Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Am 27. Mai und 3. Juli kommt endlich die vierte Staffel (jeweils eine Hälfte) von STRANGER THINGS raus, auf Netflix. (My pleasure is not guilty, and I love it). Eine Serie, auf die sich bislang alle Manafonisten einigen konnten, die sie gesehen haben, ist HALT AND CATCH FIRE. Über das, was passiert, wenn Menschen ihren Visionen folgen, Höhenflüge, Scheitern, all inclusive. Vier Staffeln, und leider nicht so leicht verfügbar. Eine der wunderbaren Hauptdarstellerinnen dort erfreute mich einmal mehr mit ihrem Auftauchen in STATION ELEVEN (one season only). Auf Amazon prime kann man sich das komplette Meisterwerk aller drei Staffeln von THE LEFTOVERS anschauen (ein nicht endender Sog, und auch, wenn es unter „dystopian sci-fi“ eingeordnet wird, enthält diese Serie eine der wunderbarsten Love Stories der Serien des 21. Jahrhunderts, und die letzte Folge der dritten Staffel werden viele nie vergessen.  Richard Williams brachte mich auf die Spur von CALL MY AGENT, und alle vier Staffeln – je l’apelle Truffaut 2.0 – über das Treiben einer Pariser Schauspieleragentur sind verfügbar auf Amazon prime und Dvds. Die beste französische Cop-Serie aller Zeiten ist für mich SPIRAL (sieben oder acht Staffeln). Die beste amerikanische JUSTIFIED (auch zahllose Staffeln, und kein bisschen zu lang). Grossartige auch MINDHUNTERS, die zwei Staffeln, die uns in die Frühzeit des „profiling“ von Serienkillern beim FBI entführen, und mit feinem „understatement“ in Szene gesetzt wurden Wem mehr der Sinn nach einer Serie steht, die, wie Station Eleven alles in eine Staffel packt, und kein so grosser Zeiträuber ist, dem empfehle ich (und der gemeinsame Nenner all dieser Tipps ist, dass es alle durch die Bank absolute Lieblingsserien von mir sind, aus jüngerer Zeit) THE NIGHT OF (Dvd), UNBELIEVABLE (Netflix), THE QUEEN’S GAMBIT (Netflix), GODLESS (Netflix), und SEVEN SECONDS (Netflix). Ich habe sicher einige Schätze vergessen. (Eine Stunde später) Als da wären: SONS OF ANARCHY und GAME OF THRONES (totales bingewatching für mich, beide Serien gingen über etliche Staffeln, über Wochen lebte ich mit Kate und Co. auf der seltsamen Insel, und war Teil einer Motorrad-Gang, flow- und crashfaktor 10), SHARP OBJECTS (1 Staffel, bluray) und JOHN FROM CINCINNATI (amerikanische Serie in der Surfer-Szene mit leichtem Touch ins Surreale, grosses Kino allemal, aber, hoppla, die stammt von 2007, also kleiner Ausreisser hier, Geheimtipp nach wie vor).

 

Small announcement: es ist Zeit, mal etwas anderes zu machen. Im Laufe der Zeit  lesen Sie hier auf dem Blog sieben brandneue Besprechungen (Vorstellungen) von Brian Enos Soloalben aus den Siebziger Jahren. Auch werden Bewertungen in Form von Hüten vergeben werden, nach alter Downbeat-Tradition: ein bis fünf Sterne (Hüte). Für „Meilensteinstatus“ wird ein sechster Hut vergeben. Sie werden unglaublich überrascht sein. Mehr oder weniger. Es erwarten Sie auch keine herkömmlichen Musikkritiken, die neuen Wein in alte Schläuche schütten. Eher Kurzgeschichten. Sieben (kurze) Kurzgeschichten. Aber mit  Vorspiel.

 

Das Vorspiel findet nun statt, und sind meine „Behutungen“ der ersten drei Roxy Music-Platten. Diese drei Platten werden von unendlich vielen Menschen geliebt. Aber nicht von mir. Nun fussen meine Bewertungen auf Erinnerungen, denn was man nicht liebt, landet im Halbvergessenen. Die erste Roxy Music-Platte hiess „Roxy Music“, erschien im Juni 1972 und landete einen heftigen Wirkungstreffer. In der Kritik. In der Szene. Wenn damals schon der Begriff „hot shit“ umging, war das ganz bestimmt für viele „hot shit“. Eine andere Rockmusik. Dekadent. Exzentrisch, Genderverspielt. Experimentell. Anders.

 

In meiner Erinnerung (ich habe das Album vielleicht dreimal gehört, und die letzte Begegnung liegt gut und gerne 25 Jahre zurück) flashte  mich die Platte aber tatsächlich nicht so dolle: 🎩🎩🎩. Die zweite Roxy-Music-Platte, „For Your Pleasure“ war spannender, hatte magische Momente, aber auch Durchhänger – auch hier liegt meine Erinnerung halbe Ewigkeiten zurück: 🎩🎩🎩1/2 (dreieinhalb Hüte, also good bis very good). Ich möchte daran erinnern, dass a) diesen beiden Werke in Bälde als Vinyl neu aufgelegt werden (vielleicht will sie mir jemand schenken) Dass b) Brian bei den ersten beiden mitwirkte und dann ausstieg. Dass c) Brian leicht zu nerven war, wenn ein Fanjournalist kam und loslegte: „I love the first two Roxy Music albums“.

 

Wirklich besessen hatte ich damals das dritte Roxy Music-Album, das im März 1973 erschien, und von den drei Cover-Frauen wollte ich nur mit der von „Stranded“ schlafen. Die fand ich bei weitem am schärfsten, die ganze Platte erschien mir konventioneller, aber auch mehr aus einem Guss und mit einem schönen Drive ausgestattet: 🎩🎩🎩 1/2. Später verriet Brian, dass er von den drei Platten „Stranded“ am besten fand. Obwohl – wir erinnern uns – er gar nicht mehr dabei war. Kann mich nicht erinnern, wann ich sie das letzte mal gehört habe. Ich glaube, sie blieb in meinen Teenager-Jahren irgendwie hängen.

