… ich weiss, soooon Bart! Aber hier gut zur Illustrierung!
Der Duke of Burgundy (GB, 2014 von Peter Strickland; Michael hat ihn mir unlängst geschickt) ist hier kein sadistischer Feudalherr, sondern eher Opfer – ein Schmetterling, unsprünglich ein buntes und lebensvolles Geschöpf – tot und aufgespiesst samt vielen seiner Artgenossen im Labor der Schmetterlingsforscherin die mit ihrer „Haushälterin“ in einem bezaubernden Landhaus irgendwo in Europa (Südfrankreich? England?) lebt, seltsam unverortet und aus der Zeit gefallen, eine Anderswelt, in der nichts stattzufinden scheint als Vorträge über Insekten von Forscherinnen vor Forscherinnen. Seltsam statisch.
Der Film führt zunächst die sadistische Komponente der Beziehung auf befremdliche Art ein. Die Forscherin Cynthia traktiert mit versteinertem Gesicht feudalherrinnenmässig ihre „Häushälterin“ in offensichtlicher Unzufriedenheit mit deren Ausübung ihrer Pflichten. The Duchess of Burgundy? Evelyn gehorcht sichtlich gequält, der Zuschauer solidarisiert sich spontan mit ihr und fragt sich, in welchem Jahrhundert man hier gelandet ist. Die Sympathielenkung wird aber sofort wieder gestört, als man erfährt, dass es sich offensichtlich um ein sadomasochistisches Ritual eines Frauenpärchens handelt, beide sind Forscherinnen, lebend in einem etwas angestaubt wirkenden und völlig männerlosen Kosmos, aber umgeben von einer traumhaften Natur die an impressionistische Gemälde erinnert.
Somit wäre die Sache zunächst geklärt, und man erwartet die üblichen Beziehungskapriolen, Eifersuchtsdramen oder wenigstens einen jungen knackigen Gärtner als Unruhestifter. Der Regisseur Strickland macht aber seinem Namen und seiner Raffinesse alle Ehre, er hat anderes mit dem Publikum vor: es kommt zunehmend zu einem Verschwimmen der Rollen und der Übergänge zwischen der dominanten und der submissiven Position in dieser Beziehung. Hinter romantischem Dekor, sorgfältig wirkenden Bildkompositionen, eigenwilligem Soundtrack und Zikadengeschrill tut sich eine tiefe Melancholie auf, ein erschlagendes Es-geht-nicht und eine tiefe Verwirrung über den Modus der Gestaltung eines aussergewöhnlichen Beziehungsmodells.
Dabei kommt die Partnerschaft ohne körperliche Gewalt aus, Evelyn will lediglich beherrscht werden, das erregt sie. Soweit so gut. Nur entdeckt Cynthia zusehends ihre Unzufriedenheit mit der Rolle der Quälerin, wünscht sich eine Beziehung ohne dergleichen Rituale, wobei ich hier nicht von Ritualen, sondern von einer überdauernden Beziehungsform sprechen würde – vielleicht täte es dem Paar besser, hier eine feste Zeitstruktur einzuführen, um diese als Einsprengsel in den Alltag zu zelebrieren. So kommt es zum Teufelskreis und zur Belastungsprobe für eine der beiden Frauen.
So wird die dominante Cynthia zusehends auf subtile Weise zur Gequälten und die submissive Evelyn zur Quälerin, das Beziehungsmodell zusehends verwirrender und um 180° gedreht. Dabei verzichtet der Regisseur weitgehend auf dialogische Mitteilungen (das würde dann „kammerspielartig“ heissen und mich zum Schlagen eines weiten Bogens veranlassen), sondern der Regisseur versteht es, durch Mimik und Körpersprache der Schauspielerinnen ihr Befinden auszuloten.
