Manafonistas

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Archives: August 2016

2016 14 Aug.

Airport

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Man soll doch keine Billiglatschen tragen, wenn man unter Zeitdruck endlose Strecken durch Flughafenkorridore abzulaufen hat, es rächt sich.

Und weil es mir immer wieder auffällt: Wenn man den Transatlantikflug hinter sich hat und das Gate für den mehr oder minder regionalen Anschlussflieger sucht (wie etwa den von Toronto nach Pittsburgh), dann werden die Korridore und Gänge immer länger und immer enger, immer wärmer, immer schlechter belüftet, der Bodenbelag ist unter den Rädern von Millionen Rollkoffern längst wellig geworden, an den Wändern flackern verbrauchte Leuchtstoffröhren, die der Einfachheit halber nur einmal im Monat ausgetauscht werden. Der Gesamteindruck wird mit jedem Meter schäbiger. Die Getränkebuden am Wegrand wechseln von Starbucks und McDonald’s zu meist namenlosen Tante-Emma-Theken mit fünf Barhockern. Die Fenster, so überhaupt vorhanden, könnten auch mal wieder einen Eimer Wasser vertragen, so wie die Wände einen Eimer Farbe, die Sitze in den Wartezonen sind immer enger zusammengestellt, werden unbequemer und vor allem immer weniger, so dass zwangsläufig Leute auf dem Boden sitzen müssen, der auch schon lange keinen Besen mehr gesehen hat. Man kommt man sich vor wie im Wartesaal 2. Klasse im Bahnhof von Cloppenburg am Sonnabend nach 18 Uhr.

Am Ende findet man das Gate schließlich am äußersten Ende der gesamten Flughafenanlage, muss aber darauf gefasst sein, dass es sich bis zum Abflug noch dreimal ändern wird. Zehn Minuten nach der regulären Abflugzeit teilen die Leute am Boarding-Schalter in einem gnadenlos unverständlichen Lokaldialekt mit, das Flugzeug sei zwar da, aber die Crew nicht, we apologize for any inconvenience. Die eine Hälfte der Umsitzenden nimmt dies mit meditativer Ruhe zur Kenntnis, die andere Hälfte lacht.

Das einzige, was zuverlässig auf dem gesamten Gelände funktioniert, sind die automatisierten Sicherheitsdurchsagen, die alle paar Minuten kommen. Sie haben etwas Mantrahaftes an sich und machen auch nach zwei Stunden Wartezeit klar, dass die Zeit noch nicht stehengeblieben ist.

Was würde Jacques Tati daraus machen!

 

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Brian Hylands Version von „Sealed With A Kiss“ ist kurz zu hören auf einer von Dons letzten Autofahrten. Man sieht ihn niemals so oft „on the road“ wie in den letzten sieben Folgen dieser Klasseserie. Der Mann von der Madison Avenue wird zum Drifter, zum Herumtreiber.

Und, ohne etwas zu verraten, sollte man sich, wenn man die letzte Folge gesehen hat, kurz die Hochgeschwindigkeit der ersten Szene und die absolute Ruhe des letzten Bildes (ein „film still“, das schon im bewegten Bild die Ruhe eines Mantras ausstrahlt) vergegenwärtigen. Und wie wunderbar gegenläufig, einen doppelten Boden auslegend, die beiden Schlussmusiken im Abspann …

Die vorletzte Folge legte vor, mit einem Titel, der einem, nach den ersten Szenen, den Atem stocken lässt, so dezent wird man in die Irre geführt: „The Milk And Honey Road“. Läuft das Leben nun fortwährend in vertrauten (unheimlichen oder harmlos eingeschliffenen) Mustern ab? Bis etwas endgültig reisst! Wie kommt man aus der eigenen Haut raus, und rettet sie gleichzeitig? Wie springt man über den Schatten, ohne sich in den Schatten zu verlieren? Wie retten die beteiligten Figuren (und können sie das überhaupt) ihre Würde?

