Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: April 2020

 


Teile der Welt in einer Nusschale zu transportieren, ist ein normaler Aspekt des Reisens. Welche Dinge nehme ich mit, wenn ich in der kommenden Woche nach Sylt reise, einer derzeit so leeren Insel? Es ist heutzutage leicht, ganze Bibliotheken und Musikarchive mit sich zu führen, aber ich bevorzuge, wie in alten Zeiten, eine relativ sparsame Auswahl. Da ich dort nicht zuletzt in warmen Decken wie dezent verwitterten Strandkörben (der Horizont geöffnet bis zum Einbruch der Nacht), eine Art beschwingte Ruhe 
suche, Gedanken fliegen lasse, einsame Drachen steigen (ein Bild für flatterhafte Kindheitserinnerungen), in diesem besonderen Alleinsein, diesem kompletten Bruch der Routine, brauche ich keine Bücher, die mehr desgleichen anbieten, dafür mehr oder weniger fluchtfreudige Parallelwelten. Folgendes ist in meinem Toyota, meiner Stube, griffbereit, während ich Inselkünstler aufsuche, den Kapitän der Sansibar, und aus Zufallsbegegnungen am Meer psychdelisches Ozon schöpfe, entlegendste Räume auf mich wirken lasse: die neue Ausgabe der Zeitschrift „11 Freunde“ („Das Spiel geht weiter“), Michael Connellys jüngster, erstmals bei Kampa verlegter Roman „Late Show“ (liegt in der Hand wie ein altes Karl May-Buch – das Cover wie eine andere Variante von Geisterstadt), Benjamin Moussays Ende Mai erscheinendes Solopianoalbum, produced by Manfred Eicher (ein Traum!), der Soundtrack zu  Wim Wenders’ „Bis ans Ende der Welt“, die Serie „The Deuce 3“ (ein anderes altes New York, Mitte der Achtziger Jahre), sowie ein Kartenspiel für meditative Patiencen in vollkommener Windstille. Übrigens, in hoher Konzentration ist Ozon ein tiefblaues Gas. Und die Jukebox von Hörnum gibt weiterhin keinen Ton von sich.

 

2020 25 Apr.

Ich bin nicht, was ich sage

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No soy lo que digo von Jacqueline Goldberg – das Titelgedicht ihres im Januar im hochroth Verlag Heidelberg erschienenen, zweisprachigen Gedichtbandes – im Original sowie in der Übersetzung von Geraldine Gutiérrez-Wienken und mir ist derzeit das Gedicht der Woche im Signaturen-Magazin.

 
 

 
 

Die Monatstipps sind ja bereits, obgleich der Monat noch eine Woche geht, wieder im Mai angelangt, doch da der DHL-Bote mir vorhin überraschend von Ki&Wi das schon vor wenigen Wochen veröffentlichte Buch von Sibylle Berg überbrachte, soll dies für die verbleibenden Tage des Aprils auch noch ein Buchtipp sein. Ich habe für das Buch etwa die Hälfte der darin enthaltenen Gespräche übersetzt (und auch die Kommunikation mit einigen Gesprächs-partner/innen geführt) – eines der Gespräche hatte ich tatsächlich sogar in die Wege geleitet (Kontakt durch David Rothenberg vermittelt) und letztlich auch komplett vorbereitet und geführt. 16 Gespräche mit Wissenschaftler/innen aus unterschiedlichsten Feldern hatte Frau Berg für ihre monatliche Gesprächsreihe im Schweizer Online-Magazin Republik zusammengestellt, und diese fasst nun das Buch zusammen.

 

Permanent sind wir mit Meldungen aus aller Welt konfrontiert, die wir weder einordnen noch anständig bewerten können. Und zum Handeln befähigen sie uns auch nicht. Was soll man gegen den aufkommenden Faschismus tun? Gegen schmelzende Gletscher? Gegen Überwachung und Verknappung des Wohnraums? Sibylle Berg versucht es in Gesprächen mit Wissenschaftler*innen herauszufinden. Während der Arbeit an ihrem Roman »GRM« sprach Sibylle Berg über zwei Jahre hinweg mit Expert*innen aus den verschiedensten Disziplinen – mit Systembiolog*innen, Neuropsycholog*innen, Kogni-tionswissenschaftler*innen, Meeresökolog*innen, Konflikt- und Gewaltforscher*innen. Über den Zustand in ihren Fachgebieten. Und über Ideen für eine Zukunft, die sich nicht wie ein Albtraum ausnimmt. Wie sich wehren gegen Parolen, die den Verstand beleidigen? Wie verhalten wir uns zu der Politik des Spaltens und Herrschens, die gerade weltweit ein Erfolgsmodell zu sein scheint? Was bedeutet die digitale Revolution, und gibt es eigentlich noch Hoffnung? Dieses Buch ist das Richtige für alle, die sich auch solche Fragen stellen und besser gewappnet sein wollen für das, was auf uns zukommt. (Info vom Verlag)

 

Selbst habe ich noch nicht alle Gespräche gelesen, aber all jene, die ich kenne (bzw. an denen ich mitgearbeitet habe), sind überaus lesenswert. Etwa das mit der Polit-wissenschaftlerin Valerie M. Hudson von der Texas A&M University in der Kleinstadt College Station (wo ich zufälligerweise eben dort selbst vor zwei Jahren Gespräche für ein politisches Gesprächsprojekt saufgenommen habe, siehe frühere Blogeinträge), die auf beeindruckend klare und nachvollziehbare Weise von der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Gesellschaft sowie von gezieltem Frauenmord berichtet und den Folgen auf z.B. nationale Sicherheit forscht. Oder die Forschungsergebnisse und Ansichten des Neurobiologen Iddo Magen, der in Israel zu ALS und Drogen forscht. Oder Abraham „Avi“ Loeb, Astrophysiker an der Harvard-Universität, spricht über die Suche nach außerirdischem Leben, und die Zukunft des Alls.

 

Der unsichtbare rote Faden aller Gespräche ist die Frage, wie man die Welt retten oder wenigstens in wichtigen Punkten verbessern und zukunftsfähig machen kann. Das ist ein gigantisches Anliegen, aber Berg bricht es jeweils auf die speziellen Kompetenzen ihrer Gesprächspartner herunter. Sie redet mit (…) dem Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, mit dem Astrophysiker Abraham Loeb über das All und das, was vor dem Urknall war oder nicht war, mit dem Neurophysiologen Jens Foell über die evolutionär neue Überforderung unser Gehirne durch digitale Technik.

Um einige werthaltige Fundstücke aus Sicht des Rezensenten zu erwähnen: Die Analyse des besagten Wilhelm Heitmeyer zu Rechts-Nationalismus und -Extremismus ist begrifflich enorm präzise, intellektuell im besten Sinne skrupulös und trotzdem leidenschaftlich; von der Medien-Soziologin Jutta Weber kann man sich prima seine Defizit in Sachen feministischer Technik-Forschung und Science-Fiction-Literatur aufzeigen lassen; von dem Männlichkeitsforscher Rolf Pohl, Autor des Klassikers „Feindbild Frau“, erfährt man wiederum Vernünftiges darüber, wie sich destruktive männliche Selbstbilder verändern lassen. (Arno Orzessek, rbbKultur)

 

Rosemary Sutcliffs glorreiche Trilogie Adler der Neunten Legion, die im römischen Britannien spielt, bietet drei zum Preis von einem. Warum finde ich die Trilogie erbaulich? Erstens war Sutcliff eine großartiger Schriftstellerin mit dem Gespür eines Klassizisten für die Epoche, dem Auge einer Dichterin für die Natur und einem teuflischen Sinn für die Handlung. Diese immergrüne Fiktion kann nicht umhin, für Aufmunterung zu sorgen. Zweitens feiert die Trilogie das Überleben gegen harte Widerstände. Sutcliff benutzte einen Rollstuhl, und ihre Helden kommen mit Beeinträchtigungen, die ihre Siege umso epischer machen. Drittens: In der Antike angesiedelte Bücher stellen mein Vertrauen in das menschliche Kontinuum wieder her. Pandemien, Knappheit, Rechtsverdreher auf dem Thron und die Angst, dass die Sonne morgen nicht aufgeht, sind nichts Neues. Und doch geht die Sonne immer auf. Wenn Covid-19 in der Vergangenheit liegt, können Sie ins Lesemuseum gehen und den bronzenen „Silchester Eagle“ besuchen, der diese meisterhaften Bücher inspiriert hat. Er ist aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. erhalten geblieben. Durchhaltevermögen.

 

2020 23 Apr.

The Best of Talking Heads

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Mit der Ausnahme von „Remain In Light“, das in einer gesonderten Besprechung bei Pitchfork zu finden ist, hat die Internetseite heute die im folgenden gelisteten Alben der Band Revue passieren lassen. Keine Vollständigkeit beabsichtigt. Ich habe die chronologische Abfolge berücksichtigt. Meine Liebe zu den ersten vier Alben der Gruppe hat nie nachgelassen. Und der Konzertfilm von Jonathan Demme ist immer noch unglaublich gut. Mein Rating zuerst, dann die Herren von der „Tongabel“. Von den Manas könnte unser Mann aus Pittsburgh noch nachlegen. Sonst hat eher keiner die Band aus New York annähernd so intensiv verfolgt, glaube ich. Ich irre mich hoffentlich. (Die ratings von Ingo,  Uli und Jan wurden nachgetragen.)

(m.e.)

 

Talking Heads: Talking Heads 77 (8.8 / 8.6 / 9 / 8 / 8)

Talking Heads: More Songs About …  (10.0 / 8.8 / 10 / 9 / 9)

Talking Heads: Fear of Music (9.8 / 10.0 / 10 / 10 / 10)

Talking Heads: Remain in Light (10.0 / 10.0 / 10 / 10 / 9)

Talking Heads: Speaking in Tongues (8.0 / 8.5 / 8 / 8 / 9) 

Talking Heads: Little Creatures (7.6 / 8.0 / 9 / 8 / 8)

 

 

This is a photo shot in my electric cinema. I’ve been listening (some might recognize fragments of the cover) to the Eno-produced MORE SONGS ABOUT BUILDINGS AND FOOD from the salad days of the TALKING HEADS, some fucking moons ago, and this, dear Ian from Glasgow, was a life-changer. A „lifer“ like few others. This record is anti-matter and remedy at the same time. Gimme hard times, I turn it on, LOUD, gimme happy times, and I turn it in on, LOUD, gimme happy-sad times, and I turn it on, LOUD. I was listening to it on a cheap cassette recorder when it came out, and I‘m listening to it on a surround-mix today. This record kills me, and makes my life new, every time I listen to it. This is what I call magic. I believe in white magic. I‘m a pagean. When I was a teenager T Rex‘s ELECTRIC WARRIOR has had a similar effect on me. Multiple effects. Stay hungry. Plan is: in my very last radio show, I will play music from this album, at the very end, and call it a day, a night, an epiphany. I know what an epiphany is. Even pageans can know that. And, by the way, dear readers, these lines are an exercise in understatement. (m.e.)

 

2020 23 Apr.

mouvements

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Ich weiss nicht genau, wann die Idee Gestalt annahm. Als ich die Neuausgabe von Wim Wenders‘ „Bis ans Ende der Welt“ sah, und mich fragte, ob das auch eine Art „Roadmovie“ sei, wenn ich mit meinem in die Jahre gekommenen Toyota die einsamen Räume von Sylt erkunde, jetzt, wo die Insel unheimlich leer ist, und man sich in einem seltsam apokalyptischen Szenario wähnen könnte? Als ich in letzter Zeit wieder und wieder Erinnerungsbilder aufspürte, von meiner Kindheit, von grossen Ferien auf Borkum, Langeoog, und einmal auch Sylt? Und schliesslich heisst mein Nachtprogramm „Klanghorizonte“. Und da geht es um mehr als „nur“ um Musik.

Es gibt den Tagesjournalismus vor Ort, Berichterstatter, die für einen Tag auf die Insel fahren, Stimme einsammeln, und ein Schlaglicht werfen auf eine Krisensituation auf der „Insel der Reichen und Schönen“. Eine Schlagzeile mit Schlagseite: ein Klischee mit nur einem Körnchen Wahrheit. Die Stimmen ähneln sich natürlich, ob in Augsburg, Hannover, oder Westerland. Ein Element des Unwirklichen kommt stets hinzu, wird aber leicht verdrängt im alltäglichen Umgang mit der stillen Horror von Covid 19.

Ich plante also, eine ganze Reihe von Tagen  und Nächten auf der Insel zu sein, und meine Erlebnisse, Begegnungen und Tagebuchnotizen in eine Radiostunde münden zu lassen. „In Hörnum steht die Jukebox still – eine Insel im Lockdown“. Als Teil der Radionacht Klanghorizonte im Deutschlandfunk am 20. Juni. Dazu die Musik, die den „horror vacui“ einfängt, die insuläre Einsamkeitserfahrung, aber, im Idealfall, auch eine Überwindung der  traumatisierenden Situation aufzeigen kann.

Ich recherchierte im Netz, und stellte meinen Antrag auf eine Sonderakkreditierung für die Zeit vom 28. April bis zum 3. Mai bei der Landesregierung Schleswig-Holstein. Ich spielte mit offenen Karten, dass es sich um eine „kulturelle“, keine tagesaktuelle Sendung handle, aber eben auch einen Bericht über eine Insel im Ausnahmezustand. Die Pressestelle war äusserst kooperativ, und bewilligte mir, obwohl es der alltäglichen Praxis zuwiderlaufe, genau diese Aufenthaltsdauer, wobei ich in der Mitte der Zeit, ein rein formeller Akt, eine Verlängerung für die Restzeit beantragen könne. Bis auf die erste Nacht, in der ich vielleicht einen Campingwagen in Rantum bewohne, bin ich in Westerland untergebracht, im „Sylt-Motel“. Das wird eine seltsame Reise.

2020 23 Apr.

Good Souls Better Angels

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„Lassen Sie uns jetzt über den Gesang sprechen. Einige langjährige Lucinda Williams-Fans vermissen, wie die heute 67-Jährige klang, als sie jünger war, mit einem saubereren Ton und höheren Registern; sie beklagen, dass ihr Stimmtimbre vergröbert und ihre Diktion ungeschliffen und manieriert geworden ist. Ein Kritiker, der eine kürzlich ausgestrahlte Sendung besprach, verglich ihre derzeitige Stimme auf absurde Weise mit Bob Dylans rostigen Pfeifen. Als jemand, der Sänger, die rau, aber ausdrucksstark sind, denjenigen mit konventionell „guten“ Stimmen vorzieht, denke ich, dass Williams besser singt als je zuvor. Obwohl der Blues schon immer der Kern ihrer musikalischen Identität war, ist sie jetzt, mit diesem neuen Album, eine Blues-Sängerin und ein Rock ’n Roller, der vom Blues durchdrungen ist.“

(George de Stefano, übersetzt von MHQ)

 

Lucinda Williams erlebt eine unruhige Zeit nach ihrem Umzug nach Nashville.  Dass ein grosser Teil des Daches des neuen Domizils von einem Tornado abgerissen wurde, zum Beispiel. Und sie hat mehr als gewöhnlich im Schlaf geredet.  In einer Nacht letzte Woche träumte sie, dass Mormonen in ihr Haus eindrangen, ihre Freunde bekehrten und ihr Hab und Gut stahlen. Das war nicht das Thema: „Sie saßen alle nebeneinander, und ich sagte: ‚Verstehst Ihr nicht, ihr solltet unter Quarantäne gestellt werden!“ Williams lacht, ihr lakonischer, anarchischer Bariton mündet in ein überraschendes Kichern. Ihr Ehemann und Manager, Tom Overby, sagte ihr, sie sei im Schlaf zornig worden. Sie glaubt, das käme von den nächtlichen Fernsehmarathons, die zu ihrer neuen Lockdown-Routine geworden sind, bei der sie bis 5 Uhr morgens aufbleiben und sich das jüdische Drama Unorthodox ansehen, „nur in meinem Traum kamen sie als Mormonen heraus“. (Laura Snipes, übersetzt von D.L)

 

Flashback August 2017. Zwei von der Klasse von ’73, Klaus Schäfer und Michael Engelbrecht, fahren von Dortmund nach Köln, der eine spielt, sammelt, und liebt Gitarren, der andere liebt gute Gitarrenmusik und gute Songs, tun sie natürlich beide. Dennoch, ganz andere Hörgeschichten. Das Konzert von Lucinda Williams in der Kantine wird zu den unvergesslichen zählen, für beide. Auf der Rückfahrt schöne Sprachlosigkeit, viele Geschichten.

 

 
 

„All Those Born With Wings“ – mit  dieser Überschrift hatte ich einst – eine Manafonistas-Anregung von vor kurzem aufgreifend – einem Freund eine musikalische Arbeit gewidmet. Ganz andere Freunde, Musiker meiner Heimatstadt, hatten – es ist lange her – ein Konzert in einer kleinen ruinösen, aber vielleicht deswegen hübschen und heimeligen Kapelle, von einem Verein kulturell bewirtschaftet, nicht weit außerhalb der Stadt gegeben, das mich ob seiner fast meditativen Magie so inspiriert hatte, dass ich – kaum nachhause geradelt – mich hinsetzte und das Grundgerüst einer „Meditation in Jazz“ mit eben jenem Obertitel und auch mit diesem Stücke beginnend zusammenbaute, woraus dann eine komplette MiniDisc im Longplay-Modus wurde – also ein 160 Minuten dauernde kontemplative Klanglandschaft, mit Ebenen und Flussläufen und Hügeln und Findlingen; vielleicht – wenn ich jetzt darüber nachdenke – eine Reminiszenz an meine mich umgebende brandenburgische Heimat; hatte ganz emphatische und berückende, auch herrlich statische, pulsierende, auch fließende, springende, auch kosmische Musiken herausgesucht und könnte Namen nennen wie Garbarek, Nusrat, Srinivas, Aero, Miles, Byrd, Isham, Moondog; im Ganzen recht Blasinstrumente-gewichtet – vielleicht, weil mich Luft-Instrumente leicht in eine hyperventilierende Ekstase bringen können – auf jeden Fall gelungen.

Und ja, nach den Klanghorizonten … Roedelius, das kann ich sagen, ist einer meiner musikalischen Vaterfiguren, aus denen ich viel Weisheit, Kraft, Demut und Herzlichkeit schöpfe. Es gibt nur wenige, zu denen man wie zu einem Vorbild aufschauen mag, von denen man lernen will, von denen man sich berühren lässt. Auch für mich ist das letzte Stück der neuen Platte „Wahre Liebe“ das interessanteste.

Und noch etwas finde ich bemerkenswert an ihr: Wir hatten uns in letzter Zeit viel mit »Kankyo Ongaku« und dem dazugehörenden Umfeld beschäftigt. Erstaunlicherweise passt Roedelius‘ Album wunderbar hinein in den Reigen jener Environmental Music. Von den Klangfarben her und auch von der Ausstrahlung her.

Interessant war es, Buffy Sainte-Marie wiederzuhören, von der ich eine neue & eine alte im Schrank, doch lang nicht gegriffen habe. Vor allem mit dem Wissen von heute ist es immer wieder spannend, wenn man altem mit gespitzten Ohren begegnet, es wägt und teurer wertet oder auch verwirft.  Hatte mich damals sehr beeindruckt. Bo Hansson kann jedoch gar niemals verworfen werden, oder? Gerade vielleicht, weil ich nie das Buch dazu las oder je eine Verfilmung sah, ist diese Musik für mich imaginativ und voller Abenteuer.

 

(PS mittendrin: Ich bemerke gerade mit Wohlgefallen in meiner verwendeten Lieblingsschrift »Vollkorn« die hübsche Ligatur »fi«. Diese Schrift von Friedrich Althausen gefällt mir einerseits wegen des schönen Aussehens, auch der kyrillischen Variante, dann – und vielleicht ist das der springende Punkt – des dahintersteckenden Wortwitzes wegen: Er hat seine Schrift als „Brotschrift“ konzipiert – als Buchdrucker weiß ich, was das meint – und hat sie allen Ernstes »Vollkorn« genannt. Welch ein Spaß!)

 

Und ja: MUSICA ESPORADICA ist sehr interessant. Die frame drum ist schön markant. Ein guter groove. Den Sound von Saiz erkenne ich sofort wieder, denn von den Roach/Saiz/Reyes-Sachen ist mir das bestens bekannt. Gefällt mir hier einen Zacken besser, weil noch akustischer. Das Wort „minimal“ übt seit ich es kenne einen ganz eigentümlichen und Körper wie Geist in Schwingung versetzenden Zauber auf mich aus. Mein Tag heute begann witzigerweise mit „In C“ von Riley, und für morgen werde ich endlich Reichs »Music for 18 Musicians« herausholen. Ich denke schon ein paar Tage darüber nach. Das heißt also, es lag „in der Luft“. Solche Erlebnisse hab ich öfter. Trotz Corona hat man nicht genug Zeit, nie wird man sie haben, alles Schöne und Interessante zu hören, zu sehen, zu lesen!

 

(verfasst von Olaf P. alias Olaf Ost)

2020 20 Apr.

Als Don einst mit Elmore telefonierte

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Ich glaube nicht, dass ich fünf Worte gesagt habe. Er ging ans Telefon und sagte: „Don Winslow, Sie waren zwei Jahre alt, als ich 3:10 nach Yuma schrieb. Das war die charmanteste Art, mich als damals jungen Autor auf seine Seite zu ziehen. Und ich sagte: „Ja, Sir, aber ich habe versucht, es zu lesen.“ Und er lachte und erzählte eine Stunde lang pausenlos Geschichten.Und ich stand im Regen. Wir lebten unten an der Küste, und in unserer Wohnung hatten wir keinen guten Handyempfang. Wenn man einen Meter näher an den Strand trat, konnte man keinen Handyempfang bekommen. Also ging ich nach draußen, und es war einer dieser selten regnerischen Tage in Südkalifornien, und ich stand eine Stunde lang im Regen und hörte Elmore Leonard zu. Ich wäre den ganzen Tag dort geblieben.

 

Ähnlich wie Robert Altman in seinen Filmen hat auch der Schriftsteller Don Winslow, neben dem einem und anderen Meisterwerk, manch halb so dolles Werk verfasst. Ein Klassiker ist und bleibt sein opus magnum Tage der Toten, der erste Teil einer grandiosen Trilogie. Sein jüngst in Deutschland erschienenes Buch Broken ist zumindest ein kleines Meisterstück und versammelt sechs Geschichten, in denen wir einige Überraschungen erleben, zwischen alttestamentarischer, jedoch gottlos betriebener Rache, warmen, humorvollen Grundtönen, Elmore Leonard‘schem Witz, einer wirklich coolen Steve McQueen-Hommage, sowie einer erschütternden Story aus der hässlichen Abschiebungspolitik eines widerlichen Präsidenten.

Und wenn ich  mir dann  noch einmal Don  Winslows einzige Begegnung mit Elmore Leonard vor Augen führe, on a rainiy day in Southern California, taucht bei mir gleich ein kleiner Stapel vorzüglicher Bücher, Serien und Filme in der Erinnerung auf. Zum Beispiel Elmore Leonards Bücher Raylan, Tishomingo Blues, oder Out of Sight. Oder Winslows erwähnte Kracher, oder seine zwei Bücher aus dem südkalifornischen Surfermilieu, The Dawn Patrol sowie  The Gentlemen‘s Hour. (Ein Wiedersehen mit der „Dawn Petrol“ gibt es in „Broken“.) Oder die überragenden sechs Staffeln der Serie Justified, basierend auf Ideen von Elmore Leonard. Oder eben 3:10 to Yuma, der Western. Und, ja, klar, McCabe and Mrs. Miller, von Robert Altman. Auch ein Western, und Leonard Cohen singt.

 


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