Manafonistas

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Archives: Oktober 2011

2011 10 Okt.

Latin Lover

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Zu den erfreulichen Ereignissen meiner Schulzeit gehört der Erwerb des Großen Latinums – vielmehr die Art und Weise, wie ich es erhielt. Monatelang bis zum Abitur der immer wiederkehrende Traum: ich sitze in der allesentscheidenden Lateinklausur und scheitere kläglich. Kein Wunder, wenn man gefühlte 30 Jahre lang die Hausaufgaben von denen übernimmt (dt. abschreiben), die es besser können. Also fasste ich den Entschluß – einige Wochen vor dem Abi: Selbst ist der Mann! Es folgte nacktes Entsetzen, denn nicht einen einzigen Satz war ich mittlerweile in der Lage, noch eigenständig zu übersetzen. Das Projekt wurde so schnell gecancelt (revidiert), wie es begonnen wurde, nämlich ad hoc.

Aber es geschehen Wunder, immer wieder und immer noch. Als aus den vorhergehenden, nicht endenden Albträumen Realität wurde und der unvermeidliche Tag X  kam, fand ich mich in besagter Klausur. Wir bekamen einen Text von Cäsar. Ich las ihn durch und dachte: „Das soll Abiprüfung sein? Das ist doch viel zu leicht!“ Mit leichtem Frohlocken im Bauch übersetzte ich den Text und gab ihn ab. Ich hatte es geschafft, das erste Mal in meinem Leben eine 2 in Latein zu schreiben und so leicht schien der Text nicht gewesen zu sein, denn einige rasselten durch. So auch mein jetziger Schwager und damaliger Klassen-Kamerad. Er ist heute allerdings in der Lage, Shakespeare lupenrein rückwärts zu übersetzen (reine Kompensation) oder Rick Holland Gedichte von Eno-CDs, wie er jüngst bei den Manafonistas eindrucksvoll bewies.

Wie komme ich darauf, diese Geschichte zu erzählen? Angeberei? Nicht nur, denn gestern wies mich ein hilfreicher Lektor, der nicht Hannibal hieß sondern Michael, darauf hin, dass das Wort Prokrastination, dessen Bedeutung er gar nicht kenne, wohl ausser den Lesern mit Großem Latinum sonst nur Wenigen Freude bereite. Ich hab´s rausgenommen aus dem Text und durch Aufschieben ersetzt – auch mit Rücksicht auf Lateintraumatisierte.

Das Buch „Latein ist tot, es lebe Latein!“ wünschte ich mir letztes Jahr zu Weihnachten von meiner Schwester, der Frau besagten Schwagers. „Sowas schenke ich Dir nicht!“, giftete sie mich an. Deren Ehe scheint zu stimmen (lat. solidare – dicht machen, befestigen, verstärken). Ich werde es mir heimlich besorgen und fernab aller Neider im Stillen geniessen. Um hernach nochmehr Worte dieser geliebten und so lebendigen Sprache in meine Texte einfliessen zu lassen – auch wenn mich andere dafür hassen werden. Denn Neid muss man sich mühsam erkämpfen.

2011 8 Okt.

Herbstgedicht

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Vor ein paar Tagen nahm ich einmal wieder das SEPTEMBERBUCH von Robert Gernhardt zur Hand und zwar die Ausgabe mit „Zwanzig Zeichnungen zu zehn Gedichten“. Wenigstens an eines dieser wunderbaren September-Gedichte dieses viel zu früh verstorbenen Dichters möchte ich erinnern:

 
 

Schneiden und Scheiden

 

Ein guter Abend, um Pflaumen zu schneiden,
vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.
Man kann beim Entkernen Gefühle erleben,
die schlichtweg erheben.

Zum Beispiel das, nicht allein zu sein.
Dann das Gefühl, zu zwein zu sein.
Sowie die Gewißheit: Was immer ihr tut –
Es wird gut.

Ich rede jetzt nicht von der Marmelade.
Wenn die danebengeht, ist es kein Schade.
Auch meine ich keineswegs euer Verschränken.
Daß das in Ordnung geht, will ich gern denken.

Nein:

Ich stell mir nur vor, wie ihr Pflaumen schneidet,
wie ihr sorgsam die Kerne vom Fruchtfleisch scheidet
und wie sich zwei Schalen nach und nach füllen
mit Kernen und Hüllen.

Solch Scheiden paarweis und stetig betrieben,
steigert das Leben und fördert das Lieben,
hindert das Meiden und mindert das Leiden
vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.

 

 
www.runegrammofon.com
 
„Ich müsste lange darüber nachdenken, wer (unter den lebenden Vertretern ihres Faches) derzeit mein Lieblingssaxofonist ist, meine Lieblingsgssängerin fällt mir auf Anhieb ein: Sidsel Endresen“ (Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk)
 
Sidsel solo in Japan, December 2010:  https://www.youtube.com/watch?v=b6-0duLTzEc&feature=related
 

In Düsseldorf, Aachen, München und gewiss auch anderen Städten gibt es edle Currywurst-Restaurants. Dort wird die alte Currywurst, von der Uwe Timm in einem seiner schönsten Romane einiges zu erzählen weiß („Die Entdeckung der Currywurst“), neu aufbereitet, mit Spezialrezepten von Gourmetköchen und findigen Amateuren. Und in einem dieser Läden schrieb ich in mein IPad die komplette Rezension der CD „ha!“ von Humcrush w/ Sidsel Endresen, die Sie seit gestern in der neuen Ausgabe der ZEIT nachlesen können. In einem Rutsch sozusagen, First take, zwischen Mineralwasser, fruchtig-scharfer Wurst und Small Talk mit der Bedienung. Ich glaube, ohne die gerösteten Zwiebeln wäre die Besprechung nur halb so gut geworden, wurde ich doch einigermaßen scharfzüngig in meinem Ausdruck, nicht ohne eine Seitenhieb auf die Bewunderer dieser Schmalzjazztante Diana Krall. Schreibt man für die ZEIT, was ich vor Jahren öfter tat, als Konrad Heidkamp noch lebte, ist ein elaborierter Sprachcode Pflicht, die Sprache muss sinnlich sein und informationshaltig. Man kann da nicht kleine Insidergeschichten von den Manfonistas einstreuen, und hat dem Thema eng verbunden zu sein. Ganz sicher ist, dass „Ha!“ jetzt einige neue Hörer gewinnt, dass der Diana Krall-Fanclub mich auf die schwarze Liste setzen wird. Das Schlimmste wäre ein böser Brief von Clint Eastwood, der einen Song dieser Edellangweilerin in einem seiner Filme unterbrachte, und natürlich auch ein Fan ist. So wie ich ein Fan von Clint Eastwood bin. Eastwood liebt den old school Jazz. In seinen Filmen läuft immer wieder mal Miles Davis, oder „Misty“ von Erroll Garner. Als er noch bei Don Siegel in die Lehre ging, transportierte Lalo Schifrin dutzendweise nervöse, fiebrige Jazzrhythmen in die Soundtracks der 70er Jahre. Vielleicht war Clint dem kunstvollen Jazzgesang der als etwas zickig geltenden Blondine deshalb so zugetan, weil sie die Rezepte einer alten Zeit benutzt. Eines aller permanenten Betrüblichkeit zum Trotz goldenen Zeitalters, in dem der Jazz und die Currywurst erfunden wurden.        

2011 7 Okt.

John Cale in der Lichtburg

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Stolperte gestern Abend, fast wie der Protagonist im letzten Woody Allen-Film, in ein altes Paris. Meinem neuen zweitbesten Freund, Bratt Pitt II, hatte ich ein Ticket für seinen liebsten Sänger auf dem Planeten besorgt, und jetzt hatte die Lady vom Pressebüro doch zwei zur Hand, und wider Erwarten war ich nicht weit von der Essener Lichtburg entfernt, und landete im Paris des Jahres 1919. Ich begegnete Pablo Picasso, Graham Greene und anderen Parisverrückten. „Paris 1919“ gilt als eines der Meisterwerke des John Cale aus den frühen 70ern.Er beschwört eine alte Welt, macht auch schon mal Halt bei einem Weihnachtsfest in seiner Heimat Wales und lässt einen romantischen Liederreigen vorbeifliegen, der uns sanft in die Kissen des alten Lichtspieltheaters in der Kettwiger Strasse drückt. Die Streicher waren schon damals dabei, und unangestrengt, liebevoll und ohne zuviel Patina trugen Mitglieder des WDR-Symphonieorchesters dazu bei, Cales Stimme (die eine natürliche Autorität ausstrahlt und doch das Bardenhafte mit feiner Eleganz meistert) durch surreale Räume zu navigieren. Lowell George, der Sessionmann von Little Feat, ist schon lange tot, sein Nachfolger offerierte manch altbackenes Gewimmer, auch Ewigkeitswerke brauchen ein paar hübsch veraltete Sounds. Nichts zu meckern. Später, nach der Pause spielte der Mann von Velvet Underground auch neuere Lieder, kehrte aber zum alsbald zum feierlichen Ohrwurm „Hedda Gabler“ zurück. Wir waren leicht entrückt. War die Farbe des Vorhangs lila? „She makes me so unsure of  myself. Standing there but  never talking sense. Just a  visitor you see. So much  wanting to be seen. She’d open up the  door and vaguely carry us away“ (Paris 1919)

 

2011 7 Okt.

This stuff undone

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„It’s the narrative that must go on
Until the end of time.“
(David Sylvian)

„Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt,
Pinsel und Leinwand zu kaufen.“
(Joseph Beuys)

 

Wikipedia-Einträge oder Bücher über Kreatives Schreiben helfen wenig weiter, wenn der Kreativfluss ins Stocken gerät. Denn fürs Schreiben gilt das Gleiche wie für Schwimmen, Malen, Sex und Fahrradfahren: man muss es einfach nur tun. Don´t think twice, ma.

Erinnert sei an Stanley Kubrick´s Shining: um endlich ungestört seinen Roman zu beginnen, mietet ein Schriftsteller (Jack Nicholson) ausserhalb der Saison ein Ferienhotel, abgelegen in den Bergen, riesig groß – so groß wie der Horror, der dann daraus entsteht.

Schreibblockade und Prokrastination – hängt das irgendwie zusammen? Der Philosoph Jiddu Krishnamurti bemerkte, dass es zwei Arten von Zeit gibt: die physikalische und die psychologische Zeit. Erstere ist die natürlich ablaufende, Zweitere die Differenz zwischen Idee und Handlung. Sobald ich ein Vorhaben in die Zukunft projiziere (Projekt), entsteht Zeit – und somit quälender Aufschub.

Journalist Gerd Scobel, Schriftstellerin Siri Hustvedt und Neurowissenschaftler Antonio Damasio erörterten die hochinteressante Frage, wann und warum ein Autor (ein Künstler) mit seiner Arbeit zufrieden sei. Sie waren sich schnell einig: das Ich will Geschichten von sich erzählen. Träume spielen eine große Rolle. Emotionen, Intuition und das Unterbewußte müssen im Narrativ zufriedenstellend und aktuell repräsentiert sein, ansonsten wird das Resultat wieder verworfen.

Worauf der Künstler Joseph Beuys in obigem Zitat warnend hinwies: die ursprüngliche, konzeptionelle Idee dient nur als Untermalung, zur Vorbereitung. Sie ist der Köder, um den Zufall ins Spiel zu locken und den Flow. Dann fällt einem das Wesentliche zu: als Geschenk, als Gabe. Ist das Werk vollbracht oder ein zumindest vielversprechender Anfang gemacht, dann steht man wieder unter dem freiem Himmel der Gegenwart – the stuff is done.

It was made right in the middle of the punk thing when everyone was trying to get more aggressive, and Brian Eno went away (…). If I had to just listen to one song for the rest of my life it would be ‚1/1‘. It’s not just a mellow thing, I’ve listened to it in the morning and it’s beautiful, I’ve listened to it last thing at night. I’ve listened to it as a stimulant and a calming thing, it does something very physical, very chemical to me. I’m always fascinated by how he made that track. Did he sit there and play it live for 17 minutes? Smoked some dope? I’ve always meant to ask him, I’m always bumping into him and I always forget. I see him having coffee in a café near me and we always have a nice little chat. He’s a lovely chap. I never let onto him how much of a fan I am because that would be weird and a bit distasteful. If I ran up to him saying ‚how did you do that track?!‘ he’d probably start backing off slowly

Es hat nichts mit Fan- Attitüden zu tun, nichts mit vorauseilenden Geschmackssicherheiten, nicht mit Parapsychologie und nichts mit sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, aber es es gibt Alben, bei denen ich vor dem ersten Ton weiss, dass ich sie nicht nur schätzen, sondern lieben werde. Bei dem zweiten Album, das der norwegische Komponist und Tastenspieler mit Batagraf bei ECM rausbringt, werde ich diese These gewiss einmal mehr bestätigt finden.

 

Jon Balke: tougone, darbouka, hand drums, piano, keyboards, electronics, voice

Helge Norbakken: sabar, talking drums, djembe, metal percussion

Emilie Stoesen Christensen: vocals

Erland Dahlen: drums

Torgeir Rebolledo Pedersen: poetry reading

 

Batagraf is a percussion think tank, a constellation of players researching the outer parameters of rhythmic music. Inspired by techniques and traditions from West African Wolof music, the group explores new polyphonic textures. The relation between language and rhythm is constantly being investigated in Batagraf, the collective centered around the collaboration between Helge Norbakken and Jon Balke. Norbakken has developed his personal approach to percussion, inspired by African drum music traditions, but also developed in new directions through collaborations with numerous artists. He has been a member of Balke’s Magnetic North and Siwan projects and has also played on ECM recordings with Jon Hassell and Miki N’Doye. While best-known as pianist and composer-arranger, Jon Balke has also been a devoted percussion player since the early days of Eolén, Afro-jazz group of the early 80s.Drumming is speaking” says Balke, “and language is a miracle in all its manifestations.” On “Say and Play” Batagraf are inspired by the rich traditions of Wolof, Yoruba, Cuban and Arabic music, most particularly the inner energy and creativity of these cultures.

 

Die erste Platte, auf die ich heute aufmerksam machen möchte, brachte der Postbote erst vorgestern. Das Duo Gazzana spielt Toru Takemitsu, Paul Hindemith, Leos Janacek und Valentin Silvestrov. Auch wenn die ganze Platte sehr zu empfehlen ist, möchte ich heute speziell auf den Ukrainer Valtenin Silvestrov eingehen und bei dieser Gelegenheit die älteren Veröffentlichungen von ihm einmal wieder aus dem Plattenschrank holen und das eine oder andere Stück auflegen. Aber zunächst zu dieser neuen CD: Die Fünf Stücke für Violine und Piano, die Raffaella und Natascia Gazzana hier erklingen lassen, wurden 2004 von Silvestrov komponiert. „Es ist ergreifend schlichte Musik, so still und zurückhaltend …“ (Wolfgang Sandner) und sie erinnern mich an mein Lieblingsstück dieses Komponisten, an Hymne 2001.

Bevor ECM New Series 2002 die CD leggiero, pesante veröffentlichte, war Silvestrov für mich ein Unbekannter, doch nach dem Hören dieser Platte, war ich von der Musik dieses Komponisten begeistert. Hymne 2001 findet sich auf dieser CD und speziell dieses Stück spielt der Meister selbst.

 

 

2004 veröffentliche ECM New Series die Stillen Lieder von Valentin Silvestrov, ein Vokalzyklus nach Versen klassischer Dichter. Auf dieser Doppel-CD, eingespielt von Sergej Jakowenko (Bariton) und Ilja Scheps (Klavier), findet sich das Herbstlied:

 

 

Sergei Jessenin: Herbstlied

Die goldenen Schatten auf dem Herbstwald liegen,
Er sprach in seiner Birkensprache gern,
Die Kraniche, die traurig weiterfliegen,
Bedauern nichts und sind dem Schicksal fern

Ich bin allein. Ringsum der Ebne Stille,
Die Kraniche hat längst der Wind verweht,
Ich sehne mich nach meiner Jugend Fülle,
Und doch ist nichts, das mir zu Herzen geht.

Ich klage nicht um Jahre, die entlaufen,
Um Seelenblüten, duftig und verschwärmt,
Im Garten brennt ein großer Scheiterhaufen,
An dem sich aber keiner wirklich wärmt.

Wie auch die Flammen sich zusammenballen,
Das gelbe Ebereschenlaub bleibt fest,
Ich lasse meine Worte traurig fallen,
So wie der Baum die Blätter fallen läßt.

Bagatellen und Serenaden folgten dann 2007. Auf dieser Platte, auf der Silvestrov seine dreizehn Bagatellen und eine Variation selber auf dem Klavier spielt, findet sich auch die Stille Musik, die Silvestrov Manfred Eicher gewidmet hat. Die Stille Musik besteht aus drei Teilen: I. Walzer des Augenblicks, II. Abendserenade und III. Augenblicke der Serenda.

 

Der russische Pianist Alexei Lubimov versammelte auf der CD Der Bote Kompositionen, die der Musiker so beschreibt: „Melancholie – so könnte man dieses Programm nennen; Nostalgische Bilder – wird ein anderer sagen; Stille Meditation – so wird es ein Dritter empfinden.“ Das titelgebende Stück Der Bote wurde von Silvestrov komponiert.

 


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