 

 

Ich verbinde mit keiner der drei Roxy Music-Alben eine scharfe Braut in meinem Leben (ausser der auf der Cover von „Stranded“, aber die war unerreichbar). Mit „Foxtrot“ von Genesis verband ich immerhin Regine D.   Zu  dem Zeitpunkt der drei Roxy Music-Alben dachte ich nicht, dass Brian Enos Musik für mich lebensbegleitend werden sollte. Hier die Behutungen der Folgejahre. Der Hammer. Und dann fehlen nur noch die kurzen Geschichten. Aber auch wenn der Himmel stark nach Vollmond ausschaut, ich gehe jetzt schlafen. Wie gesagt, die Stories kommen, früher oder später. 

 

Here Come The Warm Jets (Januar 1974) 🎩🎩🎩🎩🎩

Taking Tiger Mountain By Strategy (November 1974) 🎩🎩🎩🎩🎩

Another Green World (November 1975) 🎩🎩🎩🎩🎩🎩

Discreet Music (November 1975) 🎩🎩🎩🎩🎩🎩

Before And After Science (Dezember 1977) 🎩🎩🎩🎩1/2

Music For Airports (September 1978) 🎩🎩🎩🎩🎩🎩

Music For Films (September 1978) 🎩🎩🎩🎩🎩🎩

2022 30 Apr.

Pic Saint Loup

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Erst 2016 gestand das Institut national de l’origine et de la qualité (INAO) der Hügellandschaft in Languedoc zu, ihre Weine außerhalb der generischen Sammel-Appellation Coteaux du Languedoc auf den Markt zu bringen. Mit gutem Grund! Denn in der Tat haben die Rotweine hier oben in der schroffen felsigen Landschaft im Hinterland der Mittelmeerstadt Montpellier eine ganz eigene Identität. Besonders klimatisch hebt sich Pic Saint Loup von den übrigen Subregionen des Languedoc ab.

Etwa 40 Kilometer von der Küste in den südlichen Ausläufern des Zentralmassivs gelegen, vermischen sich in Pic Saint Loup maeritime und kontinenatale Einflüsse, während weite Teile des Languedoc deutlich vom Meeresklima geprägt sind. Deswegen sind die Nächte in Pic Saint Loup auch nach heißen Sommertagen recht kühl, was zu dichteren Aromen und zu einem kompakteren Tannin führt.

Auch geologisch hat die Felsenlandschaft, die auch ein Mekka für Kletterer ist, eine einmalige Beschaffenheit. Der namensgebende Pic Saint Loup, eine Bergspitze auf knapp 700 Metern Höhe sowie die umliegenden Weinberge sind enorm kalkhaltig. Das macht die Rotweine aus Pic Saint Loup zu den mitunter charakterstärksten Weinen des Mittelmeerraums. Etwas mehr als die Hälfte der Cuvée besteht meist aus Syrah, den Rest teilen sich Grenache, Mourvèdre und Carignan auf. Durch die Höhe und die daraus resultierenden kühlen Nächte sind Weine aus Pic Saint Loup immer ein wenig frischer und karger, haben mehr Säure und einen besseren Biss als Rotweine aus dem Flachland. Aromatisch dominieren frische Beerenfrüchte, Schwarzkirsche, Rosmarin, Fenchelsaat und Cassis.

Als ich ein junger Hippie war, und, fünf Jahre vor Willie Nelsons „Stardust“ (das ich erstmals 2013 hörte), und zehn Jahre vor Brian Enos „Apollo“ (das ich am Tage des Erscheinens hörte und mich in den Himmel transportierte, s. Foto) zur Zeit des Abiturs meinen Berufsträumen auf die Sprünge half, hatte ich zuhause kleine orange-weisse Hochglanzbroschüren liegen, die mir etwas erzählten über meine brainstormartig zusammengewürfelten Fantasien: vier Heftchen dabei über Archäologie, Astronomie (mhmmm, war Astronomie wirklich dabei? In Mathe war ich so schlecht und mit Astrologie habe ich das nicht verwechselt), Anthropologie, und Ethnologie! Nachdem ich mir also eine Zeitlang sehr gut darin gefiel, in ferner Zukunft Göttern, Gräbern und Gelehrten nachzuspüren, und a la Indiana Jones (natürlich, etwas realistischer) in fernen Erdwinkeln an Ausgrabungen teilzunehmen (ich hatte den einen und anderen Klassiker gelesen, und sowieso genug Jules Verne), fing ich an mit dem, was sowieso meine ersten Einfälle waren, mit Germanistik, Anglistik und Philosophie – und landete schliesslich in der Psychologie.

 

 

Meine gesammelten Berufsideen, naheliegend oder exotisch, haben eines geneinsam: die Lust, ein Detektiv zu sein, im weiteren Sinne. WIR SIND ALLE DETEKTIVE. Und hiermit sind wir beim nächsten manafonistischen Rätsel angelangt. Zu gewinnen gibt es nichts, weil die Antwort leicht zu googeln ist. Und, bitte nicht googeln, das Raten macht mehr Spass.

 

Die Frage lautet: von  wem stammt der folgende Text?

 

Würde es einen Preis geben, wäre dieser eines der folgenden Kunstwerke: Father John Mistys  „Chloe and The Next 20th Century“, oder, in schöner Digipak-CD-Fassung „Revolver“ von den Beatles, oder die deutsche Übersetzung von David Mitchells „Utopia Avenue“. Drei Werke, drei Zeitreisen, und in gewisser, assoziativer  Weise, durchaus verbandelt mit dem Text.

