Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the tag ‘Philosophica’.

Archives: Philosophica

2012 25 März

Dance

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , , | Comments off

Gute Musikrezeption hat Ereignischarakter. Sie entzieht sich dem Wiederholungszwang. Mit Hilfe des Zufalls und durch eigenes Geschick (Psycho- und Physiotechniken) wird man überrascht. Das wertende Über-Ich ist lahmgelegt. Man assimiliert, antizipiert, assoziiert. Der Kairos kommt ins Spiel, jener Zeitpunkt, der genau der Richtige ist.

Der Kairos inmitten des Chaos rettet uns vor Kontingenz und Redundanz. Es ist der Moment, der uns befreit aus dieser fatalen Erwartungshaltung, aus diesem Abgesättigtsein, das immer mehr will. Doch im Mangel blüht der gelbe Ginster der Erleuchtung – und im Wartenkönnen. Der Sinn für die Pause; das Evidenz-Erleben; die Frucht der Langeweile.

Wo die Bürokratie beginnt, dort endet nicht nur die Liebe zur Weisheit (Philosophie), sondern auch die zur Musik. Markt- und Konsumentenbedürfnissse zu befriedigen, Erinnerung und Festhalten an Altbekanntem: mehr als das alles ist Musik vor allem der authentische, vitale Ausdruck von Daseinsbefindlichkeiten.

Dem Pianisten Vijay Iyer ist die Verwandtschaft von Musik, Bewegung und Körperlichkeit wichtig – er studierte einst Physik und physikalisch heißt ja körperlich. „Traue niemandem, der nicht tanzen kann“ – bei diesem Spruch fühlt sich wohl mancher auf den Schlips getreten. Aber es ist doch so: wer tanzt, der zeigt und offenbart sich, ist human.

Es klingelt an der Tür, die Mutter öffnet. Ein Verteter? „Vielen Dank, wir brauchen nichts!“ „Ich hätte da aber was, das würde ihrem kleinen Sohnemann gefallen!“ Na gut. Der dubiose Fremde schüttet aus einer dreieckigen Papiertüte Heftzwecken auf ein Tablett – die darauf einen Tanz vollziehen und abstrakte Töne fabrizieren. Das gefällt dem Kleinen in der Tat.

Jahre später dann zur Studienzeit hört der Sohn Paul Motians Dance und erinnert sich an diesen Traum. Rhythmus und Musik: abstrakte Emanationen, entstanden aus Intuition, Einbildungskraft, und Verlangen (the longing). Gäbe es diese Momente nicht, es gäbe auch keine Musik. Nada Brahma. Der Urknall war schon lange vor so manchem Knallfrosch da.

2012 14 März

Time being – Zeit erfahren

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  | Comments off

„Hui!“, beziehungsweise „Buh!“ – ein Gespenst geht um. Es ist der Geist des retro.

Nach dem metrosexuellen Mann nun also der retrokulturelle Rezipient. Leicht lässt er sich erkennen: er ist vergangenheitsbehaftet und flüchtet sich ins Illusionäre. Kauft sich wieder einen Plattenspieler, möbelt alte Möbel auf, fährt in Urlaub dorthin, wo er früher schonmal war. Ach wie war das damals schön, und überhaupt: Musik der Siebziger und Achziger; vorzugsweise alte Filme, möglichst in Schwarzweiß.

Doch Rückbezogenheit ist wichtig, denn wir können nur erkennen, was wir längst wissen. Ohne die Relation zwischen unmittelbaren Sinneseindrücken und vergangenen Erfahrungen (Konditionierungen) bliebe unser Leben ohne Rahmen. Und wer etwa zu Musik und Kunst Zugang haben will, dem blieben ohne Geschichtskenntnisse die Türen verschlossen. „History will teach us nothing“ – das sang einst Sting, der damit irrte.

