Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 27 Mai

All Gates Open

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 9 Comments

(Vorbemerkung: Jans Text aus dem Jahr 2020 taucht hier aus gutem Grund wieder auf:  morgen erscheint Cans Konzert aus dem Jahre 1975, „Live in Stuttgart“, das bislang in Vorab-Kritiken (Uncut, Mojo) sehr viel Lob erntete. Ich bin gespannt. 20 Minuten habe ich für die CD reserviert, für eine der „Zeitreisen“ in den Klanghorizonten am 19. Mai. Jetzt muss es mir nur noch gefallen:) … Solche Ausgrabungen bringen stets unsere Erlebnisse und Erinnerungen ans Licht. Irgendwo in den Tiefen des Blogs findet sich auch Jans Besprechung von Alan Warners Buch über „Tago Mago“, das mir weitaus besser gefiel als ihm. Es ist eher eine private Geschichte über das Leben mit einem Album als eine gründliche Werkanalyse, ich fand es famos erzählt. Morgen erscheint auch das Opus „PostHuman“ des Duos „Trees Speak“ aus Tucson, Arizona, das auf ihren nunmehr drei Alben für das Label SoulJazzRecords auf sehr kreative Weise Krautrock-Traditionen anzapft. M.E.)

 

 

 

 

Das noch immer beste Buch über Can ist das 1998 dreisprachig als Teil der Can Box erschienene, leider längst vergriffene „Can Box Book“ von Wolf Kampmann und Hildegard Schmidt. Ansonsten hat nicht viel Auswahl, wer sich für die Geschichte der Band interessiert. Gemessen an ihrer Bedeutung ist das eigentlich erstaunlich. Es gäbe dann noch „The Can Book“ von Pascal Bussy und Andy Hall von 1989, ein Werk voller, wie Tucholsky es einst nannte, „unsichtbarer Imponierklammern“ — hinter jeden zweiten Absatz raunt es dir unsichtbar ins Ohr: „(Ist das nicht toll, was wir alles wissen? Und wir wissen noch viel mehr, was du, dummer Leser, nie erfahren wirst!)“

Und dann ist da „All Gates Open — The Story of Can“ von Rob Young und Irmin Schmidt, so benannt nach dem Eröffnungstrack von Cans letztem regulären Album von 1978 (wenn man den 1989er Nachzügler Rite Time mal außen vor lässt, der wohl eher dazu diente, einige Dinge zwischen den Musikern zu klären). Ich bin erst jetzt dazu gekommen, diesen Klotz mit seinen fast 580 Seiten plus einiger Fotostrecken durchzulesen.

Das Ergebnis ist durchwachsen. Das Buch zerfällt in drei Teile: Zum ersten ist das die von Young verfasste Geschichte der Band, zum zweiten eine Sammlung von Gesprächen mit Irmin Schmidt, und zum dritten Tagebuchauszüge und andere Notizen von Irmin Schmidt.

