Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 
 
… and now for something completely different: Seit 1970 produziert Klaus Schulze Platte um Platte — unmöglich fast, auch nur einen Teil davon zu kennen, wenn man nicht wirklich „die-hard fan“ ist. Zu denen zähle ich nicht, gleichwohl ist die Musik Klaus Schulzes für mich ein Wegbegleiter durch die Jahrzehnte gewesen.

Verblüffend, dass es in all den Jahren keine vernünftige Biografie gegeben hat. Es mag damit zusammenhängen, dass Schulze sein Privatleben privat hält. Auch in dieser vor kurzem erschienenen Biografie von Olaf Lux (den man sicher als „die-hard fan“ bezeichnen darf) findet sich darüber eher wenig. Das schadet aber nichts; das Wenige, das man erfährt, lässt darauf schließen, dass Schulzes Leben im Prinzip relativ unspektakulär verlaufen und er selbst bei allem Erfolg ziemlich bodenständig geblieben ist.

„Violinen wachsen nicht auf Bäumen“ ist ein Ausspruch, den Klaus Schulze Journalisten und anderen Fragern entgegenhält, die den Synthesizer für kalte Technik und auf ihm gespielte Musik für „künstlich“ oder „tot“ halten. Dieses Argument trägt schon deshalb nicht, weil auch Gitarren oder eben Geigen Produkte einer hochstehenden Technologie sind, außerdem spielen Synthesizer nicht von allein, sondern bringen nur das an den Lautsprecher, was ein Musiker aus dem Instrument macht. Das bedeutet: Man muss auch das Spielen auf einem Synthesizer erlernen, und bis man das Instrument beherrscht, stecken hunderte, wenn nicht tausende von Stunden darin.

Elektronikfans haben allerdings leicht mal die Tendenz, die elektronischen Instrumente zum Fetisch zu erheben. Die manchmal ellenlangen Listen des verwendeten Equipments auf LP-Covern (auch Schulzes) sprechen Bände. Olaf Lux weiß die Instrumente einzuordnen, fällt aber dieser Fetischisierung nicht anheim. Platte für Platte wird in chronologischer Reihung vorgestellt, gelegentlich kurz von Exkursen unterbrochen, die auf Weggefährten, Plattenfirmengründungen und -pleiten, Live-Situationen, Schulze als Produzent und andere Dinge eingehen, auch Schulzes jahrelange Alkoholprobleme werden nicht verschwiegen. Das meiste war mir nicht neu, aber trotzdem findet sich zu fast jeder Platte irgendeine Hintergrundinformation, die ich noch nicht gehört hatte. Die Arbeit, das alles zusammenzutragen, muss enorm gewesen sein (zumal Schulze selbst für den Verfasser nicht zu sprechen war).

Wenn ein Fan die Biografie seines Stars schreibt, ist das immer ein Seiltanz. Der ist hier im Großen und Ganzen geglückt. Das eine oder andere kritische Wort zu Schulzes überbordender Veröffentlichungspolitik hätte ich mir schon gewünscht, und für mein Gefühl sind viele Platten Schulzes einfach zu lang. Aber das ist Geschmacksache. Wenn ich sagen sollte, welche Platten von Schulze ich für wirklich wichtig halte, dann fallen mir fünf oder sechs ein — die allerdings sind dann wirkliche Meilensteine.

Wer sich für Klaus Schulze interessiert, kann unbesorgt zugreifen, wer ihn nicht mag, wird mit diesem Buch nicht viel anfangen können. „Violinen wachsen nicht auf Bäumen“ ist gut geschrieben und handwerklich gut gemacht, auch wenn man sieht, dass es kein professionelles Satzbild ist. Das Buch hat — was bei selbstpublizierten Werken aus Kostengründen nicht immer selbstverständlich ist — eine gut lesbare Schrift (mein Tipp: Century Schoolbook oder eine ähnliche) in gut lesbarer Schriftgröße (die meisten Leser werden schließlich nicht mehr die jüngsten sein), ist parallel in deutscher und englischer Sprache erhältlich, hat 540 Seiten, kostet 39,99€ und ist nur hier erhältlich.

2021 11 Apr.

