Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

Elke schoss das Foto. Das war gut, heute Abend, richtig gut, und anfangs wackelten die Wände in der Lanxess Hall ohne Unterlass. Wie Neil Young & Crazy Horse rührt die Bande mit dem wunderbaren Warren Ellis in der Ursuppe der Rockmusik, und auch wenn die Balladen da waren, fegte Cave, der Ekstatiker, mit zahlreichern Krachern durch die Manege, und wir dankten es ihm. Hinter meiner Maske musste ich anfangs schallend lachen, so überrumpelte er mich mit der rohen Gangart, hatte ich ihm zuletzt in der Höhle allein kammermusikalisch gelauscht oder als Cave, den Trauerarbeiter, erlebt. Was waren meine besten Rockkonzerte der letzten zehn Jahre, und fast auch die einzigen: The Flaming Lips, Neil Young, Wilco, Lucinda Williams – und Mr. Cave. Gute Gesellschaft, Underworld wären noch dazu gestossen, ganz sicher, aber im ersten Lockdown fiel Karl Hyde und seine Gang aus, wie so vieles. Aber heute Abend, heiliger Bimbam, Punkt 8 gings los, kalt erwischt und bang bang! Mehr ist dazu nicht zu sagen.

 

 

 

Anders als der sympathische und angenehm authentische Michael Ludwigs, dessen YouTube-Kanal „45 rpm audiophile“ nun  auf unserem Blogroll erschienen ist, bin ich zwar auch grosser Vinylfreund, und ziehe des öfteren die Schallplatte der Cd und (sowieso) reinem Streaming vor, halte aber die gute alte LP nicht für das ultimative Medium des Musikhörens. Allerdings mein liebstes:). Selbstredend  können auch Cds überragend klingen, von wegen kalt, analytisch, Nullen und Einsen. Das Definitive gibt es für mich nicht, ich bin ein Swinger, ein Switcher, zwischen CD, Vinyl (da ordne ich mich bei den Manafonisten nach Olaf und Ingo an dritter Stelle ein, und würde unserer einstiger Plattenschranköffner noch dabei sein, an vierter), Sacd, Bluray-Audio, Dvd-Audio, musealen Jukeboxen etc. (und ich weiss auch, wie hochauflösend Quobuz sein kann). Jeder hat eine andere Hörgeschichte. Brian Enos dezente Epiphanie zur Ambient Music verdankt sich u.a. einem beschädigten Lautprecher.

Eine besondere Vorliebe meinerseits gehört exzellenten Surroundmixen, und bei manchen Kinofilmen, die ich mir in der elektrischen Höhle ansehe, neige ich dazu, so verrückte Sätze von mir zu geben wie: 60 % eines guten Films macht der Sound aus. Muss man nicht wörtlich nehmen, aber da ein guter Teil meiner Seelennahrung über die Hörkanäle abgewickelt wird, habe meine ganze eigenen Empfindsamkeiten, was die Vertonung und das Soundtracking von Filmen und Serien angeht.

Unvergesslich bei alldem, dass in der Kindheit beachtliche shocks of recognition (etwa das erste Hören von „All Day and All of the Night“) über billige Transistorradios zustande kamen. Man kann mit betagten „Drehern“, museumswürdigen Kassettenrekordern, und Kopfhörern aus dem letztem Jahrhundert glücklich sein. True love never dies

Über Michael L. bin ich zuletzt (beispielsweise – er ist sehr weit „aufgestellt“, was Neil Young betrifft, funken wir auf absolut gleicher Wellenlänge) aufmerksam geworden auf die jüngst remasterten Blue Note-Alben der „Classic Series“, und, was das Gesamtpaket angeht, ziehe ich bei diesen Zeitreisen in die ferne Vergangenheit in der Regel das Vinyl vor. Vor allem, wenn da so exzellente Arbeit geleistet wird. Meine letzte Errungenschaft: Blues Walk“ von Lou Donaldson (look at the photo and click on it, for the love of great covers.) Nun ist mir der Jazz des elektrischen Miles, des späten Coltrane und des Labels ECM viel näher (emotional) als die einstigen Blue Note-Schätze, aber in bestimmten Stimmungen entpuppt sich da manches als idealer Stoff für „blaue Stunden“.

