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Archives: Memory Lane

2023 23 Aug

Regenhunde

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Kurz nachdem ich 1992 im zweiten Anlauf meine Führerscheinprüfung bestanden hatte, spielten die Beastie Boys in Vorprogramm von Public Enemy in der Leinemetropole. Das Album „Check Yo Head“ war gerade erschienen. Ich durfte mir das Auto meiner Eltern ausleihen und fuhr gemeinsam mit meiner Freundin dorthin. Übernachten konnten wir in der Asternstraße, bei einem Onkel und einer Tante von mir. Das Konzert war großartig: zwei Bands auf ihrem künstlerischen Zenith. Sehr beeindruckt waren wir auch von dem Publikum: die meisten waren älter als wir, wirkten unendlich cool – und dann wurde auch noch in aller Öffentlichkeit gekifft. Verrücktes Großstadtleben. Am nächsten Morgen blieben wir noch ein bisschen in der Altbauwohnung und waren auch da beeindruckt: meterweise Bücher, Schallplatten und CDs, schöne Bilder an den Wänden, schicke Möbel. Zum Frühstück legte ich ein Album auf, über das ich schon gelesen hatte, „Rain Dogs“ von Tom Waits. Wir haben nicht viel geredet, sondern uns von dieser merkwürdigen Musik einhüllen lassen. Das Album habe ich nie wieder gehört (im Gegensatz zu zahlreichen anderen Tom Waits Aufnahmen), nur das Stück „Clap Hands“ begegnete mir Jahre später auf einem sehr schönen Sampler. Das Foto auf dem Cover habe ich in diesem Jahr auf einer Ausstellung gesehen. Im nächsten Monat wird „Rain Dogs“ auf LP und CD wiederveröffentlicht. Ich bin gespannt.

 

Hieronymus Bosch als Cover-Artwork zu verwenden ist wahrlich dick aufgetragen – ein selbstbewusstes Statement, den „Garten der Lüste“ auszusuchen für Songs wie „Komm (so nah wie du kannst)“, „Tanz mit mir“ oder „Im Fieber“, Songs die klingen, als hätten die Commodores oder Sade Pate gestanden.

Bin ich objektiv? Vor 30 Jahren wurde Blumfelds „Ich-Maschine“ veröffentlicht, seitdem habe ich mir jedes Album der Band und später die beiden Solo Alben ihres Sängers Jochen Distelmeyer gekauft, immer kurz nach der Veröffentlichung. Die Musik hat zu meiner Gehörbildung beigetragen, die Texte besonders der ersten beiden Alben haben mein Bewusstsein und meinen Horizont erweitert. Von den Erinnerungen ganz zu schweigen: Konzerte, zum Beispiel im Haus der Jugend in Bramsche (zusammen mit den damals großartigen Cpt. Kirk &.), auf Festivals (zusammen mit Notwist und Eins Zwo, was für eine Mischung), der Moment als „L‘Etat Et Moi“ auf einmal in einem Ratio Supermarkt in Osnabrück vor mir stand (der in meiner frühen Kindheit ernsthaft auf den Namen EKZ hörte), vor allem aber der sehr verkaterte Morgen nach einer Geburtstagsparty, als ein Freund eine gebrannte CD auflegte und „Tausend Tränen Tief“ und der Rest von „Old Nobody“ durch die WG-Küche klangen, 6 Wochen oder so vor der eigentlichen Veröffentlichung – der Wechsel von an den Wipers oder Sonic Youth geschulten Klängen, die den Hintergrund für die verdichteten Wortkaskaden Distelmeyers bildeten, hin zu Sounds und Texten die an Münchener Freiheit erinnerten, war mindestens gewöhnungsbedürftig. Die Kinnladen brauchten etwas, bis sie sich wieder schlossen – jetzt ist „Old Nobody“ ein Insel Album für mich. Oder doch lieber „L‘Etat Et Moi“ mitnehmen? Egal, jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.

Ich könnte noch ein paar Absätze down memory lane verbringen, von dem großartigen Abschiedskonzert in Berlin habe ich noch nicht berichtet, von zahlreichen tollen Musikvideos, prägenden Songs, T-Shirts, von der beeindruckenden Lesung zu dem allerdings nicht ganz so gelungenen Roman, die genau an dem ersten Jahrestag des Todes meines Vaters stattfand, … ich wollte ja nur meinen Mangel an Objektivität verdeutlichen. In meiner Umgebung hat die Begeisterung nicht bis jetzt gehalten, besonders der Song vom Apfelmann hat polarisiert. Mir egal, ich mochte auch den sehr gerne, als der 2006 erschien, waren die Kinder genau in dem richtigen Alter dafür und die Live Version auf diesem Abschiedskonzert, kann man auf YouTube schauen, rockte ziemlich.

Es überrascht jetzt wohl keinen mehr, daß „Gefühlte Wahrheiten“, das erste Album Distelmeyers mit eigenem Material seit 2009, mein Album des Jahres ist. Besser wird es für mich 2022 nicht. Die Menschen, die über mir wohnen, „meine Decke ist ihr Boden“, können das sicher bestätigen.

12 Songs auf 4 Plattenseiten – all killers, no fillers meiner bescheidenen Meinung nach und auf jeder Seite findet sich mindestens ein Lied für die Ewigkeit. Nach den überwiegend schwülen, schwebenden, souligen Songs der ersten Platte finden sich drei Country Songs auf Englisch (ich will mehr davon!), ein langer Talking Blues, Folk, Pop. Ganz zu schweigen von „Nur der Mond“, der erste Pop Song seit Ewigkeiten in dessen Gitarrensolo ich mich verliebt habe.

Zum Schluss: Das großartigste an diesem Album ist für mich der Gesang: jede Silbe, jeder Ton und alles andere auch werden dermassen präzise auskostet, wie ich es von einem Popalbum deutscher Sprache nicht erinnere. Jochen Distelmeyer hat seine Kunst auf einem sehr hohen Niveau weiter verfeinert tiefe Verbeugung.

Im Sommer 1999 war ich gerade Vater geworden und raus aus der Potsdamer WG, hinein in die Kleinfamilie und eine 3-Raum Wohnung in der Nähe des Ostkreuzes in Berlin-Friedrichshain gezogen. Dort schnell gemerkt, wie sich das Leben verändert, ja, auch unheimlich wird. Ich kaufte einen gebrauchten Röhrenfernseher, einen Videorekorder und stapelweise VHS-Kassetten, auf denen dann mit Showview Filme aufgezeichnet wurden. Eines Abends sah ich „Midnight Cowboy“, der muss kurz vorher im Spätprogramm gelaufen sein. Ich erinnere wenig, hauptsächlich einen großen Cowboy Hut und eine Lederjacke, Jon Voight und Dustin Hoffmann, ich erinnere mich, dass ich sehr beeindruckt war von den Bildern, vor allem aber in the echoes of my mind: „Everybody‘s Talking“ von Harry Nilsson. Kurz darauf fand ich eine „Best of Harry Nilsson“ auf dem Flohmarkt des Boxhagener Platzes, entwickelte eine kleine Obsession, kaufte die gesamten „Schmilsson“ Alben und traktierte zu fortgeschrittenen Stunden auf Feiern immer wieder Menschen mit „Coconut“ (das wiederum einen Auftritt in „Reservoir Dogs“ hat, meine ich mich zu erinnern).


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