Mein Tag in einem anderen Land

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 1 Comment

Z. lebte in einem Zelt im tiefsten Wald, nicht weit vom Flughafen entfernt, der an guten Tagen seine Lebensader war, wenn er nicht von einem Obrigkeitsvertreter verscheucht wurde. Meist trug er eine große verspiegelte Sonnenbrille, die er nur äußerst selten absetzte, meist wenn er einen der seltenen Momente hatte in denen er den Kontakt zu seinen Mitmenschen suchte. Er lebte abgeschieden in seiner eigenen Welt und leise vor sich hin murmelnd, seltener einmal klagend oder gar schimpfend. So kreuzten sich unsere Wege an einem seltsamen Ort, einem Gebäude dessen endlos lange Gänge fast labyrinthartig ins Leere liefen. Er war nicht sehr gesprächig, hatte dicke Kopfhörer auf und eine tief ins Gesicht gezogene Schirmmütze, die er Schirmmütze hieß, weil sie ihn vom Rest der Welt abschirmen konnte. Manchmal mochte er sprechen, meist langsam und etwas unsicher, wenn er von seinen Gesprächen mit den kleinen Vögeln im Wald, die er liebevoll fütterte sprach und ganz leise und geheimnisvoll, als er bekannte fast einmal eine Maus, die in sein Zelt eingedrungen war mit einer gußeisernen Pfanne erschlagen zu haben. Die Maus aber schaute ihn tief an, erkannte ihn und so entspann sich ein eigenwilliger Dialog zwischen ihnen, fremd den Menschen, die in bedeutungslastigen Begriffen die Welt erleben und voll absurder Schönheit für die, die die Freiheit des Augenblicks hörend erfahren können. Meist verbrachte er seine Zeit aber in einer Schlafwandlerexistenz und sein Zelt stand auf einem Ort, der das Gegenstück zu der hintersten Ecke eines vorzeitigen Friedhofes, an dem die Aufschriften auf den verbliebenen Grabsteinen schon lange nicht mehr lesbar waren, darstellte. Dort lebt der Protagonist der kleinen Geschichte von Peter Handke, die er „noch keinem Menschen erzählt hat“, einer Dämonengeschichte, aber weniger einer, die von Besessenheit als von Welt- und Selbstverlorenheit berichtet.

 
 

Wie das: Wir endgültig Durchgedrehten von einem öffentlichen Interesse? Ja: in dem Sinn daß wir, ohne uns dessen bewußt zu sein (wie denn auch?), der übrigen Bevölkerung als Spiegel dienten. Spiegel wovon? Spiegel des eigenen gefährdeten Inneren: „So bin ich insgeheim auch, und ebenso könnte es, morgen früh oder schon heute nacht, von einem Moment zum anderen aus mir herausschreien, und dann so weiterschreien, -kreischen, -toben ohne Ende.“ Aber derart gefährdet ist, nicht wahr, höchstens eine kleine Minderheit und keinesfalls die gesamte Bevölkerung? – Doch: die Bevölkerung, die ganze! – Und was war deren Interesse, sich von uns Besessenen gespiegelt zu sehen? – Sich so gespiegelt zu sehen, konnte, wenn nicht heilen, so doch, für den Augenblick, zurechtrücken, wie auch die Dinge einen selber, die Form und die Formen wahren, insbesondere hier draußen vor all den anderen, und zwar im, wie gesagt, Interesse der Öffentlichkeit!
 
 

Das Schreckliche ist ja nicht die Finsternis, vielmehr das viele Licht drinnen in mir, und um mich herum. Wie böse ist es, dieses Licht. Eingekerkert bin ich in es … Lichtumzingelt allerwärts, bis hinein in die letzten Seelenwinkel … Hilfloser, ich Hilfloser!

 

Von dem Anblick eines bislang Fremden, diskret, selbstlos teilnehmend und freundschaftlich wird er aus seiner Zeit des luziden Wahns herausgerissen, der Dämon weicht und er kann seine Reise weg von den alten Räumen für einen Tag in eine Welt des Namenlosen, des Unbenannten mit dem Gefühl von Erleichterung und Befreiung begehen. In fast skizzenhaften Fragmenten durchstreift der namenlose Protagonist seinen neuen Tag, begegnet Trug und Täuschung und weiß sie aber mit skurrilem Regelwerk als vorgeschobener Handlungsanleitung zu bannen, findet Freude an den Hindernissen und erschließt sich das Zentrum einer fiktiven – und doch so realen – fremden Stadt. In diesen Momenten setzte auch Z. seine verspiegelte Sonnenbrille und die Schirmmütze ab, sah mir lachend in die Augen und pointierte den Augenblick mit einem kleinen Vers (wie auch der Protagonist die Sprüche und Reime der Anderen wiedergibt), mitunter auch von Ringelnatz oder Karl Valentin. Da war er ganz anwesend, einfach hier. Eine kleine Initiation, deren reduktionistische und wunderbar beobachtend-teilnehmende Betrachtungsweise dem wertenden Geist einen der Plätze jenseits des wahren Erlebens zuweisen. Mein Tag in einem anderen Land.


