hier auf der im 19. Jahrhundert von Postkutschen viel genutzen Celler Heerstraße und der Dehningshof war eine Ausspannstation, wo die Pferde gewechselt wurden. Am Waldesrand stehen zwei Buchen (Foto), die, weil sie kein Harz enthalten, den Waldbrand von 1975 – bis heute der größte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – überlebt haben. Der Weg zieht sich weiter durch den Wald hoch zum Citronenberg. Hier ließ der Überlieferung nach ein Kreuzfahrer den Einheimischen seine kranke Tochter zur Pflege und brachte als Dank anschließend Zitronen mit. Nach den Wildecker Teichen kommen wir an einer weiteren Ausspannstation, dem Forsthaus Kohlenbach (Foto) vorbei, das von einem jungen Paar bewohnt wird. Direkt nach dem Krieg hatte sich hier Eichmann unter falschem Namen einquartiert und war als Waldarbeiter tätig gewesen.

Unsere Mittagspause machen wir in einer halboffenen Schutzhütte, die an einer Kreuzung von Waldpisten liegt. Wir sind gerade beim Essen unserer belegten Brötchen, da taucht aus dem Nichts ein Radfahrer auf. Er fängt sofort an, überschwänglich zu reden, guckt auf seinen Tacho bzw. das GPS-Gerät und meint, er hätte jetzt auf den Meter genau die Hälfte seiner Tour, 111 km absolviert. Es stellt sich heraus, dass er an Orbit 360 teilnimmt, einer in der Coronazeit gegründeten Initiative, die gravel Rundtrips vorsieht, die man nachfahren kann. Wer 10 Orbits geschafft hat, nimmt an der Verlosung eines sehr guten Backroadrades teil. Er scheint da ziemlich weit vorne zu liegen. Wir tauschen uns ausgiebig über Radferntouren und Fernwandern aus und nachdem er die Kette geölt hat, schwingt er sich wieder aufs Rad für die nächsten 111 km, die er heute noch vor sich hat. Er wusste übrigens gerade mal, dass er in der Lüneburger Heide war, ansonsten hatte er von der Außenwelt wenig mitbekommen. Ich gebe ihm noch den Tipp mit, in Wilsede zumindest den 1 Km-Abstecher zum Totengrund zu machen.

Kurz nachdem wir wieder auf unserem Weg sind, fängt es an zu regnen und hört bis zum Ende der Etappe auch nur noch kurz für 20 Minuten auf. Wir spannen die Regenschirme auf und stellen uns, als der Regen stärker wird, ein paar Minuten an einem Hochstand unter. Man hört nun in der Ferne großkalibrige Schüsse. Wir gehen direkt auf einen heute privat betriebenen Schießplatz zu. Neben uns ein Standortübungsplatz der Bundeswehr, vor dessen Betreten aufgrund von Blindgängern gewarnt wird. In Scheuen treten wir plötzlich aus dem Wald und stehen vor einer großen, kurz geschnittenen Wiesenfläche, einem Segelflugplatz. Durch eine Siedlung kommen wir – nach gut 20 Km rechtschaffen erschöpft – zu unserer Unterkunft, direkt an der verkehrsreichen Hauptstraße nach Celle gelegen. Eine junge Ukrainerin, die kaum deutsch spricht, öffnet uns unser Zimmer.

2023 25 Aug

Kant avec de Sade

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Die Lehr- und Zuchtanstalt des öffentlich rechtlichen Fernsehens hat nun hierzulande die Komik Ottos als despektierlich angesehen. Wahrscheinlich würde auch eine Serie wie Mad Men aus ähnlich pädagogischen Gründen niemals im Programm auftauchen – wenigstens aber mit den Untertiteln „Rauchen schädigt die Gesundheit“ und „Whiskey trinken zur Mittagszeit ist strafbar“ versehen. Vor gut vierzig Jahren erschien ein Buch der Psychoanalytikerin Alice Miller, in dem die Wortschöpfungen eines Neurotikers als Heilerfolg gewertet und aufgelistet wurden: eine auflockernde Kaskade phantasievoller Beschimpfungen, wie sie Peter Sloterdjk hätte erfinden können, wäre er versehentlich in die Badlands geraten. Eine kleine Perle ist die Komödie „Ein Tick anders“ mit Jasna Fritzi Bauer als Teenager mit Tourette-Syndrom. Sie landet sogar einen Schlager-Hit mit dem Titel „Warum Licht aus deinem Arsch kommt“ (steht schon auf der schwarzen Liste der massgeblichen Sender). Auch die genial-obszöne Wortkunst des Sprösslings Roman Roy in der Serie Succession, die als zynische Familienaufstellung neo-bourgeoiser Provenienz gelten könnte, würde es niemals in das deutsche Fernsehen schaffen. Muss sie auch nicht, denn bis die Damen und Herren dort geschnallt haben, dass Synchronisationen es nicht bringen, wird auf diesem Planeten eh kein Mensch mehr zu finden sein. Generell sei zu meinen Serien-Vergnügungen gesagt: wenn bei Slavoj Zizek Kant nur mit de Sade durchgeht und bei Cioran das Nirvana nur mit Kaffee zu ertragen ist, füge ich hinzu: Ted Lasso immer gerne, aber nur mit Breaking Bad.