(Eine gute Einführung zu des andern Michaels Denkungsart liefert sein auf comment 1 verlinkter Vortrag, der zufällig recht zeitgleich mit meinem Text entstand. Es gibt gute Gründe, auch in dunklen Zeiten seinen Passionen treu zu bleiben. Sollte es dazu kommen, dass ich M.L. bald mal in Düsseldorf besuche, findet sich hier der „Sound Walk (2)“ ein.)

 

2022 27 Juni

„The Hellbound Train“

von | Kategorie: Blog | | Comments off

 

Steve Tibbetts‘ oeuvre is criminally undersung. For its openness to distant horizons, its exploration of studio technology’s imaginative potential, its instrumental facility and sheer beauty, Tibbetts‘ music deserves much wider recognition. That said, no guitarist got more airplay on my Klanghorizonte nights between 1990 and 2021.

Ir feels like a special journey to live with his music for decades now. Where beauty and silence quickly became central elements of the music after the first two albums‘ youthful exuberance, passages of anger and darkness have gradually cast shadows over the later music (after his fantastic debut „Northern Song“ on ECM Records, and those journeys into faraway worlds like „Big Map Idea“, „The Fall Of Us All“ and „A Year About A Horse“), while a sombre sense of the passage of time and ultimately of mortality suffuses Natural Causes and, a late masterpiece without doubt, Life Of.

We swim in oceans of music. Many musicians and listeners move in ever smaller circles, swim in a straight line or disappear over the horizon never to be heard from again. A small number master the currents, learn the influence of the moon, tides and storms. Steve Tibbetts is one of the few.

written by Colin Buttimer, and a tiny bit of Michael E.  (the wonderful double-cd-anthology „The Hellbound Train“, is out now) 

2022 26 Juni

Kraftwerk, New York

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 10 Comments

 

 

Manhattan, Radio City Music Hall, 17. Juni 2022. Seit acht Jahren nicht mehr in den USA gewesen, die für 2020 geplante Jubiläumstour wegen Covid verschoben, aber jetzt sind sie da: Kraftwerk. 1971 sah ich sie zum ersten Mal live, seinerzeit in der Hamburger „Fabrik“ vor vielleicht 50 Zuschauern, die ebensowenig wie ich oder die Band selbst eine Vorstellung davon hatten, was aus diesen Typen einmal werden würde. Damals mussten sie ihre eher bescheidene Anlage noch selbst aufbauen, heute stehen drei Trucks vor der Halle und die transportable Bühne ist speziell für die Band designt.

„Sold out“ sagt das Billboard. Das stimmt wohl nicht ganz, links und rechts sind noch freie Plätze zu sehen, wenn auch nicht viele. Die längste Schlange im fast kathedralartigen Foyer dieser wunderbaren Halle mit Zwanziger-Jahre-Touch steht interessanterweise nicht vor dem Getränke-, sondern bereits eine knappe Stunde vor Konzertbeginn vor dem Merchandise-Stand.

 

 

 

 

Ich habe Kraftwerk im Laufe der Jahre nun achtmal gesehen, mit wirklichen Überraschungen war nicht zu rechnen, und es kommen auch keine. Das Konzert beginnt mit dem üblichen elektronischen Wimmelsound, zwölf Minuten lang, dann der bekannte elektronische Spruch: „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, heute abend die Mensch-Maschine Kraftwerk“. Nachdem vor acht Jahren der Auftritt mit „The Man Machine“ begann, hat man sich diesmal wieder für „Nummern“ entschieden, wie man es schon 1981 gemacht hat. Nur gab es damals noch nicht die 3-D-Projektion, und die heute synchron zur Musik quer durch den Saal fliegenden Ziffern packen einen dann doch. Besonders eine Viertelstunde später, als zu „Spacelab“ ein Satellit mitten im Raum zu stehen scheint und auf der Leinwand ein Raumschiff vor der Radio City Music Hall landet. Auch wenn man das alles schon gesehen hat: Es funktioniert. Der 3-D-Effekt wird teils sehr plakativ, teils aber auch recht subtil eingesetzt und trägt eine Weile, lässt dann aber nach. Kraftwerk geht es nicht anders als den vor einigen Jahren etablierten 3-D-Kinos: Der Effekt ist nett, ersetzt aber die künstlerische Substanz nicht.