Über die Schlusszene von „Lost“ wurde viel gelästert, sie machte Sinn, war aber schon grenzwertig nah am Kitsch. Es gibt allerdings eine Dosis von Kitsch, die dem üblichen Lamentieren über Hollywood’sche Gefühlsgängelei gute Argumente entgegen hält. Hier, in „Person To Person“, auch einem anfangs leicht wunderlich wirkenden Titel, ist nun alles kitschfrei, obwohl Sad Endings und Happy Endings sich die Waage halten.

2016 13 Aug.

Notice out of a blue train

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So war das Ritual. Ich schloss mein Fahrrad an die Metallstange mit den Trainingsanweisungen für das outdoor Fitnessstudio, setzte den Kopfhörer auf und stellte auf dem iPod einen Song von R.E.M. ein und lief sofort los, am liebsten in der Stunde, bevor es dunkel wurde, da war die Stimmung entspannt und ich mochte es, die Wolken zu betrachten, wie sie sich veränderten, genau zu dieser Zeit, und die Art, wie die Sonne sichtbar war und die Wolken beleuchtete, bevor sie verschwand. Es waren immer ein paar Leute unterwegs, oft mit Hunden, hier im Gelände mit seinen Wiesen, Schotterwegen Baumgruppen und dem kleinen Fluss, und ich hörte immer die gleichen Songs, und ich war fixiert darauf, dass es eine Musik sein musste, die genau dem Zweck dienen sollte, mich beim Laufen zu halten und die Strecke, die ich mir vornahm, durchzuhalten. Das Tempo, ein Rhythmus, Energie, die mich weitertragen würde. Der Bestand an dieser Art von Musik auf meinem iPod ist jedoch sehr begrenzt, ich hatte das Gefühl stehenzubleiben, musste etwas ändern. Scrollte die Alben durch. Stopp. Jumped on a Blue Train. Wahrscheinlich würde niemand empfehlen, Coltrane beim Joggen aufzulegen. Aber auf mich hatte das Album eine unerwartete Wirkung. Ich hatte das Gefühl, dass die Musik nichts von mir wollte, sie übte keinerlei Zwang aus, war ohne Ziel, ließ mich treiben und ich vergaß, dass ich weiter lief, fühlte mich leicht und frei, wie ich es bisher nicht geschafft hatte. Ein Teil der Wegstrecke war gesperrt, rotweißes Plastikband, der Schotter wurde erneuert. Ich lief über nasses Gras. Lazy bird.

2. Drake – Views (Young Money Entertainment)

2. Hieroglyphic Being & The Configurative Or Modular Me Trio – Cosmic Bebop (Mathematics)

2. YG – Still Brazy (Def Jam)

3. Idris Ackamoor, The Pyramids – We Be All Africans (Strut)

3. Bert Jansch – Jack Orion (Transatlantic)

3. Mireia Moreorless – Alwaysreturning (Les Disques du Crépuscule)

3. Africans With Mainframes – K.M.T. (Soul Jazz)

9. Bon Iver – Bon Iver (Jagjaguwar)

15. Brian Andres, Afro-Cuban Jazz Cartel – This Could Be That (Bacalao Records)

Inside:
 
Introduction: Brian Eno: A problem of organization – David Pattie and Sean Albiez
 
 
 
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PART ONE – Eno: Composer, musician and theorist
 
1 The Bogus Men: Eno, Ferry and Roxy Music – David Pattie

2 Brian Eno, non- musicianship and the experimental tradition – Cecilia Sun

3 Taking the studio by strategy- David Pattie

4 Between the avant- garde and the popular: The discursive economy of Brian Eno’s musical practices – Chris Atton

5 Yes, but is it music? Brian Eno and the definition of ambient music – Mark Edward Achtermann

6 The Lovely Bones: Music from beyond – Hillegonda C. Rietveld

7 The voice and/of Brian Eno – Sean Albiez
 
 
PART TWO – The University of Eno: Production and collaborations
 
8 Before and after Eno: Situating ‚The Recording Studio as Compositional Tool‘ – Sean Albiez and Ruth Dockwray

9 Control and surrender: Eno remixed – collaboration and Oblique Strategies – Kingsley Marshall and Rupert Loydell

10 Avant-gardism, ‚Africa‘ and appropriation in My Life in the Bush of Ghosts – Elizabeth Ann Lindau

11 Eno and Devo – Jonathan Stewart

12 Another Green World? Eno, Ireland and U2 – Noel McLaughlin

13 Documenting no wave: Brian Eno as urban ethnographer – Martin James

 

2016 12 Aug.