 

 


 
 

 
 
 

Nach zwei Tagen, in denen wir verwöhnt wurden und Kräfte gesammelt haben sowie uns Hermannsburg angeguckt haben und zum Gaußstein am Breithorn gewandert waren, nun wieder eine Etappe, die uns auf dem Weg etwas vorwärtsbringt. Wobei wir uns am Ende gerade einmal 4 km nach Süden bewegen und uns dann auch noch rund 3 km vom Weg entfernen, wobei wir 15 km zu Fuß zurücklegen, der Weg macht einen ziemlichen Schlenker, der sich aber lohnt. Ein anderer Grund für diese Art von Echternacher Springprozession (zwei Schritte vor, ein Schritt zurück) ist die Tatsache, dass wir keine Unterkunft direkt auf dem Weg mehr gefunden haben, da ich mit der Reservierung erst im Juli begonnen hatte, was offensichtlich etwas zu optimistisch war, da wir jetzt ja auch Hauptsaison haben.

Wir kommen erst gegen 10 Uhr los, ein sonniger Sommertag ist da bereits im Gange. Innerhalb von 5 Minuten sind wir in der Natur, passieren einen Reiterhof mit Reitbahn, auf der ein Pferd mit Reiterin unter Aufsicht von zwei Lehrern im Kreise herumtrabt. Ein Maisfeld wird zum Testen verschiedener gentechnisch veränderter Saatguten genutzt, besonders hoch wächst die Sorte Monster (Foto). Auf einem anderen Hof liegt hinter dem Schafstall Heidschnuckenwolle (Foto), wir nehmen uns ein Büschel und entrichten einen Obolus. Wir kommen nun in die Misselhorner Heide (Foto), die durch einen 8 km langen Rundwanderweg erschlossen ist, der heute sehr gut besucht ist. Diese wunderschön violett blühende Heide zeichnet sich durch eine wellige Struktur und sandige, mäandernde Wege aus, die mit vielen Kiefernwurzeln bedeckt sind, eine Stolperfalle, die ich so gerade eben meistere. Auf den Wegen liegen zudem Kiefernzapfen und -nadeln und es riecht demgemäß stark nach Kiefer; es kommt Sommerurlaubsstimmung wie an der Ostsee am Darß oder auch in den Landes bei Bordeaux auf.

Nach einem Päuschen auf einer Bank im Halbschatten – die halboffene Schutzhütte im Vollschatten ist besetzt – verlassen wir die Heideschleife und befinden uns wieder in der Waldeinsamkeit. Die Wege sind wieder gerade, man kann gefühlt bis zum Horizont gucken und sieht nun wieder vereinzelt Menschen in der Ferne. Unser Blick schweift jedoch auch auf den Boden, wo wir das emsige Treiben der Kotkugeln drehenden Mistkäfer (Foto) beobachten. Als neue Schmetterlingsart in unserer Wahrnehmung begrüßen wir den Kaisermantel. Zwei Exemplare schwirren umeinander herum (Foto). Wir kommen zu einem großen Findling, der an den Brand in der Lüneburger Heide im August 1975 erinnert, bei dem 300 Feuer insgesamt 13.000 ha Fläche und damit einen großen Teil der Heide vernichteten.

Weiter geht es nun über zwei Straßen und wir sehen drei Autos, die auf der schnurgeraden mit 100 km/h und mehr befahrenen Straße zwischen Fahrbahnrandmarkierung und Grünstreifen parken. Hier ist ein Zugang zu den Oldendorfer Kiesteichen, die zum Angeln, aber auch zum Baden einladen. Wir gehen in den Schatten einer Kiefer zu dem recht einsam daliegenden See links und stürzen uns in die Fluten (Foto). Das Wasser ist an der Oberfläche angenehm temperiert, sobald man sich senkrechter stellt, ist es jedoch eiskalt für den Unterkörper und somit sehr erfrischend. Ein schöner Abschluss der heutigen Wanderung.