Kraftwerk hat keine neuen Stücke im Programm, und ich bin sicher, dass wir auch keine mehr erleben werden. Ralf Hütter hat sich auf das 1-2-3-4-5-6-7-8-Schema festgelegt, für eine 9 ist da kein Platz mehr. Die Band spielt „Greatest Hits“, wie immer mit subtilen Veränderungen der Arrangements, Hütter greift wie immer ein paarmal die falschen Tasten, seine Stimme ist inzwischen hörbar gealtert (der Mann ist 75, dafür bewegt er sich noch sehr munter), und was die drei anderen Herren an ihren Pulten machen, bleibt wie immer ein Rätsel. Auch die mit den Armen rudernden „Roboter“ haben ihren Auftritt. Auf geheimnisvolle Weise werden sie im Strobelight aus dem Boden hochgefahren, und alle Smartphones leuchten auf:

 

 

 

 

Das gibt der Band die Gelegenheit, für ein paar Minuten von der Bühne zu verschwinden — „pee break“ nennen das die Amerikaner, schließlich sind die Jungs alle nicht mehr die Jüngsten. Das Ganze endet nach rund zwei Stunden mit dem „Taschenrechner“ als Zugabe

 

 

 

 

und der „Music Non Stop“-Routine, die man schon lange kennt: Jeder der Vier hat ein kurzes Solo, nacheinander gehen sie mit einer Verbeugung von der Bühne ab — Ralf Hütter als Letzter, für ihn erhebt sich das gesamte Publikum von den Sitzen.

Was kann man sagen? Die Musik von Kraftwerk ist zeitlos, nicht zuletzt, weil sie immer wieder aktualisiert wurde, ohne dass die Substanz verloren gegangen wäre. Lediglich „Trans Europa Express“ und „Neon Lights“, früher zwei ihrer stärksten Stücke, hängen heute ein bisschen flach in den Seilen, „Autobahn“ ist mehr als nötig gekürzt worden. Ein erstaunlich diszipliniertes Publikum, die meisten Zuschauer 40+, einige hatten ihre Kinder mitgebracht. Ein wunderbarer Abend, schönster Retrofuturismus mit leichtem Augenzwinkern, einzig der Sound war nicht ideal, obwohl Kraftwerk eigentlich gerade dafür bekannt ist — der Bass glich einer Herzmassage und überlagerte etwas unbalanciert die latent verwaschenen Mitten. In der zweiten Hälfte des Konzertes besserte sich dies ein wenig. Einige eingestreute Quadro-Effekte waren wahrnehmbar, gingen aber irgendwie unter, ebenso hatten einige Teile der Projektion Doppelkonturen, die sicher nicht beabsichtigt waren, aber das mag meinem Platz zuzuschreiben sein.

Wer weiß, ob es ein neuntes Mal geben wird.

 

 

 

2022 26 Juni

„Another Railroad Classic“

von | Kategorie: Blog | | Comments off

 

Seit einigen Jahren erfreuen wir uns an grossartigen Übersetzungen von modernen Klassikern der japanischen Kriminalliteratur, aber es scheint, man hat einen Meister seines Fachs vergessen. Nun, zumindest hier ist England mal einen Schritt weiter. Der Eisenbahnkrimi ist ein nicht so seltenes Sub-Genre des goldenen Zeitalters der Kriminalliteratur, und diese Geschichte über, ähem, Fahrpläne war der Debütroman des Bestsellerautors Seichō Matsumoto (1909-1992). Erstmals 1958 in Japan veröffentlicht und nie vergriffen, wurde er nun im sog. „Vereinigten Königreich“ in einer neuen Übersetzung aufgelegt, bei den Penguim Classics. Als der Ministerialbeamte Kenichi Sayama und die Kellnerin Toki Kuwayama in einer Bucht auf der Insel Kyushu tot aufgefunden werden, neben einer Flasche, die offenbar mit Zyankali gefüllten Saft enthielt, hält man dies für einen Selbstmordpakt der Liebenden. Doch weder der örtliche Detektiv Jūtarō Torigai noch sein in Tokio ansässiger Kollege Kiichi Mihara glauben an diese Erklärung: Die beiden wurden am Tag vor der Entdeckung ihrer Leichen beim Einsteigen in den Zug aus der Hauptstadt beobachtet, und die Ungereimtheiten häufen sich, und das Ministerium, in dem Sayama arbeitete, ist in einen Korruptionsskandal verwickelt. Hier gibt es keine Enthüllungen, vielmehr Intuition, gepaart mit hartnäckiger Detektivarbeit, und hinzu kommt ein spürbaren Gefühl der Frustration, während die beiden Männer entlang der Strecke hin und her und hin und her fahren (allein die Schilderung dieser Zugfahrten besitzt Züge des Absurden Theaters): Karten und Diagramme sorgen für Hochspannung, und keineswegs für Langeweile (auch eine Kunst). Das Rätsel dieser Story ist verdammt raffiniert. Da wäre selbst Hercule Poirot ins Grübeln gekommen – aber der sass in einen anderen Zug!

