Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 
 

Es ist immer schön, wenn man dem lieben Gott, den es nicht gibt, einen Tag stehlen kann. Ich bin heute sehr früh aus dem Bett gefallen, und nach dem Beeren-Müsli hatte ich grosse Lust auf ein paar Vormittagsstunden voller Vinyl-Abenteuer. Welche Alben ziehen mich gerade magnetisch an, das war die Frage. Ich blickte in meiner elektrischen Höhle herum, und traf eine Wahl von Platte zu Platte. Die einzige Regel war: jedes Album sollte eine komplett andere Welt öffnen. Zuerst hörte ich das Album, das gestern mit der Post kam, und das Pharoah Sanders einst im Leihwagen an der Ostküste der USA hörte, und der Initialpunkt war, Sam Shephard zu kontakten: „Elaenia“. Danach eine Tasse grünen Tee aus Korea, und folgende Alben drehten sich, bescherten mir flow auf flow auf flow auf flow auf flow: Dead Can Dance: Aion, Zazou/Bikaye/Cy1: Noir et Blanc (hier habe ich aufgedreht, da ist sicher meine Nachbarin aus dem Bett gefallen, aber sie hat ein grosses Herz und viel Humor), Keith Jarrett & Jack DeJohnette: Ruta and Daitya, Dadawah: Peace and Love (one of my fave reggae albums, with deep dyabinghi), Muddy Waters: Folk Singer (Aufnahmejahr: 1964. Wenn mir jemand ein Blues-Album mit einem ähnlich überragenden Sound (und zugleich solcher Qualität) nennen kann, wäre ich dankbar, mir fällt nur die SACD-Version von Jon Lee Hookers einzigem Impulse-Records-Album ein, „It Serve You Right To Suffer“).

 

 
 

Der einzige Ultra, den ich sehr gut kenne, heisst Sven. Ich war am Abend in einem kleinen Saal Maskierter eingetroffen, vor der grossen Leinwand, alle Abstandsregeln wurden beachtet. Ich nehme an, die wenigen, die sich umarmten, beim ersten, zweiten, dritten, vierten Tor, bildeten eine Impf- oder Virengemeinschaft. Wow – Jesus, Maria, Joseph, and the wee donkey! Eine erste Halbzeit aus dem Bilderbuch. Diese Ultras sind Antifaschisten und zeigen sog. Querdenkern den Mittelfinger. Sven ist ein Freund kontrollierter Pyrotechnik, und ich bin ein Freund grosser BVB-Ekstase. Meine Lieblingskneipe am Hafen (die, die immer Nina Simone, The Clash, und das weisse Album der Beatles spielt, oder alte John Peel-Sendungen von Kassette laufen lässt, bei Meister- und Pokalsiegen) hatte natürlich geschlossen, aber Sven grinste nur und sagte, das Feuer werde geregelt. Ich gab den DJ in seinem schwarzen Ford Fiesta, und legte Nerve Net von Brian Eno ein. Wir näherten uns dem Borsigplatz, während Enos Burner „Fractal Zoom“ erklang. Die ersten roten Feuer brannten auf der grünen Insel der Geburtsstätte des BVB. Im Vorfeld war klar, die Polizei würde deeskalieren, und niemand von uns war auf Krawall gebürstet. Presseausweis dabei, klar. Das hier war systemrelevant: alles rot, Nebel, ein Maskenfestival, wir tanzten. – Sven, das ist ziemlich geil! – Das ist es, Alter! Wir tanzten im roten Rauch, wir sangen „You‘ll Never Walk Alone“ auf englisch. Ein bisschen Anarchie war unausweichlich, später zurück, kifften wir mit Selbstgedrehten, Covid geschuldet, und liessen Edin, Marco, Pischu und Erling auf Endlosschleife laufen.

 

2021 13 Mai

Daddy‘s Home

von | Kategorie: Blog | | 2 Comments

 

„Daddy’s Home from St. Vincent is the perfect amalgamation of warm, 70s funk layered beneath unique and ever-inventive pop production. Harsh realities may have inspired the record but supreme musicianship and cleverly written tracks are what hold it all together.“

Jamie Parmenter, Editor and Founder of Vinyl Chapters. („Always bothering people to tell a story about a record in their vinyl collection“)

 

It’s been a year since I went to a live show. Over that time I have tried to watch streaming shows in order to support the artists by paying a fee to “attend” these shows. It’s always the same thing though – I set up my stream through my big screen TV, set the sound to come out through my stereo, sit back and try to get excited about the show. It’s a weird experience, because no matter how many times I tell myself, “this is different – it’s live”, I don’t feel much of a quantifiable difference in my experience than if I were watching a BluRay, DVD or Youtube stream of a prerecorded concert. Why is that?

I’ve been in touch with Richie Beirach through Covid. He has a bunch of new material on his new website, interviews, books he has co-written on various musical subjects etc. There is one such video where Richie speaks of what it has been like for him during lockdown. For a jazz artist, the only way to ply one’s trade is to perform live for an audience. Richie says he doesn’t practice – he did that diligently for some 25 years and he really doesn’t need to. Indeed, Miles told Herbie and the band Not to practice, just to play on the gig in order to remain fresh. During this long monologue, Beirach is asked why he doesn’t participate in streaming shows. He says its because he needs the ambience of the room, the people sitting there who walk in as strangers and through some mysterious alchemy, join in a kind of musical communion that he claims can only occur when both the musician and audience are sitting in the same room together. He describes streaming shows as unfulfilling because there’s no “feedback” in terms of energy coming back from the crowd, like playing in a vacuum.

 

video

 

It’s interesting that this experience of disconnection is felt on both sides of the screen. I for one can’t wait until my first live show, possibly a concert of Paul McCandless and the Bay Area trio Charged Particles in a tribute to Lyle Mays’ music, coming up in a month or so. Should be a great show. Until then, I’ll be listening, but not watching so much.

2021 11 Mai

Live at the Acropolis

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BRIAN ENO and ROGER ENO

LIVE AT THE ACROPOLIS

Performing together for the First Time

 

Wednesday 4 August 2021

Odeon of Herodes Atticus

Athens

 

Brian and Roger Eno are to stage their first ever live performance together, at the internationally recognised UNESCO World Heritage site, the Acropolis in Athens. This truly unique event will take place in front of a live audience as part of the Athens Epidaurus Festival 2021 on the 4th of August.

 

Both brothers have long, impressive careers as artists. They complement each other with their different approaches to music, and have regularly recorded together since 1983.  They first collaborated with Daniel Lanois on the soundtrack to For All Mankind, Al Reinert’s epic documentary on the Apollo moon landing and released as the highly acclaimed album, Apollo: Atmospheres and Soundtracks. They have also contributed to soundtracks for Dune (1984), Opera (1987), The Jacket (2005), Brazilian film, O Nome da Morte (2017) and were nominated for a Bafta award for their score to Danny Boyle’s TV series, Mr. Wroe’s Virgins (1993).

In 2020 the duo released their first full collaboration album, Mixing Colours on the prestigious Deutsche Grammophon label. It has received very enthusiastic reviews around the world and was followed by a 6 track EP, Luminous later in the same year.

 

At the Herodeion (at the base of the Acropolis) we will enjoy a spectacular concert with the two brothers creating atmospheric musical landscapes. It is also one of the very rare occasions that Brian Eno has ever performed live.

 

All festival tickets go on sale on Friday May 14th 12.00 CET.

Ticket link here >>  https://www.ticketservices.gr/

 

Der Reggae scheint manchem so limitiert zu sein wie der Blues, aber weder ist der Blues limitiert, trotz seines 12-Takt-Schemas, noch der Reggae, der tatsächlich in seiner langen Historie Horizont um Horizont freilegte. Ich verstehe die Hartnäckigkeit, mit der einige als Journalisten getarnte Reggae-Lover die entlegendsten Dub-Mixe ausfindig machen, oder sich auf die Suche verschwundener Roots-Schätze machen. Es gibt immer wieder grossartige Editionen wie diese drei LPs/CDs umfassende Zeitreise in die späten Siebziger Jahre. Von „Culture“. Absolute Klasse. Instrumentaltechnisch brilliant, aber immer mit der vollen Ladung Emotion. Und rund um das Versinken in diese Musik dann mal die zwei Filme von Steve McQueen als DVD anschauen, „Lovers Rock“, und „Alex Wheatle“. Man wird sie wieder und wieder sehen wollen, wenn man Reggae liebt und, wie hier, in London landet, once upon a time.

 

 

„Dies ist wirklich ein exzellentes Set von erstklassigem Roots Reggae, direkt aus den 1970er Jahren, mit musikalischem Talent, lyrischem Verständnis und Energie zum Verbrennen. Die Dubs sind vielleicht nicht die wildesten Sound-Exkursionen aller Zeiten, aber sie werden reibungslos ausgeführt und funktionieren extrem gut, da sie natürlich zu den Songs passen. Culture waren in den späten 1970er Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte, als sie wohl der heißeste neue Act in der Reggae-Szene waren, und die Stärke ihrer Kompositionen und gesanglichen Fähigkeiten werden hier klar dargestellt. Wenn Sie bisher nur Two Sevens Clash zu hören bekamen, ist dies der ideale nächste Schritt.“

(Ian Canty, Louderthanwar, translated by D.L.)

 


Es ist mitunter kurzweilig, überraschend, wie DeepL manche Übertragung zwischen den Sprachen angeht. Found In Translation. Reizvoll sind die kleinen Fehler. Aber so entsteht  auch eine Feuilletonsprache knapp neben dem Feuilleton, das Wohlgesetzte einer auch für Bilder offenen Musikkritik erhält einen Stich ins Surreale.

Das Titelstück beginnt mit undeutlichen Umgebungsgeräuschen: Menschen, die in einem Resonanzraum rascheln, Musiker, die sich auf ihren Plätzen bewegen. Diese impressionistische Wolke spaltet sich mit einem Klavierakkord im Rückwärtsgang und löst eine elektronische Böe aus.

Streicher unterhalten sich untereinander im Hintergrund, während gestrichene Obertöne wie Regen auf ein Fenster rieseln. Das Klavier spricht von Mitternacht zum Bass, der mit einem chorischen Effekt auftaucht. Webers klagender Ton berührt die Landschaft, kratzt Glyphen in ihre fruchtbare Oberfläche. Die Szene verschiebt sich und knirscht, eine Drehleier flüstert in Zeitlupe.

Das Auftauchen eines akustischen Basses in diesem Stück erzeugt einen schillernden Effekt, als würde er aus einer vergangenen Ära aufsteigen, in der die Unmittelbarkeit der Live-Performance eine Selbstverständlichkeit und kein Luxus war und in der das Gemeinschaftserlebnis der Musik in den Ohren eines jeden Zuhörers gedieh.

Die Welt enträtselt sich wie ein Schlaflied und offenbart gerade genug von ihrem Herzen, um uns einen großen inneren Trost zu geben. Nachdem dieser Bruch geflickt ist, kehrt der Elektrobass zurück und legt sein Motiv über die zurückgelassenen Stücke. Der akustische Bass singt die gleiche Note, während ein Waldhorn uns ausspielt.

2021 10 Mai

Humanbeing

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Ganz langsam erhebt sich etwas aus dem Ursprung der musikalischen Evolution, ganz aus der Tiefe, dem Leisen, Bodenlosen. Warm und amorph schwillt es an, verdichtet sich ganz langsam. Schwebt über den Wassern, leicht und subtil, nur unterbrochen von den Tupfern eines präparierten Pianos, erkundet den Raum. Wird organisierter, organischer, organhafter, wird Fleisch – Flesh. Fängt an zu leben, pulsiert, elektronisch moduliert, verästelt sich immer feiner, kommt in den rhythmischen Fluß, wird Blut – Blood. Dann, ganz zart wie ein Luftzug, fast verloren, ein Hauch von Haut – Skin. Cineastische Übergänge, so wie sie in den Träumen in den frühen Morgenstunden gerade noch erinnert werden können und, wenn man sie nicht gleich festhält werden sie  flüchtig, vergänglich, oneiroid.

Humanbeing ist das Soloprojekt von Rossano Baldini, der einerseits viel Musik für Film und Fernsehen komponiert hat und auf der anderen Seite als Jazzpianist und Keyboarder auch an der Seite bekannter Größen aufgetreten ist. Humanbeing ist sein erstes Soloprojekt, bei dem er frei von äußeren Anforderungen seiner eigenen Vision folgt. Einer hybriden Vision, die zwischen organischen Kräften und virtueller Natur, zwischen akustischen und elektronischen Elementen es doch wagt ganz physisch zu werden, dem Abbild eines Organismus mit seinen Organen, deren verschiedene Funktionen sich nur in der gegenseitigen Bezugnahme, dem Zusammenwirken voll entfalten können. Einer hybriden Vision, die sich musikalisch in dem Spannungsfeld zwischen synthetischer Klangerzeugung und einem Bercandeon, einem akkordeonähnlichen Instrument mit zwei diatonischen Tastaturen, erfüllt und dabei in einer ganz eigensinnigen Intimität erblüht.

Atemlos, schneller, synthetischer, sequenzieller treibt es voran und bleibt doch luftig, Lunge – Lungs. Dann geht es mit technoidem Drive weiter in die substanzielle Verdichtung hinein, pushend und doch sehr wandelbar und voller Überraschungen. Mitten im Kraftwerk des Lebens, der Leber – Liver. Geht nahtlos ins Zentrum des Erlebens weiter, wieder weiter, erzählend, spielerisch und emotional. Die einzige Stelle, in der mit Carmine Iuvone am Cello eine Gastmusikerin erklingt, erst lyrisch andeutend, dann rauh und wirbelnd in ein akustisch begehbares Herz – Heart. Eine höchst dynamische Organlehre, in die wir noch das offene Ohr einbringen können.

 
 

2021 9 Mai

Am Tag danach

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Der Film Beuys von Andres Veiel wirkt noch nach, Gedanken daran kreisten während des morgendlichen Fensterputzens ebenso wie nachmittags beim Radfahren beziehungsweise erschöpften Niedersinken im Gras mit Blick auf eine Birkenkrone im starken Wind. Rücklings im moosdurchsetzten Grün alle Viere von sich streckend: wie wundersam der Sommer doch die Wahrnehmung verändert! Auch Zeit modifiziert sie, die Linse temporären Abstands verstärkt Nähe und Tiefenschärfe. Wie viele biografische Berührungspunkte es doch gab mit jenem Anglerjackenträger aus Kleve. Die Klassenfahrt nach Kassel, die Honigpumpe am Arbeitsplatz, der Künstler relaxt am Nebentisch, klingt sich wohl gerade aus bei einer Zigarette. Fulltime Job, Roger Rabbit, Veränderung als Auftrag, mitten in der Welt. Das auch zeigt der Film: was waren das doch für Nachkriegs-Banausen gewesen, so einem Genie den Nimbus eines Störenfrieds anzukreiden. Und dies: wie sich die Welt doch seitdem gewandelt hat, auch durch das Internet. Herrliche Szene: der junge, langhaarige und vollbärtige Hippie-Broder nimmt den Hasenfreund scharfzüngig aufs Korn. Gut gemacht sind die Kontraste aus historischem Schwarzweiss und hochdefinierten Farbaufnahmen von zwei Wegbegleitern: einer Britin und von Grinten, der mir ein Begriff war. Das Entscheidende aber: Beuys kommt einem in dem Film sehr nahe, er wirkt menschlich, warmherzig, als Menschenfreund. Und lange vor Piketty und besser als die Grünen hatte er es wie einst Marx geblickt: das Kapital ist das Problem. Noch etwas sehr Wichtiges: der Soundtrack des Films erinnert teilweise an Musik von David Sylvian. „Plight“ ist ja auch ein Werk von Beuys, was ich nicht wusste. Auch Bilder von Tarkowski werden evoziert. Die vielleicht subtilste Anmutung: lass dich nicht Blödmachen vom vorherrschend hysterischen Faktizitäts-Getue dieser Tage, vielmehr bleib treu deiner inneren Mongolei! Meine Nachbarin ist Tatarin, ein gutes Zeichen.

 

2021 9 Mai

Spring

von | Kategorie: Blog | | Comments off

 

Unerwartet hatte ich in den letzten drei Wochen 70 Stunden mehr Arbeit als üblich. Pendeln zwischen Arbeitsplatz und Schreibtisch, der Kopf belagert von unter Zwang abgesonderten Gedanken mir fremder Menschen, die ich nach Anleitung auf Folgerichtigkeit untersuchen musste. Gutachten geschrieben: Schublade aufziehen, Formulierung rausholen, auf Passigkeit überprüfen, zurechtstanzen; Prozess wiederholen.

Nach diesen drei Wochen nun eine Atempause, das Sichtfeld mit einem weichen Tuch sauber gewischt, großes Staunen: alles so schön grün, alles so schön bunt hier. Aus den Augenwinkeln hatte ich schon einzelnes wahrgenommen – hervorsprießende Blätter, die weißen Blüten des Apfelbaums, Vergissmeinnichtblau und Tulpenbunt. An diesem Wochenende habe ich das alles auf einmal erlebt, dazu die Spiegelungen der grünen Bäume in den Fensterscheiben, den flatternden Schatten des Vogels über dem Gras, die rauschende Stille, die quietschenden Bäume, die Vögel, die sich nicht durch meine Gegenwart gestört fühlen und der Blütenregen, der rund um den Apfelbaum hinab rieselt – die Hand des Frühlings hat ihre erste Arbeitsschicht in diesem Jahr erledigt.

 


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