2023 23 Aug

Regenhunde

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Kurz nachdem ich 1992 im zweiten Anlauf meine Führerscheinprüfung bestanden hatte, spielten die Beastie Boys in Vorprogramm von Public Enemy in der Leinemetropole. Das Album „Check Yo Head“ war gerade erschienen. Ich durfte mir das Auto meiner Eltern ausleihen und fuhr gemeinsam mit meiner Freundin dorthin. Übernachten konnten wir in der Asternstraße, bei einem Onkel und einer Tante von mir. Das Konzert war großartig: zwei Bands auf ihrem künstlerischen Zenith. Sehr beeindruckt waren wir auch von dem Publikum: die meisten waren älter als wir, wirkten unendlich cool – und dann wurde auch noch in aller Öffentlichkeit gekifft. Verrücktes Großstadtleben. Am nächsten Morgen blieben wir noch ein bisschen in der Altbauwohnung und waren auch da beeindruckt: meterweise Bücher, Schallplatten und CDs, schöne Bilder an den Wänden, schicke Möbel. Zum Frühstück legte ich ein Album auf, über das ich schon gelesen hatte, „Rain Dogs“ von Tom Waits. Wir haben nicht viel geredet, sondern uns von dieser merkwürdigen Musik einhüllen lassen. Das Album habe ich nie wieder gehört (im Gegensatz zu zahlreichen anderen Tom Waits Aufnahmen), nur das Stück „Clap Hands“ begegnete mir Jahre später auf einem sehr schönen Sampler. Das Foto auf dem Cover habe ich in diesem Jahr auf einer Ausstellung gesehen. Im nächsten Monat wird „Rain Dogs“ auf LP und CD wiederveröffentlicht. Ich bin gespannt.

 

 

10 Jahre muss es her sein, dass ich erstmals die Existenz von YouTubern oder Live Streams registriert habe. Mein Sohn spielte damals Minecraft und wir Eltern waren verwundert, dass er seine limitierte Bildschirmzeit darauf verwendete, anderen Menschen beim Zocken und Labern zuzuschauen. In den darauf folgenden Jahren habe ich zahlreiche Tutorials geschaut, über die Aufzucht und Verarbeitung von Chilis, Rezepte, Rezensionen, Sportübungen, usw. – das kennen ja heutzutage alle.

Nun ist aber etwas neues in mein Leben getreten: der Livestream. Nicht über ein Event (wie eine Fußball-WM), sondern von einer Privatperson, wahrscheinlich ist hier „influencer“ der richtige Begriff. Freitag abends heißt es jedenfalls seit ca. 2 Monaten immer wieder „Sorry, I have Stunty Tonight.“ Unter dem Namen StuntrockConfusion streamt ein (ehemaliger?) Techno-DJ zweieinhalb Stunden aus einer kleinen Waldhütte in Schweden. Stunty scheint ein schier unerschöpfliches Wissen über Musik zu haben, plus eine geschätzt fünfstellige Plattensammlung, und spielt den Zuhörern seine Schätze vor: ein bunte Tüte aus allen Spielformen der elektronischen Musik, Avantgarde, Klassik, Musik aus allen Kontinenten, Dub, musique concrète, … – von obskur bis sehr obskur ist alles dabei. Ich kenne in ungefähr jedem zweiten Stream mal ein Stück.

Zum Beispiel scheint Stunty sich in den letzten Wochen und Monaten einen ganzen Stapel LPs von Asmus Tietchens gekauft zu haben, die er gerne auflegt. Der Fluxus Künstler Hermann Nitsch war auch zweimal dabei, oder die portugiesische Formation Telectu, ein Duo, Keyboard und Gitarre, das in den 80er Jahren in den Grenzgebieten zwischen Minimal Music, Jazz und elektronischer Musik unterwegs war. Das Album „Belzebu“ habe ich als Reissue relativ günstig aus England bestellt (und zum Glück keinen Zoll bezahlt). Auf jeder Seite gehen drei Stücke ineinander über, rhythmisch verzahnte Pattern setzen ein und aus, verändern allmählich ihr Verhältnis zueinander, bis sie sich wieder in das elektronische Grundrauschen zurückziehen. Die Musik bereitet mir viel Freude, leider sind die anderen Werke dieser Formation nur schwer zu bekommen und entsprechend kostspielig. Für solche und weitere Entdeckungen – zum Beispiel die wunderbaren Cello Interpretationen von Charles Curtis, von dessem Album „Performances & Recordings: 1998 – 2018“ ich gerade jeden Abend eine Seite höre – sage ich an Freitagabenden gerne hin und wieder „sorry, I have Stunty tonight.“