 

When the postman rings twice. As he did today. Wow! Finally! In the forthcoming German translation of David Mitchell’s latest novel (July 19), the author of many great time traveling books turns his eye on the dark end of the 1960s, a story of music, dreams, drugs and madness, love and grief, stardom’s wobbly ladder and fame’s Faustian pact. There’s Gene Clark of The Byrds, for example, who admires a guitar figure of Jasper’s. Janis Joplin, Leonard Cohen, Syd Barrett, Jackson Browne, and Jerry Garcia turn up (as does, decades later, the brilliant band Talk Talk, acknowledging a debt to the Utopians). There’s even an aside reference to how the Stones’ album Let It Bleed earned its name. Bone spurs and all, it’s realistic indeed and just the thing for pop music fans of a bygone era that’s still very much with us. So, don’t think twice: this seems to be the book some Manafonistas will dive into, no matter if they had been part of the ancient journey or not. Get it! Bong not included. (m.e.)

Der Schriftsteller Matthias Göritz ist ein Reisender. Er macht die Orte und Landschaften, an denen er sich aufhält, spürbar und verwebt sie intensiv mit den Empfindungen des Lyrischen Ich oder des Erzählers. In seinem ersten Gedichtband hat er unter drei Kapitelüberschriften die Metropolen genannt, in denen sie verortet sind: Paris, Chicago und Moskau. Das erste Gedicht seines Debüts skizziert Eindrücke aus Paris:

 

(…)
Stadt der Metaphern
(…)
Mein Tag: Spaziergang
oder Blicke vom Fenster.
(…)
Paris ist alt und kalt.
(…)
Durch die Stille der Stadt
treibt Kälte mich
die Achsen, die Straßen entlang,
vom Concorde zur Bastille.

Du hast Henry Miller nicht mehr in Clichy.
Du hast nachts auch nichts anderes mehr.
Du kannst dich nur mit den Vögeln vergleichen,

den Vögeln,
die schwarz in der Luft
den Fragezeichen
und Bäumen gleichen,

vereinzelten Bäumen,
und Ästen,
die schrein.

 