Geschichte ist das Eine. Das Andere ist die Einbildungskraft. Dieses Amalgam aus Tradition und Phantasie erscheint mir sehr erfolgsversprechend. Rückblickend kann man sagen, das sowohl politisch als auch kulturell das Neue immer auch eine Reaktion auf Vorheriges war. Ist dies banal und kaum der Rede wert?

Time is Now hieß eine Gruppe der Göttinger Jazz-Ikone Gunter Hampel; Time Being war Musik vom Peter Erskine Trio; Entspannt im Hier und Jetzt sein ist ein Garant fürs Glück. „There is no time“, behauptete ein Guru unbekannter Herkunft; Schlagzeuger Paul Motian fragte beim Blick auf ein neues Notenblatt zuallererst: „Is it in time?“

In einem Thriller (ich vermeide das Wort „Krimi“), der auf einem Campus spielte, war eine Kommissarin, die unter Zählzwang litt. Aber Zählzwang ist nicht nur Neurose, sondern vielmehr: Rhythmus, Ritual, Methode. Alles, was man tut, in Takte packen – die geniale Lösung! Packen wir es an, dann geht kein Ruck durchs Land, wie es einst Roman Herzog wünschte, sondern ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss. So wie es Billy Wilder meinte: „Eins, Zwei, Drei.“
 

2011 6 Dez.

Kleine Fluchten – ein Lob der Stille und des Zweifels

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  | Comments off

1
Peter Sloterdijks philosophische Schriftstellerei ist geprägt von Referenzen, Vorbildern und prägenden Einflüssen – so der Eindruck, den ein interessierter Leser gewinnen kann, wenn er diesen Autor seit vielen Jahren aufmerksam liest. Da wären beispielsweise – um nur wenige zu nennen: Jaques Lacan, Osho (The guru formerly known as Baghwan) und last but not least Martin Heidegger.

Letzterer äußerte eine Aversion gegen den philosophischen Lehrbetrieb und proklamierte eine Hinwendung zum Denken als Weg. „Der Mensch ist das Weg“, so der umstrittene Heidegger. „Der Feldweg“ und „Holzwege“ sind Titel seiner Bücher. Kleine Fluchten hieß einmal ein netter kleiner Film, in dem ein Mann auf seinem Mofa Freiräume erschloss. Auch mit dem Falt- und Fahrrad geht es – oder eben doch zu Fuß.

Was heutzutage an der Medienwelt und ihrer Info-Flut so beunruhigt, das ist die damit einhergehende Unfähigkeit, mit der wirklichen Welt überhaupt noch in Kontakt zu kommen. Denn ein Computer sendet keine sinnlichen Signale, und Atmosphären schafft er auch nicht. Der Dauer-User mutiert zum Zombie und das Alltagsleben wirkt seltsam verhuscht (durch den medialen Wind) – denn allerorten wird mit digitalen Welten kontaktiert.

2
Intuition ist neben der Rationalität eine unverzichtbare Methode der Orientierung und Entscheidungsfindung. Quelle der Intuition ist die Stille. In der Ruhe liegt die Kraft. Und von diesem Ort der Stille aus wird ein Denken bewegt, das mehr ist als bloßes mechanisches Verwalten von Wissen – vielmehr die Verbindung des Gedanklichen mit dem Sinnlichen, Atmosphärischen und (im pornofreien Sinne) Anstössigen.

Von hier aus können nicht nur grenzüberschreitende Erfahrungen ihren Ausgang nehmen, sondern ebenso die Kreativität, dh der durch eine Eingebung initiierte Antrieb auf eine Handlung; ein Projekt oder ein Vorhaben hin. Das Denken findet im Kopf statt, ist aber verbunden mit der Leiblichkeit.

