Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2022 30 Mai

ECM 1403

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Whatever the story of this album, whose number includes my birthday, and which is currently even available on vinyl – this is an ECM production of improvisors  that completely passed me by, and I have no idea why. One violin and three percussion players, promising, the names speak volumes anyway – and the facts that the oddly titled work combines two widely separated sessions, involving two of the label’s top sound engineers, quite unusual. Part of the answer, this is Shankar‘s last album for the label. Some art, some business, left unfinished.

 

 

Shankar double violin
Zakir Hussain tabla
Vikku Vinayakram ghatam
Jon Christensen drums

 

Recorded 1987 and 1989 at Studio Bauer,  and Rainbow Studio
Engineers: Martin Wieland and Jan Erik Kongshaug
Completed and mixed 1989 at Rainbow Studio, Oslo
Engineer: Jan Erik Kongshaug
Produced by Manfred Eicher

 

Es wird langsam Zeit für „meine“ Psychotherapeutinnen. Es lockt, neben der herzlichen Verbindung, die ich zu beiden empfinde, auch die Natur ringsum: die Eifel ist für mich ja fast Naherholungsgebiet. Nach meinem Wiedersehen mit G., die in Daun eine Praxis hat, habe ich erstmal meine hypnotherapeutischen Werkzeugkasten ausgepackt, und gemerkt, dass ich nichts verlernt habe. Einst, früh in den Achtzigern, schwamm ich in jener Gegend in tiefen Maaren, und las ein naturkundliches Werk, um mich mit den Räumen anzufreunden, in dem 1993 zuletzt die Erde heftigst bebte, und mich nachts auf die Erde stürzen liess, schwarzer Himmel, grollende Tiefe.

Und am Chiemsee war ich noch nie, und drei, vier frühsommerliche Tage dort, in einem Gasthaus oder den Gemäuern einer waschechten Psychoanalytikerin – das wäre doch was. Kognitive Verhaltenstherapie vs. Psychoanalyse, da sind alte Fronten längst aufgelöst. Und der Chiemsee verspricht pure Idylle, meditative Tage, und die eine wie andere Überraschung, vielleicht auch ein wenig „nature writing“. Darauf bekam ich jedenfalls Lust, als ich gestern die erste Folge von The Essex Serpent auf apple+ sah. Die Verfilmung eines historischen Romans, der als „Ideenroman“ beschrieben wird, erscheint auf den ersten Blick nicht so verlockend für eine visuelle Umsetzung. Aber wie der Kameramann die Landschaften von Essex zum Mitspieler der Geschichte macht – grandios.

Und ich ahnte ja nichts Sensationelles, als es mir – „Abracadabra“ – dämmerte: „Holla, die Lady kommt mir aber bekannt vor …“ – man kennt das doch, man streift durch fremdeste Gefilde und trifft unverhofft auf ein vertrautes Gesicht – und dann erschien, erst kaum kenntlich in alter englischer Garderobe, die wunderbare Claire Danes als gar nicht lang trauernde Witwe, ja, die Claire Danes aus Homeland, und ich war völlig überrascht, sie in den weiten Küstenzonen von Essex anzutreffen. In der Serie ist ihre Freude an der Naturkunde ein treibendes Element, in einer Zeit, in der Wissenschaft, Religion, Aberglaube, Sozialismus, aufeinanderprallen. So wie mir es mit der Protagonistin von Homeland erging, so staunte auch Jochen einst nicht schlecht, als, mitten in der vierten Staffel von Lost, Harry Bosch aus dem Gebüsch auftauchte.

2022 22 Mai

27 stars – stardust movie memories

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*****      The Duke Of Burgundy / Lovers Rock
****1/2  Locke (No Return) / Tierra
****        EO / Julia und der Sex 
***1/2    Die Fablemans / 
***          Frances Ha 
**1/2      Roter Himmel 
**            Der letzte Tango von Paris / 
*1/2        Die linkshändige Frau
*              After Hours 

 

 

Mark Kermode reviews The Duke of Burgundy

 

 

Jede Filmkritik, die sich nicht dem Zeitgeist anbiedert, ist neben allen intersubjektiven Parametern der Beurteilung eine sehr persönliche Angelegenheit, gemäss der alten Redensart, dass dem einen seine Eule der anderen ihre Nachtigall ist.

Manch einer kann weitaus mehr aufgerüttelt und verzaubert werden, wenn er sich „Leathal Weapon 1“ gönnt, ein gewitztes Buddy-Movie, als alternativ Bergmanns „Wilde Erdbeeren“ verdauen zu müssen.