 

 


 
 

 
 
 

Nach einer durchschlafenen Nacht – irgendwann holt sich der Körper den nötigen Schlaf – ist heute auch die Wanderkluft vollständig getrocknet, neben dem ausreichenden Frühstück sowie dem Wetterbericht, der trockene 25 Grad verheißt, ideale Voraussetzungen für eine mit 20 km Länge optimal dimensionierte Etappe, deren Schlussstück eine Variante des Heidschnuckenwegs darstellt, da wir in Hermannsburg Verwandtschaft besuchen und dort drei Nächte verbringen werden.

Wir gehen aus Wietzendorf heraus und befinden uns bald in der berühmten Szene aus North by Northwest, rechts neben uns ein Maisfeld, vor uns ein Schild, das vor Flugzeugen warnt. Es ist dann – wie im Film – nochmal ganz knapp gut gegangen. Nach dem Verlassen der Straße landen wir in einer Landschaft, in der die Heide zum größten Teil abgestorben ist (Foto), da hat wohl lange niemand mehr geplaggt. Nun geht es auf breitem sandigen, schnurgeraden Weg, der auch viel militärisch genutzt wird, in den Wald. Mehrere Schilder untersagen dem Militär jedoch ausdrücklich, gewisse Seitenwege zu benutzen, die zumindest zum Teil in privater Hand sind. Wir kommen auf eine riesige, betonierte Kreuzung (Foto), wo sich sieben Wege treffen. Dort rasten wir auf einer Bank in der Waldeinsamkeit, die zunächst nur durch unsere bereits erwähnten beiden Wandergenossinnen gestört wird, die kurz nach uns eintreffen. Plötzlich wird die Ruhe unterbrochen durch ein Ungeheuer mit vier riesigen Rädern, ein Baufahrzeug, das zivile Zwecke erfüllt, das aus einem der Privatwege herauskommt, die für die Bundeswehr tabu sind.

Kurz vor dem Wietzer Berg sorgt eine große, hoch aufgehängte Holzschaukel für Abwechslung, die sich als schwierig zu beschaukeln erweist. Am Wietzer Berg befinden wir uns wieder in der Heide: sie blüht jetzt zu 100%, was lange nicht der Fall gewesen ist. Hier treffen wir auch wieder auf Menschen, die die herrliche Umgebung des Hermann-Löns-Denkmals (Foto) zu kurzen Eskapaden vom Parkplatz nutzen.

Anschließend nähern wir uns Müden, wo wir am Straßenrand auf einer Holzbank unsere Mittagspause machen. Kurz danach geht es durch den schönen Park an der Oertze. Der Ort mit seinen großen Fachwerkhöfen ist sehr großzügig angelegt, nachdem am Sonntag die Busse für volle Cafés gesorgt hatten, ist allerdings heute idyllische Ruhe angesagt, alle Lokale bis auf den Supermarkt sind geschlossen. Das soll uns recht sein. Die St. Laurentius-Kirche mit dem Holzglockenturm (Foto) ist wie alle Kirchen hier offen und zeichnet sich innen (Foto) durch zwei weiße Holzemporen aus, die für einen intimen Charakter sorgen. Wir tauchen unsere von den Wanderstrapazen und den Mückenstichen zerschundenen Beine an der Wassertretstelle (Foto mit Mühle im Hintergrund) in die Oertze. Nach einem Rundgang am Geländer fühle ich Eisblöcke unterhalb der Kniee, die Wassertemperatur dürfte knapp über 10 Grad sein. Eine bessere Erfrischung für die Füße ist kaum vorstellbar.

Die letzten 6,5 km nach Hermannsburg gehen wir mehr oder weniger geradeaus auf einer Piste durch den Wald, wir benutzen die Fahrbahn, Autos kommen keine, die Fahrräder fahren an der Seite auf dem schmalen eigentlich für Fußgänger und Radfahrerer vorgesehenen Weg. Wir erwehren uns der dramatisch zunehmenden Mückendichte mit biologisch abbaubarem Mückenspray. In Hermannsburg werden wir von weitem begrüßt.


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