„Sex ist ein öffentlicher Prediger“ (Octavio Paz) – aber der Raum hier ist jenseits von Sex und frei von Predigt. Es sind tatsächlich diese kleinen Fluchten: Freiräume, die man sich suchen und nehmen muss. Denn eine profit- und leistungsorientierte Gesellschaft wird sie dir sowenig von sich aus geben wie eine auf gegenseitige Ausnutzung angelegte Neben- und Mitmenschlichkeit dies tut. Innerhalb der Normalitätspropaganda gibt es keine Freiheit.

3
Der Fundamentalismus mit seinen verschiedenen, teils widersprüchlichen Ausprägungen und diversen humorlosen Strömungen im Islamismus, Katholizismus, Protestantismus etc mag einen Menschen handlungsstark machen und seinem Leben Sinn und Rückhalt geben. Häresie, Zweifel, Skepsis und Subversion aber: das sind die wahren Antriebe sowohl einer Philosophie als Lebensform als auch der Kunst.

Deren beider Grundprinzip ist der Anti-Fundamentalismus. Denn wer eh schon weiß, der fragt und sucht nicht mehr („Ik bin all da“, sächt de Igel un sin Fru) und verschließt sich somit weiteren Entdeckungen. Dieses aus dem Zweifel und dem Fragen geborene Suchen ist per se Bewegung bzw entfaltet sich in ihr – in diesem fortdauernden Wechselverhältnis zwischen dem Impliziten und dem Expliziten: the on-going …

„Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben“, so sagt in diesem Sinn ein Essaytitel des eingangs erwähnten, nietzsche- und heideggerinspirierten Sloterdijks, dem ich hiermit auch das Schlusswort gebe – und der damit hier und jetzt auf wundersame Weise meine chaotischen Denk- und Schreibversuche legitimiert. Ha! Hum-crush.

2011 30 Sep.

Late September Days

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , | Comments off

„Der Tod hat alles hinweggewischt und nichts übriggelassen. Dieses Nichts ist der Tanz des Blattes, ist der Ruf dieses Kindes. Es ist Nichts und Nichts muß sein. Was weitergeht, ist Verfall, die Maschine, die Gewohnheit, der Ehrgeiz. Es gibt Verwesung, aber nicht im Tod. Tod ist das totale Nichts. Es muß ihn geben, denn aus ihm ist Leben, ist Liebe. Denn in diesem Nichts ist Schöpfung. Ohne den absoluten Tod gibt es keine Schöpfung.“ (Jiddu Krishnamurti)

Die späten Septembertage waren mir immer schon die liebsten im Jahr. Es ist eine Übergangszeit, die prädestiniert ist für Kontemplation. Wer jetzt nicht ins geschäftige Getriebe eingebunden ist und ein wenig Abstand nehmen kann von dem, was  Krishnamurti die Maschine nennt, in obigem Zitat aus seinem Buch „Über Leben und Sterben“; wer vielleicht ungestört auch Sloterdijks „Streß und Freiheit“ lesen darf, das kürzlich erschien und eine erfrischende Wiederbegegnung mit Rousseau bietet und zudem erklärt, warum viele Säue, die durchs mediale Dorf getrieben werden, staatstragend sind; wer also lesend oder nur betrachtend auf einer Bank auf einem Friedhof sitzt im flirrendem Mittagssonnenlicht, das mit farbenfrohen Kontrasten spielt, mit Extremen zwischen Hell und Dunkel und dabei den Herbst ankündigt; wem dort rund zwei Dutzend Eichhörnchen Gesellschaft leisten, die einem, vor Übermut frech, fast auf den Schoß springen – dieser Jemand im Übergang zum Niemand, der Schönheit auch im Tod erkennt: er weiß vielleicht, was wunschlos Glücklichsein bedeutet, fern von Ehrgeiz, Gewohnheit und Trott.

2011 27 Juli

Das zerbrochene Glas

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , , | Comments off


 
 

„Im Zentrum des sich unaufhörlich drehenden Lebensrades befinden sich die Triebkräfte der Begierde, des Hasses und der Verblendung, symbolisiert durch einen roten Hahn, eine grüne Schlange und ein schwarzes Schwein, die sich reihum in den Schwanz beißen und so auf ihren wechselseitigen Zusammenhang verweisen. Es sind diese Kräfte, die unsere Entfremdung von uns selbst aufrechterhalten und uns dauerhaft an das Rad fesseln, unfähig, die Einsichten des Buddha zu verstehen, und gefangen in unserem Verstand, der vor unserem wahren Selbst davonläuft.“

 

Diese Worte entstammen der Feder Mark Epsteins. „Gedanken ohne Denker“ heißt sein Buch. Ohne den Buddhismus überschwenglich zu loben, will sagen: den Fußstapfen westlicher Möchtegern-Esoteriker oder sinnsuchender Sannyassins hinterherzutrippeln und sich im Ganzheitswahn einen Glaubensfetisch zu schaffen, gelingt ihm darin die Zusammenschau von Buddhismus und Psychotherapie/analyse.

Zwischenzeitlich vergriffen, erscheint das Buch in diesem Herbst neu, Buddha sei Dank. Denn es ist lesenswert, zielt ins Zentrum therapiebedürftiger Problematik und ergänzt deren Begrifflichkeit. Präzise und unterhaltsam stellt Epstein Sichtweisen der Psychologie und des Buddhismus gegenüber, die sich gegenseitig erhellen. Verblüffende Parallelen werden sichtbar.

Der Autor schildert unter anderem die Begegnung mit einem Meditationslehrer, der gefragt wird, was eigentlich mit „Beseitigung des Verlangens“ gemeint sei. Der Lehrer nimmt ein Wasserglas in die Hand und spricht: „Seht ihr dieses Glas? Für mich ist dieses Glas bereits zerbrochen …“ Dies ist eine Metapher für das illusionäre Selbst bzw Ich; für verblendeten Narzißmus; für das vergebliche Verlangen nach Kontinuität.

Das für Borderliner so schmerzende „Mir ist nichts (gut) genug“ wird hier ebenso konterkariert wie das gierdynamische „Immer mehr“ einer Leistungsgesellschaft im Horizont von Konsumismus und Informationsflut: das Un-Perfekte ist intakt; Weniger ist mehr; im Mangel blüht der gelbe Ginster der Erleuchtung.

Jüngst haben Bücher wie Alain Ehrenbergs vielzitiertes „Das erschöpfte Selbst“ oder Byun Chul Hans „Müdigkeitsgesellschaft“ den Fokus auf eine Weise umgelenkt, die einem Zen-Erschöpften Sitzkissen; an die Wand starren und das Klatschen der einen Hand ersparen könnten: beim Einen brennt das Ich sozusagen durch, beim Anderen gibt es sich genüsslich seiner Müdigkeit hin. Letzterem schliesse ich mich an.

2011 1 Juli

Das Mana des Verdachts

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , | Comments off

Als der Komponist Wolfgang Rihm einmal gefragt wurde: „Wie kommt das Neue in die Welt, Herr Rihm?“ antwortete dieser: „Ja, es gibt doch bereits den großartigen Essay von Boris Groys, lesen sie doch den!“ Ich schöpfte Verdacht, wollte wissen, wer der Genannte sei und bekam es bald heraus: gemeint war damit ein russischer Philosoph, Kunstkritiker und Medientheoretiker und dessen Buch „Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie“.

„Wann und warum wandert Kultur nicht ins Museum, sondern auf den Müll?“ – mit dieser für Kulturschaffende, Kritiker und Rezipienten gleichermassen interessanten Frage befasst sich dieses Fischertaschenbuch mit edelweißem Cover und einem Foto drauf von Duchamps Pissoirs – und wir ahnen schon: diese beiden Pissbecken haben es geschafft. Sie haben auf wundersame Weise eine dauerhafte Aufwertung erfahren, die sogar den zum Millionär gewordenen Tellerwäscher wohl noch in den Schatten stellt.