Oder: „Eine erstaunliche Vision von Paris, wie es sie im französischen Kino noch nicht gegeben hat, selbst nicht zu Zeiten von Renoir“, schrieb Le Matin zu „Die linkshändige Frau“, einem Edellangweiler der Sonderklasse, aber bitteschön!

Und ist es nicht wunderbar, wie weit die Ansichten auseinander gehen. Als würden zwei Menschen, die den gleichen Film schauen, oft genug etwas gänzlich anderes erleben – holla, die Waldfee, c‘est ca!

An meinem perfekten „stairway to heaven“, „between the garbage and the flowers“, feile ich noch.  Jeder ist eingeladen, seine eigene Leiter zum Himmel zu errichten, von 1 bis hin zu 5 Sternen, gemischt aus neuen, neueren, und älteren Filmen.

 

2022 22 Mai

Ein Handy und eine Holzbank

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Es kann ja wohl nicht sein,
dass ich nach so langer Zeit
immer noch das rote Tuch bin und
unendlichen Ärger produziere,
wenn ich aus der Ferne in ein
Allerweltshandy einfache Wörter
spreche, zuhörend, zugewandt,
das Gegenteil von fordernd –
du lebst nicht bei den Taliban,
soviel weiss ich. Eine Idee,
einfach mal in den Wald, unter Linden,
oder mit iphone eine alte Holzbank
aufsuchen, und sowas Verrücktes
Siebzigerjahremässiges tun wie du selbst sein.

 
 

 

“Never forget, my dear, I‘m a member of the league of gentlemen.“

 

Manchmal wären Psychotherapeuten ein guter Griff für Künstler am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Aber was einst in New York wohl nicht zuletzt wegen diverser Woody Allen-Filme eine Mode wurde, war in good old England Anfang der Achtziger Jahre absolut nicht angesagt. Zumindest nicht in Kreisen avancierter Popmusik.

1982 hatte XTCs ständiges Touren den Leadsänger und Songschreiber Andy Partridge vollkommen fertiggemacht. Ein im Fernsehen übertragener Auftritt wurde abgesagt, weil er es nicht einmal durch den ersten Song der Band schaffte, ohne hinter die Bühne zu rennen und zu kollabieren. Zwischen Anfällen von starkem Lampenfieber, unbehandelter Agoraphobie und Valium-Entzug im Selbstversuch erlitt Andy Partridge, das sogenannte und tatsächliche „mastermind“ der urbritischen XTC einen kompletten psychosomatischen knockout und blieb zu Hause bei seiner damaligen Ehefrau.

Dort in Swindon besuchte ich ihn einmal früh in den Neunziger Jahren (natürlich als Musikjournalist und nicht als kognitiver Verhaltenstherapeut), und er gab mir einige sehr offene Einblicke in sein absolutes Krisenjahr 1982 (war das ein Jahr mit 13 Monden, mein 1982 war auch very, very strange). Andy hörte auf mit den Tourneen, und wurde zum kreativen Arbeitstier im Tonstudio. Das erste Album nach seinem „breakdown“ wurde „Mummer“, ein kolossalter kommerzieller Flop, und ein faszinierendes Opus durch und durch. 

Nachdem XTC beschlossen hatten, nur noch als Studioband aufzutreten, blieb Partridge nach Chambers‘ Ausscheiden nur noch der Bassist und Songschreiber Colin Moulding und der Gitarrist und Keyboarder Dave Gregory, um die Mission weiterzuführen. Diese Umwälzung tat der Kreativität keinen Abbruch. Partridge und Moulding schrieben weiter und weiter – auf einmal waren genug Songs für ein Album da, und in der geschätzten Umgebung eines Studios in heimischen Gefilden entstand „Mummer“. Ganz ohne Nerven zu lassen, ging das aber auch nicht, denn der ausgesuchte Produzent Steve Nye (der an Japan’s Sound von „Tin Drum“ wesentlich beteiligt war, und deshalb Andys Kandidat) entpuppte sich als Soundmagier – und, was Teamarbeit anging und zumindest solide Kommunikation, als Vollpfosten. So beschreibte es jedenfalls Andy im Gespräch.

All die im Vorfeld abgesagten Konzerte bedeuteten, dass XTC Virgin Records eine bestimmte Anzahl von Platten schuldeten, um die Verluste wieder auszugleichen. „Mummer“ wurde ein allseits unterschätztes Meisterstück – Ideenfülle, Melodienrausch, Klangfinesse, sowie first class lyrics – versprochen. Highly recommended, the new vinyl reissue! 

2022 19 Mai

In der alten Heimat

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Dortmund. Gute Bekannte: ein paar. Und Seelenverwandte: eine. Gut. Etwas geübt in Dejavues und Zeitreisen, war auch der gestrige, wegen drückender Temperaturen, schleichende Gang durch den Rombergpark, nicht ohne flüchtige, auch mal scharf konturierte flashbacks. An den Tagen, als Tschernobyl passierte, sass ich genau da auf der Wiese hier, Sommers 86, etwas beklommen die Ruhr-Nachrichten lesend und die Windrichtungen verfolgend. Ein anderer Sommer, bestimmt nicht ohne eine gerade mitschwingende Sehnsucht, las ich, genau da, auf einer der Bänke an der Einbuchtung des Teiches, einen Roman von Lars Gustafsson. War es „Tod eines Bienenzüchters“, oder „Nachmittag eines Fliesenlegers“? Wenn ich die schönste Dortmunder Parkerinnerung notieren sollte, müsste ich allerdings hinüber in den Westfalenpark wechseln, auf eine Picknickdecke, währen das hinreissendste Girl der Bittermark mir eine absolut windschiefe Version eines Oldies von Jethro Tull um die Ohren bläst, während ich mit meinen 16 Lenzen selbst das gelungenste Querflötensolo nicht gegen den Anblick ihrer langen gebräunten Beine eintauschen würde. Zurück im Mai 2022, gebe ich den Rohkostler und pflücke wie K. Lindenblätter und zerbeisse sie langsam. In einen Café, das früher, glaube ich, „Orchidee“ hiess, und jetzt „Oase“, spüren wir auf der Terrasse, die den altbackenden Charme der Sechziger Jahre versprüht, als Gitte, Freddy, Ronny und Konsorten noch auf meinem Zettel waren, bevor die Kinks und die Garagenband aus Liverpool für klare Verhältnisse sorgen sollten, die nicht nachlassende Schwüle. Erste Tropfen fallen vom Himmel, viel zu wenig. Auch unser Gespräch eine Zeitlupe, sanftes Stromern durch alte Sommmer. Ich erzähle K. von dem Wiedersehen derer, die es damals gut miteinander konnten, in Furth i. W. – die Blutjungen von 1982, auch so ein früheres Leben. Wir gehen auf schattenlosem Asphalt wie durch Watte hindurch – das wird in der Erinnerung nur getoppt durch eine Irrwanderung auf Gran Canaria, an Bananenstauden entlang, bei gefühlten 45 Grad Mittagsstarre. Vor vielleicht zehn Jahren. Die trockene Wärme von Lanzarote, der Wind aus Afrika, eindeutig meine Präferenz: auf dem Parkplatz von Jameos del Agua, 34 Grad, schattig, wunderbar, und gleich Nils Petter Molvaer in der Höhle! Zurück in der Gegenwart, auf dem kleinen Balkon in der Vorstadt, werden die Wassergläser aufgefüllt, und aus einer humorlos dunklen Wolkendecke stürzt eine Viertelstunde lang die wohltuende, eine Viertelstunde währende Regendusche herab, ohne Donnergegroll – allein der Sound umwerfender Winde und Wasserstösse. Einige Augenblicke lang sehe ich mich (hoppla, ist es eine jüngere Ausgabe meines Ichs?) auf der Wiese des Gartens tanzen, bukolisch – warum denke ich in letzte Zeit öfter daran, wieder „Liege & Lief“ von Fairport Convention zu hören?


(In fünf Tagen spielt hier John Scofields Trio, im neuen Domicil. Im alten Domicil, nahe der mittlerweile denkmalgeschützten Bordellstrasse, spielte der junge Jan Garbarek, mit Arild Andersen und Edvard Vesala, anno 72. Triptykon –  immer noch eine tolle Platte.)

2022 10 Mai

Die Runde am Blaubergsee (Teil 5)

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Als diverse Pollen im Wald ringsum explodierten, legte sich auf die Autos am Gasthof ein gelb-grünlicher Schleier, wie eine hartnäckige Flechte. Es fiel mir ein, dass ich meinen VW damals, 1982, Jackson Pollock-artig in wildem Gelb und Grün besprühte, was mir deutlich zu viele Polizeikontrollen einbrachte. Am Morgen war der Abschied der grossen Runde gekommen, Uwe und ich blieben noch einen Tag länger in unserer ersten „Wohngemeinschaft“. Mit Petra und Willi ging es dann zum Blaubergsee, an den ich mich nur dunkel erinnerte. Nahe der Ortschaft Runding (wo wir damals, nach einem furiosen Finale gegen die französische Garnison, knapp verloren, und immerhin die Silbermedaille des Rundinger Wanderpokals mit nach Hause nahmen).

 

Ich machte den Driver für Uwe und legte „On The Beach“ von Neil Young in den Cd-Player. Der See stellte sich als recht verlassener Teich heraus, und unser kleiner Rundweg war nicht länger als gute tausend Schritte, rauf und runter. Der Grillplatz sah so verrottet aus, als wäre er seit den Achtziger Jahren nicht mehr in Gebrauch gewesen. Der running gag mit Willi war die Sache mit den Holzhäusern (ich gehe nicht ins Detail). Petra hatte mich mal ausfindig gemacht, ohne mich zu suchen. „Diese Stimme kenn ich doch“, dachte sie auf einer ihrer Nachtfahrten, und seitdem hörten Petra und Willi die eine oder andere meiner Sendungen im Deutschlandfunk. Was aus alter Zeit so alles hängen bleibt – Stories, Erlebnisse, zuweile einzelne Sätze, die sich in den Winkeln des Hinterkopfes herumtreiben und gelegentlich an die Oberfläche drängen.

 

Nach dem Ereignis sagte Petra mal zu mir: „Dieses Jahr kann dir keiner nehmen.“ Innerlich widersprach ich: ein Traum hatte sich in Luft aufgelöst, und Zeit sowieso die dezente Tendenz, sich zu verflüchtigen. Dennoch hallte der Satz nach. 1982 war ein „Schlüsseljahr“ auf allen Ebenen, an „Ereignisdichte“ kaum zu überbieten. Ich hätte daraus daraus einen kleinen Roman machen können, oder ein  „Mixtape“, mit  „Come On, Eileen“ von Dexy‘s Midnight Runners, „Abracadabra“ von der Steve Miller Band, „Eisbär“ von „Grauzone“, „Ashes to Ashes“ von David Bowie, „Listening Wind“ von den Talking Heads, „See The Sky About To Rain“ von Neil Young, und diesem einen Song (wie heisst er noch gleich, er liegt mir auf der Zunge). Als alles zuende war, hockte ich in Cham, in einem Café, in dem noch der Muff einer viel älteren Zeit und ein heruntergekommener, müde glitzernder Kronleuchter hingen, während aus dem Radio die weich, wie in Seide eingewickelten, Worte „words, they don‘t come easy“, oder so ähnlich, tönten. Petras Worte kamen, in all ihrer Einfachheit, nicht aus der Schule des Positiven Denkens, sie kamen aus dem Herzen.

 

 

Auf dem Balkon, vorgestern, an dem Tag, an dem so etwas wie Sommer endlich in die Gänge kam, kurz vor der Explosion der Pollen, erzählten sich Uwe und ich unsere Würzburger Geschichten. Verblüffend, was wir alles gar nicht voneinander wussten! Wir schwelgten aber nicht in Sentimentalität – einige Erinnerungen führten, ratzfatz, in die Gegenwart, zu einem weiten Feld nächster Schritte, anstehender Entscheidungen. Zum Schmunzeln – auf  der Rückfahrt trafen wir Zwei uns nochmal auf einem Rastplatz, er erzählte mir von einer schottischen Segelroute, ich ihm, beim Blick zum Himmel, von Wilcos feinem Album „Sky Blue Sky“,  und kurz darauf leuchtete mir auf der A3 ein Strassenschild entgegen, eine Abzweigung nach „Schlüsselfeld“.

 

The future ist now“, sagte mir Robert Wyatt mal während eines Interviews in London (es drehte sich um sein Album „Shleep“ von 1997) mit Hinblick auf die veränderte Perspektive, wenn Zeiträume kein unendlich zu bespielendes Terrain mehr sind. (Wieder so ein unspektakulärer Satz aus der Ferne.) Ich hatte inzwischen zwei Stücke Zwetschgenstreusel aus der Gaststube besorgt. Uwe notierte sich meine Lektüre, „4000 Wochen“ von Oliver Burkeman. Das Buch lag später im Koffer neben Ralfs „Suchtfibel“ – und meinem Leseexemplar von „City On Fire“, von Don Winslow (erscheint Ende Mai bei dem deutschen Verlagszweig von Harper & Collins). Alles Zeitreisen.

 

2022 8 Mai

Alte Bande (Teil 4)

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Damals, in den frühen Jahren in der Fachklinik Furth i. W., gab es umfangreiche Unterlagen, aber noch nicht dieses Standardwerk von Ralf Schneider, das in diesem Jahr in der 21. überarbeiteten Auflage erschienen ist. Die erste bis vierte Auflage erschien seinerzeit unter dem Titel „Alkoholabhängigkeit – Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte“. Die Gesamtauflage: mehr als 370.000.

 

Ich brachte Ralf zum Widersehen Terje Rypdals „Descendre“ mit, ein Album, das 1980 erschien, in dem  Jahr, als meine relativ kurze Zeit am Ausläufer des Hohen Bogens begann. Und Platten von ECM den Soundtrack unseres Lebens mitschrieben, nah an der tschechischen Grenze. Und Ralf brachte mir heute früh, zum letzten geneinsamen Frühstück Aller, seine „Suchtfibel“ mit, und allein schon das Schmökern in den Seiten –  on this lazy sunday afternoon – machte mir klar, wie vertraut mir,  all der vergangenen Zeit zum Trotz, die Inhalte dieses Buches, die Denkweisen Kognitiver Verhaltenstherapie, sind. Offen für Erweiterung und klugen Eklektizismus. Ein Mix aus fundiertem Wissen und sinnlich ansprechender Vermittlung. Das feine Motiv auf den Cover der „Fibel“ suggeriert die umgekehrte Bewegungsrichtung von „Descendre“ – ein „Hinaufsteigen“.

 

Und wie nah mir immer noch, kleine Abschweifung, diese Menschen von damals sind.  Selbst die, damals nicht beste Kumpel waren. Ein altes, dezent verwandeltes Wir-Gefühl. (Die sanfte Beharrlichkeit von  Monika C. schätzte ich schon damals sehr, die Stimme von Gudrun klingt wie einst, und versetzt mich im Handumdrehen in eine leichte Trance.  Beim kraftraubenden Skilanglauf mit Dieter und Michaela  durfte ich als „townie“ meine Grenzen kennenlernen. Ich betreibe  jetzt aber kein Spiel der Reihum-Komplimente.) 

 

 

Einiges an unserer Gruppentherapie für Alkohol- und Medikamentenabhängige basierte auf Improvisation – der Transfer von theoretischer Beschlagenheit in die therapeutische Arbeit ist eine Herausforderung gewesen, damals, als solche Kliniken in den berühmten „Kinderschuhen“ steckten. Und dann kamen wir in  aller Regel aus grossen Städten – da war auch der Alltag voller Improvisation.

 

Es gibt ein paar interessante Parallelen zwischen Jazzmusik und Psychotherapie.  Zum Beispiel: Therapien glücken seltener, wenn man sich stringent an Lehrbüchern ausrichtet, und dem therapeutischen Prozess die Luft zum Atmen nimmt, die Überraschungsmomente, den improvisatorischen Spielraum. (was ich an „Gesprächstechniken“ lernte, konnte ich später auf Interviewsituationen  übertragen, speziell wenn da ein Raum zu öffnen war ins Private hinein, und  „repertoire stories“ zu glatt und routiniert waren.)

 

Ein passagenweise dunkles Album wie „Descendre(deutsch „hinabsteigen“), voller unvorhersehbarer Momente, ähnelt dem „flow“ gelingender Psychotherapien. Du begegnest verhärteten Strukturen, Abgründen, verschütteten wie offenen Potentialen, und dann?  Muster wandeln sich, Krusten brechen auf, Perspektiven kippen, die Dinge / Klänge bahnen sich einen neuen Weg. Aus Disziplin entsteht Freiheit. „Mit jedem Lichtwechsel werden helle Auflösungen und schattenhafte Erinnerungen enthüllt, die das wütende Feuer hinter der eisigen Oberfläche verraten.“ (Tyran Grillo über „Descendre“). Dein Identitätsempfinden wandelt sich, und doch bleibst dir selbst (in unerwarteter Weise) treu.

 

Reden wir jetzt von Psychotherapie,
oder von der Essenz des Jazz?
Nichts hier ist esoterisch.
Und nie ist alles auflösbar.
Alte Bande bleiben bestehen.
Oft genug.

 

 


 
 

This was one of my first ECM records, and for many it may seem a curiosity, being the only one in Jarrett‘s long story with the German label, where he is touching electric keyboards. It was recorded at the end of his time with Miles as a „keyboard wizard“, it has the looseness of an „after hours“-session with African moods and a quite exotic flair, a million miles away from American songbooks. Jack De Johnette‘s melodic feel on drums and percussion makes up for a perfect couple of like-minded spirits. For reasons I cannot explain really, I will love this album forever. It is uncomparable with any other album they did together. There are records you have had a story with, you offer them a good place in the back of your mind without ever revisiting them. This is one of those I return to since my teenager days. Though it got a new cover design at some point in time, I was always happy with the surreal naivety of the original cover. Let‘s speak about music sending you places …

 

„Should never have left the crystal lake
For areas where trees are fake
And dogs are dead with broken hearts
Collapsing by the coffee carts
The crystal lake it only laughs
It knows you’re just a modern man
It’s shining like a chandelier
Shining somewhere far away from here“

 

 

 

1 – Eine leicht betrunkene Note von Chopin

 

Do you remember The Department of Disappearance? No? That overlooked treat. What I love about the songs of his maybe second best album, is their dreamy atmosphere, they create a space to vanish into them. Jason Lytle‘s album „Dept. Of Disappearance“ is the perfect title for this kind of escapism. And, right on, there are lovely moods, great noises, funny breaks, playful keyboard arpeggios, a slightly drunken Chopin quote, catchy lyrics, vintage synthesizer sounds and all.

Almost everything played by Jason, Grandaddy’s mastermind himself. Nearly every song is telling a story about death, and dying. Not in an existenzialist way a la John Cale’s „Music For A New Society“ or Neil Young’s „Tonight’s The Night“.  More playful, uplifting. Full of wonder, but never in a naive way. Thanks god, there’s fucking no one being soaked up by some golden light in these songs. In the last song, „Gimme Click, Gimme Grid“, Jason Lytle closes this beautiful album with a childhood memory, and another way of disappearing.

The album has never become nearly as well known as Grandaddy‘s most famous work, but it is worth a decent discovery. It shares its playful melancholia and nearly devastating non-chalance with the introspection of another often overlooked work, Wilco‘s „Sky Blue Sky“ geting some lukewarm thumbs down on its release while in fact being a work of wisdom gained by defeat. And stunning music, lightly danicing from abyss to abyss. Let‘s talk about us growing older with the music we love along the way. Let‘s enter the department of disappearance.

 

 

2 – Vicodin und das Empfinden letzter Lieder

 

“Hey hey, my my, rock‘n‘roll can never die“. 

Ist das so? Aber altern kann er, oder?

Wir schon. Das mag nicht selbstverständlich erscheinen in einer Kultur, die die Jugend hochschätzt und Verweigerungsstrategien hemmungslos vermarktet. „Alter ist nur eine Zahl“. „40 ist das neue 20.“ Wann fängt das Leben erst an?! Die Slogans sind endlos, und sie nähren die Maschinerie, die die Sucht nach Verleugnung anheizt. Man könnte argumentieren, dass der Erfolg der Musikindustrie zu einem nicht geringen Teil auf den Wunsch zurückzuführen ist, regelmäßig ein paar Stunden mit dem Soundtrack unserer Jugend zu verbringen, auf der Suche nach einer weiteren Dosis der Musik, die einst mit der Intensität durch unser Wesen pulsierte, die unseren Glauben an endlose Sommer befeuerte.

Aber die Zeit ist eine unerbittliche Bedrohung. Und trotz der quasi-religiösen Intensität, mit der wir nach dem Mythos der endlosen Möglichkeiten greifen, erreichen wir einen Punkt, an dem uns das Leben diesen Glauben aus den Fingern reißt. Wenn wir Glück haben, leben wir lange genug, um unseren Anteil an Fehlern und Misserfolgen anzuhäufen.

Wir sind immer – wie Kieran Setiya in seinem Buch „Midlife: A Philosophical Guide“ – in einer „doppelten Zeitlichkeit“ zwischen verschiedenen möglichen Zukünften und vergangenen Entscheidungen gefangen, die diesen Entscheidungen Bedeutung verleihen. Das, was wir als „Krise“ bezeichnen, hat seine Wurzeln in dem Bewusstsein, dass es keine unbegrenzte Zukunft mehr gibt (oder nie gab) und dass unsere aktiven oder passiven Entscheidungen der Vergangenheit sehr oft Wege versperrt haben. Es ist eine berauschende Zeit des Übergangs.

Während der Aufnahmen zum Wilco-Album A Ghost Is Born aus dem Jahr 2004 war Frontmann Jeff Tweedy Ende dreißig und kämpfte mit einer wachsenden Abhängigkeit von Vicodin, das für ihn zu einem Mittel gegen Panikattacken und schwere Migräneanfälle* geworden war. In seiner Biografie gibt Tweedy an, dass er sich während der Aufnahmen zu diesem Album in einem Zustand befand, in dem er das Gefühl hatte, sterben zu müssen. „Jeder Song, den wir aufnahmen, schien mein letzter zu sein“, gestand Tweedy. Er stellte sich vor, wie seine Söhne nach seinem Ableben das Album durchgehen und in den aufrüttelnden Passagen mit geflüsterten Gedanken und den unharmonischen Geräuschen (Tweedys Versuch, seinen Migräneanfällen musikalischen Ausdruck zu verleihen), die A Ghost Is Born prägten, Botschaften aus dem Geisteszustand ihres Vaters heraushören würden.

Aber in diesem Moment des dunklen Kampfes meldete sich Jeff Tweedy in der Reha an und begann eine Reise der Selbstprüfung, die ihn zur Nüchternheit führte. Sky Blue Sky entsteht in diesem verletzlichen Raum aus alten Narben und neuem Wachstum. Es gab neue Bandmitglieder, und Tweedy experimentierte mit neuen Sichtweisen und Mustern. Er erzählt in Let’s Go (So We Can Get Back): A Memoir of Recording and Discording with Wilco, Etc., dass das 2007er Album Sky Blue Sky zu einer Zeit erschien, als er noch lernte, auf sich selbst aufzupassen.

Dazu gehörte allerdings nicht, sich zu beruhigen. Das Himmelblau ist hier nicht das Blau Kaliforniens aus den Liedern der Eagles, kein „Classic-Rock-Blau“, vielmehr ein leegeräumter Himmel, der schmerzhaft bewusst wird, wenn der Sänger der Titelsongs die Räume seiner Kindheit durchstreift, die einst Ruhe einflössten, Verheissung, und nun verschandelt, demoliert und verlassen sind. Geisterorte. Da möchte man keine Hymne amstimmen, auch wenn die ersten Takte des Songs, die Akkordlieblichkeit, strahlenden Himmel und Blumen für eine alte Liebe, zumindest eine Art  Versöhnlichkeit, suggerieren.

 

The drunks were ricocheting
Off the old buildings downtown, empty so long ago
Windows broken and dreaming
So happy to leave what was my home

No way. Das passende Echo kommt aus dem Department des Verschwindens: „Should never have left the crystal lake / For areas where trees are fake / And dogs are dead with broken hearts.“ 

 

3 – Mantra und Ungewissheit

 

„Either Way“ (das, wie Tweedy gesteht, nur eine einfache Umschreibung des Gelassenheitsgebets ist) eröffnet das Album mit einer sanften Behutsamkeit und einer gemessenen Annäherung an die Möglichkeiten, die auf dem Tisch liegen, wenn wir entdecken, dass wir nicht immer die Helden unserer eigenen Geschichten sind.

Ein einfaches, sanftes Akustikgitarrenriff taucht aus dem linken Kanal auf und erdet den Hörer und den Song im unvermeidlichen Marsch der Zeit.

Nach einer Weile taucht Tweedy auf dem rechten Kanal auf und sinniert leise über die Unbeständigkeit eines jeden Tages.

Diese Ungewissheit ist immer präsent, aber das Leben und unsere Entscheidungen können uns dazu bringen, die vielen Wege zu erkennen, von denen wir dachten, dass sich die Realität unserem Willen beugt.

In diesem Wechselspiel zwischen dem Mantra der Akustikgitarre und Tweedys Auseinandersetzung mit der unvermeidlichen Ungewissheit eines jeden Augenblicks bricht das erste von vielen üppigen Gitarrensoli von Nels Cline in das Gespräch ein.

Clines versierte Gitarrenbeherrschung leuchtet inmitten der prekären Wolken, überwältigt aber nie die Landschaft. Seine Noten sind jazzartig und deuten die unvermeidliche Improvisation an, die die Brüche des Lebens hervorrufen.

 

 

 

4 – Der rätselhafte Song

 

Nirgendwo wird dies so deutlich wie in der rätselhaften Komposition „Impossible Germany“. Der kryptischste von Tweedys Songs auf einem Album, das hauptsächlich aus geradliniger Verletzlichkeit besteht, „Impossible Germany“ kreist um die fragile Verbindung zweier Metaphern, „impossible Germany and unlikely Japan“. Es ist beunruhigend und ungelöst, auch wenn Tweedy verkündet, dass der Zweck der Liebe darin besteht, fehl am Platz zu sein.

Nach drei Minuten weicht der Text einem ausgedehnten Solo von Cline für die restlichen 2:57 des Songs. Es ist eine fesselnde, fast hypnotische Demonstration der Beherrschung des Instruments, ohne in überwältigende Gesten abzugleiten. Es ist die Erkenntnis, dass das Ungelöste und Unvollständige etwas Faszinierendes hat, das hier in eine kleine Gitarrensinfonie umgewandelt und von Clines versierter Virtuosität angeführt wird, bevor sich die E-Gitarren von Tweedy und Pat Sansone zu einem Gespräch zusammenfinden. Zusammen bilden sie ein Crescendo aus ineinander verschlungenen Call-and-Response-Akkorden, die die Schönheit dessen zum Ausdruck bringen, was sich einer sauberen Beschreibung entzieht.

 

5 – Das Träumen der Dinge, an die wir glauben

 

Es gibt keine großen Hymnen oder kühne Beteuerungen, dass das, was vor uns liegt, durch die Rechtschaffenheit des Rock’n’Roll leicht zu bezwingen ist. Die Behauptungen sind zaghaft und verletzlich, mit einer Haltbarkeit, die keine Garantien über den Moment hinaus verspricht. Aber ist das nicht genau die unerwartete Weisheit, die uns unsere Grenzen lehren, dass reduzierte Erwartungen mit nicht weniger wunderbaren Möglichkeiten einhergehen? Wie Tweedy im Titeltrack erzählt:

„I should be satisfied / I survived / That’s good enough for now“.

Damit wir nicht in ein falsches Gefühl der Bequemlichkeit verfallen, sind die alltäglichen Beobachtungen auf diesem Album nicht unbedingt sicher. Es ist weder ein revolutionärer Aufschrei gegen den Status quo noch eine klägliche Jeremiade. Es erkennt einfach und unverblümt an, dass das Leben oft ein chaotisches Durcheinander ist, und, wie Tweedy in der Klangverschiebung von „You Are My Face“ anmerkt, werden unsere sorgfältig gezeichneten Karten umgestoßen. Der Zufall verhöhnt den Mythos vom „Meister unseres Schicksals“.

So mag es sein, dass der Lauf der Zeit unseren ehemals blinden Glauben an unbegrenzte Aufregung untergräbt. Aber vielleicht schärft er auch unsere Sensibilität für die Möglichkeit von Schönheit in unserer Mitte. Wir haben immer die Wahl. „Wenn die Geheimnisse, an die wir glauben, nicht genug geträumt werden, um geglaubt zu werden, / Manche entscheiden sich für die Blätter, manche für die Samen“, deutet Tweedy in „Side With the Seeds“ an, dass die Wahlmöglichkeiten zwar nicht unbegrenzt sind und unsere Fehler einige Optionen ausgeschlossen haben, dass es aber immer noch Möglichkeiten gibt, Entscheidungen zu treffen.

 

6 – „On and on and on“

 

Wir lernen den entscheidenden Unterschied zwischen dem Mythos der unendlichen Möglichkeiten und der Macht der Wahl für endliche Hoffnung. Inmitten der ausgeschlossenen Zukünfte entdecken wir die Schönheit der Verbindung. „Die Situation annehmen / Ist unsere einzige Chance, frei zu sein / Ich bin auf deiner Seite / Wenn du auf meiner Seite bist.“

Das Paradoxon der Lebensmitte und späterer Jahre liegt in der scheinbar kontraintuitiven Erkenntnis, dass wir erst mit der Möglichkeit eines harten Stopps wirklich zu leben beginnen. Dieses heikle Gleichgewicht schließt Sky Blue Sky in „On and On and On“, wenn Jeff Tweedy fleht: „Please don’t cry / We’re designed to die“.

Der Kreislauf geht weiter.

 

*Triptane, haben die nicht geholfen gegen seine Migräne? Opioide sind da eher nicht hilfreich. Und wenn die dann noch zur Eindämmung von Panikattacken genommen werden, gute Nacht. Wirklich ein Segeln am Abgrund damals für Jeff Tweedy. Lesenswert für Interessierte, seine Autobiografie, auch deutsch. „Let’s go (so we can get back) – Aufnehmen und Abstürzen mit Wilco“.

 

 

 


Material  for Research & Wonder:
Max Porter: Trauer ist das Ding mit Federn  / Tunng: … presents Dead Club (my album of 2020) /  Dead Club: The Podcast / Jason Lytle: Dept. of Disappearance / Flambierter Provencalischer Lammbraten mit Auberginen, Zwiebeln & Zucchini / Richard Brautigan: Forellenfischen in Amerika / Ralf Schneider: Die Suchtfibel / Oliver Burkeman: 4000 Wochen (Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement), Pieper Verlag 2022 / Steve Tibbetts: Life Of 

 

Appendix

 

 „The majority of critics mistook Richard  Brautigan‘s  economy of means and minimal style for slightness, his humour and playfulness for irresponsibility. In reality, his books are particularly sombre, centering on decay, disfigurement and sadness. Paradoxically, he elevated the spirits of his readers“  (Brian Morton, How Hippies Got Hooked on Trout Fishing in America, in: The Times Higher Education Supplement, 16.Nov. 1984; zitiert nach John F. Barber – An Annotated Bibliography)

 

Geschrieben und kompiliert von Michael Engelbrecht und Rick Quinn. (Text in Bearbeitung. Deadline unbekannt. Sie haben Humor? Gut.)


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