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2011 6 Dez

Kleine Fluchten – ein Lob der Stille und des Zweifels

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags:  | Comments off

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Peter Sloterdijks philosophische Schriftstellerei ist geprägt von Referenzen, Vorbildern und prägenden Einflüssen – so der Eindruck, den ein interessierter Leser gewinnen kann, wenn er diesen Autor seit vielen Jahren aufmerksam liest. Da wären beispielsweise – um nur wenige zu nennen: Jaques Lacan, Osho (The guru formerly known as Baghwan) und last but not least Martin Heidegger.

Letzterer äußerte eine Aversion gegen den philosophischen Lehrbetrieb und proklamierte eine Hinwendung zum Denken als Weg. „Der Mensch ist das Weg“, so der umstrittene Heidegger. „Der Feldweg“ und „Holzwege“ sind Titel seiner Bücher. Kleine Fluchten hieß einmal ein netter kleiner Film, in dem ein Mann auf seinem Mofa Freiräume erschloss. Auch mit dem Falt- und Fahrrad geht es – oder eben doch zu Fuß.

Was heutzutage an der Medienwelt und ihrer Info-Flut so beunruhigt, das ist die damit einhergehende Unfähigkeit, mit der wirklichen Welt überhaupt noch in Kontakt zu kommen. Denn ein Computer sendet keine sinnlichen Signale, und Atmosphären schafft er auch nicht. Der Dauer-User mutiert zum Zombie und das Alltagsleben wirkt seltsam verhuscht (durch den medialen Wind) – denn allerorten wird mit digitalen Welten kontaktiert.

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Intuition ist neben der Rationalität eine unverzichtbare Methode der Orientierung und Entscheidungsfindung. Quelle der Intuition ist die Stille. In der Ruhe liegt die Kraft. Und von diesem Ort der Stille aus wird ein Denken bewegt, das mehr ist als bloßes mechanisches Verwalten von Wissen – vielmehr die Verbindung des Gedanklichen mit dem Sinnlichen, Atmosphärischen und (im pornofreien Sinne) Anstössigen.

Von hier aus können nicht nur grenzüberschreitende Erfahrungen ihren Ausgang nehmen, sondern ebenso die Kreativität, dh der durch eine Eingebung initiierte Antrieb auf eine Handlung; ein Projekt oder ein Vorhaben hin. Das Denken findet im Kopf statt, ist aber verbunden mit der Leiblichkeit.

„Sex ist ein öffentlicher Prediger“ (Octavio Paz) – aber der Raum hier ist jenseits von Sex und frei von Predigt. Es sind tatsächlich diese kleinen Fluchten: Freiräume, die man sich suchen und nehmen muss. Denn eine profit- und leistungsorientierte Gesellschaft wird sie dir sowenig von sich aus geben wie eine auf gegenseitige Ausnutzung angelegte Neben- und Mitmenschlichkeit dies tut. Innerhalb der Normalitätspropaganda gibt es keine Freiheit.

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Der Fundamentalismus mit seinen verschiedenen, teils widersprüchlichen Ausprägungen und diversen humorlosen Strömungen im Islamismus, Katholizismus, Protestantismus etc mag einen Menschen handlungsstark machen und seinem Leben Sinn und Rückhalt geben. Häresie, Zweifel, Skepsis und Subversion aber: das sind die wahren Antriebe sowohl einer Philosophie als Lebensform als auch der Kunst.

Deren beider Grundprinzip ist der Anti-Fundamentalismus. Denn wer eh schon weiß, der fragt und sucht nicht mehr („Ik bin all da“, sächt de Igel un sin Fru) und verschließt sich somit weiteren Entdeckungen. Dieses aus dem Zweifel und dem Fragen geborene Suchen ist per se Bewegung bzw entfaltet sich in ihr – in diesem fortdauernden Wechselverhältnis zwischen dem Impliziten und dem Expliziten: the on-going …

„Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben“, so sagt in diesem Sinn ein Essaytitel des eingangs erwähnten, nietzsche- und heideggerinspirierten Sloterdijks, dem ich hiermit auch das Schlusswort gebe – und der damit hier und jetzt auf wundersame Weise meine chaotischen Denk- und Schreibversuche legitimiert. Ha! Hum-crush.

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