Jeder Mensch weiß: auch die Mona Lisa ist von Verfallsfrist nicht betroffen. Zeugt ihr Lächeln von der Gewißheit, dass ihr der Logenplatz im Louvre nicht zu nehmen ist – bis in alle Ewigkeit? Es ist anzunehmen. Von Boris Groys gibt es noch ein anderes Schmankerl für alle Interessenten von Kulturdynamik: „Die Politik der Unsterblichkeit. Vier Gespräche mit Thomas Knoefel“. Auch dieses Buch weist auf das Wandern kultureller Werte hin und ist in seiner Form des Dialogs (man denkt an Sokrates und seine Schüler) befruchtend:

 

Boris Groys: „Was ist Mana? Wir haben schon darüber gesprochen, wie der Verdacht funktioniert. Ich sehe ein Ding und plötzlich habe ich das Gefühl, dass es nicht bloß ein Ding ist, sondern das in oder hinter ihm etwas steckt, was gefährlich ist oder was mich verfolgen oder vernichten kann. Die Metaphysik ist, wie gesagt, eine paranoidale Haltung ohne Paranoia. Das Mana ist also nur ein anderer Ausdruck für den metaphysischen Verdacht.“

 

Hitchcock-Kenner wissen: dieses Auto; diese Vögel; dieses Haus da  … – etwas stimmt damit nicht, etwas prickelnd Unheilvolles wartet. Und die kluge Eule in den dunklen Wäldern von Twin Peaks ist stiller Zeuge. Glücklicherweise nähert sich meist irgendein Detektiv oder sonstiger Held stellvertretend für uns der Gefahr, but: no risk, no gain. Dies Das-kommt-mir-aber-verdächtig-Vor gilt aber nicht nur für Bedrohliches. Der Verdacht kann sich auch auf eine positive, vielversprechende Ausstrahlung (charisma) beziehen, auf ein Kultobjekt etwa; einen Fetisch; ein Amulett – irgendetwas von Bedeutung oder Reiz (something relevant or kinky).

 

Boris Groys: „Und die Menschen, die dem Mana folgen, gewinnen am Ende. Wie die Heiligen drei Könige, die dem Stern folgen. Das alles sind Bilder für das Mana, für den metaphysischen Verdacht. Es ist immer das Gleiche: Wenn man das Mana sieht, wenn man einen Stern sieht und erkennt, dass er sich bewegt, dass er von einem Ort zum anderen zieht – dann soll man ihm folgen, wenn man erfolgreich sein will“.

 

Geradezu märchenhaft erhaben mutet solches an. Der wanderlustige Sänger David Sylvian könnte hierzu passend singen: „And where are the stars? Didn´t she promise us stars?“ Ich werde den Verdacht nicht los: seine Musik hat Mana, seit nunmehr dreissig Jahren, nicht erst seit Manafon. Doch, doch, die gute Fee führte ihn sicher in das Morgenland …

2011 12 Juni

Frohes Pfingsten

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , | 3 Comments

Das empfehlenswerte Büchlein “Die Müdigkeitsgesellschaft” des koreanischen Philosophen Byung Chul Han war kurz nach dem Erscheinen sofort vergriffen, ist mittlerweile aber wieder erhältlich. Gottseidank – denn es enthält eine Fülle von Anregungen und plausiblen, originellen Erklärungen zur Situation der gesellschaftlichen Gegenwart. Im Folgenden bezieht sich Autor Han auf Peter Handke´s Versuch über die Müdigkeit und es wird erklärt, warum gerade sie ein Heilmittel sein könnte für so manche Malaise:

Handke entwirft eine immanente Religion der Müdigkeit. Die fundamentale Müdigkeit hebt die egologische Vereinzelung auf und stiftet eine Gemeinschaft, die keiner Verwandtschaft bedarf. In ihr erwacht ein besonderer Takt, der zu einer Zusammenstimmung, zu einer Nähe, zu einer Nachbarschaft ohne jedes familiäre, funktionelle Band führt:

Ein gewisser Müder als ein anderer Orpheus, um den sich die wildesten Tiere versammeln und endlich mitmüde sein können. Die Müdigkeit gibt den verstreuten Einzelnen den Takt.” 