 
 

In 2020, I was probably at only two concerts – Silent Fires in February, and Pericopes in October – both of which are bands with pianist Alessandro Sgobbio, who graduated at music academies in Parma and Oslo, and that is why many of his projects have been taking place between Norway and Italy. The striking Silent Fires album, Forests, was one of my top Nordic releases 0f 2019, available through the enthusiastic (predominantly) jazz label AMP Music and Records, founded in 2014 and managed solely by Oslo-based jazz drummer Anders Thorén. To this date, AMP has released more than 70 albums, among them such highly recommended favourites of mine as Ayumi Tanaka’s debut trio album, Memento, the original project Modes for all Eternity by WAKO & Oslo Strings, or the highly inspired trio Ground 71 from Northern Italy. Just recently, AMP changed the logo and design approach, and Alessandro is back on the label with the debut album of his project Hitra, Transparence, described as a genre-fluid journey into imaginary, lost and hidden places.

 
 

I see that you wrote all the music and are mentioned as producer. So is Hitra rather a project based on your ideas or more like a full-band project of four equals?

 

Yes, I produced the album and wrote the music, but I think that the best way to describe this project is an open musical encountering of four musicians and their own personal voices. It’s nice for me to see and hear how this polyphonic dialogue could well re-shape the compositions (and the improvisations, of course) with a deeper level of a creativity and meaning. Also, some of them are quite structured, some other are wide open, but overall there is «zen» freedom in the way we can approach, interpret, dismantle or improvise in between our repertoire.

 

That „zen“ approach of the music is something I feel is very strong on this album. Interestingly, it reminds me of another recent Italian-Norwegian project: Michele Rabbia, Eivind Aarset and Gianluca Petrella released an album called “Lost River”. There’s no piano on that album, though. You mixed the music with Stefano Amerio in Udine, who also recorded and mixed the “Lost River” album. In any case, your album is a beautifully unique one, stylistically, and also quite different from lots of other albums in the contemporary jazz section, on AMP as well as in general. Which references did you have in mind when you developed the music? 

 

During that period I was mainly working on my own self-perception and development of my musical ideas. The challenging situation of moving every six months (!) to a new city, music academy, apartment and spoken language (Norwegian, Swedish and Danish languages are so similar and yet so very different!), has played an important role in  pushing me towards that direction. That being said, the music on this album has a quite strong connections with my busy daily book-reading activity of that period. I remember that, for many days, I was deliberately stretching my days between silence and reflection, with a book in my hands or a grand piano in front of me, with paper and pencils ready for writing down ideas. But – of course – I was listening to a lot of music during that process, mainly checking out artists who have been developing a clear, energetically strong and personal voice. And it was definitively a wide range of intense listenings – from Arvo Pärt to Robert Glasper, with PJ Morton and J. S Bach in between – and multiple inspirations from specific works from Misha Alperin, Jon Balke, Anouar Brahem, Joni Mitchell, Christian Wallumrød, Kaja Draksler, Kayhan Kalhor and Vijay Iyer, among others.

 

What was the initial inspiration for the album?

 

A few years before moving to Oslo, I was reading a book by French writer Georges Perec and I noticed his curious mention to the lost city of Lebtit: such a fascinating story that resonated in my mind for a while. After that, other related references and readings surfaced and made that first inspiration more solid and valuable. The hidden, abandoned, demolished or imaginary places became the leitmotiv of the album, and I feel that the music included in Transparence organically matches this vision.

 

So how did Hitra as a band start? 

 

It took me some time to find the «right» musicians, but today I can say that I like a lot this line up! [Drummer] Øyvind Skarbø and I shortly played together a mini trio set (with trumpeter Hilde Marie Holsen) at my master admission at the Norges Musikkhøgskole in early 2016. In 2017, a few months after my arrival in Norway, I met [bassist] Jo Berger Myhre and asked him to be part of this project. We started rehearsing a bit in that first trio format, pretty much improvising, with no composed material at all. We just set up the instruments and started jamming for some hours. When the Norwegian Music Academy offered me a «concert + daily recording session» combo, I felt that could be a good opportunity to work on more composed material. Øyvind, Jo and I agreed on adding a fourth member to the band, and the choice immediately came to [guitarist] Hilmar Jensson, who was teaching at the Academy. I asked him if he would have been interested in joining this project – as you know, he said yes!