Verwickelt

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Als Gilles Deleuze und Félix Guattari einst den Anti-Ödipus ins Leben riefen, entstand damit eine Art Gegenfigur zu jenem Helden aus griechischem Mythos, der seinen Vater tötete und die eigene Mutter heiratete. Ein Begriff, der in dem Buch mit dem Untertitel Kapitalismus und Schizophrenie immer wieder gebraucht wurde, lautete „Die Wunschmaschinen“.

Was genau das sei, habe ich nie so ganz verstanden, wie Vieles aus den Denkerwelten Jacques Lacans oder Jean Baudrillards. Ehrwürdige Mitstreiter am Rande der Scharlatanerie, wenn es darum ging, sprachlich überkonstruierte Unverständlichkeiten zu erschaffen: Dickicht und Gestrüpp, in dem der Leser sich verfangen konnte oder aber intellektuelle Zuflucht fand. Lag es am Französisch, das unsereins ja leider nie richtig lernte? Animierte nicht so manche Sprachmelodie auch zu einem linguistischen l´art pour l´art: zum Palaver? So wie das brasilianische Portugiesisch zum Bossa Nova inspirierte? Outras palavras.

Man könnte meinen, ausgewiefte Exegeten wie beispielsweise Slavoj Zizek böten nun Gebrauchsanweisung und Klempnerdienst an für derlei komplizierte Theorien. Doch weit gefehlt, der slowenische Philosoph treibt ein sehr unterhaltsames, jedoch vermaledeites Spiel, immer mit dem Schalk im Nacken: er setzt den Hasen auf die Fährte, hält ihm die begehrenswerte Möhre vor die Nase und der ist doch am Ende nur genaseweisst und ausser Atem. „Ick bün al dor!“, grinst Rabbitskinner Zizek auf gut plattdeutsch und hält statt der Lösung nur deren dialektischen Kontrapunkt hin. Anstelle kognitiven Landgewinns wieder nur das stets entkräftende Gegenargument: ewiges Vexierspiel.

Zurück noch einmal kurz zu den mythischen Anfängen: ein „Anti-Narziß“ wurde meines Wissens nie geschrieben, auch wenn Peter Sloterdijk („Er schon wieder!“) in seinem Buch Zorn und Zeit darauf hinweist, man könne Ödipus und Narziß jetzt mal getrost vergessen. Sie seien längst diskreditiert als unverbesserliche Idioten, die den Schuss noch nicht hörten. So meinte es wohl einst auch eine Freundin: immer wenn ein Verehrer sich als Möchtegern-Napoleon aufspielte, nach dem bekannten Motto Ja-wie-toll-bin-ich-denn!, entgegnete sie spröde, er sei doch nur vom Wickeltisch gefallen.

2016 11 Aug.

Darren & Michael

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Darren: Michael, awesome experiences, kind of breaking and entering at the end of the world. 2016 is one of these years …

 

Michael: Well, Darren, strange things going on. I have yet to sort out. Normally I’m good in sorting out. Clearing the mind. Going inside. Do you know that state of mind where the ego is turning into a  sort of  windmill … The Windmills of Your Mind … special experience. But let’s go back to traveling. Now that I’ve told you some about my little adventures in Northern Scotland, all these stories of rain, fog and deserted houses with ancient record players, can you shed some light on your experiences in Somerset?

 

Darren: Sure. Stocklinch is part of Somerset. I once sat on a pew with a blank mind, doodling with sounds on an Ipad, feeling out of place and lonely. I was exhausted and possibly having first doubts about my project. Ros Harding walked into the church and looked me up and down. She had a cloud of white hair and bright, wide eyes. I was thinking about how to best express myself when Ros said „Would you like to come round my house and have a cheese sandwich?“

 
Michael: Sounds nice. Someone inviting you for a cheese sandwich. I surely love being invited for a cheese sandwich. You never know. It doesn’t happen too often.
 

Darren: Michael, they were the most beautiful opening words I’d heard from a stranger and right then there was nothing I wanted more than a cheese sandwich, and a good talk. Ros was a church warden. I helped her turn on the gas heaters for the evening service before walking back to her home. Ros told a story about the upper and lower church and a painting that travelled between them.

 
 
 
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Wenn der Tempo mit dem Jukebox-Man kommt …

 

Es ist entschieden, hier die Fortsetzung von Plattenschrank 119:

Nun kamen meine Pläne durch die Vorschläge von Michael (siehe Kommentare zu Plattenschrank 119) doch ein Stück weit durcheinander. So hab´ ich etwa an Muswell Hillbillies von The Kinks überhaupt nicht gedacht, obwohl die Platte in meinem Plattenschrank steht. Tatsächlich, sie erschien 1971, ich wähle das ruhige, wunderschöne Lied „Oklahoma U.S.A.“. Die Doors mit L.A. Woman hatte ich natürlich im Blick, aber die Auswahl, das ist das Problem. Ich denke mal das Volk will „Riders On The Storm“ hören, der Wirt, das weiß ich zufällig, möchte gerne „Love Her Madley“ in der Box sehen, mein Lieblingssong wäre „Hyasinth House“. Das Geburtstagskind soll seinen Willen haben, also: „Love Her Madley“. Auch die von Michael erwähnte Platte Aqualung von Jethro Tull hatte ich auf dem Zettel, aber ich nehme nicht das millionenfach gespielte „Locomotive Breath“ in die Box, sondern den Titelsong „Aqualung“. Übrigens gibt es eine ganz famose DVD, ein Mitschnitt eines Auftritts von Jethro Tull in Montreux aus dem Jahr 2003, sehr zu empfehlen. Die Beach Boys veröffentlichten 1971 ihr siebzehntes Studioalbum, Surf´s Up, das Stück „Feel Flows“ muss zwingend in die Jukebox! Diese Platte liebe ich sehr, sie ist ungewöhnlich, die meisten Stücke wird kaum jemand kennen, auch „Feel Flows“ nicht, ich stelle das Stück quasi als Missionsplatte ein. Wenn sie vom Wirt und weiteren zehn Gästen mal gedrückt wird, soll es mir recht sein.

 
 
 

 
 
 

Im September 1971 veröffentlichte John Lennon den Klassiker Imagine, keine Frage, die Platte muss vertreten sein, ich denke „Jealous Guy“ wird dem Geburtstagskind und den Kneipenbesuchern gefallen, obwohl ich mir auch schon wieder nölende Jukeboxsfans vorstellen kann, die unbedingt die Version von Roxy Music hören wollen, die ja auch wirklich hörenswert ist. Irgendwann werde ich allerdings wirklich einmal die Version dieses Songs von Jimmy Scott in die Boxen stellen, die hat es erst in sich!!

The Who kam 1971 mit einem meiner Lieblingssong dieser Gruppe heraus, „Won´t get fooled again“, ein Stück, das mich heute noch enorm anspricht. Richie Havens sang 1971 „Here comes the sun“, dieser Klassiker muss seinen Weg in die Box finden. Von der Live-Platte der Allman Brothers Band At Fillmore East 1971 würde ich ja am liebsten „You don´t Love Me“ bringen, aber leider Überlänge: 19:21 Minuten, dann eben „Statesboro Blues“. In The Land of Grey and Pink hieß die grandiose Platte, die Caravan 1971 herausbrachte, aber das Stück „Nine Feet Underground“, der ganz große Hammer, der Burner der Scheibe, dauert eben 22:37 Minuten, definitiv zu lang für die Jukebox. Ich wähle stattdessen „Love to Love You (And Tonight Pigs will Fly)“. Am 04.Januar 1971 erschien Blue von Joni Mitchell, auf dieser Scheibe findet sich mein Geburtstagsständchen für den Jubilar: „River“. Das Stück dürfte zunächst einmal niemand erkennen, es beginnt mit ruhigem Klavierspiel, bevor dann Joni Mitchell diese wunderschöne Ballade singt. Es wird ganz ruhig werden in dieser Kneipe, ein Musikstück lang werden keine klirrende Gläser, keine Gespräche zu hören sein. Dann aber: Im November 1971 wurde eine ganz große Platte veröffentlicht: Led Zeppelin IV, auf ihr befindet sich der Klassiker „Stairway to heaven“. Den größten Ärger würde ich auf mich ziehen, wenn ich dieses Stück nicht bringen würde. Dabei gäbe es auf diese Schallplatte noch so viele andere interessante und wirklich gute Aufnahmen, zum Beispiel „When The Levee Breaks“, die würde die Bude zum Kochen bringen. Sei´s drum.

