Manafonistas

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Archives: sibylle berg

 
 

Die Monatstipps sind ja bereits, obgleich der Monat noch eine Woche geht, wieder im Mai angelangt, doch da der DHL-Bote mir vorhin überraschend von Ki&Wi das schon vor wenigen Wochen veröffentlichte Buch von Sibylle Berg überbrachte, soll dies für die verbleibenden Tage des Aprils auch noch ein Buchtipp sein. Ich habe für das Buch etwa die Hälfte der darin enthaltenen Gespräche übersetzt (und auch die Kommunikation mit einigen Gesprächs-partner/innen geführt) – eines der Gespräche hatte ich tatsächlich sogar in die Wege geleitet (Kontakt durch David Rothenberg vermittelt) und letztlich auch komplett vorbereitet und geführt. 16 Gespräche mit Wissenschaftler/innen aus unterschiedlichsten Feldern hatte Frau Berg für ihre monatliche Gesprächsreihe im Schweizer Online-Magazin Republik zusammengestellt, und diese fasst nun das Buch zusammen.

 

Permanent sind wir mit Meldungen aus aller Welt konfrontiert, die wir weder einordnen noch anständig bewerten können. Und zum Handeln befähigen sie uns auch nicht. Was soll man gegen den aufkommenden Faschismus tun? Gegen schmelzende Gletscher? Gegen Überwachung und Verknappung des Wohnraums? Sibylle Berg versucht es in Gesprächen mit Wissenschaftler*innen herauszufinden. Während der Arbeit an ihrem Roman »GRM« sprach Sibylle Berg über zwei Jahre hinweg mit Expert*innen aus den verschiedensten Disziplinen – mit Systembiolog*innen, Neuropsycholog*innen, Kogni-tionswissenschaftler*innen, Meeresökolog*innen, Konflikt- und Gewaltforscher*innen. Über den Zustand in ihren Fachgebieten. Und über Ideen für eine Zukunft, die sich nicht wie ein Albtraum ausnimmt. Wie sich wehren gegen Parolen, die den Verstand beleidigen? Wie verhalten wir uns zu der Politik des Spaltens und Herrschens, die gerade weltweit ein Erfolgsmodell zu sein scheint? Was bedeutet die digitale Revolution, und gibt es eigentlich noch Hoffnung? Dieses Buch ist das Richtige für alle, die sich auch solche Fragen stellen und besser gewappnet sein wollen für das, was auf uns zukommt. (Info vom Verlag)

 

Selbst habe ich noch nicht alle Gespräche gelesen, aber all jene, die ich kenne (bzw. an denen ich mitgearbeitet habe), sind überaus lesenswert. Etwa das mit der Polit-wissenschaftlerin Valerie M. Hudson von der Texas A&M University in der Kleinstadt College Station (wo ich zufälligerweise eben dort selbst vor zwei Jahren Gespräche für ein politisches Gesprächsprojekt saufgenommen habe, siehe frühere Blogeinträge), die auf beeindruckend klare und nachvollziehbare Weise von der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Gesellschaft sowie von gezieltem Frauenmord berichtet und den Folgen auf z.B. nationale Sicherheit forscht. Oder die Forschungsergebnisse und Ansichten des Neurobiologen Iddo Magen, der in Israel zu ALS und Drogen forscht. Oder Abraham „Avi“ Loeb, Astrophysiker an der Harvard-Universität, spricht über die Suche nach außerirdischem Leben, und die Zukunft des Alls.

 

Der unsichtbare rote Faden aller Gespräche ist die Frage, wie man die Welt retten oder wenigstens in wichtigen Punkten verbessern und zukunftsfähig machen kann. Das ist ein gigantisches Anliegen, aber Berg bricht es jeweils auf die speziellen Kompetenzen ihrer Gesprächspartner herunter. Sie redet mit (…) dem Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, mit dem Astrophysiker Abraham Loeb über das All und das, was vor dem Urknall war oder nicht war, mit dem Neurophysiologen Jens Foell über die evolutionär neue Überforderung unser Gehirne durch digitale Technik.

Um einige werthaltige Fundstücke aus Sicht des Rezensenten zu erwähnen: Die Analyse des besagten Wilhelm Heitmeyer zu Rechts-Nationalismus und -Extremismus ist begrifflich enorm präzise, intellektuell im besten Sinne skrupulös und trotzdem leidenschaftlich; von der Medien-Soziologin Jutta Weber kann man sich prima seine Defizit in Sachen feministischer Technik-Forschung und Science-Fiction-Literatur aufzeigen lassen; von dem Männlichkeitsforscher Rolf Pohl, Autor des Klassikers „Feindbild Frau“, erfährt man wiederum Vernünftiges darüber, wie sich destruktive männliche Selbstbilder verändern lassen. (Arno Orzessek, rbbKultur)

„Jump!“ heisst der Teil eines Songs aus der mir neulich liebenswerter Weise zugeschickten CD 53 von Jacky Terrasson. Wie der Zufall es wollte, besprach ja auch ein Manafonista aus dem Oberfränkischen jüngst dieses hörenswerte Album eines Pianisten, für das ich so manches von Keith Jarrett gerne links liegen lasse. Aber darum soll es hier nicht gehen, vielmehr hat dieses Springen eine therapeutische und auch, was vergangene Begegnungen mit Gurus angeht, spirituelle Bedeutung. Der jüngste Fund östliche Weisheiten betreffend liesse sich unter dem Namen „Sadhguru“ fröhlich einorden. Der Typ ist einfach heiter drauf, voll auf Höhe der Zeit, darum wohl in den Hörsäälen weltweiter Eliteunis auch ein gern gesehener Gast. Yoga war ja immer essentieller Lebensinhalt meinesgleichen, wenn auch im „Freistil“ praktiziert. Aber auch die skeptizistischen, existenziell dunklen Gangarten der Philosophie sollte man nicht unterschätzen. Angesichts der Weltlage scheint mir Schopenhauer verdammt up to date zu sein. Die Schriftstellerin Sybille Berg könnte als seine „Tochter im Geiste“ gelten, sowie ja auch Sadhguru eine reizende Tochter hat, die ist allerdings Tänzerin. Zu Frau Berg muss ich sagen: gäbe es sie nicht, man müsste sie erfinden – und ihr aktuelles Buch GRM (sprich: Grime) mit dem Untertitel „Brainfuck“ ist ein Hochgenuss. Es gehört, das weiss ich jetzt schon, zu jenen, die ich nicht „zu Ende“ lesen werde, sondern immer wieder, weil das Gute eben nicht verjährt. Dieser Schreibstil sei zu negativ? So ein Unsinn: so viel mehr Trost und Empathie findet man hier als in manch abgenudeltem Kirchenpsalm. Und nun, liebe Freunde, zum Abschluss wieder die Kehre, the drive, die Punktlandung: „Jump!“ ist nämlich auch die Methode, ein Buch per Zufallsprinzip irgendwo aufzuschlagen und dann quasi quereinsteigend zu lesen. Spielend lässt sich damit jede notorische Romanlesephobie kurieren.

 
 


 

2012 23 Jan

Frau Berg

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Long time ago: im Fernsehstudio zur Nachtzeit sass Frau Berg – zusammengekauert, schneidersitzend, Zigaretten drehend – in akademischer Herrenrunde und machte ein genervtes Gesicht. „Darf man sowas bringen?“, fragte man sich da. „Was kann, heißt, nützt uns Denken heute?“ – so lautete die Frage und die kluge, nur scheinbar verkorkste Dame sprach: „Denken bringt doch eh nichts, ist doch nur im Kopf!“

Seitdem bin ich ihr verfallen – vielmehr ihrer Literatur; ihrem natürlichen, ungeschminkten Schreibstil; ihrem bissigen Scharfsinn, ihrer heilsamen (sic!) Negativität und Kurzweil. Die Autorin steht da in der Tradition der Skeptiker und weltverachtenden Aussenseiter, für die unsereins schon immer offen war.

Eine leise Note davon schwang schon bei Erich Kästner mit, den ich als Kind gern las. Dann natürlich, unvermeidlich: die Existenzialisten, es war zur Gymnasialzeit, und bei so mancher Angebeteten konnte man damit auch Eindruck schinden (das Wort „Heidegger“ stand bei Camus im Mythos von Sysiphos wie ein Reh in der Lichtung, und erst später – viel, viel später – wußte ich dann in etwa, was das heißt).

Die Entdeckung schlechthin aber war Emile Cioran. Auf den Gipfeln der Verzweiflung, mit Leidenschaft vermengt. Las alle seine Bücher, wie auf Droge. Negatives Denken ist erlaubt, befreiend, keine Sünde – so die Entdeckung – und es bewirkt auf wundersame Weise die Bejahung jener Welt, die einen Knacks hat, damit Licht einströmt.

Zurück zu Frau Berg: gern lese ich auch die Twitter-Zwitschereien und ihre Kolumne auf Spiegel-Online. Allein ihren Vornamen kann ich noch nicht richtig schreiben, schreibe ihn immerzu mit Ypsilon am Anfang, so wie Sysiphos.

Melvin Dobbs hat sich für die Wissenschaftsausstellung seines letzten Schuljahrs an der Ellsworth High School einen ganz besonderen Beitrag einfallen lassen. Der von seinen Mitschülern misstrauisch beäugte Sonderling schockt sein Publikum mit einer selbst konstruierten Wiederbelebungsmaschine. Als Testobjekt dient ihm die Leiche einer kürzlich bei einem Autounfall verschiedenen Schülerin, die er eigens für das Experiment auf dem Friedhof ausgebuddelt hat und nun mittels einer Autobatterie wieder zum Leben zu erwecken versucht. Wenig überraschend schlägt der Versuch fehl, und Melvin landet für seine durchgeknallte Aktion in einer Nervenheilanstalt. Die Jahre vergehen. Vicki Chandler, eine einst von Melvin umschwärmte und immer noch unter den traumatischen Vorgängen der Vergangenheit leidende Klassenkameradin, kehrt aus beruflichen Gründen nach Ellsworth zurück. Hier trifft sie auf den mittlerweile aus der psychiatrischen Unterbringung entlassenen Melvin, der weiterhin seinen Forschungen auf dem Gebiet der Totenerweckung unbemerkt von der Öffentlichkeit nachgeht. Dabei erzielt er schon bald erschreckende Fortschritte, die den guten alten Dr. Frankenstein dagegen wie einen Waisenknaben aussehen lassen. Melvin möchte die von ihm angebetete Vicki nur zu gerne zu einer weiteren Versuchsperson machen, um ihre unsterbliche Liebe zu gewinnen. Doch die hat aus erfindlichen Gründen etwas dagegen …

Wahrscheinlich denkt der geneigte Manafonista, was denn jetzt hier abgehe. Wieder ein schräger Literaturtipp? Ja, schon, aber diesmal ist es Sibylle Berg, die auf ihrer Homepage ihre Empfehlung ausdrückt für die Splatter-Romane von Richard Laymon. Genauer genommen für dessen Schocker „Nacht“. Ich habe hier die knappe Inhaltsangabe eines anderen wiedergegeben („Das Grab“), damit speziell Josie (als Berg-Bewanderter) nicht zu viel verraten wird, wenn er sich über den Klassiker aus dem Bastei-Lübbe-Verlag hermacht (oder ist es Heyne?). Um seine Nachtruhe wird es geschehen sein, und die „Müdigkeitsgesellschaft“ wird es freuen. Besonders, wenn dann noch „The collected works“ des 2001 verstorbenen Autors verschlungen werden – suchtartig! Wahlöö und Dibdin, die einstigen Krimiinitiationen von Josie, sind dagegen nur plumper Sozialrealismus. Ja, Frau Berg sollte eine Manafonista werden. Als kleines Lockangebot widme ich ihr jetzt schon mal, zum Gutwettermachen, mein gestrig verfasstes Poem „Kleine Türen (Verena Place)“. Ich jedenfalls habe „Nacht“ bestellt – und bin sicher, daß dieser Roman von mir nicht im Papiermüll entsorgt wird – wie einst Tellkamps „Der Turm“, Grass´ „Der Butt“, oder Handkes „Der Chinese des Schmerzes“.


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