Young schrieb für The Wire, seine Story der Band nimmt etwa zwei Drittel des Buches ein. Sie hangelt sich an den Platten entlang, ist gut und sachlich geschrieben, hält sich allerdings nach meinem Eindruck ein bisschen zu eng an Irmin Schmidt und dessen Sicht der Dinge fest. Young kennt die Band sehr gut, seine Kenntnis der Aufnahmen ist so gut wie lückenlos, oft hat er Informationen oder Hintergrundgeschichtchen zu den Stücken und ihrer Produktion parat, die wirklich aus dem Nähkästchen stammen. Insbesondere die vielen Informationen über Cans Filmmusiken sind für jeden, der die Band kennt und schätzt, hochinteressant. Die Rolle von Irmins Frau Hildegard wird ausführlich beleuchtet, auch der jahrelange Ärger mit Abi Ofarim wird geschildert, der sich zum Manager der Band berufen fühlte, aber wenig dafür tat. Einige merkwürdige Fehler sind mir aufgefallen, die möglicherweise einer Übersetzung oder Übertragung geschuldet sind; so wird etwa Karlheinz Stockhausen eine Komposition namens „Klangwelle“ zugeschrieben, die es nach meinem Kenntnisstand nicht gibt (gemeint ist wohl „Kurzwellen“), auch sprachliche Missverständnisse treten gelegentlich auf. Aber damit kann man leben. Die Rolle Stockhausens für die Band, das wird schnell deutlich, kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, das zieht sich durch das gesamte Buch. Sowohl Holger Czukay als auch Irmin Schmidt waren seine Studenten, Schmidt selbst kommt ja aus einer klassischen Musikausbildung. Ich habe durch die Lektüre etliches über Malcolm Mooney und Damo Suzuki erfahren, was ich nicht wusste; gelegentlich wartet das Buch auch mit Mitteilungen auf, die ich so genau gar nicht hätte wissen wollen — etwa die Ursache der Spannungen zwischen Holger und Irmin, eine private Geschichte, die für mein Gefühl gar nicht in die Öffentlichkeit gehören würde.

Gemessen an den Anteilen Irmin Schmidts sind die Geschichten Jaki Liebezeits, Holger Czukays und Michael Karolis ein wenig unterbelichtet, aber vielleicht sollte man das gesamte Buch ohnehin als eine Art Schmidt-Biografie sehen. Generell gilt: Am Lack der Gruppe wird an keiner Stelle gekratzt, hinterfragt wird nichts. Selbst die Nähe der Band zu okkulten Erscheinungen, Telepathie etc., wird nicht kommentiert oder in Frage gestellt. Die alten Stories mit der Selmer-Orgel, die angeblich auf verbales Kommando von Michael aufhörte zu rauschen, werden ebenso unhinterfragt wiedergegeben wie die angeblich stehengebliebenen Uhren im BBC-Studio, als Jaki aufhörte zu spielen. Na gut, Fans lieben Märchen, trotzdem hätte man sich da ein klareres Nachhaken gewünscht.

Das letzte Drittel des Buches steht unter dem Motto „Can Kiosk“ und teilt sich auf in Gespräche mit Irmin Schmidt und Notizen von Irmin Schmidt. Seine Gesprächspartner sind unter anderem Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten), Geoff Barrow (Portishead, die Schmidt offenkundig sehr schätzt), Filmemacher und Theaterregisseur Klaus Emmerich, zu dessen Serie „Rote Erde“ Schmidt die Musik schrieb, Duncan Fallowell, Hans-Joachim Irmler (Faust), Wim Wenders und etliche andere. Irmin Schmidt steht dabei zwar im Mittelpunkt, aber es geht auch um die Arbeit der jeweiligen Gesprächspartner. Die sich dann anschließenden Notizen, Tagebuchausschnitte und Traumschilderungen von Schmidt sind für mein Gefühl inhaltlich wenig ergiebig und wären verzichtbar gewesen. Aber gut, nun sind sie mal da.

Wie gesagt: Das Kampmann/Schmidt-Buch von 1998 findet man bestenfalls mit viel Glück noch gebraucht, deswegen wird das Young/Schmidt-Buch das beste bleiben, das über Can zu bekommen ist. Lesenswert ist es allemal.

2021 27 Mai

3 x PSB

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | Comments off

Es gibt drei Nachrichten, die Pet Shop Boys betreffend:
 
 

 
 
Diese Single. Sie ist etwa so kratzig wie der Pullover aussieht. „Cricket Wife“ ist ein fast zehn Minuten langes Stück mit verschlungener Melodie, das auf einem Gedicht von Neil Tennant basiert. Es kommt ohne — wie heißt es immer so schön — Kirmesdisco daher, statt dessen wird der Song getragen von sinfonischen Klängen. Einziger Haken: Diese Klänge sind synthetisch, sollen aber wie ein Orchester klingen. Hätte man statt dieser elektronischen Sounds ein wirkliches Orchester eingesetzt, hätte dies eine interessante Nummer werden können. So ist sie leider nichts Halbes und nichts Ganzes.

Auf der B-Seite bzw. als zweiter Track findet sich eine neue Abmischung von „West End Girls“, die sogenannte „Lockdown-Version“, was schon darauf hindeutet, dass sie nicht im Studio, sondern in Neils und Chris‘ jeweiligen Wohnungen entstanden ist.

 

 

Schon das Coverfoto ist zum Liebhaben. An den Film My Beautiful Laundrette von Stephen Frears erinnern sich sicherlich noch alle. Im September 2019 entstand in Leicester eine Bühnenversion des Stücks, zu der die Pet Shop Boys zwei Songs und einige Zwischenmusiken lieferten. Die EP war zunächst nur in Verbindung mit dem jährlichen „Annual“-Buch der beiden zu erhalten, nun gibt es sie auch zum Download. Hörenswert.

Und, am Rande bemerkt: Ein interessanter Trend, dem die Pet Shop Boys hier folgen. Wenn es früher einmal üblich war, in dem einen Jahr ein neues Album zu produzieren und im darauffolgenden mit dem Album zu touren, so ist die Popwelt inzwischen derartig schnell geworden, dass ein neues Album nach zwei Jahren heute bereits als „Comeback“ gewertet werden würde. Immer mehr Stars und Sternchen gehen deshalb dazu über, statt eines Albums nur noch EPs zu produzieren — dies dann aber jährlich. In einer Zeit, da sich Popkarrieren oft nur noch nach Monaten bemessen, ist das wohl konsequent, damit der Name nicht vergessen geht.
 
 

 
 
Discovery — Live in Rio 1994 war bislang nur als VHS-Cassette oder als Laserdisc zu haben und natürlich längst vergriffen. Nun gibt es den Konzertmitschnitt wieder, diesmal auf zwei CDs und einer DVD. Das Konzert überrascht wenig, „Tonight Is Forever“ eröffnet die Show, und die enthusiasmierten Cariocas sehen das offenkundig auch so. Die Bühne kommt mit großer Showtreppe daher, die Show ist perfekt geprobt, auch die bereits gewohnten Kostümwechsel kommen zuverlässig. 1994 gab es zwischendurch im Konzert noch eine Art „unplugged“-Runde, in der Neil zur Gitarre greift; in späteren Konzerten findet man dies nicht mehr; in der Dampfhammernummer „Paninaro“ sprechsingt hier auch einmal Chris. Wie oft, haben die Pet Shop Boys auch diesmal eine Backup-Sängerin vom Feinsten engagiert: Katie Kissoon, die man von Mac & Katie Kissoon bis hin zum Orchester James Last kennt. In einer wunderbaren Kombination der Songs „It’s A Sin“ und dem alten Gloria-Gaynor-Hit „I Will Survive“ singt sie die Gaynor-Teile. Außerdem gibt es die Coverversion des Blur-Titels „Boys & Girls“, der es mit dem Original aufnehmen kann.  Verblüffend, wenn man darüber nachdenkt, ist die Tatsache, dass selbst 1994 einige der dargebotenen Hits schon über zehn Jahre alt waren. Die Jungs sind tatsächlich schon lange dabei. Auf Betriebstemperatur kommt die Show erst im letzten Drittel, dann allerdings wirklich.

Weniger ansprechend finde ich die Tänzer — etliche Go-Go-Girls und -Boys erinnern an alte Beat-Club-Zeiten, zeitweilig geht das Ganze in mir etwas zu schwül geratene Schmuseszenen sowohl m/w als auch mm/ww über. Ich weiß nicht, ob das 1994 noch ein Tabubruch war, festzuhalten bleibt jedenfalls, dass jeder zweitklassige Stripschuppen auf St. Pauli solche Szenen überzeugender über die Bühne bringen könnte.

Die Aufnahmen sind naturgemäß Videoaufnahmen, und man hat darauf verzichtet, sie mit heutigen technischen Mitteln zu verbessern. So sieht man seit langer Zeit wieder einmal Bilder im Format 4:3 und dazu kräftiges Farbrauschen bei blauem und rotem Scheinwerferlicht. Auch der Ton auf den beiden CDs ist kaum nachbearbeitet worden, klingt ein wenig matt und unterscheidet sich nicht von dem der DVD; lediglich habe ich das Gefühl, dass auf den CDs das Publikum etwas stärker in den Vordergrund gehoben wurde.

Für Fans.

Womit der Chronistenpflicht Genüge getan sei.

„Showtunes“ is smooth, cool, laid back and quite dreamy. Lazy even. It’s what Kurt Wagner does best – take you for a slow late night drive around less familiar territory. I’m in, and along for the ride.“

(dylan37, The Guardian)

 

Das erste Mal hörte ich den Namen Lambchop, als David Byrne in einem nun auch schon uralten Interview davon sprach, wie ihm das Album „How I Quit Smoking“ gefalle. Als jene Songs dann bei mir landeten, ahnte ich, das würde eine neue Lieblingsband. Der ehemalige Fliesenleger – und eine Band wie einen Malkasten einsetzen. Seitdem besorgte ich mir jedes Album. Vor Jahren wurde „What Another Man Spills“ für eine Vinyl-Ausgabe neu remastert, und dieses Remaster war so unheimlich gut, dass ich das Werk, obwohl ich es von früher kannte, gleichdam neu entdeckte. „Is A Woman“ galt früh als Klassiker, „Nixon“ als ihr vielleicht berühmtestes Album, und „Damaged“ war lange Zeit mein heimlicher Favorit. Diese Formation, um den Sänger und Komponisten Kurt Wagner herum, hörte nie auf, neue Wege zu beschreiten, und als er dann begann, die eigene Stimme zu verfremden, mit „FLOTUS“, musste ich nicht überredet werden – Effekte sind bei Lambchop keiner Mode geschuldet, immer dem musikalischen Ausdruck. Und nun also „Showtunes“. Ein Wunderwerk, und wenn ich die gute halbe Stunde höre, etwa auf weissem Vinyl mit 45 Umdrehungen pro Minute, gibt es keinen überflüssigen Moment – all diese Samples, akustischen Vignetten, dunklen Winkel, Midi-Verwandlungen, Murmelmelodien, Interludien etc. fesseln ohne Ende, und entfesseln etwas in mir. Von den lyrics und dem Hund auf dem Cover ganz zu schweigen. Wie Kurt Wagner Motive des Erhabenen (Oper, Broadway, Sinatra) raffiniert in eine erfüllte Leere laufen lässt, ist atemraubend, und gipfelt im letzten Song, der en passant, in einer eingigen Phrasierung, dem späten Scott Walker zunickt. Flüchtig gehört, könnte „Showtunes“ seltsam fragmentiert wirken, dabei ist es formvollendet. Man stelle es ins Plattentegal neben „Mark Hollis“, „Trio Tapestry“, „The Marble Index“,  „Open, to Love“, „Another Day On Earth“, „I Trawl The Megahertz“, „Music For A New Society“ und Jacques Brels letztes Studioalbum, das mit den Wolken und dem blauen Himmel. In genau diesen Regionen bewegt es sich, und bleibt doch ganz bei sich.

 

2021 25 Mai

Vielleicht war es das Spaghetti-Eis

von | Kategorie: Blog | | Comments off

 

Die zweite Biontech-Impfung von gestern ist bisher fast ohne Nebenwirkungen (bis auf den schmerzhaft-matschigen Arm) an mir vorbei gegangen. Vorher hab ich ca. 10 Globuli Meteoreisen plus eine ordentliche Dosis Vitamine eingenommen. Hinterher eine halbe Stunde in der Sonne gesessen. Dann ab aufs Sofa. Gehört: Millions now living will never die von Tortoise. The noise made by people von Broadcast. Showtunes von Lampchop. Scenery von Ryo Fukui (Ich stelle mir gerne vor, wie sich Ryo Fukui und Haruki Murakami nach einem Konzert in Tokio einen Drink genehmigten.). In my own time von Karen Dalton. Danach gab es Bratkartoffeln mit Speck und dann vor dem Fernseher (zwei Folgen Sherlock: Sein letzter Schwur und Die Braut des Grauens) Spaghetti-Eis vom Italiener. Ich vermute, dass mich Early Summer von Ryo Fukui vor den Nebenwirkungen geschützt hat, aber wer weiß das schon so genau, vielleicht war es auch das Spaghetti-Eis.

 

Die Grille in der Musik

 

„So einfach die Musik der Grillen klingt, so ausgefeilt ist ihr Instrument: Die mit 135 Nano-Zähnchen besetzte Schrill-Ader auf der Unterseite des rechten Deckflügels wird mit ruckartigen Spreizbewegungen über eine gekrümmte Leiste auf dem linken Flügel gestrichen. Die Vibration überträgt sich auf je zwei trommelfellartige Flügelfelder. Damit diese frei schwingen und den Ton weit abstrahlen, hebt das Grillenmännchen beim Fideln die Flügel an. So ist das unermüdliche „zirp … zirp … zirp …“ in offenem Gelände und bei Windstille fast 100 Meter weit zu hören.“ (NRW Stiftung: Natur Heimat Kultur).

Der Klang von Grillen ist an sich schon wunderschön, noch dazu erinnert er uns an heiße Sommertage, an ruhige Abende auf der Terrasse, an Urlaubstage am Meer. Nun mischt die Grille allerdings auch in der Musik kräftig mit und es erstaunt nicht, wenn wir unter den Grillen-Liebhabern eine Menge alter Bekannte finden. Beginnen wir 1985, damals erschien HYBRID, eine tolle Schallplatte von Michael Brook, der sich von Brian Eno und Daniel Lanois unterstützen lässt. Auf dem Stück Pond Life hören wir sie, die Grillen.

Auch Harold Budd verarbeitet den Klang der Grille in seiner Musik, auf der Platte Pearl von 1984 findet sich das Stück An Echo of Night und hier zirpen sie wieder, die Grillen. Brian Eno und Daniel Lanois, das nur nebenbei, sind auch hier wieder mit von der Partie.

1995 erschien bei TRAUMTON Michael Rodachs Musik für Fische. Auf dem Hintergrund der Musik von Grillen spielt sich das musikalische Geschehen des titelgebenden Musikstückes Musik für Fische ab.

Im Jahre 1957 erschien La Jalousie, ein Roman von Alain Robbe-Grillet. Im Französischen hat die Jalousie eine zweifache Bedeutung, zunächst ist damit der Sonnenschutz gemeint, dann aber auch die Eifersucht. Mit dieser Doppelbedeutung spielt der Autor. In Deutschland erschien das Büchlein unter dem Titel Jalousie oder die Eifersucht. Heiner Goebbels entdeckte den Text und schuf 1993 das geniale Hörstück La Jalousie – Geräusche aus einem Roman. Neben dem Ensemble Modern hören wir – wer hätte es gedacht – Grillen. Grillen sind eben für eine ganz besondere Atmosphäre zuständig.

Abschließend sei noch einen wunderbaren Film von Jim Jarmuscherinnert: DEAD MAN. Die Musik zum Film spielte kein anderer als Neil Young ein. Auf dieser Scheibe, die, das ist mal sicher, zu meinen Lebens-Top 100 gehört, kann man Grillen hören … unglaublich!

 

Meine Geburtstagshitliste:

 

It s a hard rain gonna fall

Desolation row

Man in a long black veil

Mississippi

Blind Willie McTell

Tell me

Ring them bells

Lady of the lowlands

All along the watchtower

For ever young

 

2021 24 Mai

Pfingstgruss vom Maschsee

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 5 Comments

 

<span style="color: #779191;">Aus dem Zyklus "Der Hannoveraner liebt seine Stadt" © JS 2021</span>

 

The new songs comprised guitar tracks that were converted into MIDI piano tracks, over which Wagner laid Broder’s grand piano, Olson’s assorted sounds, horns by CJ Camerieri, turntable work from Twit One, some free-jazz drumming from Eric Slick and, finally, double bass from James McNew. “I always thought this kind of record needed this upright bass element,” says Wagner. “Very much like some classic jazz piano-trio record and James was always on my mind with that.”

(From Uncut, 2021)

 


Eine Freude, wenn in die Jahre gekommenen Wegbegleitern immer noch Bereicherungen gelingen
, und sie sich nicht darin erschöpfen, mit jeweils neuen Alben allein das Feld unserer Erinnerungen hübsch aufzubrezeln. Ach, weisst du noch – das ist nicht die Haltung Entdeckungsreisender in Sachen Musik.

Und so hat Kurt Wagner, als Lambchop-Mastermind und ruheloser Erforscher von Songhorizonten, auch in den letzten zehn Jahren weiterhin erstaunliche Arbeiten abgeliefert, und mit „Showtunes“ nun ein sicher nicht unmittelbar griffiges, aber rundum geglücktes Meisterwerk, experimentell und tiefgründig zugleich. Es bewegt sich in solch einsamen Höhen wie Mark Hollis‘ Soloalbum, oder Prefab Sprout‘s I Trawl The Megahertz. Eine gute halbe Stunde lang, mit keinem einzigen verschwendeten Moment, garantiere ich (natürlich ohne Gewähr und Reiserücktrittsversicherung) aufregende Erlebnisse mit jedem neuen Hören. Es gibt das Album auch, in einer Sonderedition, auf weissem  Vinyl, in einer Gatefold-Ausgabe mit 45 rpm (!). „Showtunes“ ist eines unserer Alben des Monats Juni (s. Kolumne rechts), und es ist ganz sicher eines meiner Top 5 Alben des Jahres 2021. Ich bin restlos begeistert.

Ich habe Brian dazu eine Mail geschickt, u.a. auch den substanziellen, grossen Artikel über Kurt aus der Juli-Online-Ausgabe von Uncut („The Conceptualist“). Es würde mich sehr erstaunen, wenn Eno nicht Feuer und Flamme wäre, was Kurt Wagners neue Arbeit beitrifft, entstanden in fast mönchischer Zurückgezogenheit, zuhause in Nashville, Tennessee. In den Klanghorizonten am 19. Juni werden zwei Songs aus „Showtunes“ auftauchen, in bester Gesellschaft von Marianne Faithfull, Robert Ashley, Stephan Micus, und, ähem, Brian Eno. Ein „phoner“-Interview wird angefragt, mit Kurt Wagner. Es wäre so ungefähr unser fünftes Interview. 

playlist of nighthawk‘s late night radio in June:

Brian Eno: instrumental track
talking 1 – Michael (on this hour, on Showtunes and She Walks In Beauty)

Marianne Faithfull: from She Walks In Beauty
Lambchop: from Showtunes
KURT WAGNER SPEAKING (possibly)
Stephan Micus: short instrumental track from Winter‘s End (ECM)

short story by  Martina Weber on Robert Ashley‘s Private Parts
Robert Ashley: The Park, from Private Parts (1977 – Lovely Music)
short story by Michael on Robert Ashley’s Private Parts

Stephan Micus: short instrumental track from Winter‘s End
KURT WAGNER SPEAKING (possibly)
Lambchop: from Showtunes
Marianne Faithfull: from She Walks In  Beauty

talking 2 – (Michael on everything)
Brian Eno:  instrumental track 

 

2021 22 Mai

Viel Glyk!

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 3 Comments

 

Gestern zog es mich von dannen. „Immersion“ ist das Stichwort, sie hat viele Facetten und kann beispielsweise durch hochauflösendes, grossformatiges Fernsehen indiziert sein: man wähnt sich mitten im Geschehen. Kombiniert mit akustischem High-End ist ein grandioses Konzerterlebnis selbst im hauseigenen Wohnzimmer garantiert. Manche nennen das „Electric Cinema“. Aber noch zwei weitere Elemente kommen hinzu: Unverfügbarkeit, die besagt, dass Interesse und Appetit sich nicht von aussen steuern lassen, sondern selbstbestimmt sind und authentisch. „Was weiss denn ich schon, was ich will und mag? Der Zufall wird es zeigen!“ Manchmal beginnt dann eine regelrechte Abfahrt, wer mal Skifahren war, etwa die Piste hinab in den Schweizer Alpen, der weiss, wovon die Rede ist. Per Algorithmus wird mir Kinga Glyk bekannt gemacht, die Hasenohren stellen sich hoch auf. Das Konzert vom 36. Kemtener Jazzfrühling weckt Assoziationen. Zum einen ist es eine Wonne, dieses virtuose Bassspiel, an Jaco und andere erinnernd, zu hören. Aber auch diese, man muss es einfach sagen: hochattraktive Erscheinung. Und dann eben auch das, was ich full body performance nenne: wenn Musik, Instrument und Musiker eine Einheit eingehen, die an Tanz erinnert. Solches zu sehen, in dieser Frische, wirkt wie heilsame Musiktherapie. Unweigerlich greift man hernach selbst zum Instrument, ist angestachelt. Soll mir ein Musiker sagen, er würde nicht zuweilen scharf gemacht durch andere. Die Intimität und Perfektion von Kinga und ihren Mannen (der Bruder sitzt am Mischpult) lässt einen fast wünschen, Corona möge bleiben. Musikalische Anklänge bot das Konzert auch an Hellmut Hattler (Kraan) und Nik Bärtsch (Ronin). Der Gruppensound bildete die verwobene Grundierung, auf die der Bass seine bezaubernden Linien zeichnete.

 

2021 22 Mai

Rundmail an alte Klassenkameraden

von | Kategorie: Blog | | Comments off

 


Horst rief mich natürlich an, als er von Peter Siemons‘ Tod erfahren hatte, hatte ich doch von allen, eine Zeitlang zumindest, den engsten Kontakt von uns zu ihm. Aber das ist schon lange her. Und die Erinnerungen liegen unter einem leicht dunstigen Schleier. Ein paar Szenen werde ich nicht vergessen, oder einige Rituale, die uns durch die Schuljahre begleiteten, Peter und mich, in der Zeit, in der wir uns etwas näherkamen.

Peter und Café Beckmann, das war so eine wiederkehrende Szenerie, und er sass, wenn man die Treppe hochging, gerne hinten rechts am Fenster, von wo aus er den ganzen Raum im Blick hatte. Wir hatte  beide unsere kleine Nietzsche- und Schopenhauer-Phase, und er war ein Musikfuchs. Unvergessen, wie ich mich im Café zu ihm setzte, und er das Doppelalbum von Soft Machine, „Third“, hervorkramte. Seine Begeisterung infizierte mich, und als ich Jahrzehnte später Robert Wyatt im Purcell Room an der Londoner Westbank traf, musste ich an Peter denken, und dass meine Geschichte mit Soft Machine und ihrem Drummer und Sänger Robert Wyatt damals früh in den Siebzigern begann.

Einmal, als Peter eine existenzielle Krise hatte, stand „unser Egon“ vor der Haustür. Der einige Besuch, den ich je von einem Lehrer hatte. Er erkundigte sich sehr empathisch nach Peter, und obwohl ich die Details vergessen habe, sagte er später irgendwann etwas davon, dass ein besonderer Fall auch besondere Massnahmen erfordere. Es ging um Unterstützung.

Damals ging das Wort Depression um, und auch, dass er dagegen Elektroschockbehandlungen bekam. Sehr schnell war man damals noch mit der Diagnose „endogene Depression“ bei der Hand, ein Stigma, leichtfertig verteilt. Ein grosser Teil der schnell als stoffwechselbedingt schubladisierten Depressionen sind psychoreaktiv, und eine gute psychotherapeutische Behandlung indizierter als das Standardrepertoire aus Antidepressiva (mit erheblichen Nebenwirkungen auf den Alltag) und Schocktherapie (mittlerweile weitgehend ein No-Go). Könnt ihr euch vorstellen, was solch eine „Behandlung“ bei Peter ausgelöst hat?! Über fragwürdige kurzfristige Effekte hinaus?! Es hatte etwas Entwürdigendes für ihn, glaube ich. Und es hat Spuren hinterlassen. Nicht so viele Jahre später, und er hatte sich aus dem „normalen Leben“, den gewohnten Rollenmodellen für Lebens- und  Berufsplanung verabschiedet. Ausgeklinkt.

Aber erstmal tauchten wir beide als Studenten in Münster auf. Da sass ich öfter in seiner Wohnung, während er paffte, ich Tee trank, und jeden Donnerstag Carmen Thomas mit dem Ü-Wagen in NRW unterwegs war. Wir redeten über Bücher und Musik. Einmal fuhren wir abends nach Dortmund, und auf der Mallinkrodt-Strasse (Gott, so oft da rauf und runter gefahren, und ich weiss gar nicht genau, wie man sie schreibt) sah ich von weitem eine Polizeikontrolle. Es war die Zeit, als Terroristen gejagt wurden. Ich drehte um, musste dazu aber mit meinem VW über die Schienen (das waren leider Schottergeleise, wie ich zu spät merkte), und der  Unterboden meines weissen Käfers schlug heftig gegen das Metall der Schienen. Das war nicht unauffällig, und keine Minute später wurden wir mit Blaulicht gestellt, die Papiere kontrolliert, der Wagen durchsucht. Nicht lustig. Peter war dabei, seine damalige Freundin, und ich.

(Das ist jetzt keine besondere Geschichte, aber sie fiel  mir in den letzten Tagen ein, wie manch andere kleine flüchtige Szenen. Wenn man von einem hört, dass er nicht mehr da ist, und einem mal wirklich etwas bedeutet hat, kommen einem auch ganz banale Momente in den Kopf, so, als wollte man noch einmal an den und den Moment zurückkehren. Noch einmal in der Pizzeria nahe am „Atelier“ sitzen, auf der Couch, Peter, Petra, Sylvia und ich, und aus den Lautsprechern kam „Sweetnighter“ von Weather Report. Oder „Also sprach Zarathustra“ in der Fassung von Deodato. Noch einmal mit Peter, Babsi, Klaus und Thomas (Holtz) in Babsis Dachboden hocken, Leonard Cohen hören, und high werden von Räucherstäbchen.)

Aber dann setzte ich mein Studium in Würzburg fort, und das Ruhrgebiet wurde für etliche Jahre ein Ort, in dem man immer weniger Freunde hatte – nur Heimat halt. Ein paar alte  Bekannte. Spät in den Siebzigern, früh in den Achtzigern, traf ich Peter Siemons noch einige Male. Ich glaube, da spielte er noch Tischtennis. Und wohnte in der Leipziger (?) Strasse. Ein Wirbelwind, wann immer ich ihn da in seinem Element sah. Aber dann verlor sich  auch dieser Kontakt – wirklich nah waren wir uns nicht mehr.

Einmal sah ich ihn noch, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, von ferne auf dem Westenhellweg, aber ich verspürte nicht den Impuls, zu ihm zu gehen. Keine Freude. Eher eine Art Respekt vor seinem Ausklinken aus alten Banden, und  dieses etwas seltsame Gefühl der Melancholie, ihn vielleicht besser in Ruhe zu lassen.

 

Rest in peace, Peter Siemons!


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz