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Archives: Morteza Mahjubi

Das Klavier trat mit der Entwicklung der temperierten Stimmung und einer zunehmend ausgefeilteren Technik, die mit einem beachtlichen Lautstärkezuwachs einherging, als Instrument einen epochalen Siegeszug an und ist als zentrales Instrument komplex polyphoner Musik aus der zeitgenössischen Musik (egal welchen Genre’s) nicht mehr wegzudenken. Daraus ergibt sich eine unglaubliche Ausdrucksvielfalt, die sich in einigen Veröffentlichungen dieses doch noch recht jungen Jahres wiederspiegelt.

Scheinbar zurück zu den Anfängen geht Francesco Tristano in On Early Music, wo er Stücke ehemals populärer englischer Spätrenaissancemusiker, wie Orlando Gibbons, John Bull oder Peter Philips den Werken des Italieners Girolamo Frescobaldi gegenüberstellt und nicht zuletzt stilistisch behutsam adaptierten Eigenkompositionen. Nun begibt er sich aber nicht bieder in die Welt der alten Musiker, dafür hat er zu viel elektronische Musik gemacht und u.a. mit Carl Craig zusammen improvisiert. Diese alte Musik hört sich von der Harmonik her „alt“ an, ist sonst aber groovig, frisch und wirkt völlig unverbraucht. Oft interpretiert er die Stücke, so wie es damals oft üblich war, sehr offen und zeitgemäß. Bein zweiten, dritten mal hören sind mir dann die kleinen und subtilen Bearbeitungen aufgefallen, die dazu beitragen, dass sich diese wohltuend von der 2793sten artigen Interpretation absetzten und sehr aktuell klingen. Eine wunderbare Hommage an die frühe Musik, die zwischen allen Stühlen tanzt. Ganz anders Vanessa Wagner’s Study of the Invisible. Die französische Pianistin, die für ihre wunderbare Zusammenarbeit mit Murcof und ihre exquisite Wahl der Stücke auf ihren letzten Alben auch außerhalb der Klassikszene bekannt geworden ist, setzt diesen Weg auf ihrem neuen Album fort, dessen ältestes Stück ein Präludium in A-moll von Moondog ist und sie dann Stücke von Harold Budd, Brian und Roger Eno, einigen der frühen amerikanischen Minimalisten und natürlich auch von Philip Glass spielt – eine wunderbare und sensible Auswahl. Doch im Gegensatz zu Tristano, der die Musik herausfordert, sie in die Gegenwart lockt, befördert Wagner die zeitgenössische Musik in eine feine, genaue klassische Darstellung. Hier wird ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Spielen, Interpretation, Covern oder gar darüber Improvisieren erkennbar und ich habe mich in diesem Kontrast mehrfach gefragt, wie ich die Unterschiede fassen könnte. Dann gibt es auf Study of the Invisible auch Stücke von Bryce Dessner, Nico Muhly und Timo Andres und nicht zuletzt von Suzanne Ciani. Vanessa Wagner schreibt, sie sei „fasziniert davon, Intensität auch ohne eine Sintflut von Noten zu ergründen, durch Einfachheit als Mittel des Ausdrucks“. Dabei verbindet sie die unterschiedlichen Stücke mit genau dieser Intensität zu einem intimen Exkurs in aktueller Klaviermusik, deren Höhepunkt unzweifelhaft Caroline Shaw’s über 13 Minuten langes Gustave Le Gray darstellt. Ein Album, dass das unsichtbar Verbindende, das unsichtbar über die Gegenwart hinaus Weisende wennschon nicht sichtbar, dann doch auf bemerkenswerte Weise hörbar macht.

 
 

       

 
 

Eine andere Leichtigkeit hat 4 Hands von Roedelius & Tim Story, wo die beiden Pianisten nach bewährter Arbeitsweise improvisieren, fast absichtslos den Augenblick kultivieren und sich dabei dennoch nicht wiederholen, sondern im Flow wie Reflexionen der Sonne auf bewegtem Wasser hüpfen und gleiten, lebendig und niemals banal. Ein Album, das fest in der Zeitlosigkeit wurzelt und ein Grund mehr sich tief vor dem 87jährigen Urgestein der deutschen Musikszene mit seinem Faible für eleganten Eigensinn zu verneigen! Und schließlich wurde kürzlich Morteza Mahjubi’s Selected Improvisations from Golha, Pt.II (von 1956-1965) veröffentlicht, der mit der gleichen Leichtigkeit wie Roedelius auf dem Klavier improvisierte, wobei er als erstes die Temperierung gründlich rückgängig machte und das Instrument nach lange entwickelter Methode in alten persischen Skalen stimmte. Was sich zu Beginn für das europäische Ohr deutlich verstimmt anhört, nimmt bald mit all seinen Schwebungen und feinen Dissonanzen den Raum zwischen den Ohren völlig ein, offenbart ein schillerndes Spektrum des modernen Orients, eine funkelnde Schatzhöhle, an der Gurdjieff sicher seine Freude gehabt hätte, ein Geisterspiel zwischen hypnotischen Trancen und dem unhörbaren Staub auf alten Schellackplatten. Eine Musik, die zum Visualisieren einlädt, ohne dass es in meinem Kopf je einen assoziierbaren Raum gegeben hätte…

 
 

       

 


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