Manafonistas

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Archives: April 2020

 

Das ist eine besondere Qualität des neuen Albums von „Die Wilde Jagd“. Gemessene Gesänge und stakkato-ähnliche Stimmführung verleihen dem Gesang eine einzigartige rhythmische Qualität und unterstreichen die Tatsache, dass die Äußerungen des Menschen bei aller expressiven Bedeutung nur eine weitere Facette des Gesangs einer natürlichen Welt sind, in gewisser Weise ununterscheidbar von den Klängen von Zikaden, Eidechsen, Schlangen und Vögeln. 

(Hans Rollmann)

 

Heute traf ich Die Quelle. Eloquent, geschichtenreich, politisch hellwach, exzellente Menschenkenntnis. Analytisch und scharfsinnig. Der Name muss  Verschlusssache bleiben. Ich durfte auch keine Tonaufnahmen machen. X erzählte von den Veränderungen auf Sylt seit dem Shutdown. Menschliches und Allzumenschliches. Und vor allem, wie die Natur durchatmet. Die Quelle war etwas zögerlich, als es um ihre „Kraftorte“ der Insel ging. Faustregel: da, wo man mit dem Auto nicht gut hinkommt. Ich fragte auch nach „Jazznerds“ und Jukeboxen. Die Quelle kennt einen „Jazznerd“ auf der Insel, keine einzige Jukebox. Scheinbar war das weite Feld der Töne erschöpft, da kam X fast beiläufig auf ein geheimes Archiv vom Aussterben bedrohter Syltklänge zu sprechen. Ich sagte: „Lassen Sie mich das Archiv sichten, lassen Sie mich einiges davon in meiner Nachtsendung zu Gehör bringen – dann habe ich meinen Job erledigt.“ Ich sagte: „Please.“ Die Quelle sagte: „No way.“ Vom Aussterben bedrohte Tierarten, Geräusche des Inselalltags, die mit der Zeit verschwinden werden. Und anderes. Rares. Die Quelle hatte einen Namen für das Archiv: „The Dying Sounds of Sylt“. Und ich möge, wenn ich davon erzähle, es ins Bereich des Fiktiven rücken. Aber gerne doch. Und dann fuhr ich unter regenschwerem Himmel nach Klappholttal, stromerte durch die ausgestorbene Siedlung, die sonst aus allen Mauerritzen platzt, nahm mir den Strandkorb 802, und ein Bad im Meer. Kalt. Ich dachte, eine Stunde später, ich schlafe auf meinem Bett im „Rosenhaus“ ein, da hellte der Himmel auf. Ich fuhr zur Sansibar, und sass als einziger Gast in der ersten Reihe, mit Strandkorb, strahlender Sonne, wilden Dünen, sowie Wiener Schnitzel und einem erstklassigen Weissburgunder namens „Teufelskopf“ (die Flasche für lausige sieben Euro). Ich sass zwei Stunden da. Ich hörte keine Stimmen, nur das laute Meer. Die Vögel. 

 

 

 

Everybody who´s been buying equipment for the last twenty years, you got a pretty good bag or box of cables, chargers and whatnotgoing, right? Like I went through – because every piece of equipment you buy comes with that one wire where you´re like „What the fuck does this one even do? Does this even go to this machine? I don´t know, it´s all wrapped and it´s got a twisty on it. Better save it. Maybe I´ll know what it does later. I might need it.“ Right? I went through that entire box. It took me like an hour and a half. Did not think about the end of the world during that time. And, honestly, I did not throw one of those things away …

(MM, End Times Fun)

 

Die Kunst besteht darin, Dinge aufs Tablett zu bringen, die jedermann auf der Zunge liegen, aber selten klar benannt werden. Solche Momente liefert auch der kalifornische Komödiant und Schauspieler Marc Maron zuhauf, vielen bekannt als Hauptdarsteller der Netflix Serie Glow, in der es um female wrestling geht. Als er einmal in einer früheren Show über die Dave Matthews Band sinniert, wird klar, dass auch unsereins sich ein Leben lang fragte, wer eigentlich diese mysteriöse Musikgruppe sei, die einen niemals wirklich interessierte. Im musilschen Sinne eine Band ohne Eigenschaften, ein Ausbund an Langeweile, so stellte ich sie mir stets vor. Nun, in End Times Fun, wie gewohnt zynisch, zornig, witzig und empathisch lamentierend vorgetragen, erneut so ein Wiedererkennungs-Effekt: Tonnen von angesammelten Kabeln, Steckern, Adaptern und Zeugs, dessen man sich mühsam, meist vergeblich, zu entledigen sucht. Und wenn schon Peter Sloterdijk jüngst die grassierende Unfähigkeit vieler Zeitgenossen erwähnte, sich vom Konsummüll alter Tage zu trennen, muss man sich doch fragen: „Wenn nicht jetzt (im Corona-Lockdown) – wann dann?!“

 

 


Wahrscheinlich wird die Radiostunde über die entlegenen Räume von „Sylt im Lockdown“ kein Theater der Stimmen versammeln, und einfach auf das setzen, was, neben allem anderem, in der Nacherzählung übrigbleibt.

Gestern etwa die drei lebensfrohen Insulaner-Paare, die von ihrer Art berichteten, die (so nie vernommenen) stillen Räume der Natur zu geniessen. Immer wieder der Tenor, wie freundlich selbst Wildfremde oder nur flüchtige Bekannte einander begegnen neuerdings, am Meer, in diversen Einsamkeiten – wo sonst eher freundliche Zurückhaltung angesagt war. Eines der Paare schien, Corona-bedingt, eine schnelle Hochzeit zu planen – oder war es herzlicher Ostfriesen-Schnack? Die Heiratswillige erzählte davon, dass ihr immer wieder das Wort „surreal“ durch die Sinne ging.

Es gilt, wenn man so oft im „Nachtjournalismus“ unterwegs ist, der Mehrwert der Atmosphäre. In der Erinnerung „verdampfen“ die Stimmen zu Fragmenten – zu dem, was „hängen bleibt“, sich flüchtig festsetzt. Lucille Carras Verfilmung von Donald Ritchies Buch The Inland Sea von 1991 mag als Inspiration herhalten – sie nimmt die narrative Freiheit der literarischen Quelle auf, indem sie die Inseln des japanischen Binnenmeeres durchwandert und sich auf verschiedene Qualitäten von Land, Luft, Wasser und Shinto-Schreinen einlässt. Natürlich eine andere Welt, aber trainieren wir derzeit nicht mehr denn je, zwischen Welten zu wechseln?!

Als ich mich heute, bis ich gut durchnässt war vom Inselregen, in der Brederuper Heide umtat, treppauf, treppab, treppauf, zu ablandigen Winden, hatte ich fast mit der Überschrift gerechnet „Zwei Stunden, kein Mensch“, aber bald stiess ich auch zwei Arbeiter, ihre Ausbesserungen an den Stegen – und aus ihrem Radio tönte tatsächlich der Song „California Dreaming“, was dann kein Stören der Erwartung war, sondern leise Freude, flashbacks inklusive.

Im Hier, im Jetzt dann angekommen, als ich auf Anraten von Hans Rollman, in einer überraschend im „Rosenhaus“ vorgefundenen Infrarotkabine, ein wunderbares neues Lied hörte, staunend – und wenn gesungen wird, dann anscheinend deutsch – „Himmelfahrten“, aus dem Album Haut von Die wilde Jagd. Garantiertes airplay in den nächsten „Klanghorizonten“!

 

Am Ufer zu stehen und den Fluss mit seinen wechselnden Stimmungen zu bestaunen ist eine meiner frühesten Erfahrungen. Wir wohnten nur ein paar hundert Meter vom Rhein entfernt, und alle Erinnerungen, die ich an diese Zeit hatte, bevor wir woandershin zogen, haben mit dem Fluss zu tun, der aus meiner Perspektive so unendlich und unberechenbar war wie ein Meer. Was wäre das für ein Gefühl, mitten auf diesem Gewässer zu sein, und auf keiner Seite Land zu sehen? Und genau da holt Steve Erickson mich ab: „There was always a moment, sailing between the boathouse on shore and Davenhill Island, when neither was in sight. There was nothing in this moment but his boat in the fog on the water; there might as well have been no sun in the sky or anything that called itself a country.“ So beginnt der Roman Tours of the Black Clock. Bei Erickson ist die Zeit nie eine gerade Linie, sie verläuft in kunstvollen Schleifen und rätselhaften Loops und scheut sich auch nicht davor, den Rückwärtsgang einzulegen, über das gesamte zwanzigste Jahrhundert hinweg, ins Zentrum eines verlorenen erotischen Traums. Das Buch hat 164 Kapitel, die oft nur eine Seite lang sind. Dies sind die kürzesten:

 
 

133
I can: Im´sure of it.

134
I cannot.

135
(…) I´m miserable in my failures.

 

2020 29 Apr

„What Lies Ahead“

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v i d e o

 
 

♥️🔥

 
 

2020 28 Apr

Im Laufe der Zeit

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Am Anfang meines „Roadmovies“ ist die Strasse kilometerweit leer – ich muss schmunzeln und an Kings of the Road denken. Wenders lässt, am Ende seines Films, eine Kinobesitzerin alten Schlags über den Film als „Kunst des Sehens“ sinnieren, was in ein abschließendes Resümee über den Zustand des Kinos im Westen Deutschlands Mitte der 1970er Jahre mündet: „So wie es jetzt ist, ist es besser, es gibt kein Kino mehr, als dass es ein Kino gibt, wie es jetzt ist.“ Dann springen wir mal in die Gegenwart.

Niebüll – 28. Apr. 2020

 

2020 28 Apr

Der Spirit des Ungeschliffenen

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Ich war nie eine begeisterte Comicleserin, aber in der Welt, die Adrian Tomine erschafft, kann ich alles andere vergessen. Über einige seiner Werke habe ich hier schon geschrieben: Sleepwalk and other stories, Summer blonde, Shortcomings, Killing and Dying. Der Duktus der Geschichten ist literarisch, man könnte sagen, es sind realistische Alltagsgeschichten (it´s a wide range, I know), und doch brechen sie mit einem Grundsatz des creative writing, der da heißt: Schaffen Sie faszinierende Charaktere, mit denen sich der Lesende identifizieren kann. Die Figuren bei Tomine sind oft seltsame, nervige, besserwisserische Nerds mit kreativen Ambitionen, die ihre eigenen Schwächen nicht wahrhaben wollen, doch die Faszination liegt in der Art, wie Tomine sie zeichnet, wie er sie reden lässt und wie sie interagieren. Ausdrucksstark sind vor allem die Gesichter, die Gesten, Perspektiven sowie Panels ohne Worte, die sich nebeneinander fügen wie Aufzeichnungen einer Überwachungskamera. Da genügt schon der Regen an einer Bushaltestelle, um die Welt um sich herum wieder anders zu sehen. Es war vor ein paar Jahren, in einem kleinen Haus am Meer, als ich die frühesten Arbeiten Tomines ansah und las. 32 Stories. The complete OPTIC NERVE Mini-Comics.

 

 

„The book you hold in your hands would not exist had high school been a pleasant experience for me.“ Adrian Tomine, geboren 1974, publizierte die erste, handkopierte Ausgabe seiner OPTIC NERVE im Jahr 1991 in einer, wie er schrieb, optimistischen Auflage von 25 Stück. Ein paar Jahre später lagen die Verkaufszahlen bei 6.000. 32 Stories erschien 1995 als Best of der vergangenen Jahre. Die Storys sind chronologisch geordnet, so dass sich die Entwicklung von den ersten, noch gar nicht zur Publikation vorgesehenen rauen und etwas ungeschliffenen Zeichnungen mit viel Schatten, verwischten Konturen und schwarzem Hintergrund bis zur letzten, die zeichnerisch übergeht in den Folgeband Sleepwalk and other stories mit ihren feinen Zeichnungen und großer Klarheit. Die Palette an Themen in diesem Bändchen ist überwältigend, ebenso Tomines Fähigkeit, eine Idee mit einem Hauptgedanken auf eine Art umzusetzen, dass viel mehr gesagt wird, als es vordergründig der Fall ist, und dass das Entscheidende nicht gezeigt wird, sondern, wie in guten Filmen, zwischen den Schnittstellen der Bilder entsteht. Die erste, nur zwei Seiten und sieben Pannels umfassende Story (Man´s Best, 1991) handelt von einem Paar, bei dem die Frau einen Hund haben möchte. Nein, genau darum geht es nicht. In keiner Geschichte geht es um das, was man sagen würde, wenn man anderen nur kurz davon erzählen wollte, worum es geht. Die Storys lassen sich nicht einfangen, zähmen, sozialisieren. Sie behalten etwas Wildes, Unberechenbares.

Lebensentwürfe, Magie. Solitary Enjoyment: Eine junge Frau hat einen Job, für den sie niemals früh aufstehen muss, außerdem kann sie nachts nicht schlafen. Deshalb hat sie es sich zur Angewohnheit gemacht, gegen Mitternacht ihre Wohnung zu verlassen, und, wie man so sagt, um die Häuser zu ziehen. Allerdings sucht sie keinen Kontakt zu anderen, sie verbringt die Zeit einfach allein. Es beginnt mit ein paar Espressi gegen Mitternacht in einem Café, bevor sie rausgeworfen wird, weil es schließt. Der Kellner mit schwarzer Schürze im Seitenprofil. Noch nie ist mir aufgefallen, dass sein Haar am Stirnansatz dünner geworden ist. In Kalifornien scheint es Anfang der Neunziger Buchhandlungen gegeben zu haben, die 24/7 open waren. Die Aktivitäten der jungen Frau erhalten ihre Besonderheit dadurch, dass sie während der Nacht stattfinden. „To tell you the truth: I wouldn´t trade this for the world“, heißt es am Ende. Es geht um Lebensstil, Symbole eines Lebensstils, wie einer Lederjacke, die Anfang der 90er eben … they´re supposed to make you look tougher and all that. Albtraum und Traum. Ein Besuch bei einem politischen Friseur. Und während du nachts in einem Café ein gutes Buch liest, kommt plötzlich der Geliebte auf dich zu, den du aus den Augen verloren hast, und you talk things over. Rätselhafte Gestalten wie Mike the Mod, ein cooler, ziemlich modischer Typ mit Sonnenbrille, der Alter Ego Adrian Tomine mit Musik versorgt und auf nur zwei Seiten in zwei Zeitsprüngen zwei Mal eine unerklärliche Wandlung in seinem Leben und seinem Aussehen vollzieht. Leerstelle.

 

 

Gefängnisinsassen, denen eine Droge verabreicht wird, um ihre Gedanken zu kontrollieren. Ein Pärchen und wie es den Abend ihres dritten Jahrestages verbringt. Eine Frau und ihr Kumpel, die immer gemeinsam abhängen, und plötzlich trifft er eine andere. Und noch eine Geschichte, für die es nur vier Pannel braucht, Train I Ride: Ein Mann, der einen guten Job und eine schöne Wohnung hat, nimmt einen Zug nach Norden und fährt davon. Es gibt niemanden, von dem er sich verabschieden müsste, er hat kein besonderes Ziel, er weiß nicht, wo er die nächste Nacht verbringen wird. „Ahead was thrilling uncertainty.“ Bei Adrian Tomine ist das Gefühl der Einsamkeit immer überwältigend, das Gefühl der Innigkeit auch. Und auch das darf ein Comiczeichner in seinen frühen Jahren: Eine Story, bei der das letzte Panel ganz schwarz ist.

Alle Monate wieder schreibt Thomas Steinfeld den einen und anderen weit verzweigten Text über eine ECM-Produktion. Ich lese sie stets gerne, sie enthalten eine unverbrauchte Sprache, beiläufig eingestreute Metaphern mit fast schon ECM-schem Nachhall, und, räusper, räusper, manch streitbare These.

Wenn man so ausladend in den weiten Raum hinein sinniert, kann man schon mal ins Stolpern geraten – jedenfalls musste ich, als ich in der SZ seinen Text „Düstere Gesellen erhellen düstere Zeiten“ über das neue Album Big Vicious von Avishai Cohen las (leicht im Netz zu finden!), hier und da die Stirn runzeln, mit den Augen rollen – und in der Sprechblase, die meiner Denkerstirn entwich, war klar und deutlich „EHRLICH JETZT!?“ abzulesen.

Was war passiert? Scheinbar ein kleiner Kulturschock für die ECM-Welt, lautet doch der finale Schluss: „Diese Musik zielt weniger auf den Kopf als auf das Knochenmark. Laut klingt dieses Album jedenfalls deutlich besser als leise.“ Nun würden mir aus dem Stand 150 Alben von ECM einfallen, die besser laut als leise ertönen sollten: das betrifft zum einen die „wilde Seite von Eichers Musikproduktionen“, aber auch herrliche, von Naturklängen inspirierte, Kammern sprengende Kammermusiken a la Jan Garbareks Dis. Oder, frei assoziiert, Dave Hollands Solobassalbum Emerald Tears. Oder die gesammelten Sun Bear Concerts von Keith Jarrett. Ein „dicker Hund“ schlummert in der Mitte des Textes, als schlichte Beschreibung getarnt, nennen wir es mal den „idealtypischen Bildungsweg“:

 

„Manche Hörer populärer Musik bleiben sich treu, manche Musiker ebenfalls. Sie beginnen bei den Rolling Stones, bei Abba oder bei Nirvana und bleiben ihr Leben lang an diese Klänge gebunden. Andere durchlaufen einen musikalischen Bildungsweg. Oft beginnt er im eher leichten Genre, geht danach über in den Rock und führt dann früher oder später in den Jazz oder auch in die Klassik, um dort während der verbleibenden Jahrzehnte zu verweilen.“

 

Nun liegt der Hase im Pfeffer so, dass bei Avishai Cohen, laut Thomas S, eine tollkühne Regression einsetzt, vom Differenzierten zum Einfachen, vom Filigranen zum Elektroschocker. Nun ist die Musik zum einen halb so wild, und durchaus nicht in jenem archaischen Dschungel beheimatet, aus dem Alben wie Bitches Brew oder City: Work of Fiction heimisch sind.

Zum andern erfährt der Hörer hier sicher keine Ermutigungen, den Weg zurück zur Ursuppe der Rockmusik anzutreten. Also, wirklich, hier auf „Big Vicious“ gibt es nicht mal ein „Mini-Kulturschock“ zu verzeichnen. Ich will es nicht verniedlichen: Big Vicious ist eine hochinteressante Produktion, very sophisticated, gewinnt mit jedem Hören, und zeigt einmal mehr, über was für eine spannende Musikszene Israel derzeit verfügt. Nur als Rollenmodell für neue Verwegenheiten taugt sie nicht.

Der von Thomas Steinfeld vor wenigen Absätzen beschriebene Bildungsweg mag durchaus für viele Hörer zutreffen, impliziert aber auch jene Denkungsart, die die leichten Klangwaren und den guten alten Onkel Rock (wer ist das, bitteschön??) auf der Seite der Jugend, und Jazz und Klassik auf der Seiten des reifen Alters verschraubt. Ob Thomas Steinfeld diesen Hörerbildungsweg mit Big Vicious aushebeln, oder ihm ausgewählte Ausnahmen an die Seite stellen möchte, ist mir nicht ganz klar.

Um auf den Punkt zu kommen: in meinem Leben würden Dinge und Klänge verdammt schief laufen, wenn ich neunmalklug und altersweise bei Brahms und Mozart stranden würde, und die Talking Heads, die Mountain Goats, die frühen Jethro Tull-Alben, und die Techno-Pioniere aus Detroit auf dem Abstellgleis der Erinnerungsseligkeit! Klassische Musik spielt eine sowas von marginale Rolle in meinem Leben, dass keine Symphonie von Beethoven je auch nur im Dunstkreis hoher privater Bedeutsamkeit landen würde – jede mit alten Kinks-Songs bestückte und halb defekte Jukebox würde bei solchen Alternativen kalt lächelnd das Rennen um die stets temporäre Zeitlosigkeit für sich entscheiden, und aus guten Gründen. Natürlich gibt es Ausnahmen, ausgewählte Zickzackkurse zwischen den Welten. Für den, der Magie sucht, gibt es keinen Kanon, keine Hierarchie. 

2020 26 Apr

Prosa 22

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Plan der Stadt O. Der große Platz
führt nach unten zur Kathedrale. Das
Wasser läuft in die Nacht hinaus, wo der Patron
immer noch seinen Dachboden unterhält. Er betritt
die Kathedrale von unten und zieht die Leiter
nach sich hinauf. Die Frauen und Kinder und
fast alle der alten Männer verbringen die Zeit damit, Bilder
von der Leiter zu malen. Die andern verlegen
drei Arten von Steinen für die Aufführung
im östlichen Viertel. Dort hat die erste
Siedlung ihre kastenförmige Spur hinterlassen. Aber
die Sonne geht immer an mehreren Stellen unter,
so dass die Uhren als Landkarten taugen. Und am Ende
des nächst gelegenen Berges steht der
größere und nicht so perfekte Kasten.

 

Michael Palmer: The Lion Bridge. Selected Poems 1972-1995
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Martina Weber

 


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