Ich gehe in tiefer Dunkelheit, und bei strömendem Regen, auf dem Bürgersteig der Sachsenwaldstrasse in Dortmund. Da wird mir plötzlich klar, dass ich träume. (Vielleicht habe ich den Realitätscheck gemacht). Ich sage mir: „Gut, ich will jetzt wie eine Rakete durch die Wolken schiessen, und blauen Himmel sehen.“ Etwas irreal in der Realität, doch es passiert genau das. Mit immensem Tempo schiesse ich durch Regenmengen, durch dunkle Wolken, bei vollem Bewusstsein, bis im Zeitraffer der Himmel hell wird und blau leuchtet. Ein hinreissendes Erlebnis. Ich behalte das Bewusstsein und mache mit klarer Stimme die Ansage, dass ich jetzt über den Atlantischen Ozean fliegen möchte. Richtung Ostküste USA. Bald liegt das Meer unter mir. Es ist etwas kühl, und ich wünsche mir den Luftstrom wärmer. Im folgenden gleite ich ungefähr zwanzig Minuten bei vollkommen klarem Bewusstsein, dass ich träume, ca. 300 Meter über dem Meeresspiegel. Das Meer ist ruhig. Im Klartraum kommt es kaum zu Zeitverzerrungen, weil du mit voller Klarheit „anwesend“ bist. Auf einmal sehe ich die Skyline einer grossen Stadt an der Ostküste der USA. Ich überlege, was ich machen möchte, und beschliesse, in ein offenes Fenster eines Hochhauses zu fliegen. Abenteuer! Ich verlangsame das Flugtempo, entdecke ein Fenster und lande zu meiner Überraschung in einer Verhandlungssitzung, in der Länder Mittelamerikas Handelspreise von Kaffee diskutieren. Ich denke innerlich, das ist ja absolut verrückt, lache, und leider verliere ich rasch die Klarheit. (1998)
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2017 4 Jan.
Ein Klartraum aus der Abteilung „Sport, Spiel, Spannung“
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
2017 4 Jan.
Mein erster luzider Traum
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
1
Die Wölfin alias Hannelore L. kam an freien Tagen, stellte ihr Motorrad in die Garage und nahm mich. Sie gab mir eine Landkarte für den Hohen Bogen, markierte die Orte und Zeiten, und vögelte mich dort. Dort, und in meiner Souterrainwohnung in Bergeinöden. Sie war braungebrannt, trug kein Gramm Fett am Körper, und lachte viel. Remain In Light war „unsere Platte“. Als sie schwanger wurde, von mir, kam sie noch einmal aus den Wäldern, nahm mich dreimal, zur Erinnerung, trennte sich am gleichen Tag, trieb ab, machte eine Partnertherapie, und blieb bei ihrem ersten Wolf. Ich wäre ihr bis ans Ende der Welt gefolgt, aber ich war schon am Ende der Welt, und durfte keinen Schritt weiter gehen. Es wurde dunkel in meiner Seele, ich litt wie ein verlassenes Tier. Das war kein Traum. Damals las ich erstmals über Klarträume (luzide Träume) – das Buch von Paul Tholey aus dem Falken-Verlag – und übte jeden Tag. Mitte der 80er Jahre traf ich dann den Professor der Klarträume bei einem Seminar in Frankfurt.
2
Ich stehe im Rombergpark, am Anfang des Rundweges, es ist ein herrlicher Sommertag. Ich stelle mir die Frage, ob ich wache oder träume, und ein Schauer fährt durch mich hindurch: ich träume, ich bin bei klarem Bewusstsein, und weiss, dass mein Körper in Bergeinöden im Bett liegt. Glücksgefühle schiessen durch jede Zelle meines Traumkörpers, der sich völlig real anfühlt. Ich sehe, wie die Sommerblätter zittern im Wind, und bin berauscht von dem Zustand. Da fällt mir ein, dass ich ja im wahren Leben tottraurig bin, und was ich im ersten luziden Traum machen wollte. Einen weisen Mann um Rat fragen.
Da hinten kommt ein Jogger, ein Muskelpaket, so stellte ich mir einen Ratgeber nicht vor. Als er an mir vorbeilaufen will, rufe ich ihm zu: „Hallo, können Sie mal kurz anhalten?“ – Was ist? – „Passen Sie auf, das hört sich verrückt an, Sie sind in meinem ersten Klartraum.“ – Das interessiert mich nicht. – „Gut, klar. Aber ich möchte Ihnen eine Frage stellen: was kann ich tun, damit H. zurückkommt?“
Nachden ich diese Frage gestellt habe, verwandelt sich sein Kopf vor meinen Augen in eine Schwarzweissfotografie des Gesichts der Wölfin, und dann in einen Totenkopf. Ich erschrecke mich und wache in meinem Bett auf. Zwei Wochen später bin ich in London, mit wenig Geld, und jeden Tag gefordert, in der Gegenwart zu bleiben. Ich sehe die Wölfin dennoch in der Underground, in Hampstead Heath. Ich kaufe mir ein Album der Flying Lizards und höre abends John Peel. Er spielt einen Song aus dem Album The Correct Use of Soap von Magazine. Howard Devoto in der Form seines Lebens. Wenigstens wurde ich von einer Schönheit aus dem Marquee Club gut durchgevögelt. Sexual Healing.
2017 3 Jan.
Breaking 13 – in eigener Sache
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 6 Comments
Mit dem 13. Manafonisten haben wir nun 13 Personen versammelt, die aus (kaum übertrieben) 13 Berufen und Berufungen, das Feld der Perspektiven weit auffächern. Natürlich ist die Bereitschaft da, bald mehrere Frauen in den Club der Manafonisten aufzunehmen, um, kleiner Spass, die Quote zu regeln. Aber es ist schon ernst gemeint. Es sollten Frauen sein, die, neben natürlichem Schreibtalent, weitere Tätigkeitsfelder ins Spiel bringen, so etwa die Terrains der Puppenspielerei, des modernen Balletts, des Event Managements, der Pornographie, der Handlesekunst, der Architektur, der Twin Peaks-Forschung, und der postmodernen Landschaftsfotografie. Und alle sollten ein Faible für aufregende neue Klänge haben, Worte über Musik verlieren können, das Unerhörte im Allgemeinen. Eine Glückskeksspezialistin haben wir schon. Das einst glorios, und nicht zuletzt an unserer Zweisprachigkeit gescheiterte Buch der Manafonisten schriebe sich von ganz allein.
Als ich kurz vor Weihnachten an meine alte Klasse von 73 eine Rundmail schickte, mit einem Link zu meiner Jethro Tull-Geschichte über STAND UP (hier am 16. Dezember 2016 platziert), erhielten alle Begeiligten in einer weiteren Rundmail auch die folgende Reaktion, die ich aus Gründen guter Unterhaltung gerne einer noch grösseren Runde anvertraue. Da der ausführliche Text auch einen Abgesang auf das Englische und einen Lobgesang auf das Hebräische enthielt, wird meine überaus freundlich formulierte Antwort (als weitere Mail in der Runde der OIc) keinerlei Verständnisprobleme bereiten.
“ (…) Außerdem kapiere ich zu meinem Leidwesen überhaupt nichts von dem, was ich jetzt unter dem angegebenen Link gelesen habe? Sind das nicht Uraltklamotten aus dem Mülleimer der Zeitgeschichte? Viel gäbe ich darum, zu verstehen, worum es geht. Doch schon damals haben mich meine Ohren die zeitgenössische Musik im wesentlichen als Krach empfinden lassen und mich auf weiten Abstand zu ihr gehalten. Anders formuliert: kann es überhaupt wohltuendere Musikklänge geben als die von Bach und Händel??? Nun gut, ich muß es zugeben: natürlich gibt es Musik, die mindestens genau so berauschend ist – argentinischer Tango etwa.“
„Dear X, what’s the word for „narrowmindedness“ in Hebraic language? I’m happy you have at least a knack for tango with its origins in ancient red district areas and whorehouses of Buenos Aires. Best, Michael!“
2017 1 Jan.
Die Handschrift eines Algorithmus
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Brian Eno, Das Ende der Landschaftsmalerei, Jürgen Becker, Reflection | 9 Comments
Heute erscheint offiziell das neue Album REFLECTION von Brian Eno. (Ian is entranced, and maybe he will write another story on the album starring our beloved DJ from another age, Mireia Moreorless). Ich habe es schon einige Zeit auf dem Computer, aber nun das erste Mal die CD über die grosse Stereoanlage laufen lassen. Ich hatte eine grosse Tasse grünen Tee zubereitet, und liess die Musik in all ihren Feinheiten auf mich wirken. Es sind ja verschiedene „Soundschleifen“ aktiv, die sich aber stärker wandeln als auf Klassikern wie DISCREET MUSIC oder MUSIC FOR AIRPORTS. Jeder „Tonspur“ ist eine (digital gespeicherte) Anweisung zugeteilt, wie sie sich zu entfalten habe. So ist schon mal für beträchtliche Variationsbreite der einzelnen „Inputs“ gesorgt. Die Überlappungen sorgen also für unendliche Vielfalt im Zuge sich nie identisch wiederholender Wiederholungen. Das Tolle ist, dass diese Beschreibungen absolut ernüchternd sind, die Musik aber eher das Gegenteil davon, sinnlich, traumartig, ein Fluss. Nur die Oberflächenstruktur suggeriert generative Systeme, Kybernetik, Künstlichkeit. In der Tiefe, die hier kein metaphysischer Begriff ist, sondern den Sprung in den Fluss avisiert, das gute alte Loslassen, herrscht Staunen, Verwunderung, Trance. „But if an algorithm composed this music, is Brian Eno the author of it?“, Kitty Empire asks in her review, and I like to answer: „Yes, Kitty, he’s the author! You know why? It’s his handwriting! And: the music has no story, but soul.“ Und, erst beim Hören auf der grossen Anlage, kommt das Element der puren Überraschung hinzu. Oft scheint sich die Musik dem Nichts zu nähern, es gibt vollendet klingende Verschwindeklänge, und aus dem sanften Sog des Nichts kommt dann plötzlich ein fast lauter glockenheller Ton, der etwas Aufrüttelndes hat, aufreissendem Licht und einer Marimba nicht unähnlich. Man darf also durchaus, bei REFLECTION, einer übrigens klanglich absolut highendigen Aufnahme, Kristalle in Drei D, Landschaften vorüberziehen sehen, man darf die Musik persönlich nehmen. Ja, und ich tauche derzeit, beim Hören des Albums, in einen alten Gedichtband von Jürgen Becker ein, den ich aus dem Speicher runtergeholt habe, kehre immer zu den Klängen, den Worten zurück, dem Raum dazwischen. Besorgen Sie sich einfach mal ein schmales Lyrikbändchen von Herrn Becker, nach dem Zufallsprinzip, und halten Sie die Zeit an, wenn die Musik läuft. Kinderleicht, geht von allein, und immer eine Illusion.
JazzFacts – Neues von der improvisierten Musik – Deutschlandfunk – 12. 1.2023 – 21.05 Uhr bis 22.00 Uhr
M1: Andrew Cyrille: Enter from the East, aus: „Music Delivery / Percussion“
Mod 1 – Herzlich willkommen zu Neuem von der improvisierten Musik, mit Michael Engelbrecht – und dem 83-jährigen Trommler Andrew Cyrille, dessen Solo-Perkussionsalbum im zeitlichen Zentrum dieser Stunde steht. Der Klangkünstler mit haitianischen Wurzeln hatte schon im Free Jazz melodische Potentiale freigelegt – wie erstaunlich nah sich mitunter Melodienlust und Entfesselung kommen, zeigt sich, wenn wir in einer neuen Biografie des Saxofonisten Albert Ayler blättern, oder uns auf den frei flottierenden Kammerjazz der Saxofonistin Mette Henriette einlassen. Darüber hinaus steht eine Begegnung mit dem langlebigsten Pianotrio ungarisch-amerikanischen Ursprungs an. Eine Reise in die Räume der Kindheit bietet ein weiterer Melodiker des Schlagwerks, Sebastian Rochford, in seiner schottischen „Hausmusik“.
Den äusseren Rahmen dieser Stunde bieten zwei skandinavische, Folk- und Jazz-erprobte Formationen. Bei dem Bassisten Anders Jormin und dem Quartett Uusi Aika des Saxofonisten Otto Eskelinen kommt einem mitunter manches japanisch vor. Allein schon das Cover von Uusi Aika mit orange-roten Pastelltönen und asketisch platziertem Gesträuch lässt eher an japanische Malstile denken als an finnische Flora und Fauna. Neben Altsaxofon und Klarinette bringt der Bandleader seine Shakuhachi ins Spiel. Seit Eskelinen mit der Erforschung dieser Bambusflöte in japanische Klangwelten vorstiess, schwebte ihm für Uusi Aika etwas vor, das sich, wie er mir schrieb, „so langsam wie eine gefrorene Landschaft bewegt, oder ein Wald unter tiefem Schnee.“ Man kann den Teilnehmern dieses Quartetts getrost schlafwandlerische Sicherheit im Umgang mit ihren Instrumenten attestieren. Jeder Anflug von Ethno-Kitsch wird unterlaufen mit extrem luftigen Texturen, und der gewiss auch alten finnischen Jazztugend, Herrlich-Schräges in pure Melodie zu wandeln.
M2 – Uusi Aika: Luminkenkä
Mod 2 – „Lumikenkä“ aus der Cd/Lp „Uusi Aika“ von Uusi Aika. Eine Veröffentlichung des Labels WeJazz aus Helsinki. Wer sich hierfür begeistert, dem empfehle ich, wärmstens, Jone Takamäkis „Universal Mind“ und Edward Vesalas „Nan Madol“. Finnische Klassiker. Noch ruhiger, auf andere Art meditativ, geht es zu auf der am 20. Januar erscheinenden Arbeit „A Short Diary“ des Schlagzeugers Sebastian Rochford und des Pianisten Kit Downes.
Die liedhaften, andeutungsweise hymnischen, Kompositionen entstanden sehr kurz nach dem Tod des Vaters und Lyrikers Gerard Rochford, in heimischer Umgebung. Man kennt Rochford von seiner Gruppe Polar Bear (deren bestes Album in der Mohave-Wüste entstand), von den jungen, wilden Sons Of Kemet und dem ultramelodiösen Trio Libero. Hier nun wollte er den Sound seiner Kindheit und Jugend einfangen – und Trost finden zugleich. Ich habe ihn gefragt, wie diese ganz besondere „Hausmusik“ entstanden ist.
OTON (1) – Sebastian Rochford – „Das Piano ist ein ganz spezielles Instrument für mich. Es ist das erste Instrument, das ich lernte, und mein Vater und meine Mutter waren verliebt in den Klang. Die Lieblingsmusik meines Vaters waren Glenn Goulds Bach-Interpretationen, und für meine Mutter überwiegend Bill Evans, Keith Jarrett und Nina Simone. Ich wuchs auf mit dem Klang des Pianos, meine Eltern spielten darauf, und obwohl ich bislang nie Musik für ein Klavier geschrieben hatte, war mir dieser Sound des „Zuhause-Seins“ unheimlich vertraut. Was das „Drumming“ auf A SHORT DIARY betrifft, gab ich mir die Freiheit zu spielen oder nicht zu spielen, je nachdem was das jeweilige Stück verlangte. Im wesentlichen sollte es eine Art Solo-Piano-Album sein, mit unserem alten Hausklavier, und ein paar Spuren des Schlagwerks. Eines meiner Lieblingsalben – auch da spielt der Raum eine besondere Rolle – ist Thelonious Monks „Alone In San Francisco“. Mich störte die Idee nicht im geringsten, für diese Arbeit nur wenige eigene Klänge aktiv beizusteuern. Mit Kit Downes sprach ich lange über den Umgang mit den Pedalen, und dass die Musik nie über eine bestimmte Dynamik hinausgehen sollte, um idealerweise in einer besonderen Schwingungszone zu verweilen. Das Stück „This Tune Your Ears Will Never Hear“ war das letzte Stück, das ich schrieb, aber es sollte den Anfang des Albums markieren. Ich sehe das Stück als eine Art Torweg, fast wie eine Begleitung meines Vaters auf seiner nächsten Etappe. Zugleich spielte diese andere Empfindung hinein: wenn du ein Elternteil verlierst, kann es sich anfühlen, als wäre man ein kleines Kind, das in den Abgrund ruft… so there are some lines in the tune that represent that to me.“
M3 – This Tune Your Ears Will Never Hear
OTON (2) – Sebastian Rochford – „Obwohl wir geplant hatten, das Album gemeinsam abzumischen, entwickelte es sich so, dass Manfred Eicher die Aufnahmen allein mischte, und im Grunde war es wohl genau das, was ich wollte. Ich war so nah dran an der Musik, und fühlte, dass er sich ihr auf eine Weise annehmen konnte, zu der ich nicht fähig war. Nicht nur technisch, auch aufgrund der fehlenden Aussenansicht. Und er besitzt ein tiefes Verständnis dieser Musik… Als ich mir seine Abmischungen anhörte, war es fast so, als würde ich das Album zum ersten Mal hören. Als hätte ich bis dahin gar nicht realisiert, was ich wirklich gemacht hatte. Er brachte alles auf den Punkt und steigerte die Intensität vieler Details. Es erschien mir wie die stärkste Version der Musik. / Was die Raumcharakteristik des Klanges angeht, nun, wir hatten bei den Aufnahmen auch einige Raummikrofone benutzt. Zum Beispiel platzierten wir ein altes ACR-Mikrofon im Kamin, um etwas von der Resonanz des Steins hinter dem Feuerplatz einzufangen. Und das ist ein anderer Aspekt der nachträglichen Bearbeitung von Manfred, dass er dem Sound des Raumes treu blieb, ohne je darin gewesen zu sein. Und, ja, das Stück „Silver Light“ kam mir in den Sinn, als ich im Hausflur stand… ich erinnere mich daran, wie ich nach meinem Phone greife, und die Treppe hinauf gehe Richtung Schlafzimmer… ich singe in das Phone hinein, die ganze Zeit über, während ich die Treppe hinaufgehe, und die Melodie nimmt im Nu ihre fertige Gestalt an. Ich habe die Aufnahme gespeichert, und wenn ich sie mir anhöre, klingt sie genauso wie auf dem Album. „Silver Light“ repräsentiert für mich den Moment, in dem ich mit meinem Vater zusammen war, als er starb.“
M4 – Silver Light
Mod 3 – „This Tune Your Ears Will Never Hear“, und „Silver Light“, aus der Cd „A Short Diary (Of Loss)“, wie das Album von Sebastian Rochford und Kit Downes mit vollem Titel heisst. Beeindruckend-elementare Musik, welche man zwei anderen aussergewöhnlichen „home recordings“ des Labels ECM an die Seite stellen kann, den Solo-Piano-Werken „At Home“ von Misha Alperin, und „The Melody At Night With You“ von Keith Jarrett. Alle drei Werke belegen eine von jedem Überschwang befreite Innerlichkeit – und Klangspuren der Klassischen Musik. Solche Elemente Moderner Klassik finden sich auch auf der Cd „Close Connection“ des ungarisch-amerikanischen Pianisten Laszlo Gárdony. Mein Kollege Niklas Wandt hat mit Laszlo Gardony gesprochen!
BEITRAG EINS – NIKLAS WANDT ÜBER CLOSE CONNECTION, DAS NEUE ALBUM DEs LASZLO GORDONY TRIOS (5’54)
Mod 4 – Niklas Wandt über Laszlo Gordonys jüngstes Album „Close Connection“. Es gibt wenige Schlagzeuger, die auf eine so immense wie stilistisch verzweigte Diskographie verweisen können wie der Amerikaner Andrew Cyrille. Er war bei zahllosen Free Jazz-Alben dabei, wirkte auf einer der ersten ECM-Produktionen mit, Marion Browns „Afternoon Of A Georgia Faun“, und sein letztes Album, „The News“, tauchte 2021 in zahlreichen Jahresrückblicken auf, auch hier in den Jazz Facts.
Auf dem Züricher Label Intakt ist er mittlerweile auf einem Dutzend Alben zu hören, u.a. mit Irene Schweizer, Oliver Lake, und Anthony Braxton. Jetzt erscheint dort ein reines Soloabum: „Music Delivery / Percussion“. Hoch melodisch, reduziert auf die wesentlichen Bausteine seines Spiels: ein purer Perkussionstrip, der ihn einmal mehr als Meister elementarer Atmosphären ausweist. Selbst in alten Free Jazz-Zeiten war sein flirrendes, wohldefinierte Metren aushebelndes Spiel ein kontemplatives Pendant zu manchem Aufruhr ringsum. Kurz gesagt: Andrew Cyrille hatte schon immer die Ruhe weg. Das hört man auch, in jedem Moment dieses neuen Albums. „La Ibkey – Don’t Cry“ geht zurück auf eine Produktion des Bassisten und Oud-Spielers Ahmed Abdoul-Malik, bei der Cyrille, blutjung, im Jahre 1961 mitwirkte. Folklore und Improvisation finden in dieser Stunde in immer neuen Facetten zueinander….
M5 – La Ibkey, aus: Andrew Cyrille: Music Delivery / Percussion
Mod 5 – „La Ibkey“, aus der in Kürze beim Züricher Label Intakt Records erscheinenden Cd „Music Delivery / Percussion“. Im Jahre 1977, als Cyrille noch Teil des berühmten Trios des Pianisten Cecil Taylor war, nahm er an der Seite des Geigers Leroy Jenkins die Komposition „He Died Too Early“ auf, eine Hommage an den tragisch und früh verstorbenen Saxofonisten Albert Ayler , der selbst in Free Jazz-Zirkeln als eine Art „enfant terrible“ galt. Beträchtlich der Kreis seiner Bewunderer, in Deutschland sah Peter Brötzmann in ihm einen Seelenverwandten und erinnerte einst mit seiner „Die Like A Dog“-Band an seine Musik. Ausgangspunkte von Aylers Stücken waren oft Kinder- und Zirkuslieder, einfache Spirituals und andere Gassenhauer, die er mit ekstatischer Lust in rohe Soundkaskaden verwandelte. Karl Lippegaus erinnert an Albert Ayler und stellt eine neue, von Richard Koloda geschriebene Biografie des Amerikaners vor.
Mod 6 – Karl Lippegaus stellte Richard Kolodas Buch vor: „Holy Ghost – The Life and Death of Free Jazz Pioneer Albert Ayler“. Die junge norwegische Tenorsaxofonistin Mette Henriette ignoriert auf sehr eigene, in ihrem Spielstil bestens erkennbare Art, den alten Wettstreit der Schulen zwischen freiem Jazz und lyrischen Klangidealen. Auf ihrem zweiten Album mit dem trefflichen Titel „Drifting“ finden sich Geräusch, Rausch, Abstraktion und Melodie in luftigen Räumen vereint. Johan Lindvall spielt Piano und Judith Hamann Cello. Es ist nicht die Art von Jazz, die einen mit dem ersten Ton einfängt und gleich zu Beginn ein paar unwiderstehlich-groovende Register zieht: es ist die Art von Jazz, die sich langsam in die Hörgänge schleicht, mit markanten, fremdartigen, oft hingehauchten Tönen und Texturen. Eine wundersam gespenstische Musik.
OTON (3) – Mette Henriette – „Der Prozess der Entstehung von „Drifting“ war ziemlich intuitiv. Ich habe von Anfang an keine Ideen erzwungen. All die Stücke haben sich mit der Zeit herauskristallisiert, während ich immer mehr in das Material vordrang. Es fühlte sich so organisch an, das Potential des Trios tiefer und tiefer auszuloten. Eine Sache war mir dabei stets bewusst: die Musik sollte wachsen können und ausbaufähig sein mit der Zeit, sie könnte noch mehr Musiker vertragen, mehr Stimmen, erweiterte Arrangements. Das Repertoire von „Drifting“ ist für mich in ständiger Bewegung. Es hat eine Richtung. Das inspiriert und stimuliert mich auf besondere Weise, als Spielerin, als Komponistin. Ich freu mich sehr auf Live-Konzerte, weil es sich für mich wie der Anfang eines neuen Kapitels anfühlt.“
M6 – Mette Henriette: Rue du Renard
OTON (4) – Mette Henriette – „Dieser besondere Sound kommt tatsächlich vom Cello. Judith schleift über das Holz mit ihrem Bogen, eine Technik, die ich wirklich interessant finde. Es klingt so wunderschön auf ihrem Instrument. Ich weiss nicht genau, wie dieser britzelnde Sound auf einmal auftauchte auf dem Stück „Solsnu“. Ich denke, ich suchte nach einer Farbe, einer gewichtslosen, vakuumisierten Geste des Stillstands, bei der sich die Zeit langsamer anfühlt, wie wenn du Planeten beobachtest, ihre kreisenden Bewegungen im Sonnensystem.“
M7 – Mette Henriette: Solsnu
Mod 7 – „Rue de Renard“, und „Solsnu“, zwei Kompositionen aus den „Kammerjazz-Intensitäten“ von Mette Henriettes Cd „Drifting“. Nun zur dritten Veröffentlichung von ECM Records im Januar (neben Rochford und Henriette): seit nahezu zwei Jahrzehnten arbeiten der schwedische Bassist Anders Jormin und die Sängerin, Violinistin und Cellistin Lena Willemark an eigenwilligen Verbindungen von Jazz und Folk. Auf dem Album „Tree Of Light“ von 2015 kam die in Süddeutschland lebende Karin Nakagawa dazu – ihr Spiel auf der 25-saitigen japanischen Koto öffnete der Musik weitere Räume.
Erstmals dabei ist nun, auf der Cd „Pasado En Claro“, der Schlagzeuger Jon Fält, der auch in Bobo Stensons Trio an der Seite von Anders Jormin agiert. Hochspannung ist angesagt: immer wieder dringen Bass, Schlagwerk und Stimme in mal feinsinnige, mal raue, mal archaische Regionen vor.
Es ist eine besondere Qualität dieses schwedisch-japanischen Quartetts, weit entfernte Zeiträume zusammen zu führen – die Quellen der auf „Pasado En Claro“ verarbeiteten Gedichte reichen von Octavio Paz, über ein uraltes China des elften Jahrhunderts, bis hin zu moderner skandinavischer Lyrik. Alle Texte werden in schwedischer Sprache gesungen, die emotionale Tiefenwirkung von Lena Willemarks Gesängen überwindet jede Sprachbarriere – hilfreich dennoch, dass die Texte auf Schwedisch, und in englischer Übersetzung, beiliegen.
„Wo die Krankenhausblöcke schummrig leuchten / Und chinablaue Bildschirme in sterilen Investitionsobjekten flimmern / Nichts erscheint so verschmäht und tödlich, dass du es nicht sehen könntest / Von einem Küchentisch aus, unter einer blauen Lampe / Die aufstrebende Birke auf einem grünen Grünstreifen / Und eine Katze, die um die Ecke streicht.“
Was hat nun Jörgen Linds Gedicht mit Petrarca oder Octavio Paz gemein, ganz zu schweigen von fernöstlichen Texten? Nun, beharrlich spiegeln sich Innenwelten in Räumen der Natur, und immer wieder werden Spuren von unbeugsamem Lebenswillen ausfindig gemacht in unwirtlichen, abgelegenen Erdzonen. Gerade da wird der Tanz des Lebens geprobt, wo Stillstand und Erstarrung drohen. Wie etwa in dem von Lena Willemark geschriebenen und getexteten Song „The Woman Of The Long Ice“ … „Ich bin die Frau des langen Eises / die tanzt (leicht wie ein Wirbelwind)“, heisst es da – und mit diesem Stück aus Anders Jormins Cd „Pasado En Claro“ klingen die JazzFacts mit Neuem von der improvisierten Musik aus – am Mikrofon bedankt sich Michael Engelbrecht für ihre Aufmerksamkeit.
M8 – Anders Jormin: The Woman of The Long Ice
T H E E N D
2016 28 Dez.
Weiter, wohin (2)
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
Schon ganz früh, als ich mich in dem einen oder anderen Jahr für moderne Lyrik begeisterte, kreuzten schmale Bändchen von Jürgen Becker meinen Weg. Er kam aus einer anderen Zeit, Jahrgang 1932, und doch erlebte ich ihn wie einen vertrauten Begleiter, der die Geschichte der Bundesrepublik, und das sogenannte Alltägliche, immer neu sondierte, und – bei aller Nüchternheit der Beobachtung (Felder, Eingezäuntes, Blicke durch Fenster) – einen Pfad ins Unsichtbare öffnen konnte, bar jeder Metaphysik. Das Gedicht „Weiter, wohin“ enhält alles, was ich an seiner Lyrik liebe.
Ich habe mich beispielsweise niemals für die Musik an Westfälischen Adelshöfen interessiert. Aber ich habe selten eine feinere Annäherung an das Verschwundene gelesen als diese, in den ersten drei Zeilen des Gedichts. Und dann landet die Stimme des Gedichts in einem Frühsommer, der diverse Anzeichen schneller Verflüchtigung bereithält. Die Vorstellung, noch einmal im alten Zelt zu schlafen, „together“ (wie ein Überbleibsel der Ära der Beatles, als uns das Englische leicht auf der Zunge lag), wird dann abgelöst durch eine nun nahezu rauschhaft-nüchterne Spurensichtung der Leere, abermals verschwindender Räume, voller Cembaloklänge, Vögel, und Wasserstrassen. Das ist unfassbar, und bringt etwas zum Klingen, das ich nicht in Noten fassen könnte.
Der reality check ist die Basisübung für das luzide Träumen. Dafür eignen sich, neben dem scheinbar widerspruchslosen Alltagserleben, gerne auch jene Momente, denen offenbar etwas Traumhaftes zu eigen ist. „Träum ich oder wach ich?“ An den Pforten der Wahrnehmung rüttelten etwa King Crimson mit ihrem Album BEAT, denn wenn man, auf der Landkarte von ON LAND, neben der orange leuchtenden Note, den Titel entziffert, ist man im Nu on the road mit der „Beat-Generation“, und weiss um den kleinen Zeitsprung, den dieses famose Quartett früh im New York der Achtziger Jahre anzettelte, mit einem Adrian Belew, der gerne mal die eine oder andere Sehnsuchtsmelodie auspackte (die wiederum einer ganz andern „Pilzkopf“-Zeit entsprungen schien). So könnte man der klassischen Frage der „Wirklichkeitsprüfung“ zuweilen auch eine andere an die Seite stellen: „Wann bin ich?“.
it all started when I once heard that song on Radio Luxemburg, a child with a small radio under the blanket and a limited space for fresh air. The first time I learned how to secretly let the air in in decent portions. Nobody should disturb my resistence against sleep. It really got me. And America got him. It started with a flickering light sending black-and-white images through an old movie projector. Faces of cowboys and Indians, superheroes, the good guy victorious over the emissaries of evil. You certainly have some of these memories, too, my first Western hero was Robert Fuller.
And how must this all have been for a North Londoner, about 10 years older, on the other side of the sea, when rock, jazz, skiffle … the blues … and old country songs came to liberate him, growing up in the austerity of post-war Britain. The music gave him hope and feeling that he could express himself in song through this new art form called rock and roll. My first single ever was „Rock and Roll Music“ from the Beatles with John Lennon (I didn’t know it at the time having been totally absorbed by the song’s high energy) delivering a first-class Chuck Berry cover.
Then, as Ray toured America with his band, he saw the place first hand and up close – from the roadside of a dreary bus stopin the middle of nowhere to the Hollywood Bowl – as they experienced good times and bad times. His first impressions were full of romanticised images from childhood recaptured from the relative safety of a tour bus or hotel room. However the real world soon arrive like an univited guest and the flickering light turned into the cold light of day.
It’s one good thing in being bound to slowness and a bit ill between the years, life becomes more meditative. I feel better every day, but you have to keep a strong discipline. So I took some time for a look into the future (for you it must have appeared like a look in the past!), and can tell you that the guy I have been speakin‘ about will come up with a new album, probably in spring, Ray Davies‘ „Americana“ ( based on his insightful book with the same title from 2013).
Best, Michael!
P.S. Our „friend“ Robert Wyatt can at last been heard on one song called „She Moves With The Fair“ (isn’t that an old British folk song?) that will be part of Paul Weller’s work „A Kind Revolution“. He will sing a bit and „play the trumpet like Donald Byrd“, as Mr. Weller said. And, Gregs, before spring will embrace us all hopefully with a taste of summer, new records might have found their ways to us from Joni Mitchell (10 new songs, with orchestra, I listened to one on BBC6, well, not sure about my first impression), Mark Eitzel (reading interesting things about it, but I forgot his voice), The XX, and The Flaming Lips. I’m really hoping Scritti Politti’s will take shape, soo.
How many great guitar albums did we hear last year: now, on Feb. 3rd, a new solo recording from Ralph Towner will be there: „My Foolish Heart“ (produced in Lugano). One of the most adventurous journey of 2016: Vijay Iyer and Wadada Leo Smith. Again on Feb 3rd this other great pianist from New York (remember his solo masterpiece „Avenging Angel“!), Craig Taborn will jazz the house with his quartet: Craig Taborn (the ECM side of sounds).
By the way, I hope you will find Stephen Dobyn’s book „Ist Fat Bob schon tot?“ nearly as mind-blowing as Sun Ra’s collection of „jukebox hits“. In these very, very quiet days of Christmas (with Swaazi candles, warm showers, and green tea), I switch between reading „Das Fest der Schlangen“, getting wonderfully lost in the first season of the series „The OA“, happily waiting for the breakfast show with Brian tomorrow („Reflection“ is my „healing music“) and listening to early Jethro Tull albums. You can really listen to „Aqualung“ with grown-up ears, and I never want to miss a second of it.
2016 23 Dez.
Es wäre wahrscheinlich mein in Serie verschicktes Weihnachtsgeschenk, so aber ist es nur eine Art „running gag“, denn Stephen Dobyns‘ Name dürfte in letzter Zeit einen beträchtlichen manafonistischen Bekanntheitsgrad erreicht haben, als Autor von Kriminalromanen und Lyrik der speziellen Art, und am 17. April 2017 erscheint nun dieser abgründig humoreske Roman!
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off