So entfaltet sich die ganze Komplexität einer sadomasochistischen Beziehung und die Frage ihrer Lebbarkeit als durchgehendes Lebensmodell, in dem die Frauen aufgespiesst und fixiert scheinen wie ihre eigenen Schmetterlinge in ihren jeweiligen Positionen. Und es wird ein Raum zur Reflexion eröffnet – das macht die Qualität eines Filmes aus – wie SM-Beziehungen lebbar sind.
Wie schnell kommt der dominante Part in die gequälte Position wenn er sich zur Dominanz zwingt? Wie äussert man in einer derartigen Beziehung echte Aggression, wenn der Partner dies als Wohltat empfindet? Wie wird man überhaupt seine Wut los, wenn diese den Partner lediglich erregt aber nicht bestraft oder zum Umdenken bewegt? Also die Botschaft ihn nicht erreicht? Wie fühlt sich der Submissive, wenn er merkt, dass er den anderen quält, wenn er doch das Gegenteil möchte?
Ich hatte einen jungen Patienten, der ständig von seinen Freundinnen verlassen wurde. Er war ein Heimkind (in den 50ern!!), hatte sich angewöhnt in Zuständen von Angst oder Verlassenheit sich genital zu stimulieren um ein „besseres Gefühl“ zu bekommen. Man spricht hier bei Kindern von Angstonanie. Das führte dazu, dass er in allen Situationen von Auseinandersetzung oder Missstimmung in heftige sexuelle Erregung geriet und sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte, es konnte kein Konflikt wirklich ausgetragen werden. Die Frauen machte das wahnsinnig. Hier stimmte die Passung nicht mehr, ebenso wie sie bei Cynthia und Evelyn immer brüchiger wird, die Rollen nicht mehr haltbar sind.
Die Situation scheint tragisch.
Erwähnenswert noch die Bildsprache des Films: bergende Natur als Aspekt des Weiblichen oder Mütterlichen, Textur (Textilien, Haut, über Haut gleitende Textilien) verleiht den Bildern eine starke Körperlichkeit, eine eindringliche weibliche Erotik.
Anhänger der feministischen Filmtheorie würden nun anmerken, dass die Frau als solche hier einmal mehr Opfer des männlichen Blicks geworden ist – sowohl in der ästhetisch drapierten Form, die wir aus dem patriarchal strukturierten Kino kennen und in der Verwendung von den bekannten bei Männern beliebten Fetischen, die hier frischfröhlich auf ein Frauenpärchen übertragen werden. Sieht weibliche SM-Sexualität wirklich so aus oder wird hier ein gängiges männliches Klischee übergestülpt? Der Regisseur hinterfragt es nicht. Die Rezensenten auch nicht.
Weiter bemerkenswert, dass hier die dominante Frau scheitert, eben weil sie nicht dominant ist, nicht die submissive Frau nicht, weil sie submissiv ist. Und weil Dominanz eben doch nicht zur Weiblichkeit passt. Und Unterordnung besser?
Über feministisch- analytische Filmtheorie kann man lange streiten, gottlob ist sie mittlerweile so evaluiert und kompliziert, dass kaum jemand noch durchsteigt, es wird also relativ wenig gestritten ausserhalb des inner circle.
Die Position der Gequälten bleibt bei Cynthia, als Evelyn mit der Nachbarin techtelmechtelt; in der letzten Einstellung wiederholt sich die Anfangssequenz: Cynthia bereitet sich vor und kostümiert sich wiederum für ihre Rolle als strenge Herrin, während Evelyn eben nach Hause kommt. Wird die nächste Schleife gedreht?
Ist Cynthia williges Opfer einer perfiden als Masochistin getarnten Sadistin und ihrer Psychospiele? Wie wird die Beziehung enden, wenn sie denn endet … oder erfolgt die Flucht in eine triste „Normalität“? Man würde sich eine Fortsetzung wünschen, die letzte Szene wäre ein guter cliffhanger. Vielleicht quält uns Strickland ja nochmal und wir werden uns willig und gespannt quälen lassen. Angefixt ist man bereits.