 

When you first told me about this project about a year ago, I was surprised to encounter the island Hitra again. It’s a fairly big Norwegian island, but it’s located in a region that not a lot of people outside Norway know much about. What is your connection with Hitra — or why did you choose that name for the band?

 

I have never been to Hitra, but I was immediately and enormously inspired by the sound of the word Hitra itself: such an enigmatic perfect word for our metaphoric island of foggy lights, hidden places and sunken cathedrals.

 

I very much like the concept of the multilingual track titles. How come you have two German titles among them?

 

Those two titles carry a special weight in the imaginary journey painted in this album. That’s actually due to my admiration for the work of poet Rainer Maria Rilke. The term “Künftiges” (future things) has a quite eschatological message, and “Lebenslauf” suggests a “life path” that can be physical and spiritual at the same time.

 

We spoke about your ideas for a cover image last autumn, when you were in Berlin to perform your previous album. I remember the title “Transparence” had been there already. The photo on the cover connects pretty smoothly with another AMP album released around the same time, by Pål Nyberg. When and how did you come across Anita Soukizy’s work in the first place? 

 

We had a first connection more than a year ago, during the promotional tour of my previous album Forests. Anita has a particular predilection for the Scandinavian music scene, so we were already in touch regarding that specific topic. Last February — after some concerts in Oslo, Berlin, Paris and Porto — with Silent Fires we finally landed in Milan for our last tour gig, but on that same day our concert got canceled (and the first official Italian lockdown started). Since the gig was not happening, we took the opportunity to make a long band interview with Anita, and also a mini video shooting. That was the beginning of our collaboration.

The first album cover reference I had in mind for Transparence was a foggy, undefined night cityscape. I asked to a few photographers for options in that direction, including Anita Soukizy (and yourself). What happened is that Anita sent me also an extra selection of more-abstract shots. While I was sharing these options with Anders Thorén, we both agreed that, among all options, there was one image in particular that felt quite accurate in visually delivering Transparence’s liquid atmospheres, so we went for it. I agree with you — its style matches the Pål Nyberg album cover, but it is only a (very good) coincidence.

 

What’s the idea behind the video teaser for the album?  

 

The idea of a night cityscape reference came back only after the album artwork was finalized. I was starting to think about an album EPK video, but then I remembered that Anita Soukizy mentioned, during a phone call, the existence of some unreleased night video shots she took in Milan. That footage has been included in the video teaser (where you can hear the opening track, “Lebtit”, played in its entirety), and I am happy I could finally materialize my very first visual intuition for this album.

 

Mechtild Borrmann ist eine Schriftstellerin, die darauf spezialisiert ist, abgerissene Zeitlinien der (weitgehend) deutschen Geschichte zu verbinden. In ihrem zurecht mit dem Deutschen Krimipreis 2012 ausgezeichneten Roman „Wer das Schweigen   bricht“ zeichnet sie die Geschichte von sechs Freunden, die sich im Nazi-Deutschland schworen, immer füreinander da zu sein. Das geht gründlich schief.

Ein erfolgreicher Arzt stösst im Nachlass seines Vaters auf das Foto einer unbekannten, attraktiven Frau, und wünscht sich insgeheim, dem selbstgerechten Vater endlich eine kleine Unvollkommenheit in dessen perfekten Vita nachweisen zu können. Das geht ebenfalls gründlich schief.

Der Roman bewegt sich zwischen den Zeitzonen des Zweiten Weltkrieges und des Jahres 1998. Jede Person  ist lebendig gezeichnet, meine Lieblingsfigur ist der kauzige Polizist, der nur darüber schmunzelt, wenn man ihn „Dorfsheriff“ nennt, und seine Liebe zur Langsamkeit mit einer Sammlung von Sanduhren kultiviert.

Muss man noch extra erwähnen, dass Mechtild Borrmann sehr feinsinnig mit Sprache umzugehen weiss, ob es sich um Naturschilderungen handelt, die immer auch Seelenzustände skizzieren, um Dialoge, oder das angemessene Tempo des Plots?! Ihre Kenntnis der deutschen Historie (und ihrer dunkelsten Zeit) erzeugt Schrecken mit klaren, alles Pathos vermeidenden Schilderungen, in denen das Grauen zu  irrationalem  wie irrsinnigem  Alltag gerinnt.

 
(eine bearbeitete Besprechung aus dem Jahr 2012) 

2021 8 Apr.

Brückenbaukunst

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 3 Comments


 

„Peace on my mind
If I’m dreaming
Make this dream reality
Peace on my mind
A cool light streaming
Let it be …“

 
 

Es sind die bridges, die verbinden. Zu meinen all-time-favorites zählt ein Song von Joni Mitchell mit dem Titel Sex Kills“ aus dem Album Turbulent Indigo. Er lief vor Dekaden in permanenter Dauerschleife, im Kassettenrecorder meines weissen Polos, alterierend mit zwei Songs der Pat Metheny Group. Was mir damals schon auffiel, war die Mitwirkung eines gewissen Michael Landau. Den Namen habe ich nie vergessen und auch seinetwegen höre ich „Sex Kills“ immer noch gerne. David Torn hätte seine Freude an dieser Art Gitarrenspiel. Noch eine Zeitreise: Joni Mitchell spielte zusammen mit Robben Ford auf dem Album Miles of Aisles. Zuletzt hatte ich einige Ford-Titel in Augenschein genommen, unter anderem das von mir favorisierte Stück Peace On My Mind“ aus dem Album Truth. Dort gibt es eine bridge, jenen Teil eines Songs, der zwischen zwei Strophen eines Liedes als Zwischenspiel intermittiert, das Leichtigkeit ins Ganze bringt. Grosse Meister dieser raffinierten Brückenbaukunst waren aus meiner Sicht auch Steely Dan gewesen. Robben Fords Seelenfriedenbrücke jedenfalls hatte ich bislang umgangen, weil sie mir zu windig erschien, doch ausgerechnet jener Gitarrist aus alten Tagen tauchte plötzlich wieder auf: via Mausklick und YouTube stand er als hilfreicher Wegbegleiter zur Seite. In meinem Elfenbeinturm in Klausur erklärte mir der (einst) gefragte Studiomusiker kenntnisreich die Baukonstruktion: G Minor 7, E Minor 7, B Flat Major 7, B Minor 11, C 11, E Minor 7, F Major mit E Flat im Bass. So, das hätten wir im Kasten! Es steht jetzt auf Papier notiert, denn der Mensch will Klarheit. Längst vergessen ist jene Epoche, in der man irgendetwas für nicht spielbar hielt. Ich muss es hören und dann weiss ich, was es ist. Und falls nicht, das Internet und all-time-folks wie Michael Landau können helfen.

 

2021 7 Apr.

Käsebier

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 2 Comments

 
 
In den 1920er Jahren gab es im Norden Berlins „Carows Lachbühne“. „Und lassen ein infernalisch-langes Programm über uns ergehen: Steptänzer; eine sehr gute Akrobatengruppe; ein unsägliches Melodram, in der umfangreichen Hauptrolle die ebensolche Frau Direktor; ein Kritiker, über den das Publikum jucheit … Das Publikum freut sich überhaupt über alles, am meisten die Frauen, bei denen der Analhumor jeden anderen hinreichend vertritt,“ schrieb Tucholsky über diese Bühne. Nun kenne ich mich in den 1920ern ganz gut aus, und immer wusste ich irgendwoher, dass Erich Carow wohl das Vorbild für eine Romanfigur gewesen ist, habe aber nie herausfinden können, für wen und was für ein Roman das gewesen sein soll. Ich weiß es jetzt, und ich weiß nun auch, dass die Autorin Carow nicht als Vorbild beabsichtigt hatte. Die Presse klebte dem Roman aus Reklamegründen das Etikett „Schlüsselroman“ an, und Carow wurde den Käsebier nie mehr los.

Um dieses Buch nämlich geht es: Käsebier erobert den Kurfürstendamm, geschrieben 1931 von Gabriele Tergit. Die Geschichte beginnt im Winter 1929. Ein Reporter der „Berliner Rundschau“ sieht in einem Berliner Vorstadtkabarett in der Hasenheide den nicht unbegabten, aber durchaus mittelklassigen Volkssänger Georg Käsebier, und weil er sich in seiner Redaktion hocharbeiten möchte, schreibt er Käsebier zum Megatalent hoch. Damit tritt er eine Lawine los, die gesamte Presse steigt darauf ein und schießt Käsebier in die Umlaufbahn. Seine Auftritte sind ausverkauft, Karten werden schwarz gehandelt, eine Tournee startet, die Märkte werden geflutet mit Käsebier-Biografien, Fotobänden, Zigaretten, Puppen, Schallplatten, Ufa-Filmen. Das Ganze gipfelt darin, dass ihm ein eigenes Theater am Kurfürstendamm gebaut wird, mit Garagen, Läden und Wohnungen.

Die sich allerdings als völlig verbaut, am Bedarf vorbei entworfen und deshalb unvermietbar herausstellen. Und nach einem Jahr ist Käsebiers Höhenflug ohnehin beendet, er ist so schnell aus der Mode geraten, wie er Mode wurde. Man verrät nicht zuviel, wenn man sagt, dass das Theater am Ende abgerissen wird, Käsebier unerkannt in Kneipen auftritt, Handwerker pleite sind, die „Berliner Rundschau“ zu einem Krawallblatt modernisiert worden ist, das eingestellt wird — während der Geschäftsmann, der das angerichtet hat, schon wieder mit gutem Gehalt woanders im Trockenen sitzt. Man kennt diese Mechanismen, sie unterscheiden sich nicht sehr von den heutigen.

Aber das alles ist nur der rote Faden, der Witz des Romas liegt anderswo. Gabriele Tergit war Gerichtsreporterin des „Berliner Tageblatts“, damals eine der großen Berliner Tageszeitungen mit einer Viertelmillion Auflage, zweimal täglich erscheinend. Sie hat in diesem Buch das Kunststück fertiggebracht, alle möglichen Typen geradezu glashart und trotzdem mit großer Sensibilität zu portraitieren — die berühmten „Schöneberger Witwen“, die in ihren 12- bis 14-Zimmer-Wohnungen leben, von denen sie allerdings aus finanziellen Gründen schon zehn untervermietet haben, die Redaktionskollegen (zwei davon sind unmittelbare Denkmäler von Kollegen Tergits), das gesamte Geschwerl, das immer dort ist, wo die politische Stimmung und die Gewinnerwartung hintendiert, der kleine Unternehmer, der durch die Fehler anderer so verschuldet ist, dass ihm nur noch die Pistole bleibt, die großspurigen Mini-Goebbels, die ganz klein werden, wenn es gilt, Farbe zu bekennen, die fast schon zynischen gebildeten und gelangweilten Mittdreißigerinnen mit Doktortitel, die auch mit Körpereinsatz arbeiten, um geheiratet zu werden. Aber nicht immer ist das Zynismus. In der Person Käte spiegelt Tergit eine enge Freundin, und man versteht, wie jemand so wird. Der zunehmende, schleichende Antisemitismus, die dunklen Wolken am Horizont, die sich ausbreitenden Nazis, sie sind da. Nicht als Hauptthema, sondern als Bestandteil des Alltags und des Berufs. Und wer will, lernt in diesem Buch präzise, wie damals eine Zeitung gemacht wurde, von der Redaktionshierarchie bis zum Metteur (weiß noch jemand, was ein Metteur war?).

Das Faszinierende dabei ist, dass Tergit durchgehend über die fast 380 Seiten fast ausschließlich Dialoge einsetzt. Dabei trifft sie das Vokabular und die Sprechweise der diversen Typen und Charaktere punktgenau — das lernt man wohl bei Gerichtsverhandlungen, aber man muss auch ein Ohr dafür haben, und das hatte sie. Dass es bei diesem Endlosgerede manchmal zu Längen kommt, ist klar, macht aber nichts. Es dauert ein bisschen, bis man die Fäden beieinander hat, aber ab dann läuft man die Strecke mit und genießt, wie genau man fast die Stimmen hört. Die Trauerrede für die an Tuberkolose gestorbene zwölfjährige Tochter einer Kollegin wird in voller Länge wiedergegeben, man weint am Ende fast mit — merkt aber dann zunehmend, dass der Redner, der kurz zuvor im Zuge der Modernisierung der „Rundschau“ gefeuerte altgediente Redakteur Miermann (einer der beiden Redaktionskollegen, denen Tergit ein Denkmal gesetzt hat) hier gleichzeitig sein eigenes Testament verliest. Denn kurz darauf fällt er auf der Straße tot um, und obwohl er nie aktiv religiös war, fallen ihm als letzte Worte ein: „Schmah isroel, adonoi elohenu adonoi echod.“ Und man möchte die Figuren, die sich dann auf seiner Beerdigung in seinem Licht sonnen, mit dem Waschlappen erschlagen. — Tergit selbst hatte wohl ein wenig Skrupel wegen der Häufung jüdisch klingender Namen in dem Roman, aber die Lektorin überzeugte sie davon, daran nichts zu ändern, und ich denke, sie hatte recht. Tergit dürfte ohnehin gewusst haben, wovon sie sprach. Ihr wirklicher Name war Elise Hirschmann, sie schrieb auch für die „Vossische Zeitung“ und die „Weltbühne“ und landete nach einem ihrer Prozessberichte auf der Gegnerliste der Nazis. 1933 überfiel die SA ihre Wohnung. Sie ging mit Mann und Sohn dann zunächst ins Versteck, später ins Exil.

Verblüffend ist die Radikalität, mit der Tergit gegen Ende des Romans alles, aber wirklich alles, zu Bruch gehen lässt. Und das alles ist (fast) immer logisch und der Wirklichkeit abgelauscht. Meine Top-Bücher, die diese Zeit wiedergeben, waren und sind bis jetzt Erich Kästners „Fabian“ (ich empfehle die rekonstruierte Originalfassung, die vor ein oder zwei Jahren unter dem von Kästner ursprünglich vorgesehenen Titel „Der Gang vor die Hunde“ erschienen ist), und Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“. Zukünftig wird Gabriele Tergits Roman bei mir in derselben Reihe stehen, und ich werde ihn nicht zum letzten Mal gelesen haben.
 
 

 

He is so young, kind of sunshine fellow. I heard him once singing in the stairwell of our old apartment house. I was stunned by his soft voice. I thought, maybe Jeff Buckley covered another Hallelujah. Recently I met George again in the hall. I told him that I loved his timid voice. I asked him, since when he was singing. He had a bright smile on his face: “I can‘ t remember, I remember that I was always singing. In my family, everybody was singing and playing instruments like guitar, piano. I remember me dancing infront of the Radio or CD player, just moving to the rhythm which was coming out of these magic boxes. Later I started to play a drum, but my father didn‘ t like the noise … He bought me a keyboard which I play until today. At school we had a funny band with chaotic vibes between us. Soon I preferred my own style, I put my focus on one guitar only with more chords.“

 
 

When did you start with singsongwriting?

 

In October 2013 I began with textwriting. I had an encounter in Greece, where my family comes from, with an old Greek lady, she is a philosopher. While talking to her, she seemed to pull out of me whatever was inside of me. I started to write about my family. I like my mothertongue, but I sing only in English, sounds better than the Greek phonetics. You know I was raised with the music of Lana Del Rey, I love her, and Marina ( and the Diamonds) and with Charli XCX, who was the first woman, who created this outrageous fine sound with her PC.  It was a friend of mine from Cologne, who introduced me to the App, with which you can compose demo songs. I started creating sounds with my own PC.

 

How do you produce now your own sound?

 

First I write my text, then the metronome determines the beat. Then I choose an electric instrument. I prefer the synthesizer. With the digital note grid I put in the notes. I play, I tune, I correct. It is so much fun to work with the synthesizer, because you can set special frequencies on it. I really do attack the sound to get the best out of the equalizer. I am not yet satisfied with my work, but I keep practicing. Anyways until now my songwriting and singing is more important to me.

 

George, where do you get your inspirations from?

 

From the moon, the sun, the water, the wind, the birds  and from my Greek roots and my dreams. Would you like to listen to the song you heard me once singing on the staircase?

 

I would love to.

 

„Music of the Wind“

 

You have a very voluminous voice. Thank you for the nice talk and good luck for your musical career.

 

2021 7 Apr.

„Glad Times“

von | Kategorie: Blog | | 1 Comment

 

v i d e o

 

2021 7 Apr.

No Other

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 5 Comments

Eingezwängt zwischen der Wildnis der Rocky Mountains und der Endlosigkeit des Pazifik liegt das Land, in dem der silberne Raabe gesichtet wurde und die silberne Glasphiole versteckt liegt, wo die Grenze zum Kosmos dünner und durchlässiger scheint und die Wünsche wahr werden.