Jene Pfingstgesellschaft, die zum Nicht-Tun inspiriert, ist der Aktivgesellschaft entgegen-gesetzt. Handke stellt sie sich durch die Bank müde vor. Sie ist eine Gesellschaft der Müden im Besonderen Sinne. Wäre die Pfingstgesellschaft ein Synomym für die künftige Gesellschaft, so könnte die kommende Gesellschaft auch Müdigkeitsgesellschaft heißen. 

Die Müdigkeit lässt also alle Masken fallen und wirkt als Antidot gegen Überforderungen wie Sei Du Selbst!; Verwirkliche Dich! oder, wie jüngst Han´s Kollege Sloterdijk (beide mit Lehrstuhl in Karlsruhe) seinen Bestseller betitelte: Du Musst Dein Leben Ändern! Diese gelungene Lobpreisung an den Geist der Askesis (“Üben!”) kontert Han mit dem Seinlassen aus, Melville´s Bartleby zitierend: “I prefer not to …”

Denn alle leistungsfordernden Imperative können ins Gegenteil umschlagen in einer Kultur der Selbstausbeutung und statt zu motivieren erzeugen sie, vielleicht noch im Verbund mit einem rigiden Über-Ich, dann Das Erschöpfte Selbst (Alain Ehrenberg). Mit dem Heidegger-kundigen Han aber sind wir In-Die-Jahre-Gekommenen gerettet und setzen fröhlich-wissend dagegen: „Pusteblume! Nicht Narzissten.“ Schöne neue Welt: müdes frohes Pfingsten.

2011 5 Juni

Iguana Song

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  | Comments off

Curse the mind that mounts the clouds
in search of mythical Kings and only mystical things,
mystical things
cry for the soul that will not face
the body as an equal place
and I never learned to touch for real
down, down, down where the iguanas feel.“

 
„Verfluche den Geist, der zu den Wolken aufsteigt,
auf der Suche nach mythischen Königen und mystischen Dingen.
Mystische Dinge schreien nach einer Seele, die nicht bereit ist,
den Körper als ihr gleich anzusehen.
Und nie habe ich gelernt, wirklich tief, tief ,tief …
nach unten zu gelangen: dorthin, wo die Leguane fühlen.“

 
Diese Verszeilen, der „Iguana Song“ von Judy Mayham, sind dem Buch „Trauma-Heilung. Das Erwachen des Tigers“ von Peter A. Levine entnommen. Sie drücken etwas aus, dem ich zutiefst beipflichten möchte, nämlich einer allgemein vorherrschenden, permanenten Verleugnung des Körpers durch den Geist – dieses Geistes mit all seinen Romantizismen und idealistischen bzw abergläubischen Anschauungen und Vorstellungen.

Dabei denke ich wieder an Aldous Huxley und sein Buch „Doors of Perception“, das einst einer berühmten Band ihren Namen verlieh. Es faszinierte uns damals, wie man durch Meskalin und ähnliche Drogen die Pforten der Wahrnehmung öffnet und in ein Reich vordringt, das von Carlos Castaneda eindrucksvoll beschrieben wurde.

Auch Goyas „Schlaf der Vernunft“, der Geister produziert, zielt in diese Richtung. Heute aber meine ich, das es eine viel natürlichere Methode gibt, um hinter den Schleier der Vorstellungen zu gelangen (taking the veil) zu einem befreiten Körpergefühl: Pause machen, ohne zur HB zu greifen; Nichtstun; Lessness; Müdigkeiten zelebrieren.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz