Manafonistas

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Archives: Zeitreisen

2012 26 Dez.

Sein und Schein

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Manche Geschichte erzählt man gerne weiter, wenn sie ein Aha-Erlebnis mit Erkenntniswert enthält. Noch viel lieber schreibt man so etwas für Andere auf, denn Schreiben ist ja an sich schon eine Belohnung – sofern man eine Leserschaft findet.

Es begab sich zur Studentenzeit, in höherem Semester. Als Tischler hatte ich gute Jobgelegenheiten. So verschaffte mir ein frischgebackener, befreundeter Assistenzarzt der medizinischen Hochschule den Auftrag, das Büro zu bauen für ein bahnbrechendes junges Forschungsteam, dem er nun angehörte. Welche Ehre – die Arbeit machte Spass und ging zügig von der Hand, hatte man doch gestalterisch alle Freiheiten: Vollholzrahmenbau, dazu elegante Jalousien … ganz wie es uns gefiel.

Bald feierten wir Richtfest und beim Verabschieden fragte der Leiter des Teams, ob er die angesammelten Holzreste für seinen Kamin mitnehmen dürfe, sein Auto parke vor dem Eingang der Klinik. Da war meines auch – nun ja, er würde meine alte Schrottkarre zu Gesicht bekommen, was mir irgendwie peinlich war. Da stand dann aber auch sein verkommener Toyota, mit durchlöcherter Karosserie, neben dem mein R4 geradezu in aristokratischem Glanz erstrahlte. Der Arzt ging auf seinen Japaner zu, öffnete die Heckklappe, woraufhin sich die rostige Halterung löste und samt Klappe zu Boden fiel.

„Uups – Nanu! Naja, er ist nicht mehr der Jüngste.“ Aber in seiner Position müsse man doch ein prestigeträchtigeres Auto fahren! „Alles nur Nebensächlichkeiten“, entgegnete der Chefarzt, „es gibt Wichtigeres im Leben als Prestige.“

Jahre später erwarb ich eine Kompilation von Joni Mitchell mit dem Titel Misses – im Gegensatz zu den Hits mit den „gescheiterten“ (gescheiteren) Songs drauf. Auf dem Cover war ein ulkiges Auto zu sehen, vor dem die Lady vom Canyon mit Kreide etwas auf die Strasse zeichnete – einem indianischen Ritual ähnlich. Das Gefährt, welches ich mir dann kaufte, war auch so ein hässliches Weisses, als Resultat gewisser Einflüsterungen.

 
 
 

 

2012 6 Dez.

Zwei auf einen Streich

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Mein erstes Album von Joni Mitchell war Miles of Aisles. Der Tag, an dem ich Hejira erstand, bleibt im Gedächtnis: an einem frischen und sonnigen Samstagmorgen im April sollte ich gleich zwei Langspielplatten erhalten. Das restliche Taschengeld wurde verbraucht, doch das wars wert. Mit Mutters R4 und dem gradmal ein paar Tage alten Führerschein in der Tasche gings also ab nach Bremen, Richtung Plattenladen. Die heisse Ware war vor Ort und ganz legal zu haben: Black Market von Weather Report und eben Hejira. Wieder daheim dann gleich auf den Flokati gefletzt, vor die Sphis-Boxen, die Tür zum Garten war auf. Kühle Frühlingsluft wehte herein und verströmte offene Weite und Ungebundenheit. The Refuge of the Roads. Zu hören war auf beiden Platten, welch ein Genuß, Jaco Pastorius im Überfluss. Der Song Gibraltar übrigens gehört zum Besten aller Zeiten. Das Album Blue hatte ich merkwürdigerweise nie als Platte, nur auf Kassette. Wir hatten dann auf einer Folk-Pub-Tour durch England einige Joni Mitchell Songs gecovert und auch in Clifden, einem irischen Küstenort in Connemara, gab man mal Mitchells Circle Game und dazu Spencer the Rover von John Martyn zum besten, begleitet von einem Dutzend irischer Musiker und etwa zehn Dutzend verrückter Iren als Zuhörerschaft. Those were the Days. Heute noch höre ich gerne Songs der kanadischen Sängerin wie Don´t Interrupt the Sorrow aus The Hissing of the Summer Lawns, damals das Lieblingsjonimitchellalbum des jüngeren Bruders, der sich als Saxofonist frühzeitig und unbeirrbar der Freien Improvisation widmete. Auch hier erinnere ich mich ganz genau: die ersten Töne klangen nicht die Spur wie Wayne Shorter auf Gibraltar, sondern eher wie eine gefolterte Kuh. John Zorn hätte seine Freude gehabt, Mitbewohner aber mussten leiden. Apropos Irland – die Iren sind ein sympathisches Volk: sie reden gerne, schreiben gerne, lachen gerne, machen viel Musik, sind gesellig und ein bischen irre.

2012 17 Sep.

John Cage: Water Walk (1950)

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2012 11 Mai

Caimanera

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„Welche Stücke spielen wir heute abend? Guantanamera?“

„Guantanamera ja – aber nicht ohne Robert Wyatt!“

Caimanera hieß die Version des Ex-Soft-Maschinisten, die diesen Gassenhauer veredelte und damit überhaupt erst spielbar machte – für die Nachwelt in der Kleinkunstszene beispielsweise. Auch ohne Unterstützung der Piraten-Partei wurden damals schon die Gema-Gebühren geschickt umschifft. Ein Song, der gefiel, wurde rücksichtslos gekapert, zwischen Scylla und Charibdis, in Hannover und Umzu. Unter den Opfern waren auch Mercedes Sosa und Milton Nascimento. Und von den Tätern? Keine Spur.

2012 25 März

Dance

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Gute Musikrezeption hat Ereignischarakter. Sie entzieht sich dem Wiederholungszwang. Mit Hilfe des Zufalls und durch eigenes Geschick (Psycho- und Physiotechniken) wird man überrascht. Das wertende Über-Ich ist lahmgelegt. Man assimiliert, antizipiert, assoziiert. Der Kairos kommt ins Spiel, jener Zeitpunkt, der genau der Richtige ist.

Der Kairos inmitten des Chaos rettet uns vor Kontingenz und Redundanz. Es ist der Moment, der uns befreit aus dieser fatalen Erwartungshaltung, aus diesem Abgesättigtsein, das immer mehr will. Doch im Mangel blüht der gelbe Ginster der Erleuchtung – und im Wartenkönnen. Der Sinn für die Pause; das Evidenz-Erleben; die Frucht der Langeweile.

Wo die Bürokratie beginnt, dort endet nicht nur die Liebe zur Weisheit (Philosophie), sondern auch die zur Musik. Markt- und Konsumentenbedürfnissse zu befriedigen, Erinnerung und Festhalten an Altbekanntem: mehr als das alles ist Musik vor allem der authentische, vitale Ausdruck von Daseinsbefindlichkeiten.

Dem Pianisten Vijay Iyer ist die Verwandtschaft von Musik, Bewegung und Körperlichkeit wichtig – er studierte einst Physik und physikalisch heißt ja körperlich. „Traue niemandem, der nicht tanzen kann“ – bei diesem Spruch fühlt sich wohl mancher auf den Schlips getreten. Aber es ist doch so: wer tanzt, der zeigt und offenbart sich, ist human.

Es klingelt an der Tür, die Mutter öffnet. Ein Verteter? „Vielen Dank, wir brauchen nichts!“ „Ich hätte da aber was, das würde ihrem kleinen Sohnemann gefallen!“ Na gut. Der dubiose Fremde schüttet aus einer dreieckigen Papiertüte Heftzwecken auf ein Tablett – die darauf einen Tanz vollziehen und abstrakte Töne fabrizieren. Das gefällt dem Kleinen in der Tat.

Jahre später dann zur Studienzeit hört der Sohn Paul Motians Dance und erinnert sich an diesen Traum. Rhythmus und Musik: abstrakte Emanationen, entstanden aus Intuition, Einbildungskraft, und Verlangen (the longing). Gäbe es diese Momente nicht, es gäbe auch keine Musik. Nada Brahma. Der Urknall war schon lange vor so manchem Knallfrosch da.

2012 1 März

Hannes Wader – 7 Lieder

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„Ich bin unterwegs nach Süden und will weiter bis ans Meer, will mich auf heiße Kiesel legen, und dort brennt die Sonne mir die Narben aus dem Nacken, jeden Kratzer, jeden Fleck, dass von den tausend Händen, die mich das ganze Jahr befingert und geschlagen haben, keine Spur mehr übrig bleibt. Und wenn der Wind mir fetzenweise meine alte, tote Haut vom Rücken fegt als weiße Asche, steh ich auf und bin gesund … Ich bin unterwegs nach Süden, will nicht weiter bis ans Meer, ich bin müde, will nur schlafen, morgen, morgen schreibe ich meine Träume auf und sehe wie in der Vergangenheit der Schmutz in meinen Eingeweiden, im Rückenmark, im Hirn begonnen hat zu faulen und zu Gift geronnen ist. Morgen werde ich dann wissen, wie es heißt, woher es kommt, und wenn ich erst den Namen kenne, bringt dies Gift mich nicht mehr um.“

(Hannes Wader, Unterwegs Nach Süden)

Unvergessen jenes Weihnachten, als unterm Tannenbaum die 7 Lieder des Hannes Wader lagen. Pure Freude und Inspiration weit übers heilige Fest hinaus: eine neue Dimension.  In der Tradition linker Arbeiterlieder ebenso erklingend wie auch im Kontext von Chanson und Liedermacherei. Modernes Fingerpicking, One-Man-Show, Witz (auch Insterburg und Co. begeisterten zu jener Zeit mit anarchischer Musiziererei), Sprechgesang (Der Tankerkönig als Talking-Blues), dann dieser scharfe Ton, der dem bundesdeutschen Nachkriegsmuff etwas entgegensetzte … das alles und viel mehr noch. Ein ansprechendes Cover auch: Rattenfänger von Hameln, in seriösem Blau. Und das Orange in der Schrift? Aufbruch, Hoffnung, „Unterwegs nach Süden“.

2012 9 Jan.

Tonios Wette

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Ein langjähriger Freund und Wegbegleiter, gebürtiger Brasilianer, hatte schon in jungen Jahren ein bewegtes Leben hinter sich, als wir uns auf kuriose Weise kennenlernten. Ich benötigte Portugiesischunterricht, las eine Annonce im Stadtmagazin Schädelspalter, rief dort an und verabredete einen Kennenlerntermin. Es war Sonntagmittag, ich klingelte, eine WG, und es öffnete jemand, den ich vom Sehen schon kannte: H, Mitglied der Gruppe Tri Atma, deren Musik ich damals sehr mochte. „Tonio schläft noch, werd´ ihn mal wecken – nimm in der Küche Platz, es ist noch Kaffee da!“

Dort stand er dann ganz plötzlich, so wie Gott ihn schuf (deus é brasileiro): nackt, einssechzig groß, Lockenpracht, dunklere Hautfarbe und sehr, sehr temperamentvoll (später sollte ich erfahren, dass er in Brasilien „Pfeffer“ hieß). Er gab mir die Hand mit den Worten: „Grüß dich, wurde etwas später gestern. Zieh mir kurz was an, gleich gehts los!“

Der Unterricht verlief sonderbar: während ich auf der Couch Platz nahm, das Lehrbuch vor der Nase, stand Tonio hinter zwei Congas in der anderen Zimmerecke, stellte mir Fragen und untermauerte diese nachdrücklich mit kleinen, gepfefferten Perkussions-Pirouetten.

„Que horas são?“  Tschaka-bum-ba-tschakatschaka  „Äh, são cinco e quinze!“ „Não, falso, outra vez!“ Tschaka-bumba-tschaka-bumba – so etwa lief das ab und aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich später dann eine langjährige Freundschaft – mit einer Vielzahl von gemeinsamen Konzerten in Folge, zu einer Zeit, in der Live-Musik, Kleinkunst- und Kneipenkultur noch angesagt waren. Wir nannten uns Xangô (um orisha), dem Gott des Donners sei´s gedankt.

Tonio hatte, wie gesagt, schon einiges erlebt, war Spießrutenlauf-erprobt: politisches Asyl, schlief drei Jahre in Europa unter Brücken, kam dann in Aachen in einem katholischen Kloster unter (hasste aber Kirche, Papst und Katholizismus wie die Pest), lernte dort Deutsch und kämpfte sich in Deutschland durch, was nicht so einfach war. Später dann, als er längst etabliert war, fragte ich ihn, ob es ein Geheimnis gäbe: „Wie hast du so beharrlich durchgehalten?“ „Ganz einfach“, antwortete er, „ich hatte eine Wette mit mir abgeschlossen und die lautete: Wetten dass du es schaffst, hier was aus dir zu machen!“

Wir haben uns inzwischen lange aus den Augen verloren und Tonio meinte mal, keine Freundschaft hielte für ewig (und das glaube ich ebenso). Zuletzt hörte ich, er sei nach Norwegen ausgewandert, mit seiner Frau (einer Ärztin) und den beiden Kindern. Wenns am Horizont mal düster aufzieht, hernach ein Dutzend Niederschläge niederprasselt (it only has to happen once) und mindestens ein Sturm in der Teetasse ausbricht … – dann denke ich an Tonios Wette.

2011 22 Dez.

Lost and Found – Seu Jorge

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Eines Sommers hörte ich ein Stück im Radio: aus dem Wohnzimmer in die Küche drang der Klang von sophisticated samba – schwebend leichter Rhythmus, Sommerbrise. „Ah, das können nur die Brasilianer!“ Ich sprang im Hechtsprung vor das Radio, um mir den Namen des Interpreten zu merken – zu spät. Etwas wie „Jorge Ben“ blieb hängen, die Stimme klang entspannt, ein bischen traurig und in den letzten Takten wie McFerrin.

Kennen Sie das: eine kurze Begegnung nur – dann unwideruflich verloren? Ein Reisender steht an einer Bushaltestelle in Salvador do Bahia, sieht die Frau seines Lebens – und sie steigt in einen anderen Bus und der Bus fährt ab. Nicht umsonst wurden Orpheus und Eurydike einst filmisch in den brasilianischen Karneval verlegt (Orfeu Negro).

Es war in Brasilien, bei meinem Gastgeber, einem Cartoonzeichner aus Brasilia, und es lief eine wunderbare, driftende Musik: ein Schwarzer, aus Angola stammend, spielte lauter Berimbaus und Geigen – eine Sinfonie, die Platte hieß Agua. Irgendwas wie „Fernando Brant“ (Milton Nascimentos Hauskomponist), „Fernando“ oder „Brant“, blieb in Erinnerung. Nie fand ich diese Platte wieder: found and lost again – tristeza não tem fim.

Bei Jorge Ben hatte ich mehr Glück. „Kennst du schon Seu Jorge? Momentan das Beste, was es aus Brasilien gibt. Seu Jorge & Almaz, musst du unbedingt hören!“ Jorge? – da war doch was! Als ich die Songtitel dieses angepriesenen Interpreten durchsah, die imposante Sammlung des bewanderten Musikkenners im Rücken, sprang es mir direkt ins Auge:

Bem Querer hieß der gesuchte Song, der daherkam wie eine Sommerbrise – Sie ahnen es schon: zum Ende hin klang´s wie McFerrin. Felizidade? Sim!

Ein Sänger, Gitarrist und Songschreiber aus Rio de Janeiro also … er wuchs in den Favelas auf und wurde auch als Schauspieler bekannt: mit dem faszinierenden Film City Of God, der in eben diesen Slums von Rio spielt. Mittlerweile habe ich schon so Einiges gehört und gesehen von diesem charismatischen Künstler mit dem traurigen Unterton in der Stimme – auch war er Gast bei One Shot Not des Senders Arte.

Auf Seu Jorge & Almaz coverte er Kraftwerks „The Model“ und im Film „Die Tiefseetaucher“ (The Life Aquatic) gab er eine Version von Life On Mars zum Besten. David Bowie hatte es gefallen – so ist´s überliefert.

„It’s all intact, you know …“ (Daniel Lanois)
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Eine Art Urszene will nicht aus meinem Gedächtnis weichen: die Hühner waren weg und der Hühnerstall, der sich im Anbau des vom Vater gebauten Elternhauses befand, gleich neben der Garage – er war leergeräumt. Da der Raum sauber und ungenutzt nun schon einige Zeit „brach“ lag, nahm ich ihn (statt der Hühner) in Beschlag und nutzte ihn für meine Zwecke – im sogenannten Teeniealter oder kurz davor, in dem ja die Ausweitung der Kampf- und Entwicklungszonen zum Regelwerk gehört.

Ich legte mir eine alte Matratze auf den Betonboden – es war kühl hier trotz des heißen Sommers und angenehm gedämpftes Licht fiel durch die farbigen Mosaikbausteine – und plazierte meine Utensilien an der Wand gegenüber: das Telefunken-Tonbandgerät; das alte Röhrenradio; meine E-Gitarre (eine halbakustische Dynachord-Jazzgitarre mit großem Korpus, die ich eigentlich gar nicht so gerne mochte) und dann stand da noch der respekteinflössende Fender-Jazzbass des befreundeten Pastorensohnes.

Draussen war also diese schwirrende Hitze und ich sass ganz ruhig da auf der Matraze, betrachtete das sparsame Interieur dieses von mir ausgestatteten Raumes, der jetzt auf magische Weise zu einem archaischem Ashram – einer Mischung aus Tonstudio und Meditationsraum – geworden war und dachte, nein, ich fühlte es: „Das ist es. Es ist alles da, mehr brauchst du nicht.“

Was ich gefunden hatte, neben meiner schon bekannten Faszination für Musik und Gitarre, das war ein asketisch-kontemplativer Seinszustand, der meinem Wesen mehr entsprach als das beflissene Wiederaufbau-Geflirre der Nachkriegszeit – mit dieser geistigen Enge, über die man sich heut´ nur noch wundert und die ja bekanntlich Revoluzzer und Terroristen hervorbrachte. (Und es gab auch die Stones und „A Thousand Light Years From Home“).

Irgendwann erkennt man, was man später dann sein Eigen nennt – und viele sind sich darin einig: der Kern der späteren Persönlichkeit, des „Ichs“, ist spätestens mit sechzehn, siebzehn im Wesentlichen angelegt und man ist dann, wenn auch nicht immer fix, so doch schon eigentlich fertig. Dass sich so einer wie der, der gerade diese Zeilen schreibt, später dann auch mal mit Heidegger beschäftigte (und Zen) – soll man´s ihm verübeln?

2011 10 Okt.

Latin Lover

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Zu den erfreulichen Ereignissen meiner Schulzeit gehört der Erwerb des Großen Latinums – vielmehr die Art und Weise, wie ich es erhielt. Monatelang bis zum Abitur der immer wiederkehrende Traum: ich sitze in der allesentscheidenden Lateinklausur und scheitere kläglich. Kein Wunder, wenn man gefühlte 30 Jahre lang die Hausaufgaben von denen übernimmt (dt. abschreiben), die es besser können. Also fasste ich den Entschluß – einige Wochen vor dem Abi: Selbst ist der Mann! Es folgte nacktes Entsetzen, denn nicht einen einzigen Satz war ich mittlerweile in der Lage, noch eigenständig zu übersetzen. Das Projekt wurde so schnell gecancelt (revidiert), wie es begonnen wurde, nämlich ad hoc.

Aber es geschehen Wunder, immer wieder und immer noch. Als aus den vorhergehenden, nicht endenden Albträumen Realität wurde und der unvermeidliche Tag X  kam, fand ich mich in besagter Klausur. Wir bekamen einen Text von Cäsar. Ich las ihn durch und dachte: „Das soll Abiprüfung sein? Das ist doch viel zu leicht!“ Mit leichtem Frohlocken im Bauch übersetzte ich den Text und gab ihn ab. Ich hatte es geschafft, das erste Mal in meinem Leben eine 2 in Latein zu schreiben und so leicht schien der Text nicht gewesen zu sein, denn einige rasselten durch. So auch mein jetziger Schwager und damaliger Klassen-Kamerad. Er ist heute allerdings in der Lage, Shakespeare lupenrein rückwärts zu übersetzen (reine Kompensation) oder Rick Holland Gedichte von Eno-CDs, wie er jüngst bei den Manafonistas eindrucksvoll bewies.

Wie komme ich darauf, diese Geschichte zu erzählen? Angeberei? Nicht nur, denn gestern wies mich ein hilfreicher Lektor, der nicht Hannibal hieß sondern Michael, darauf hin, dass das Wort Prokrastination, dessen Bedeutung er gar nicht kenne, wohl ausser den Lesern mit Großem Latinum sonst nur Wenigen Freude bereite. Ich hab´s rausgenommen aus dem Text und durch Aufschieben ersetzt – auch mit Rücksicht auf Lateintraumatisierte.

Das Buch „Latein ist tot, es lebe Latein!“ wünschte ich mir letztes Jahr zu Weihnachten von meiner Schwester, der Frau besagten Schwagers. „Sowas schenke ich Dir nicht!“, giftete sie mich an. Deren Ehe scheint zu stimmen (lat. solidare – dicht machen, befestigen, verstärken). Ich werde es mir heimlich besorgen und fernab aller Neider im Stillen geniessen. Um hernach nochmehr Worte dieser geliebten und so lebendigen Sprache in meine Texte einfliessen zu lassen – auch wenn mich andere dafür hassen werden. Denn Neid muss man sich mühsam erkämpfen.


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