Göritz spielt mit den Titeln seiner Gedichtbände. Nach seinem Debüt Loops, erschienen im Jahr 2001 – Göritz war Anfang 30; die deutschsprachige Lyrik befand sich auf dem Sprung einer großen Erneuerung durch eine junge Generation – folgten die Gedichtbände Pools (2006) und Tools (2011) und zuletzt (2021) Spools, eine Anspielung auf die Tonbänder aus Samuel Becketts grandiosem Theaterstück Krapp‘s Last Tape (auf Deutsch: Das letzte Band). Erinnerungen, Episoden aus der Kindheit („Mein heutiges Personenpensum / Papa, Nicki und ich“) sowie Lebens- und Liebesreflexionen durchziehen die Gedichte. In Tools gibt es ein Sonettenkranz mit Szenen einer sich auflösenden Liebesbeziehung; jedes Sonett ist überschrieben mit dem Automodell und dem Ort des Geschehens. An Schreibanlässen scheint es Göritz nicht zu mangeln. In einem Gedicht aus Loops schreibt er: „So soll das gehen. / Fast von allein / begegnet mir / das Gedicht.“ Neben Gedichten, die erlebnisorientiert wirken, finden sich auch historische Betrachtungen wie die niederländische Tulpen-Finanzblase und die Eroberung der Arktis durch Amundsen und Scott. In Göritz‘ Werk kann man feine Korrespondenzen entdecken, Fäden, die Geschehnisse und Reaktionen miteinander verbinden. Eine Liebe, die zerbricht, vielleicht wegen der Sache mit Lin in Shanghai Blues. Am stärksten sind Göritz‘ Texte, wo sie authentisch, überraschend, unberechenbar und schonungslos daherkommen, wie in diesen Passagen aus Spools: „Ich habe aufgegeben / etwas Besonderes zu sein.“ „Genau wie ich, weiß sie nicht, was sie sagt.“ „Ich schlichte Streite nicht mehr / ich gehe ihnen jetzt aus dem Weg“. Oder hier, die Auflösung von allem: „es gibt nicht einmal diesen Text / es gibt // nichts / nur eine Schnittmenge von Worten.“ Abschiedsstimmung flackert auf. Aufbruch in eine andere Lebensphase vielleicht. „Alles, was ich war lieh ich mir / und jetzt gebe ich es zurück / Auch diese Wörter / Auch dieses Buch“. Ab und an erwähnt Göritz den Wunsch, die Grenzen der Sprache zu überschreiten: „Der wirkliche Käfig ist der der Sprache.“ Ein Zitat aus dem aktuellen Buch Amerika oder Reisen ins Herz des Herzens des Landes. Die kleinen Texte – im Buch selbst als Flash-Fiction, also als Kürzestgeschichten bezeichnet – kommen mit einer Geste des Improvisierens daher, sind genreübergreifend, verspielt. Ein Reise-Skizzenbuch. Eine Art Reise-Blog. Wobei es sich nicht um eine Auslandsreise handelt, da Göritz seit einigen Jahren als Professor of  the Practice an der Washington University in St. Louis unterrichtet, in den USA also lebt. Die Nonchalance und die Lässigkeit nehmen im Werk von Matthias Göritz zu. Der Autor demonstriert Abgebrühtsein, Gleichgültigkeit. „Es ist nicht wichtig, wie ich die Dinge beschreibe. Die Dinners, die Tankstellen, die Straßen, die immer nach innen führen. Sie sind da. Draußen. Dein Erstaunen an Etwas, das sich Amerika nennt.“

 

Amerika oder Reise ins Herz des Herzens des Landes enthält Fotografien von Michael Eastman, Bilder, die über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten aus verschiedenen US-Staaten aufgenommen wurden und eines gemeinsam haben: viel Raum für den Himmel unter endlos scheinenden Landschaften. Etwas Unheimliches kommt immer dazu. Auch Göritz‘ Erzählung Shanghai Blues (2015) enthält beeindruckende Fotografien, es sind Arbeiten von Vanja Vukovic, die Shanghai verzaubern und verwandeln. Das Buch beginnt mit dem Blogeintrag eines Mannes namens Parker über seine Ankunft in Shanghai. Parker, der ein Werk über Urbane Nomaden geschrieben hat, und nun als Experte gilt, einen lukrativen Auftrag nach dem nächsten erhält. 200.000 verkaufte Hardcover-Exemplare in den USA, Übersetzung in 24 Sprachen, in China als Raubkopie auf Chinesisch vertrieben. Eine Geschichte, mit der es anfing. „Die Sehnsucht, einfach an einem anderen Ort anzufangen (…)“ Aber fing es nicht schon so an? Doch, so fing es wohl an. In Paris, Chicago und Moskau um die Jahrtausendwende herum.

 

Ein Wolf hat mich angefallen. Vor der Betonleinwand
auf dem Parkplatz des aufgegebenen Autokinos an der
Ausfallstraße eines längst vergessenen Orts, dessen
Name auf dem Straßenschild langsam verrottet. Peter
Bogdanovich? Keine Chance. Hier muss man Gewalt-
filme drehen. Tarrantelkino. Horizontschlachten.
Fords. Der Mittlere Westen. Bis zum Äußersten gehen.
Carl ist eine Sandburg. In mir lebt ein Wolf. Er hat
mich angesehen. Der Hunger. Das Gefühl ist selbst
rohes Fleisch. Ich habe ihn in die Kiste gestopft. Zu dir
und dem Hund.

(aus: Amerika oder Reise ins Herz des Herzens des Landes)

 

 

 

 

Filme spiegeln gesellschaftliche und politische Gegebenheiten der Nation wider, das ist eine spannende Sache. 1981 war das Jahr, in dem sich die Gesellschaft spaltete in DALLAS-Fans und hoffnungslos geschmacksverirrte Anhänger von DENVER – CLAN. Deutschland war begeisterter Konsument.

 

Die Serie – Mutter aller amerikanischen Seifenopern – beschwor Gründerzeit-Mythen und amerikanischen Pioniergeist herauf, eine Orgie an Anachronismus. Im Zentrum stand der Ölmulti und texanische Haudegen Jock Ewing, ein John-Wayne-Klon wie frisch vom Planwagen heruntergestiegen, der seine Probleme auch gelegentlich mit einem Faustschlag löste und sich auch nicht scheute, seinen beiden erwachsenen Söhnen – in das Good Cop-Bad-Cop-Schema gut einzuordnen – im Krisenfall eine zu semmeln. Der alte Westmann stirbt nicht.

 

Seine etwas geistesschlichte aber gutherzige Frau – hier mit abgeschnittenem Unterleib – hielt ihm den Rücken frei. Die Familie – mit dem Zusammenhalt eines arabischen Clans – ist hier ein unentrinnbarer Fetisch, ihre Kohäsionskräfte sind gewaltig. Man wohnt zusammen auf der Southfork-Ranch, gut zugänglich und ohne Bodyguards – Amerikaner tun Amerikanern nichts, wer wird denn da an Kidnapping denken? Man trifft sich täglich zu den Mahlzeiten. Die Schwiegertöchter ziehen problemlos mit dazu.

 

Die Herren konsumieren dabei Whisky, tragen ständig Stetsons, als müssten sie der sengenden Präriesonne und dem Staub von Pferdehufen trotzen – das Ganze auch in ihren vollklimatisierten Büros, wobei vom intriganten JR dort auch reichlich Staub aufgewirbelt wird. Die Damen sind ehrenamtlich tätig oder arbeiten in der Modebranche, wenn sie überhaupt irgend etwas tun. Es werden ausschliesslich Söhne geboren, adoptiert oder untergeschoben, Töchter können keine Ölkonzerne leiten, sieht man ein. Und andere Versatzstücke des Western-Genres feiern fröhliche Urständ, es werden dauernd Rinder eingefangen, Barbecues veranstaltet, Squaredance getanzt …

 

So kleben die Familienmitglieder am Familienmagneten wie Eisenfeilspäne, können sich nur in der 2. Dimension verschieben, aber nicht in den dreidimensionalen Raum flüchten. Wie sieht das aus?

 

 

Su Ellen betrinkt sich aus Kummer wegen ihres ständig fremdgehenden Mannes, geht selbst ständig fremd, trennt sich und versöhnt sich und ist nach der Scheidung dauerhaft damit beschäftigt sich zu rächen und einen Film über Ihre Ehe zu drehen – etwa das Gegenteil einer sauberen Trennung. Dann verliebt sie sich in den Mann der später Jocks Witwe heiraten wird, ist aber dann doch mit dessen Sohn zusammen. Su Ellens Schwester macht sich einstweilen an JR heran. JR spannt seinem Erzrivalen Cliff Barnes die Freundin aus, später dann umgekehrt. Pams Schwester ist in deren Mann Bobby den Biederen verliebt und fährt ihn letal über den Haufen. Pam verlobt sich mit einem Mann, mit einem Kinn wie ein Vorschlaghammer, plötzlich steht aber Bobby unter der Dusche und alles war nur ein Traum; ein Twist, der das Publikum seinerzeit zutiefst aufrührte. Die zwischenzeitliche Liebe Bobbys heiratet dann seinen Halbbruder, mit dem Miss Ellies Enkelin aber vorher im Heu war. JRs zweite Frau Cally bekommt einen Sohn, der aber vermutlich von JRs inzwischen erwachsenem Sohn aus der Ehe mit Suellen stammt, wobei die Vaterschaft auch hier nicht gewiss ist. Usw …

 

Blickt jemand durch? Macht nichts, ich hab auch lange gebraucht … Das Ganze ähnelt jedenfalls eher einer Reise nach Jerusalem, mit einem paar Stühlen zuviel. Eine Nation versammelte sich am Lagerfeuer, rückte eng zusammen und erzählte sich die alten Geschichten.

 

Das Jahr 1979 – Serienbeginn – war ein Jahr der Umbrüche für die Staaten. Der schmählich verlorene Vietnamkrieg. Der Sturz des Schahs und die Inthronisierung Chomeinis und seines Antiamerikanismus. Revolution in Nicaragua. Der Einmarsch der Sowjets nach Afghanistan. Der GAU in Harrisburg. Die Hippie-Zeit und die sexuelle Libertinage – die Jugend begann Fliehkräfte zu entwickeln. Abtreibungsdiskussionen, Frauenbewegung, Friedensbewegung. Deutsche Ostpolitik. Der nicht enden wollende kalte Krieg

 

Da tut es gut, auf schamanistische Weise die Ahnen zu beschwören und deren Heilkraft anzurufen – ein amerikanisches Ritual, das sich heute noch in vielen dort entwickelten Therapiemethoden findet, die auf die Wirkung möglichst intensiver Gefühlswallungen setzen, als wäre die Neurose ein Teufel der nur mit Geschrei ausgetrieben werden muss.

 

Und was mochten WIR daran?

 

Als erstes den Fiesling JR, wenn er seine Intrigen spann und seine Meckerlache ausstiess, oder bei einem Misslingen so bedröppelt dreinschaute, dass er einem gleich wieder leid tat. Wir beäugten ihn wie einen Lausbuben mit etwas grenzwertigen Streichen, er machte die reale Welt der Ölkonzerne und ihrer realen Schweinereinen so nett und überschaubar, wenn man alles auf seine Ränkespiele mit Cliff Barnes eindampfte. So schlimm ists denn doch nicht auf der Welt …

 

Und da wären wir wieder bei den deutschen Feuerzangenbowlenlausebengeln und den Drei-von-der-Tankstelle-Kaspereien. Die Regression des Mannes auf den Pennälerstatus ist ein guter Tranquilizer gegen Schuldgefühle und vollbrachte Grausamkeit. Das funktionierte im deutschen Nachkriegskino ebenso gut wie bei American-Angst-Filmen wie diesem. Und diesem texanischen Hans Pfeiffer mit drei F, eins vorm Ei, zwei hinterm Ei.

 

Was für eine Enttäuschung, in die alte BRD zurückzureisen, und vollkommen ernüchtert Wim Wenders zweiten oder dritten Teil seiner Road Movie-Trilogie zu erleben! Ich werde es nicht schönerzählen.  In Jahr 1975 sah ich „Falsche Bewegung“ zweimal, einmal war ich verliebt, und lud die noch unbekannte Schöne ins City-Kino von Würzburg ein, um den Film mit mir zu sehen, das andere Mal hatte ich das Herz von C. vorübergehend erobert, weiterhin full in love, und Wim Wenders antworte, im Rahmen eines kleinen Würzburger Filmfests, auf die Fragen der Studentenschaft.

 

 

Herr Wenders, warum haben Sie das leere Rauschen des Fernsehers eingesetzt, als die Reisegruppe Ivan Desny in seinem Schloss aufsuchte. Hatte das eine Bedeutung?

– Der stand da einfach. (Geschmunzel allseits)

 

 

Ich werde mich hier nicht gross aufhalten, bei der literarischen Vorlage von Goethe, die Drehbuchschreiber Peter Handke bruchstückhaft aufgreift, um seine subdepressive Reisetruppe vom Norden Deutschlands runter zur Zugspitze zu schleusen. Herr Handke war schlecht drauf, nach dem Suizid seiner Mutter, und liess eine Weltschmerztirade nach der anderen vom Stapel. Das alter ego von Handke / Wenders, Rüdiger Vogler (ach, wie gerne sah ich ihn einst – er war älter als ich, und trug ziemlich beeindruckende Melancholiewerte in seiner aufgeräumten Gesichtslandschaft umher!), hatte am Anfang einen Wutmoment und legte in seiner Dachstubenwohnung im hohen Norden eine Single von den Troggs auf.

Etwas mehr Rock der alten Schule hätte dem Film gut getan, aber was dann abging, in dieser Reisegesellschaft, mit der gedankenvoll-abwesenden Schygulla, der jungen Kinski (14 Jahre, und fast schon gruselig sexualisiert in Wenders tendenziell komplett unerotischem Kino), einem Kriegsverbrecher (grosser alter deutscher Schauspieler, Jahre später stand er direkt vor mir bei den Berliner Filmfestspielen), dem, einen Vollidioten von Lyriker spielenden, Peter Kern (wohl eine Selbstparodie Handkes), geht kaum auf die berühmte Kuhhaut. In Handke‘schem Duktus reden selbst Zugschaffner, und klingen, als hätten sie gerade die falsche Tüte geraucht.

 

 

 

 

Was für einem seltsam überanstrengtem Mist war ich damals nur ergeben. Aber Wim Wenders‘ Kino wurde überall in Europa von den Künstlern geliebt, Brian Eno schätzte, was Wunder, die Langsamkeit, und erwärmte sich für die „Kings of the Road“. Peter Buchka war Wenders‘ Hofberichterstatter bei der Süddeutschen, und gierig verschlang ich seine Zeilen, sie verkürzten mir die Wartezeit aufs erste Sehen, und gaben keine Handlung preis, wie auch, wo es ja kaum Handlung gab.

Der von Peter Kern gespielte Vollpfosten bringt die Gruppe dazu, seinen reichen Onkel zu besuchen, der über das schwere Leben sinniert. Sie kommen gerade rechtzeitig, um seinen Selbstmord zu verhinden, und Peter Kern merkt an, das sei wohl gar nicht sein Onkel. Was für ein Quatsch.

Als sie dann allesamt gefühlte Stunden auf einem Weinberg rumkraxelten und sich wenig wärmende Selbstgespräche an die Köpfe warfen (immerhin hatte Rüdiger die helle Idee, er solle das mit den politischen Kommentaren besser lassen – Peter hätte besser mal zuhören sollen!), war es dann um meine Chronistenpflicht geschehen. Ich stoppte diese weitgehend uninspirierte phlegmatische Filmerzählung, an der ich rückblickend wenigestens ein paar gute Haare lasse. Die Kameraarbeit von Robby Müller beeindruckt, wenn Bewegung ins erstarrte Gruppenleben kommt. Sie kreiert flüchtige Illusionen des  Vorwärtsdrangs, und lässt den Zuschauer hier und da Frischluft schnuppern. Auch die Hauptmelodie des Films geht unter die Haut, mehr, als das Gewicht der Welt, an dem hier alle in unterschiedlichen Aggregatzuständen der Schwermut zu tragen haben.

In einem sehr langen Essay, der sich in englischer Sprache im Netz findet, erzählt uns ein sanft berauschter Filmkritiker für die „Criterion“-Ausgabe seine Sicht von „Wrong Movement“, erkennt eine Studie über die Unmöglichkeit von Kommunikation (na, ist das grossartig!!), und preist den Film für seine konstante Vorwärtsbewegung, allen Wirrnissen zum Trotz. Natürlich erkennt er auch einen Finsterblick auf die BRD anno 75, wobei ich aber nicht mehr mitmache. Ich wollte wirklich bis zum Ende aushalten, da sollte die Truppe schliesslich die Zugspitze erreichen: ob damals schon das Wirtshaus existierte, auf dem ich mir vor sieben Jahren eine Mass Weizenbier gönnte? Ob der Kamera von Robby ein paar Bergdohlen vor die Linse kamen? Hat die junge  Kinski ein Rad geschlagen auf dem  höchsten deutschen Berg?  Fragen über Fragen.

Ähem, die Siebziger Jahre waren ein magisches Jahrzehnt – in diesem massiv überschätzten Film merkt man nichts davon. „Falsche Bewegung“ ist womöglich als Fallstudie zu gebrauchen über mehr oder weniger kaschierte Depressionen.

Alle Abenteuer sind daraus verschwunden.


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