Aus diesem gelobten Land kam ein Byrd mit Flugangst, der sich nach einem Höhenflug aus der Band zurückzog. Sein Album „No Other“ ist ein scheues Tier, das einmal im Jahrzehnt sein Versteck verlässt und von der Welt bewundert wird, um sich dann rasch wieder in ein verlorenes Tal, dessen Eingang hinter einer dichten Nebelwand verborgen liegt, zurück zu ziehen.

Es ist nicht so breitbeinig, wie der schwere Titeltrack vermuten läßt, sondern vorsichtig, zurückhaltend, zweifelnd. Und doch von einer klanglichen Opulenz, die ihresgleichen sucht – hier wurde viel Geld ausgegeben, um genau den richtigen Sound zu finden. Die Musik, eine in den 70er Jahren angerührte Melange aus Country, Folk und Soul, berührt den Boden kaum, in den beiden längeren Stücken „Lady of the North“ und „Some Misunderstanding“ kommen mehr Instrumente zu Gehör, als eigentlich im Studio waren. Ein  Meisterwerk, das vom Verlust von Träumen, und dem übrig geblieben Schatten, handelt.

2021 6 Apr.

An instant classic

von | Kategorie: Blog | | Comments off

1 – STATEMENT –  I like to announce an instant jazz (or whatever you may call it) classic. Not really instant. It took a while, and then it blew me away, this album of Floating Points aka Sam Shephard, Pharoah Sanders and The London Symphony Orchestra. „Promises“ is will be in my top 5 of 2021. I listened to it on the highest dune of my northern island, I listened to it inside a deserted beach chair at the sea, after midnight, with crushing waves adding the fourth element to a mélange of archetypal  jazz, modern classical  & electronica. I listened to it at home, and it felt like a homecoming horizon.

 

2 – DETAILS – Die einzelnen Teile von „Promises“ fliessen nahezu nahtlos ineinander über, aber einmal geschieht etwas, dass diese Organik bricht. Was passiert da in der Schlusssequenz von „Movement 8“? Es ist etwas, das man so ähnlich schon gehört hat auf dem Klassiker der Band „Love“, und auf „Laughing Stock“ von Talk Talk. Ein unerwartetes Einreissen der Musik, als hätte ein Stromschlag ihr Weiterklingen verhindert. Ein wie aus heiterem Himmel fallender Vorhang. Hier, auf „Promises“, kommt diese Störung daher wie ein Störsound, und kurz fürchtet man einen Kapitalschaden der eigenen Lautsprecher. (Nicht, dass ich hier auf ein Mängelexemplar reinfalle, und da einen Sinn hineindichte, den es gar nicht gibt.) Diese „Verstörung“ ist eine recht tollkühne Idee, und wenn sich die Entstehung dieser Grosskomposition von Sam Shephard tatsächlich über fünf Jahre hingezogen hat, hatte er genug Zeit, über diesen Showdown der achten Bewegung nachzudenken.

 

3 – HISTORY –  Die Achtziger Jahre waren sicher nicht Miles Davis’ kreativste Dekade. Seine Popularität stieg, sein Spiel wurde gefälliger. Eine Ausnahme, vielleicht, das  Album „Tutu“, produziert von Bass-Mann Marcus Miller. Keyboards, Sequencing, Dub-Effekte, Drum-Maschinen und Tonalitäten, die oft die Helligkeit und Schärfe der Fairlight-Ära hatten: ein harter Sound, dem man aufnahmetechnische Brillianz bescheingen kann. Es ist das einzige Album von Miles Davis, aus jener Dekade, von dem ich glaube, dass ich es zuweilen noch sehr gerne hören würde. Ich mochte die Härte. Das Strahlen. Die Grooves. Brian Eno mochte es gar nicht: er empfand den Trompetenklang als geradezu „rechtwinklig eingekastelt, verschraubt, vernietet“. Er liebte weitaus mehr die Weite von „He Loved Him Madly“: Teo Macero schuf damals ein geisterhaftes Ambiente, eine fliessende Landschaft für die Trompetensounds des Meisters, der diese Schattenwelt selbst noch mit verhuschten Orgeltupfern verstärkte. Die Liebeserklärung an Duke Ellington findet sich auf dem Doppelalbum „Get Up With It“. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Brian Eno in diesen Tagen „Promises“ von „Floating Points“ hören – und begeistert sein wird. Alles andere würde mich wundern.

 


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz