Manafonistas

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Archives: März 2022

Die erste Bananenmilch meines Lebens habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, bei dem Jungen im dritten Stock bekommen. Außer der Tatsache, dass wir im gleichen Haus wohnten, verband uns das Theaterspielen mit Handpuppen: einem Krokodil und den damals üblichen Verdächtigen (Prinzessin, Kasper, Räuber, Polizist). Die Bananenmilch war sehr fein püriert und ich war erstaunt darüber, dass meine Mutter, die Rezepte aus Bücher und Zeitschriften recherchierte, so etwas nicht in ihrem Repertoire hatte. Ich verglich die Bananenmilchmixgetränke die ich selbst zubereitete, immer mit diesem Ideal aus dem Kinderzimmer. Mit meinem Stabmixer, schon lange in meinem Haushalt, gelingt mir die feine Konsistenz jedenfalls nicht. Nun habe ich mir kürzlich einen Mini-Standmixer gekauft und  auch gleich ein Buch mit Smoothierezepten. Das Rezept, das mich bisher am meisten überzeugt, stammt jedoch nicht aus diesem Buch. Eine Freundin hat es mir geschickt. Tatsächlich handelt es sich um ein Rezept, das ihr ein Arzt verordnet hat. Sie schrieb mir, sie hätte über einen längeren Zeitraum zwei Mal täglich diesen Smoothie getrunken, und inzwischen bereitet sie ihn zweimal pro Woche zu. Es sei wie eine Medizin, habe sie verwandelt. Es ist ein grüner Smoothe. Ich habe ihn gestern und heute zubereitet und bin überrascht: Ich fühle mich gleichzeitig beruhigt, entspannt, beschwingt und zuversichtlich, und das bereits nach kurzer Zeit. Können magische Pilze mehr bewirken?

Hier die Zutaten (Menge jeweils nach Geschmack oder Intuition):

 

Mango-Orangensaft als Basis
Pfefferminzblätter
Petersilie
frischer Koriander
ein paar Spinatblätter
1/2 Stange Staudensellerie
Ein Stück kleingeschnittene Schlangengurke
Etwas Zitronensaft

Alles kleinschneiden und im Standmixer pürieren.

 

 

 

„Ah, diese Scheißwälder, wie sie rauschen und rauschen und rauschen.“

– Peter Handke, Versuch über den Pilznarren

 

Meskalin Kakteen spielen eine sehr wichtige Rolle in der lateinamerikanischen schamanischen Kultur. Meskalin ist ein psychoaktives Alkaloid, das intensive visuelle Effekte und einen stark veränderten Bewusstseinszustand induziert. Peyote (Lophophora williamsii) aus Mexiko ist ein bekannter Meskalin-Kaktus. Es gibt aber noch weitere, weniger bekannte Arten von Meskalin Kakteen, wie San Pedro (Echinopsis pachanoi) und den Peruanischen Stangenkaktus (Echinopsis peruviana).

Zamnesia bietet eine  Auswahl an Pilzen und Meskalin Kakteen an, die sich für die Aufzucht zuhause eignen. Es ist absolut legal, sie in Deutschland zu erwerben und mit ihnen private Grünflächen reizvoll zu erweitern. Die Stecklinge können einfach in Erde gegeben werden – und der Kaktus wird Wurzeln schlagen und wachsen als wäre nichts geschehen!“ Vor einer leichtfertigen Nutzung dieser Exoten, ohne fachfrauliche Unterweisung, wird dringend abgeraten. (Herr Handke hat übrigens einen Narren insbesondere an Steinpilzen gefressen, wie man seinem Erzählwerk unschwer entnehmen kann. Aldi hat in dieser Hinsicht öfter was Spannendes  im Angebot.)

Wer sich näher mit dem Thema befassen möchte, sei auf Michael Pollans hochinteressantes Buch „Kaffee. Mohn. Kaktus“ verwiesen, das sich der Kulturgeschichte einiger psychoaktiver Drogen widmet, und die Räume bewusstseinsverändernder Substanzen so geistreich wie sinnlich erkundet. Dieser kritische, aber erfahrungshungrige Rationalist (Jahrgang 1955) holt dabei so manchen Erfahrungshorizont aus esoterischen Gefilden zurück in Heim und Garten, verbindet en passant sozialpolitische Aufklärung mit praktischer Pflanzenkunde und reflektierter Selbsterfahrung.

Das Klavier trat mit der Entwicklung der temperierten Stimmung und einer zunehmend ausgefeilteren Technik, die mit einem beachtlichen Lautstärkezuwachs einherging, als Instrument einen epochalen Siegeszug an und ist als zentrales Instrument komplex polyphoner Musik aus der zeitgenössischen Musik (egal welchen Genre’s) nicht mehr wegzudenken. Daraus ergibt sich eine unglaubliche Ausdrucksvielfalt, die sich in einigen Veröffentlichungen dieses doch noch recht jungen Jahres wiederspiegelt.

Scheinbar zurück zu den Anfängen geht Francesco Tristano in On Early Music, wo er Stücke ehemals populärer englischer Spätrenaissancemusiker, wie Orlando Gibbons, John Bull oder Peter Philips den Werken des Italieners Girolamo Frescobaldi gegenüberstellt und nicht zuletzt stilistisch behutsam adaptierten Eigenkompositionen. Nun begibt er sich aber nicht bieder in die Welt der alten Musiker, dafür hat er zu viel elektronische Musik gemacht und u.a. mit Carl Craig zusammen improvisiert. Diese alte Musik hört sich von der Harmonik her „alt“ an, ist sonst aber groovig, frisch und wirkt völlig unverbraucht. Oft interpretiert er die Stücke, so wie es damals oft üblich war, sehr offen und zeitgemäß. Bein zweiten, dritten mal hören sind mir dann die kleinen und subtilen Bearbeitungen aufgefallen, die dazu beitragen, dass sich diese wohltuend von der 2793sten artigen Interpretation absetzten und sehr aktuell klingen. Eine wunderbare Hommage an die frühe Musik, die zwischen allen Stühlen tanzt. Ganz anders Vanessa Wagner’s Study of the Invisible. Die französische Pianistin, die für ihre wunderbare Zusammenarbeit mit Murcof und ihre exquisite Wahl der Stücke auf ihren letzten Alben auch außerhalb der Klassikszene bekannt geworden ist, setzt diesen Weg auf ihrem neuen Album fort, dessen ältestes Stück ein Präludium in A-moll von Moondog ist und sie dann Stücke von Harold Budd, Brian und Roger Eno, einigen der frühen amerikanischen Minimalisten und natürlich auch von Philip Glass spielt – eine wunderbare und sensible Auswahl. Doch im Gegensatz zu Tristano, der die Musik herausfordert, sie in die Gegenwart lockt, befördert Wagner die zeitgenössische Musik in eine feine, genaue klassische Darstellung. Hier wird ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Spielen, Interpretation, Covern oder gar darüber Improvisieren erkennbar und ich habe mich in diesem Kontrast mehrfach gefragt, wie ich die Unterschiede fassen könnte. Dann gibt es auf Study of the Invisible auch Stücke von Bryce Dessner, Nico Muhly und Timo Andres und nicht zuletzt von Suzanne Ciani. Vanessa Wagner schreibt, sie sei „fasziniert davon, Intensität auch ohne eine Sintflut von Noten zu ergründen, durch Einfachheit als Mittel des Ausdrucks“. Dabei verbindet sie die unterschiedlichen Stücke mit genau dieser Intensität zu einem intimen Exkurs in aktueller Klaviermusik, deren Höhepunkt unzweifelhaft Caroline Shaw’s über 13 Minuten langes Gustave Le Gray darstellt. Ein Album, dass das unsichtbar Verbindende, das unsichtbar über die Gegenwart hinaus Weisende wennschon nicht sichtbar, dann doch auf bemerkenswerte Weise hörbar macht.

 
 

       

 
 

Eine andere Leichtigkeit hat 4 Hands von Roedelius & Tim Story, wo die beiden Pianisten nach bewährter Arbeitsweise improvisieren, fast absichtslos den Augenblick kultivieren und sich dabei dennoch nicht wiederholen, sondern im Flow wie Reflexionen der Sonne auf bewegtem Wasser hüpfen und gleiten, lebendig und niemals banal. Ein Album, das fest in der Zeitlosigkeit wurzelt und ein Grund mehr sich tief vor dem 87jährigen Urgestein der deutschen Musikszene mit seinem Faible für eleganten Eigensinn zu verneigen! Und schließlich wurde kürzlich Morteza Mahjubi’s Selected Improvisations from Golha, Pt.II (von 1956-1965) veröffentlicht, der mit der gleichen Leichtigkeit wie Roedelius auf dem Klavier improvisierte, wobei er als erstes die Temperierung gründlich rückgängig machte und das Instrument nach lange entwickelter Methode in alten persischen Skalen stimmte. Was sich zu Beginn für das europäische Ohr deutlich verstimmt anhört, nimmt bald mit all seinen Schwebungen und feinen Dissonanzen den Raum zwischen den Ohren völlig ein, offenbart ein schillerndes Spektrum des modernen Orients, eine funkelnde Schatzhöhle, an der Gurdjieff sicher seine Freude gehabt hätte, ein Geisterspiel zwischen hypnotischen Trancen und dem unhörbaren Staub auf alten Schellackplatten. Eine Musik, die zum Visualisieren einlädt, ohne dass es in meinem Kopf je einen assoziierbaren Raum gegeben hätte…

 
 

       

 

2022 26 Mrz

The faded

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pointed

logo

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faded

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Soeben erschien im C.H. Beck-Verlag ein fesselndes Buch über die berühmteste Garagenband Liverpools. Anthony Quinn bemerkte dazu im Guardian etwas, das jedem widerfährt, der diese Musik liebt und, so viel später, ein wenig schlauer, oder „still crazy after all these years“, über sie liest (und dieser Craig Brown versteht es, fabelhaft flüssig zu schreiben):

 

„Dies ist das seltsame Paradoxon der Beatles. Wenn man den Sound hört, den John, Paul, George und Ringo geschaffen haben, fühlt man sich immer noch in das „Glück und den Rausch“ versetzt, von dem ihr Produzent, der Gentleman George Martin, sprach. Über sie zu lesen, ist dagegen eine ziemlich melancholische Erfahrung, weil das Ende immer in Sicht zu sein scheint.“

Manche werden sich daran erinnern, dass ich das Buch in einer Radionacht in Köln kurz vorstellte, und es ist wahrlich nicht das klamaukige Buch, das sich manche vorstellen, wenn sie das Cover sehen. Besonders hervorzuheben ist beispielsweise, wie sich der Autor vielen Randfiguren widmet, und damit ungewohnte Perspektiven öffnet.

Zum Beispiel die traurige Gestalt des ehemaligen Polizeibeamten Eric Clague, der durch Zufall herausfindet, dass die Frau, die er Jahre zuvor versehentlich überfahren und getötet hatte, Julia Lennon, Johns Mutter, war. Selbst diese guten alten Zeiten waren, neben aller „never ending magic“, eben auch gut abgefüllt mit Drogen und Dramen, und sind doch so sehnsüchtig besetzt, mit dieser grandiosen Musik und unseren Erinnerungen, dass alle Zeitmaschinen in die Jahre 1963 bis 1970 Richtung Liverpool und London restlos ausgebucht wären.

Der schnellste Weg zurück: die „Esher Demos“. Wir sind im Wohnzimmer vom George Harrison. Mai 1968. Die Vier spielen, sie plaudern, und es klingt grossartig. Unglaublich, aber das alles war einmal unverrückbare, fast unvergängliche, Gegenwart. ENJOY THE TRIP!

 

„On listening back to the finished album, I felt that it could be seen as a series of short stories or photographs of indiviudual scenes, each containing their own character. It was only after I‘d finalised the running order, that I realised just how much of a close relationship one piece has to another, and it was this realisation perhaps that led me to the album‘s title. I thought about how our years comprise of moments, days and changing months, of how we live our lives in facets, how we catch fleeting glimpses, how we walk through our lives. How we notice the turning year.“

(Roger Eno)

 

 

 



It happens that things and sounds which move at the edges, almost shadowily, have an equally profound influence on the centre of things as that which sparks in the burning glass of concentrated attention. In this way, „The Turning Year“ is a little masterpiece (to be released on April, 22, on vinyl, cd and dl).  I know most of Roger Eno’s albums since his first appearance on a milestone from  the „golden years of Ambient Music“ („Apollo“) quite well. Before the word „neo-classical“ became the „simplifier“ for introspective explorations between classically trained / self-taught composing  and contemporary sound-shifting, his first solo album „Voices“ (when will this gem be carefully reissued, along with Michael Brook’s „Hybrid“ – two treasures from Bob and Dan Lanois’ Grant Avenue Studios in Hamilton, Ontario) set the bar high for a music, that didn‘t grab for attention, but provided us armchair travellers with a peace of mind and a contemplative mood that (most of the time, in the years and works to come) found a delicate balance between harmonic figurations, melodic gestures and surprising „second sounds“ resp. „atmospheric values“ wrapped around them.

And when that happens, the trap of cheap saccharine trickery is a thousand miles away. This is damned serious music with a child-like sense of wonder.

And once inside this new music, with Roger’s hushed piano figures (how can softness be so thrilling?), the contributions of the string ensemble „Scoring Berlin“ – and Tibor Reman‘s clarinet on the title called „On The Horizon“, many listeners will be hungry not to miss a second, hungry for tiny details, distant echoes, the full experience of an always fragile now.

In contrast to the very different (kind of „nomadic“) life of brother Brian, Roger Eno decided from early on to not leave too often the landscapes of his „heimat“ in Suffolk / Norfolk – the geographics of East Anglia. And when the album starts with „A Place We Once Walked“, we can assume he’s trying to restore forgotten feelings and sights and things with the quiet power of sound. Think for yourself what’s going on when discovering (out of nowhere) a nearly forgotten walking path from the ole’ days, the kind of shiver running down the spine, the rush of pale memories. Roger Eno is masterfully catching such fleeting glimpses. And some of  these pastoral sceneries require a „double take“: traces of the uncanny, hidden behind many a shimmering surface. By the way, open the gatefold cover and you‘ll find an assembly of small photos enhancing all these sepia-tinged „East Anglia“-hinterland vibes.

I love to listen to this album on vinyl, and I‘ve done so for a while now (thanks to Martin G from DGG), but, to be honest, I‘ve had one little problem with the longplayer. More than once I looked at the circling vinyl trying to figure out, if there‘s still some running time left. I just wanted the music to stay just a little bit longer. In times like these, this music is medicine.

 

 

Vor etwa sechs Wochen hatte ich mir in der Stadtbibliothek ein Buch von Andreas Reckwitz vormerken lassen, das nun zur Abholung bereit stand. Lajla erwähnte es einmal hier auf dem Blog, so wurde ich darauf aufmerksam: „Die Gesellschaft der Singularitäten – zum Strukturwandel der Moderne“, erschienen bei Suhrkamp. Ich zögerte zunächst, es abzuholen, da sich meiner Vermutung nach durch den Kriegsbeginn etwas grundlegend verändert hatte: wen interessierten denn jetzt noch die Befindlichkeiten kulturell überzüchteter Individuen, wie sie in der langen Friedensblase meiner Zeit entstehen konnten? Aber man soll ja nicht nur dem Frieden eine Chance geben, wie einst John und Yoko sangen, sondern auch einem Autor, von dem man schon viel Gutes hörte und auf YouTube gar sah. Seit ich Bücher nur noch sehr selten konzentriert von vorne bis hinten durchlese, meistens, wie eine Freundin neulich bemerkte, auf der dritten Seite schon vergessen habe, was auf der ersten Seite stand, hat sich eine neue Technik durchgesetzt: ich stöbere im Buch herum, schlage blindlings eine Seite auf, wie ein Adler auf die Zeilen stürzend, um Beute zu machen. Sätze und Gedanken, die zum Weiterdenken Anlass geben oder längst Geahntes explizieren, wie ein Messerwetzer wirken für den Geist. Beispiel: der Autor bezeichnet Internet und Computer als eine „Kulturmaschine“, was mich gleich an die Wunschmaschine von Gilles Deleuze erinnerte, die ich allerdings nie verstand, wie so Vieles im sprachverliebten Raum französischer Philosophen. Ganz anders Andreas Reckwitz: konkret und nachvollziehbar statt im Ungefähren herumzuraunen. Er fragt sich beispielsweise, inwieweit die Kunst die Vormachtstellung des Besonderen verloren habe angesichts der Schwemme individualistischer und idiosynkratischer Singularitäten. Und alles sei doch heute Kunst, jedes banale Gebrauchsding, jede Colaflasche. In diesem Sinne ist dies vorerst keine Rezension, sondern bestenfalls eine recht flapsig skizzierte Prezension: Ausdruck reiner Freude über einen Beutezug.

 

2022 24 Mrz

Ghost dealership

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Claudia Michelsen ist ein Hingucker, eine fabelhafte Schauspielerin, und wenn ich auch rein gar nichts über ihr privates Leben weiss, mutmasse und schlussfolgere ich aus allen äusseren Indizien, meinem Profilerwissen über Hüllen, Flächen und Tiefenstrukturen, dass sie in real life ein kluges Wesen von überdurchschnittlicher emotionaler und sonstiger Intelligenz ist. In diesem Fernsehfilm konnte sie nun alle Register ihrer Kunst ziehen, doch leider nicht mal damit über das gruselig überkonstruierte Drehbuch hinwegtäuschen: was für ein Schmarrn wurde denn da serviert!?

Claudia Michelsen spielt eine agile Sportlehrerin, die durch ein unbekanntes Trauma ihr enormes Schwimmtalent nie  ausschöpfen konnte, und am Geburtstag ihrer völlig durch den Wind gebügelten Mutter von alten Symptomen befallen wird. Irgendwas zwischen Panikattacken, Halluzinationen und Absencen.

Claudia Michselsen besucht eine alte Lehrerin, die sie zur Therapie ermutigt, aber dagegen sträubt sie sich natürlich. „Was soll das denn bringen, in der Vergangenheit rumstochern?!“ Erst das Stöbern in den Schubladen ihres Vaters – sie stochert also doch rum, aber ohne Psychoanalytiker – lässt das Verdrängte mit Macht wiederkehren. Alles, was sich in diesen neunzig Minuten tut, ist eine Aneinanderreihung von Unwahrscheinlichkeiten, Klischees und Abstrusitäten. Der Gipfel ist die finale Sache mit einer Herzmuskelentzündung.

Wir haben noch den wirren Vater im Angebot, der sich mit humorvollen Versen a la Ringelnatz durch den Alltag hangelt, und irgendwann konfus durch eine Hannoveraner Stadtgegend irrt, und einen fremdvögelnden Ehemann, der, zur Rede gestellt, als erstes mault: „Wann verlierst du mal die Fassung, Anne?“ Durch die Bank krass überzeichnete Figuren. Und so mutiert alsbald der mutmassliche „Familienthriller“ zum Schnarchtheater mit unfreiwilligen Lachkick-Momenten. Zum Beispiel, als die Mutter mal wieder einer wirren Stimmung anheimfällt und ihr Kopf kopfüber auf den Tisch knallt (eigentlich noch lustiger, als wenn er in einen Erbseneintopf gefallen wäre) – im Krankenhaus erst klärt sich auf: kein „exitus subito“, sondern nur wieder zuviele Sedativa. Und dann das absolute Highlight:

Claudia Michelsen, also Anne, geht alte Videokassetten durch mit ihrem Finale zur Qualifikation der Olympischen Spiele von Atlanta. Sie sieht (wie wir nichts Gutes ahnenden Zuschauer) die Bilder, und hört die Stimme des Reporters, der sie als grösstes Talent feiert. Sie liegt vor der letzten Wende vorne, und dann, sehen wir alle dort nur noch Wasser und gähnende Leere, wo Claudia bislang ihre elanvollen Bahnen gezogen hatte. Der Reporter ist sprachlos, und fragt, sinngemäss: „Ja, was ist nun, wo ist Anne, wo ist sie denn, was ist passiert?“ Der perfekte „Jochen Behle-Moment“. Sie erinnern sich? Damals war der Reporter Bruno Moravetz, und er suchte verzweifelt Jochen Behle im Feld der langlaufenden Olympioniken. 

Tatsächlich gibt es auch manch forsches Lob für dieses bemühte Melodrama. Ich zitiere Prisma:

 

„Was Michelsen, Hanczewski, Weisgerber und Co. im unprätentiös erzählten Drama ins Wohnzimmer liefern, dürfte manche an eigene dunkle Familienfeste, Offenbarungen und Eklats erinnern – oder, wenn daheim alles „paletti“ war, dann vielleicht an andere gute Filme zum Thema. Nicht zuletzt ist das bis zum Ende der 90 Minuten subtil spannende TV-Werk auch mal wieder ein Plädoyer in Richtung Fernsehmacher: Traut euch mehr Erzählungen ohne Leiche zu! Selbst erfahrene Primetime-Kommissarinnen freuen sich, wenn sie wie in diesem Film einfach mal nur leben – und nicht ermitteln müssen.“

 

Ehrlich jetzt?! „Einfach mal nur leben“ – der war gut!!


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