 
 
 

 

1

 

Ich habe mich schon einige Male gefragt, was dieser Mann für Bücher liest. Selten wird man von einem Sänger und seiner Band dermassen  zwischen Klarheit und Traum eingesponnen. In dieser Musik gibt es eiskalte Winternächte, einen Schaukelstuhl, und den Geruch amerikanischer Holzhäuser.  In seinen Texten könne man sich leicht verfangen, sagte ich vor Jahren dem freundlichen Herrn mit Hornbrille ins offene Gesicht, und manchmal erscheine es mir, seine Songs seien eine seltsame Kreuzung zwischen dem skurrilen Humor eines Richard Brautigan und den hermetischen Kargheiten eines Raymond Carver.

„Is A Woman“ war eines der Meisterstücke der Band. Auch ein Traum von altem Jazz, von den Sphären, in denen Billy Strayhorn und Duke Ellington „Solitude“ spielten. „Is a Woman“ war ein Melancholikum ersten Grades, vom Licht alter Sommer erfüllt, von Spinnweben, von der Tragweite unscheinbarer Momente. Kurt Wagner lockte uns mit „Lammkeule ist eine Frau“ in einen keinesfalls aus der Mottenkiste stammenden Geschichtenzauber: der Pianist Tony Crow legte dabei Klangspuren, die bis in die Vierziger Jahre des alten Amerikas reichten, lauter melodische Destillate. All diese „alten Hüte“ bringen erst dann etwas, wenn sie schief auf dem Kopf sitzen, nicht formgerecht!

„Ich habe ja so meine Begrenzungen, was die Sprache des Jazz angeht, aber Tony erlaubte mir, meine Vorstellungen weiter in die Richtung zu treiben, die mir im Kopf vorschwebte“, sagt Kurt, hustet, und blickt aus dem Fenster des Kölner Chelsea Hotel.  

 

2

 

Das Sedierende (was manche als „Soft Rock“ denunzieren) ist die größte Hinterlist des Mannes mit der Mütze. Dem großen und zugleich lässigen Wurf von „Is A Woman“ folgt eine Tour mit dem „Kurt Wagner Trio“, die alles Leise noch mehr auf die Spitze trieb. Mittlerweile muss  der Mann mit der sonoren Baritonstimme nicht mehr dem Job des Fliesenlegers nachgehen; „Nixon“ (2000) war ein kommerziell erstaunlich erfolgreiches Album, die Palette der Klangfarben weiter gefächert, man zollte Curtis Mayfield Tribut und  blieb sich selber treu.

Der Durchbruch (womit der Wechsel von nahezu leeren Clubs zu ausverkauften Häusern gemeint ist) gelang im Sommer 1998, als Lambchop, mindestens zwölfköpfig, mit den damals noch recht unbekannten Calexico und Vic Chesnutt durch Europa reisten. Ich sah diesen Dreierpack im „Electric Ballroom“ im Camden Town, es war eines dieser Konzerte, bei denen sich die Holzmaserung der Ausschanktheke so sehr ins Gedächntnis schreibt wie die Augen der Frau an deiner Seite,  und das Hinausströmen der Scharen in die Nacht.

 

3

 

Lambchop rückwärts zu entdecken, ist eine ergiebige Sache, denn diese Band hat nur Gutes, sehr Gutes und  sehr, sehr Gutes geschaffen, „What Another Man Spills“ (1998) gehörte in meiner Mitternachtssendung  genauso so zu den besten Produkten des Jahrgangs wie zuvor „How I Quit Smoking“ (1996). David Byrne wurde damals Lambchop-Fan, erinnere ich mich. Für den  Doppelschlag,  „Aw C´mon“ und „No You C´mon“, nahm sich der Mann aus der Countrymetropole jede Menge Zeit, um seiner Kunst,  ziemlich gewitzt, auf die Sprünge zu helfen:

 

Wenn ich früher Songs schrieb, dann konnte ich nie sagen, wann diese Lieder entstanden, es waren Glücksmomente. Nun aber wollte ich einmal nach klaren Kriterien arbeiten, und jeden Tag einen Song schreiben. Klar, gute Ideen kamen, schlechte Ideen kamen, aber ich bewertete nichts, ich war geradezu begierig darauf, Fehler zu machen. Es war wie ein Ritual, und es blieb mir kaum Zeit, lange über kreative Entscheidungen zu grübeln. Manchmal flog der Tag nur so dahin, manchmal blieb die Zeit auf der Stelle stehen. Aber es gab ja immer ein Morgen, immer einen neuen Nullpunkt.

 

4

 

Die Trennung von Spreu und Weizen überließ man einem späteren Zeitpunkt, Kurt Wagner verschwand zwischen Sommer und Winter 2002 in seiner Songschmiede. Das meiste war schon geschrieben, da flatterte das Anbgebot ins Haus, Murnaus melodramatischen Klassiker „Sunrise“ neu zu vertonen.

 

Ich wollte an diese Aufgabe so herangehen, wie es einige Filme in den Sechziger Jahren gemacht haben, etwa „The Graduate“, mit Dustin Hoffman und den Liedern von Simon & Garfunkel, oder „Butch Cassidy and Sundance Kid“. Damals begann man damit, Popmusik in Filmkontexte zu transportieren, das war zuvor nicht so häufig der Fall. So wählte ich einige Songs aus, die bestimmte Passagen des Films auf ganz eigene Weise kommmentieren oder miterzählen sollten. Und ich schrieb einen beschwingten, leichten „Opener“ wie „Sunrise“, schließlich hatte der Film ein Happy End, und, trotz aller Liebeswirren, eine optimistische Ausstrahlung – das wollte ich schon in der ersten Sequenz andeuten!

 

Wenn Kurt Wagner mal kurzweilig mit Walt Disney-Stimmungen spielt, wenn alte Anleihen beim Seventies-Philly-Soul (der berühmte seidige Streicherglanz!) genauso zum Tragen kommen wie versprengte „blue notes“, amorphe „ambient drones“, eine Prise Rumpelrock, ein Abreissen der Kehlkopfstimme in bester (ja, auch der Mann hat mal tolle Songs geschrieben!) Cat Stevens-Manier; wenn darüber hinaus leicht mysteriöse Stories und Wortspiele selbst Dylanologen zur Verzweiflung treiben könnten, dann liegt die Vermutung nahe, daß es sich wohl um einen recht bunten Gemischtwarenladen handelt. Und genau an diesem Punkt (wo manchem der Spruch vom „Weniger wäre mehr“ auf der Zunge liegt) lässt sich das schöne Gelingen von „Aw C´mon“ und „No You C´mon“ festmachen: statt die leisen Intensitäten von „Is A Woman“ fortzuschreiben, erlaubt man sich gleichermassen Exerimente und alte Lieben.

 

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Dabei setzen Kurt Wagner und Co. einen Trick ein: etliche Songs legen in den ersten Sekunden eine falsche Fährte, holen Luft, und schlagen unversehens eine gänzlich andere Richtung ein. Und sie sind kürzer geworden: das Extra an stilistischer Breite und die fallweise epische Pinselführung werden ausbalanciert von einer Verdichtung der Komposition. So wird, anders als bei vielen Retrobands im Retrorausch, die Lambchopsignatur noch ins offenhörbarste Zitat eingewoben. Und hier kommt die herzlich begrenzte Stimme des Herzerweichers und Crooners entscheidend ins Spiel, eine Stimme, welcher geschätzte Attribute wie elegante Geschmeidigkeit, oktavenumspannendes Spektrum und lautmalerische Prägnanz weitestgehend abgehen.

 

Bei mir geht es immer um den Song, den ich gerade singe. Bei manchen Liedern ist ein leiserer Ansatz erforderlich, und jede Art von Aus-Sich-Herausgehen wäre falsch. Manchmal denke ich, klappt das sehr gut, und die Stimme findet den Ort, an den sie innerhalb eines Liedes gehört. Wahrscheinlich verlangt jeder Song, daß ich ihn auf bestimmte Weise singe. Und das ist gut, weil auf diese Weise eine ganz persönliche Aussage entsteht. Zugleich erhält das Lied dadurch eine Einschränkung. Daß es vielleicht kein anderer singen kann (lacht). Und das ist nicht mein Ziel. Es wäre ein Erfolg, wenn ich jemanden finden würde, der sich einer meiner Songs annehmen könnte!

 

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Sogenannte „begnadete“ Stimmen hören sich anders an, erliegen dann aber auch um so öfter dem eigenen Reiz und landen, statt in der Kunst, im Gewerbe. Wer aber so rigoros wie Kurt Wagner durch die Worte haucht,  einzelne Silben liebend gerne verschluckt und mit einem dunkel dröhnenden „rrrrr“ Marke Tennessee umliegende Vokale massiv in ihrer Existenz bedroht, der ist entweder von allen guten Geistern verlassen oder damit befasst, den vielzitierten und viel seltener realisierten „eigenen Sound“ zu entwickeln! Und um die Abweichungen vom guten Ton komplett zu machen, hat ein Refrain bei Lambchop schlicht Seltenheitswert, und kryptische Bilder schlingern von Zeile zu Zeile:

„She loved the spare texture / of his difficult, and sad books, / and felt she was exceptionally equipped with Stanley Wilson´s distractions.“ Singen Sie das mal, lieber Leser! Oder rezitieren Sie es, ohne daß es an allen Ecken hakt! Und wer ist dieser Stanley Wilson?! Man muß ja schon schmunzeln, wenn ein  Reim aufaucht! Und beginnt ein scheinbar simpler Lovesong mit folgenden Worten, wittert man gleich ein ganz ausgekochtes Manöver: „And I hate candy / But I like rain / And I like substance / To tickle my brain (…)“

„Steve McQueen ist ein Song über das Sterbenmüssen, es geht um die Annahme der eigenen Sterblichkeit. Steve McQueen war einer dieser Berühmtheiten der 70er Jahre, eine Filmikone, schon früh eine Kinderstar, alle Kids hatten ein Poster von ihm an der Wand, wie er mit dem Motorrad über einen Zaun  sprang, ich glaube, in „The Great Escape“. Und er war die erste Berühmtheit meiner Jugend, an die ich mich erinnere, die an Krebs starb. Dieses Ereignis nahm in der Öffentlichkeit der USA einen großen Raum ein, und wirkte auch bei mir nach.“

 

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Wer über solche kulturellen Prägungen hinaus in der Zuckerbäckerei der amerikanischen Volksmusik  aufwächst – schauen Sie sich mal Robert Altmans dokumentarischen Spielfilm „Nashville“ aus den Siebziger Jahren  an, um sich ein Bild von diesem leicht deprimierenden Milieu zu machen – der muß unbedingt einen klaren Kopf bewahren, vor allem, wenn die  eigene sentimentale Ader gar nicht zu leugnen ist. Dezente  Country-Spuren finden sich bei Lambchop im Gebrauch der pedal-steel-Gitarre, die  Daniel Lanois so vollkomen transparent auf seinen Arbeiten zum Einsatz bringt. Er nennt das Instrument „the church in my suitcase“.

 

Es war für Daniel Lanois sicherlich hilfreich, nicht in Nashville groß geworden zu ein. Er lässt das Instrument mit einer eigenen Stimme singen. Und dieses „Singen“ beschreibt den Klang des Instruments am besten. Es ähnelt so sehr der menschlichen Stimme. Du kannst da einiges erfahren über das Gleiten eines Klanges! Unser Gitarrist spielt eine Vielzahl von Gitarren und benutzt das Instrument ganz sicher auch außerhalb des typischen Lehrplans alter Nashville-Schulen.

 

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Als Teenager hatte Kurt Wagner einen ersten großen Angriff auf die eigenen Wurzeln unternommen. Einer seine besten Kumpel war ein Chemikalien-Freak, bastelte gerne kleine Rauchbomben und wohnte gegenüber von Ned Pierce, einem großen Star, desses Swimmingpools die Illusion vermitteln sollten, im Korpus einer Gitarre schwimmen zu können.

 

Das Unglück war, es waren verdammt große Rauchbomben, und als wir sie um einen seiner gitarrenförmigen Pools aufgestellt und angezündet hatten, verwandelten sie die ganze Umgebung in riesige Rauchschwaden, und ein großes Aufgebot an Polizei und Feuerwehr rückte an. Wir schlugen uns in die Büsche, wir waren halt kleine Teufel!

 

Es gab auch einen Underground in Nashville, aber diese Geschichte solle ein anderes Mal erzählt werden, und Kurt wagner kennt sie gut. Kurt Wagner und sein wandlungsförmiges Ensemble können mit allen möglichen Szenarien spielen, ein Streichquartett genauso ins eigene Repertoire integrieren wie die Soundpalette einer Big Band. Man kann Lambchop-Songs lieben, ohne ein Wort zu verstehen, und vielleicht ist das ja auch der Kunstgriff dieser halbverschlossenen Lyrik: einzelne Worte bleiben haften, werden zu Bildern oder reiner Klang – und das Lied zieht weiter seine eigenen  Kreise ums Unerhörte herum! Lambchop ist wohl eines der wenigen Exemplare (und hier holen wir ein ganz altes Wort aus dem Schrank) einer „progressiven“ Band, die sich, analytisch betrachtet, eine „Regression im Dienste des Ichs“ nach der anderen leistet, ohne in prätentiösen Wallungen zu stranden.

 

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„Ich versuche, den Liedern auf eine indirekte,  nicht philosophische Art, Tiefe zu verleihen, welche die Erfahrung des Hörens mitformt. Die  Songs von Lambchop   haben ganz sicher eine Art von Ambiente und Umgebungsqualität, andere Leute nennen das „cinematisch“.“

Stimmt. Und auf dem kurzen Weg zwischen Schallquelle und einem Paar Ohren öffnen sich eben unerwartet Räume (der Schaukelstuhl und die amerikanischen Holzhäuser entpuppen sich als reines Bühnenbild), da kann auch schon mal, en passant und völlig unpathetisch, der Atem stocken! Und was liest dieser Kurt Wagner nun wirklich, der ein lautes Lachen bereithielt, als ich den Verfasser von „Forellenfischen in Amerika“ ins Feld führte (der sich in Kalifornien mit einem Gewehr das Hirn aus dem Kopf geschossen hat, in diesen goldigen Hippiezeiten!) als mögliche literarische Parallelwelt der „Lammkeulenmusik“.

 

Ich lese seit Jahren Don DeLillos „Unterwelt“: ich beginne den Roman, komme eine bestimmte Strecke durch, und dann ist es erst mal gut. Und irgendwann fange ich wieder von vorn an, und diesmal schaffe ich mehr. Aber ich komme wieder nicht durch. Und das Seltsame ist, ich fange immer wieder von vorne an, und lese es immer wieder sehr gerne. Das ewige Buch!

 

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Nachbemerkung: dies ist ein gekürzter und überarbeiteter Artikel aus der Frühzeit der Manafonisten. Anlass: am 4. November erscheint ein neues, etwas a n d e r e s Album von Lambchop: „FLOTUS (For Love Can Turn Us Still)“. Eine seiner besten Platten wurde von mir gar nicht erwähnt hier, sie heisst „DAMAGED“. Sie stammt aus einer dunklen Zeit seines Lebens. Und dann ist da ja auch noch „Mr. M“. Aber ich denke, es ist eine gute Einführung.

(August, 2016)

2016 9 Aug.

The perfect song to swim upstream

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