Da es aber nun keinen Preis gibt, kann das Spiel aus purer Lust am Spiel, und ohne Schlaumeierei, und doofes Nachschlagen, gespielt werden. Hast du das Lied vielleicht schon mal gehört?  Von  welchem Barden? Vielleicht jenes amerikanische Duo? Basiert es auf einem Traditional? Oder dieser schottische Ur-Hippie? Ist es eines dieser postmodernen Gedichte, die in aller Schlichtheit und im  Geiste der Romantik daherkommen? Vielleicht aus einer Anthologie der Lyrik der 70er Jahre? Hat Peter Hammill diesen Text mal vertont, allein am Klavier? Oder sind das falsche Fährten? Man kann zum langsamen Lesen des Textes auch gut sphärische Musik laufen lassen, aus der Ecke von Klaus Schulze oder Tangerine Dream. Oder sich vorstellen, wie die Zeilen aus dem Mund von Marianne Faithfull klingen. Einfach hier einen comment hinterlassen, keine mails schicken. 


every night i scan  

the heavens with my eyes  
seeking the star   
that you are contemplating.

i question  travelers     
from the four corners of the earth   
hoping to meet one    
who has breathed your fragrance.

when the wind blows    
i make sure it blows in my face   
the breeze might bring me    
news of you.

i wander over roads  
without aim, without purpose.   
perhaps a song    
will sound your name.

secretly i study    
every face i see   
hoping against hope   
to glimpse a trace of your beauty.

 

 

ich musste dem schweren dreifachen gewitter noch eine blume hinzufügen sonst wäre es zu niedrig frankiert gewesen & wer kommt schon bis übersee mit 240 cents & ich konnte mich nur dunkel erinnern, dass ich dir 1980 bis 1982, einen steinwurf, naja, einen nachmittag in sanftem pferdetrab von der alten tschechoslowakei entfernt, die eine und andere post zusandte, von der du annahmst, der staatsschutz habe sie geöffnet & damals war halt jeder verdächtig, der eine bildzeitung im müll entsorgte geschweige denn gegen die unmenschliche isolationshaft der raf zufeldezog mit friedlichen aber zornerprobten bannern sei‘s drum & mit „murder by contract“ „daughters of darkness“ und „duke of burgundy“ (lauter schmetterlinge in einer sapphisch surrenderfreudig sirrenden welt) sind da nun drei beachtliche filme enthalten zwischen deren erscheinungsjahren ganze königreiche entstanden und versanken & damals am rande der grünen welt las ich den  sextrunkenen jazzroman obduktionsprotokoll von hartmut geerken was meine sehnsucht unterfütterte nach schaurigschönen saxofonschreien und der hingabe meiner pocahontas in der einöde der berge sowie an der blauen donau & be sure to wear some flowers in your hair & es war die zeit als ich peter handkes schlafmittel die linkshändige frau kopfschüttelnd mit anderen antiseptica entsorgte die das verfallsdatum deutlich überschritten hatten und wir alsbald unsere lächerlich knallbunten feuerzeuge in den himmel reckten als neil young vor dreissigtausend seelen den ewigen klagegesang seines songs cortez the killer anstimmte und crazy horse mit zauberer nils lofgren mal wieder die zeit erst zittern dann stillstehen liess

Schon beim ersten Album von Dictaphone, lang ist es her, kommt man sich vor wie in einem „film noir“. Und das paast doch, ganz aktuell, zu unseren jüngsten Erkundungen des Unheimlichen. Erst William Friedkin in extenso, und bald, holladiewaldfee, „Murder By Contract“ (ein Lieblingsfilm des Regisseurs von „Taxi Driver“) und „Daughters Of Darkness“. 

Dass dieser Ausdruck – film noir – mittlerweile schon unter Klischee- und Gaukeleiverdacht steht, geschenkt.  Die Strassen sind verregnet, auch das  lässt sich verkraften – zum Glück bleibt uns der gesammelte Kitsch betont schauriger „Saxofon-Sounds“ erspart.  Nein, Dictaphone steht für eine andere Art von „noir“ –  kein historisches, kein abgegriffenes Schwarz, und sowieso hatte die Formation nie im Sinn, dunkle Musik zu machen. Ihre Musik schlägt überall Funken, flackert, fingiert. Und, keine Frage, wir sind alle Detektive!

Der mit den aufgesperrten Lauschern (ein Foto, erinnert, zu finden aussen oder innen auf einem ihrer Alben) könnte Sam Spade sein, er folgt unverdrossen den Spuren hauchzarter „electronics und fragmentierter Luftblasen. Das Lächeln in seinem Gesicht versteht kein Aussenstehender. Was geht unserem „private eye & ear“ durch die Sinne – wie in einer Stadt aus Glas sind überall und nirgends Zeichen, er ist von Traumsphären umgeben, alle linearen Handlungsfäden Gespinste – was bleibt ihm anderes übrig als seinem alten Trenchcoat-Gespür zu trauen, niemand kann Peter Falk böse sein.

Das Duo Dictaphone bildete sich vor der Jahrtausendwende, der Weg führte von Berlin nach Brüssel, und Doerell und Doering (die Namen passen so gut zueinander wie Moebius und Roedelius) schufen eine Musik, die selbst in der damals angesagten Welt der Fehlerklänge, Klangsplitter und Morsefunkerei einzigartig war. Sie sind anscheinend noch immer, anno 2022, ein gut gehütetes Geheimnis. So kristallin, dabei nie keimfrei: wäre ECM ein Label für Elektronische Musik, Dictaphone wären dort Superstars.

Wer die Lust am Müssiggang für keine lohnenswerte Option des Daseins hält, hat bei Dictaphones Illusionskunst schlechte Karten. Aber wer auf einem offenen Feld bei einbrechender Dunkelheit und schweren Gewölk gerne in grosser Seelenruhe auf den ersten Blitzschlag wartet (bei einem stattlichen Honorar nimmt man auch den Tod in Kauf, das wissen alle privaten Ermittler), der wird reichlich beschenkt. 

 

Oh nein, alle scheinen diese zwei Filme zu lieben, ich erinnere mich an glückliche Gesichter, an intelligente Frauen, die die Geschichten erzählen, an die kostbaren Momente des Staunens, ich erinnere mich an Filmkritiker, die verzweifelt nach Worten suchten, um all die Feinheiten zu beschreiben. Ich kann nur sagen, dass diese beiden „Filme zu den langweiligsten Erfahrungen gehören, die ich je im Kino gemacht habe. 1995: Before Sunrise. 2004: Before Sunset. Teenagerfilme, getarnt als dialogbesessene Liebesgeschichten für Jung und Alt. Den ersten Film habe ich gesehen, weil ich einem Schwarmgeist folgte. Den zweiten Film sah ich, weil ich von der Frau an meiner Seite geknallt werden wollte. A propos Paris: Ich bin wirklich dankbar für viele Filme der „Nouvelle Vague“; für Teenager, die in den 60er und 70er Jahren aufgewachsen sind, waren sie großartige Lektionen, um auf die Achterbahn namens Liebe und Desaster vorbereitet zu sein. Ich wollte mit Stéphane Audran schlafen, ich hatte Lust, durch die Pariser Traumlandschaften von Jacques Rivette schlendern, ein Boot mit Celine und Julie teilen, aber schon in diesen frühen Jahren sah ich einen Film, der die zwei Linklater-Langweile-Lektionen noch übertraf: „Claires Knie“ von Eric Rohmer. Eine blasse Erinnerung: Jean Louis Trintignant ist besessen von, nun ja, Claires Knie. Die Dialoge  hölzern, der Charme abwesend, der Ton todernst, und die Moral sauer. Ich könnte mir nur zwei Möglichkeiten vorstellen, mir diese Zumutungen noch einmal anzusehen: ein Zeitreiseticket in die Carnaby Street 1972, oder ein psychoanalytisches Filmseminar über diese „Trilogie“ mit unserer Dunkelzifferexpertin! Übrigens bin ich im Rahmen eines Interviews über eine französische Komödie, in der die Delpy eine Hauptrolle spielte, mit ihr mal durch den Dortmunder Westfalenpark spaziert, und sie war sehr erbost, dass die erste Interviewerin den Film überhaupt nicht gesehen hatte. Um die Situation nicht völlig in den Sand zu setzen, teilte ich ihr nicht mit, dass auch ich den Film im Vorfeld nicht habe sehen können, und stellte ihr (aufgrund einer immerhin gelesenen Inhaltsangabe) kunstvoll vage Fragen. Nun, zum Ende dieser Kurzgeschichte einer wiederholten Ernüchterung, noch dies: ich bin ein grosser Fan der Serie „Call My Agent“, über die Irrungen und Wirrungen einer Pariser Filmagentur. Merveilleux! Wenn das eine „soap opera“ ist, dann so ziemlich die beste, die ich je sah!

JazzFacts – Deutschlandfunk – 5. Mai 2022 – 21.05 Uhr bis 22.00 Uhr – Autor: Michael Engelbrecht – Redaktion: Odilo Clausnitzer

 

OTON (1) – Bill Frisell – „Vor 50 Jahren war ich zum ersten Mal in dem New Yorker Jazzclub Village Vanguard. Es war das erste Mal, dass ich ein ECM-Album hörte. Soviel passierte damals in einer so kurzen Zeitspanne. Ich sah Jimi Hendrix live, dann Charles Lloyd, zum ersten Mal erlebte ich Miles Davis, alles stürmte auf mich ein. Die Musik nahm von mir Besitz. Ich wollte immer Gitarrist werden, aber ich dachte nie, dass ein solcher Traum wahr werden würde.“

Text Eins – Eine Passage aus einem Interview von Ingo J. Biermann mit Bill Frisell. Über ihn ist eine Biografie erschienen: „Bill Frisell, Beautiful Dreamer“: in dieser Ausgabe mit Neuem von der improvisierten Musik stellen wir sie vor, ausserdem einen weiteren Beitrag aus der Abteilung „Berühmte Gitarristen“, das erste reine Soloalbum von John Scofield. Am Mikrofon begrüßt Sie Michael Engelbrecht.

Den zweiten Schwerpunkt dieser Stunde bilden neue Musikproduktionen von David Virelles, Oded Tzur, Alabaster dePlume und Jon Balke, die sich in einem weiten Feld zwischen Improvisation und spiritueller Praxis bewegen, in welches das Erbe der Hippie-Ära, tiefer Humanismus, Naturreligion, uralte Folktraditionen und fernöstliche Klangwelten hineinspielen.

So taucht der in New York lebende Pianist David Virelles auf seinem Pianosoloalbum „Nuna“ tief ein in die Riten und Überlieferungen seines Herkunftslandes Kuba. Statt sich dabei auf nostalgiereiches Lokalkolorit zu beschränken, bricht Virelles vertraute Rhythmen seiner ersten Heimat auf, etwa mit Echos der Europäischen Moderne und klanglichen Finessen. Ohne elektronische Zusätze und Präparierungen der Sounds, allein mit Anschlag und Pedaltechnik, gelingt es ihm, den Flügel in bestimmten Momenten dem Klang von Kalmibas, Harfen und kubanischem Trommelwerk anzunähern.

Der Steinway-Flügel wird so zu einem Instrument der Beschwörung und Anrufung. Schon das Coverbild fungiert wie ein Tor zu einer archaischen Welt: surreal verbinden sich die Umrisse eines Klaviers mit dem Gesicht eines Mannes, dessen Hände weit über die Tasten hinaus, in Flora und Fauna hineinreichen. Auf drei Kompositionen spielt Julio Barreto Perkussion, etwa auf dem folgenden Stück „Ignacio Villa“, einer Hommage an den gleichnamigen Pianisten und Sänger.

 

M1 – Ignacio Villa, aus: Nuna

 

Text Zwei – Das Album „Nuna“ von David Virelles erscheint Ende Mai auf dem Label Pi Recordings. Und nun ein weiteres Soloalbum, dessen Ankündigung in Jazzkreisen durchaus Verwunderung auslöste. Will man die verzweigte Vita des Gitarristen John Scofield kurz auf den Punkt bringen, kann man guten Gewissens behaupten: er ist ein idealer Teamspieler, bestens geerdet in Jazz- und Bluestraditionen – selbst da, wo kühne Experimente anstehen, sorgt Scofield für die nötige Bodenständigkeit. Ein reines Soloalbum hatte er noch nie aufgenommen – bis jetzt.

Aber was sonst zu Hause machen, in Zeiten des Virus? E-Gitarre, Looper – und schier unbegrenzte Zeit. Das Coverfoto von Luciano Rossetti: ein streunender Hund, ein Holzgatter, ein riesiger Sandstrand, in der Ferne fahle Umrisse von Häusern. So sah es oft aus im ersten Lockdown – ganze Küstenstreifen ohne eine Spur des Tourismus, die Natur – tat einen tiefen Atemzug und holte sich ihre Räume zurück. Das Foto reflektiert zudem die komplette Unaufgeregtheit von Scofields Spielstil, abseits von allen Trends und Moden. Alles Weitere zu diesem Lockdown-Solo-Album von Karsten Mützelfeldt.

 

Beitrag 1 – John Scofields Sologitarrenalbum (Karsten Mützelfeldt) 

 

Text Drei – Karsten Mützelfeldt stellte uns John Scofields Album „Solo“ vor. Mit seinem Trio ist der Gitarrist am 24. Mai in Berlin, und am 25. Mai in Dortmund live zu erleben. Auf Europareise befindet sich in diesem Monat auch der aus Israel stammende, in New York lebende, Saxofonist Oded Tzur. Wer sich für Verschmelzungen von Jazz und Klassischer Indischer Musik interessiert, sollte sich weder einen Auftritte seines Quartetts entgehen lassen, in Bremen am 19., und in München am 22. Mai, noch seine Ende der kommenden Woche erscheinende CD „Isabela“.

Ein Album, das alles andere ist als eine bloss gediegene Begegnung zweier Kulturen. So, wie einst der Trompeter Jon Hassell bei Pandith Pran Nath studierte, um die Gesangslinien von Ragas auf sein Trompetenspiel zu übertragen, so ging Oded Tzur bei dem Bansuri-Flötisten Hariprasad Chaurasia in die Lehre, um Ragas von ihrem innersten Kern her zu begreifen. Nichts an „Isabela“ ist auf Effekt gespielt, oder bloss kunstvolles Ornament.

Über Jahre hinweg hat er an den fünf Kompositionen dieses Werkes gearbeitet, was einigermassen erstaunt, zumal es inspiriert ist von einem existierenden Raga namens „Megh“. Doch Oded Tzur geht es nicht um das Imitat, um perfektes Nachspielen, sondern um die Versenkung in kleinste Tonverschiebungen. Willkommen im Reich des Mikrotonalen! Dabei stellt sich die Frage, wie sich diese Selbstdisziplinierung als meditative Praxis mit der streckenweise nahezu entfesselten Musik seines Quartetts verträgt, in dem Nitai Hershkovits Piano spielt, Petros Klampanis Bass, und Jonathan Blake Schlagzeug…

 

M2 – Oded Tzur: Noam, from Isabela

 

OTON (2) Oded Tzur – „Es ist wahr, dass ich auf meinem letzten Album, „Here Be Dragons“, eine besondere Betonung legte auf die Erforschung der dynamischen Bandbreite, die zwischen den sanftesten Noten besteht, die ich spielen kann, und absoluter Stille. Was ich gelernt habe von meinen Lehrern Klassischer Indischer Musik, und ihrem Spiel auf indischen Instrumenten, ist, dass dies ein unendlicher Raum ist. Es gibt immer eine noch sanftere Note. „Isabela“ ist inspiriert von einem indischen Raga für die verregnete Jahreszeit, und da können die sehr langen and langsamen „slides“ und Gleitbewegungen Vorstellungen wachrufen von grossen, schweren Wolken. Genauso wie es eine Nähe gibt von Stille und Sound, existiert auch eine Affinität, ein Gespür, am anderen Ende des dynamischen Spektrums, zwischen Sound und Exstase. Ich war stets inspiriert von Free-Jazz-Musikern wie Eric Dolphy, Ornette Coleman und dem späten John Coltrane, und die Art, in der sie ihre Instrumente erforschen, die Schreie, die sie ihnen entlocken konnten – das ist auch heute noch Teil meiner Musik.“

 

M2 – Oded Tzur: Noam, from Isabela (Fortsetzung)

 

Text Vier – Noam“, aus der CD „Isabela“ des Oded Tzur Quartetts. Zwischen dem von Manfred Eicher produzierten Werk „Isabela“ und dem neuen, als CD und Doppel-LP, vorliegendem Album des englischen Saxofonisten und „spoken word“-Spezialisten Alabaster DePlume, mit bürgerlichen Namen Gus Fairbairn , gibt es zwar Gemeinsamkeiten, etwa die Verbundenheit zum „spirituellem Jazz“ und zur Grossfamilie Coltrane. Was Komposition und Produktion angeht, liegen Welten zwischen ihnen. „Gold“ ist ein so seltsames wie betörendes Werk. Alabaster dePlume kombiniert seine nur auf den ersten Blick und Ton naiven, „flowerpower“-befeuerten, Songs mit melodisch schlingernden Saxofonklängen, die sich tollkühne Schieflagen erlauben, dabei andocken an Äthiopiens kurze Jazzblütezeit, an die Pionierzeit von Reggae und Dub, an die liebestrunkenen und anderweitig berauschten „Beat Poets“ vom Schlage eines Lawrence Ferlinghetti. Man hört, dass dieser Mann aus Manchester auch ein paar Studioproduktionen eines gewissen Donovan im Plattenschrank hat. Über zwei Wochen arbeitete er mit über zwanzig Musikern an den Songs – Jamsessions waren das, die speziellen Regeln unterlagen…

 

OTON (3) – Alabaster dePlume – „Ich habe jeden Track mehrmals aufgenommen, mit etwa fünf verschiedenen Besetzungen. Einmal mit einem Chor und zwei Kontrabässen, ein anderes Mal mit zwei Schlagzeugern und zwei Gitarristen, dann wieder mit einem Harfenspieler und einer Streichergruppe und so weiter. Da jeder Song im gleichen Tempo aufgenommen wurde, kann ich die von mir bevorzugten Elemente mischen und überlagern. All diese Musiker reagieren auf die jeweilige Melodie ganz und gar authentische. Sie spielen nicht, um etwas ‚richtig‘ zu machen, sie spielen mit Verletzlichkeit, Freude, Liebe und Mut.“

Text Fünf – Alabaster dePlume ist ein viel zu raffinierter Sprachspieler, um sich mit hippiesken Liebesbotschaften zufrieden zu geben, wie sie der Untertitel von „Gold“ suggeriert: „Go Forward In The Courage Of Your Love“. Was anfangs nach esoterischen Selbsthilfe-Exerzitien klingt, gewinnt durch das reiche, unberechenbare Innenleben der Lieder genauso, wie durch den virtuosen Umgang der Lead-Stimme mit sanften Einflüsterungen, gebrochenen Hymnen, entwaffnender Offenheit. Zynismus hat hier keine Chance, und man darf staunen über die Kunst, wie hier ein Musiker in herrlich schrägen Stücken mit verkapptem Ohrwurmpotential stets die richtigen falschen Tönen trifft.

 

M3 / M4 – Alabaster DePlume: Don‘t Forget You‘re Prescious / Fucking Let Them,  from Gold (International Anthem)


Text Sechs – Alabaster dePlume tritt am 6. Mai in Berlin auf, und am 7. Mai in Dresden. Von Songtexturen, die „beat poetry“ und Hippie-Utopien anzapfen, nun zu einem weiteren, beinah noch exotischeren Songzyklus, Jon Balkes „Hafla“. Es ist die dritte Unternehmung des norwegischen Komponisten und Keyboarders, mit seiner sich stetig wandelnden Formation „Siwan“, al-andalusische Gedichte mit Traditionen des Barock und moderner Improvisation zu verknüpfen. Was wäre gewesen, wenn dieser Kurzen „Hoch-Zeit“ der al-andalusischen Kultur und ihres Modells friedlicher Koexistenz der Religionen nicht so früh ein gewaltsames Ende bereitet worden wäre?!

Zu den Eigenheiten von „Hafla“ zählt, in mehrfacher Hinsicht, der Umgang mit der Zeit. Zum einen wirken viele der gut tausend Jahre alten Gedichte, ohne Schnickschnack übertragen in modernes Englisch, freigeistig, modern, und zeitlos. Die Songs von „Hafla“ haben zudem durchweg die Länge von Pop-Singles: als wäre es eine ungeschriebene Regel, verzichten Jon Balke und seine Mitstreiter auf jede Art exaltierter Ausschweifung, die mehr als verlockend wäre, wenn man etwa an Jon Balkes Bewunderung der fabulierfreudigen Bands von Oum Khalthoum denkt.

Vom Umfang her ist „Siwan“ ein 15-köpfiges Orchester: neben den versammelten Barockspezialisten sind da noch zwei Trommler, ein türkischer Kastenhalslautenspieler, und die algerische Sängerin Mona Boutchebak. Aus dem munteren Hin und Her von Texten und Klangproben zwischen Balke und Boutchebak, ihrem Eintauchen in englische, spanische Übersetzungen und die arabischen Originale, entwickeln sich all diese Lieder, die schliesslich im Studio, mit allen Restriktionen von Corona, ihre finale Form annehmen. Und was für eine immense Ruhe und Klarheit diese Lieder verströmen – nichts scheint natürlicher und naheliegender als dieser im Grunde hochexperimentelle Mix aus nordafrikanischen Tonskalen, jazznahen Improvisationen, und Barockmusik-erprobten Streichinstrumenten!

Im Zentrum immer wieder Texte, die vor Ewigkeiten entstanden sind und doch, in ihrer Anmutung, auch aus der Feder von Leonard Cohen, Nick Drake oder Robert Burns stammen könnten. „Uquállibu“, „Abwesenheit“ wurde geschrieben von Abu Bakr al-Turtushi zu Beginn des 12. Jahrhundert und beginnt so: „Jede Nacht suche ich / den Himmel mit meinen Augen ab / auf der Suche nach dem Stern / den du gerade betrachtest.“

 

M5 – Jon Balke & Siwan: Uquallibu, from Hafla 


Text Sieben – Musik aus der Cd „Hafla“ von Jon Balke und Siwan. Sie hören die JazzFacts im Deutschlandfunk, mit Neuem von der improvisierten Musik. Wer Bill Frisell, fraglos einem der bedeutendsten Jazzgitarristen unserer Tage, in einem Interview begegnet, lernt einen ruhigen, introvertierten Menschen kennen, der sich oft Zeit nimmt, die richtigen Worte zu finden.

Ich war überrascht, als eine autorisierte Biografie angekündigt wurde, mit weit über 500 Seiten. Beim Untertitel runzelte ich erstmal die Stirn – ein klassischer „Maketing-Kniff“? „The Guitarist Who Changed The Sound Of American Music“: solche Sockelsetzerei hat Bill Frisell gar nicht nötig. Allerdings – mit seiner unverkennbaren Klangsprache hat er sich wahrlich in allen möglichen amerikanischen Klangwelten herumgetrieben und dabei einige unvergessliche Spuren hinterlassen.

Sein früh gerühmtes, sphärisches „Legato“ war nur eine Beimischung einer immens reichen Welt der Zwischen- und Untertöne, die in der zartesten Kammermusik genauso aufleuchteten wie in avantgardistischem „Noise“. Ob er ein Visionär oder Bewahrer sei, oder etwas von beidem habe, darüber streiten nicht nur die Gelehrten – ein „normaler Jazzgitarrist“ wollte er ohnehin nicht sein.

„Bill Frisell, Beautiful Dreamer“ hat weitaus mehr von einem vielstimmigen Erzählwerk als von einer akademischen Trockenübung. Wie gelingt es Philip Watson, das Leben und Schaffen eines im Grunde ganz normalen Menschen so fesselnd darzustellen? Michael Rüsenberg liefert dazu ein paar Antworten.

 

Beitrag 2 – Philip Watsons Biografie: „Bill Frisell – Beautiful Dreamer“ (Michael Rüsenberg) 

Text Acht – Michael Rüsenberg stellte uns Philip Watsons Buch „Bill Frisell, Beautiful Dreamer“ vor, das bei Faber & Faber erschienen ist. 560 Seiten kosten knapp 20 Euro, als E-book wird es nochmal deutlich preiswerter. Fast jeder Jazzhörer hat seine Bill Frisell-Lieblingsplatten, und nach dieser Lektüre kommen sicher noch ein paar dazu. In Watsons Buch stellen auch zahlreiche Wegbegleiter und Fans ihre persönlichen Frisell-Favoriten vor. Justin Vernon schwärmt von „Good Man, Happy Dog“, Van Dyke Parks analysiert die hypnotische Qualität von „Big Sur“, Gavin Bryars benutzt ein Stück von „In Line“ zur Bekämpfung seiner leichten Flugangst, und Hal Wilner redet über die Finesse von „Lookout For Hope“.

Bill Frisells Trio gastiert morgen, am 6. Mai, in Tübingen – sein Schaffensdrang scheint ungebrochen. Im letzten Jahr feierten wir im Jahresrückblick der Jazzredaktion das Album „The News“ des Andrew Cyrille Quartet, an dessen Gelingen er wesentlich beteiligt war. Vor Wochen steuerte er allerlei Pastelltöne zu einem überraschend meditativen Album von John Zorn bei.

Und morgen erscheint die CD „Interpret It Well“ des Komponisten, Schlagzeugers und Vibraphonisten Ches Smith, die Bill Frisell einmal mehr als enorm wandlungsfähigen Freigeist präsentiert, an der Seite des Pianisten und Elektronikers Craig Taborn und des Viola-Spielers Mat Maneri. Feinsinniger, freier Jazz, formbewusst und ungebändigt!

Ches Smith’s Favorit unter den Bill Frisell-Alben ist übrigens „Where In The World“ vom Anfang der Neunziger Jahre. Mit ein paar Anmerkungen des Drummers zu „Interpret It Well“ und dem Finale des Titelstücks klingt die heutige Ausgabe von JazzFacts Neuem von der improvisierten Musik aus – am Mikrofon bedankt sich Michael Engelbrecht für Ihre Aufmerksamkeit.

 

OTON (4) – Ches Smith – Der Albumtitel „Interpret it Well“ hat viel damit zu tun, wie wir das Album entwickelten. Ich gab den Musikern die oft sehr skelettartigen Kompositionen, und ermutigte sie, sie so zu interpretieren wie es sich für sie im jeweiligen Moment am besten anfühlte, wie sie changieren wollten zwischen Melodie, Dichte, Verstörung, Sound, Stille, Attacke und Raum. Bill Frisell war für mich immer ein Meister des Raumgefühls, und des Gefühls zwischen den Noten. Am Ende hatten wir von jedem Stück diverse Versionen. Was nun auf dem Album zu hören ist, sind die Schnappschüsse jener Versionen, die meines Erachtens am besten zusammen passen.“

 

M6 – „Interpret It Well“ from Ches Smith’s INTERPRET IT WELL 

 

Aus der Erinnerung fallen mir eine gute Handvoll Alben ein, neben die ich „The Turning Year“ in einem Regal einordnen könnte – wobei sich das Werk selber schlichtem Rubrizieren entzieht. Die besten Ordnungssysteme sind bekanntlich die, welche nach allen Himmelsrichtungen offen sind. In diesem Sinne lege ich nur ein paar Fährten der Abteilung „Hinterlandmusik“ (nicht „Hintergrundmusik“!) aus: Herbert Hencks „Musica Callada“, seine Interpretation von Stücken von Federico Mompou. Glauco Veniers „Miniature Music“ (subtitled „Music for Piano and Percussion – is there a more unknown ECM-album?). Dann Nils Frahms „All Melody“ (diese Produktion entstand, reiner Zufall, auch in Berlin). Steve Tibbetts’ „Northern Song“. Erik Honoré’s „Heliographs“. Misha Alperins „At Home“. „Mixing Colours“ sowieso (the interview with „The Elderly Brothers“, in regards to their DGG-release in „Electronic Sound“, is good-humoured and insightful). Cluster‘s „Sowiesoso“ (aufgenommen 1976 in Forst und gemischt in Connys Studio). Group Listening: Clarinet & Piano – Selected Works, Vol. 2 („imagine a missing link between  „Obscure Records and ECM‘s New Series“).  Will Burns & Hannah Peel: Chalk Hill Blue. Roberto Musci‘s „Tower of Silence“. Sigurd Holes „Roraima“. Hans Ottes „Buch der Klänge“ (wiederum dargeboten von Herbert Henck). Und „The Equatorial Stars“ von Fripp & Eno.

 

Es kommt vor, dass Phänomene, die sich am Rande, fast schemenhaft, bewegen, einen ebenso tiefgreifenden Einfluss auf das innere Erleben ausüben wie das, was im Brennglas  konzentrierter Aufmerksamkeit funkelt. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht ist „The Turning Year“ ein kleines, frei schwebendes Meisterstück, das leicht unterschätzt werden kann. Nichts ist so langweilig wie eine Notation, die keine Fragen offenlässt. Die meisten Alben von Roger Eno kenne ich seit seinem ersten Auftauchen auf einem Meilenstein aus den „goldenen Jahren der Ambient Music“ (Apollo) ziemlich gut. Bevor das Wort „neoklassisch“ zur Schublade der Popkultur wurde für introspektive Erkundungen, zwischen klassisch geschultem Ohr und autodidaktischer Aneignung, setzte Rogers Soloalbum „Voices“ (aus Bob und Dan Lanois‘ Grant Avenue Studios in Hamilton, Ontario) die berüchtigte Messlatte hoch für eine Musik, die nicht nach Aufmerksamkeit giert, und uns Ohrensesselreisende in ein kontemplatives, a l p h a w e l l e n f r e u d i g e s Stimmungsfeld versetzt.

 

„Modern Mood Music“, so betitelte Richard Williams  einst im Melody Maker eine Besprechung der Schallplatten „Places“ von Jan Garbarek, „Mr. Gone“ von Weather Report, und „Music For Films“ von  Brian Eno.) Oft genug gelangen dem  Mann aus Woodbridge (in den Jahren und Arbeiten nach „Voices“) delikate Gleichgewichte zwischen Oberflächenreiz und Tiefenwirksamkeit. Die Konstante: ein dunkles Leuchten, die Bandbreite erstaunlich, zwischen Kammerspiel und Kunstlied, Improvisation und Ambient. Highlights wie „Voices“ (das Album bescherte ihm einen kleinen Geldsegen, weil es dem „Erotik-Thrill“ des Kinofilms „9 1/2 Wochen“ ein paar Atempausen bescherte),  „Between Tides“, „The Flatlands“, „Lost In Transition“, „Swimming“ und – Soundaskese pur – „The Floating World“. Alle Süßholzraspelei meilenweit entfernt. Verdammt ernste Musik mit einem beinahe kindlichen Gespür für das Staunen. Rogers Samtpfotenpiano, die Verwehungen des Streicherensembles Scoring Berlin, Tibor Remans Klarinette („On The Horizon“) – die Besetzungsliste wäre unvollständig ohne einen gewissen Mr. „In-Between“, ohne den unbestimmten Raum (Zonen namens Aura, Nachklang, Stille).

 

Im Gegensatz zu dem über lange Zeiten fast nomadischen Leben seines Bruders Brian liess es  Roger von früh an ruhig angehen, und verliess nur sporadisch die Räume seiner Kindheit in East Anglia. Dieses neue, allerfeinste Opus beginnt mit „A Place We Once Walked“ – wäre der Begriff „Heimatmusik“ bloss nicht so gruselig konnotiert, hier könnte er vor Anker gehen! Manche dieser pastoralen Szenerien (gutes altes Cinemascope) erfordern einen double takeSpuren des Unheimlichen, die sich hinter dem Schimmer, dem „Anheimelnden“, verbergen! Übrigens, wenn man das Klappcover der Schallplatte öffnet, findet sich eine Reihe von kleinen Fotos aus Rogers Archiv, eine dezente Anreicherung all dieser wunderlichen Melancholien einer als Musik getarnten Tranceinduktion erster Güte. 

 

2022 23 Apr.

John goes solo

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What else to do at home, in times of the virus? The acoustic, the electric guitar, loops – all at his hand. A cover to make you smile, at least for a moment, for such  were the looks of nature, in the first lockdown – islands deserted from the tiniest idea of tourism, and the nature taking a deep, deep breath from noisy pasts. Has Mr. Scofield really been on  Sylt, I do have these dejavues of course  – no, he hasn‘t. Look at the buildings in the distance! The fence work. So many lonesome coasts across the ocean. Lay back, take your time. I contacted Luciano Rossetti, who did the photo for „Solo“, and this is what he wrote: 

 

Collaboro con Ecm dal 2008, per loro finora ho sempre fornito foto per „inside use“ e „press use“, musicisti come Francois Couturier, Gianluigi Trovesi, Tomasz Stanko, Savina Yannatou, Arvo Pärt, Giya Cancheli, Sokratis Sinopoulos, Craig Taborn, Mark Turner… Quella di Scofield è la mia prima copertina. 


La fotografia è stata scattata nel Massachusetts, a Newburyport – Plum Island Beach il 10 aprile 2015. Ero lì con il mio carissimo amico Garrison Fewell, chitarrista americano che suonò con Herbie Hancock, Fred Hersch, George Cables, Cecil McBee, Steve LaSpina, Tal Farlow, Larry Coryell,  Steve Grossman, John Tchicai, Steve Swell, Slide Hampton, Benny Golson … 

Lui abitava poco distante da quel posto e ci siamo andati perchè mi aveva detto che sarebbe stato un bel posto per scattare fotografie. Lì, oltre a scattare foto all’ambiente, gli ho scattato alcuni ritratti.  Quelle sono le ultime fotografie che gli ho scattato perchè Garrison sarebbe morto pochi mesi dopo. Sono particolarmente felice che ECM abbia scelto una fotografia di quella sessione per il disco di Scofield.

…ho come la sensazione che Garrison ci abbia messo lo zampino!
… I somehow have the feeling as Garrison gave a little push!

Best
Luciano

www.lucianorossetti.it


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