Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2022 29 Nov.

On this day five years ago

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Yesterday at the post office.

Me: Please, could you give me ten global stamps?
Lady behind the counter: Do you eat deer meat?
Me: Sorry, I didn’t understand …?Lady behind the counter: Deer meat. Do you eat that?
Me: Deer meat? No. Do you have some leftovers you want to get rid of, or why do you ask?
Lady behind the counter: Where do you come from? Are you from England?
Me: No, I’m from Hamburg, Germany.
Lady behind the counter: You have an English accent.
Me: That’s fine. I need ten global stamps. Do you sell them here?
Lady behind the counter (to her colleage at the next counter): Do you have global stamps left?
Lady behind the next counter (rummages around a while and finally finds some. Hands them over.)
Lady behind the counter: Elevenfifty. Thanks. Have a great day!
Me: Same to you, thanks.

Must be American humor.

 

2022 30 Okt.

Medical Grade Music

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Don’t ask me what this title means — I don’t know. But anyone who has ever dealt with snooker knows who Steve Davis is, and so do I. And Kavus Torabi? He’s not only a nicely chaotic guy, he’s the officiating head of Gong, and it was still Daevid Allen personally who has chosen Kavus to take the helm. And yes, Gong still exists (their latest sign of life is the live double album Pulsing Signals). 

Steve Davis OBE is known for having won everything you can win in snooker. But he’s also known for having a huge collection of soul records and being well-sorted in several other music genres, especially prog. And since several years he has a radio show on local station Phoenix FM, Brentwood and Billericay. Since he invited Kavus to be his guest on this show, the two of them are friends. They even run a sort of electronic band project together, The Utopia Strong, Steve also is deejaying sometimes.

 

 

 

 

Medical Grade Music is a sort of mail exchange between Kavus and Steve, discussing their personal music and record histories and preferences. A lot of this stuff is simply unknown to me, but there are chapters on Magma, Stray Cats, Gentle Giant, Zappa, Pink Floyd, Leonard Cohen, Die Laughing, Henry Cow, Cardiacs, and of course Gong. Even Neu! is mentioned somewhere. All this stuff is connected to their life, their growing-up and their musical progression, which especially on Kavus‘ side (who comes from Tehran originally) is colorful and sometimes adventurous — and fun to read anyways.

The book has 330 pages and comes with several appendices, listing their top records, favorite artists, last DJ sets, Steve’s rig rundown, and more. It’s available still as hardcover but now also as paperback and e-book. And it gives you many many opportunities to put your trusted streaming service through its paces.

 

Steve Davis and Kavus Torabi: Medical Grade Music
White Rabbit Books, London 2021
ISBN 978-1-4746-1849-3

 

 

2022 23 Okt.

Live in Cuxhaven

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Nach Live in Stuttgart 1975 und Live in Brighton 1975 nun also Live in Cuxhaven 1976. Es ist das dritte Can-Album, das mit dem Recorder aus dem Publikum heraus aufgenommen und nun im Studio etwas klangpoliert wurde. Für ein Bootleg wäre die Qualität sehr gut, für eine offizielle Veröffentlichung ist sie eher bescheiden — eine Ansichtskarte für Fans, so muss man sie wohl hören. Die Vinylversion kommt diesmal in einem „Curacao“ genannten Blauton.

Während Stuttgart und Brighton jeweils Doppelalben mit den kompletten Konzerten waren, ist Cuxhaven eine Einzel-LP, noch dazu mit einer sehr dürftigen Spieldauer von gerade mal 29 Minuten, beendet mit Irmins Ansage, man mache nun eine Pause von 20 Minuten, danach werde man weiterspielen. Aus Fankreisen ist zu vernehmen, der zweite Teil sei der weitaus bessere gewesen, aber das ist nun leider nicht überprüfbar.

Can spielt in Viererbesetzung (Irmin, Michael, Holger, Jaki) und liefert in den vier titellosen Tracks die mehr oder weniger gewohnte improvisierte Qualität, wobei Jakis Schlagzeugspiel gelegentlich ins Hektische kippt und eher an Schnellpolka als an Rockmusik erinnert, auch Michael scheint nicht seinen besten Tag erwischt zu haben.

Teile der Auflage enthielten anscheinend keinen Download-Code, andere Teile enthielten die Linernotes zum Stuttgart-Konzert. Das scheint nun in Ordnung gebracht worden zu sein. Ein viertes Live-Album soll noch kommen; für mich ist derzeit das Stuttgart-Album das beste der Reihe.

2022 13 Okt.

Walk of Fame

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One of my all-time favorites, the Jefferson Airplane, received their star on the Walk of Fame just a couple of minutes ago.

Congratulations!

(Coverage starts at 12’00)

 

2022 4 Okt.

Coal Miner’s Daughter

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Amerikas Country-Queen Loretta Lynn ist gestorben. Immerhin freundliche 90 ist sie geworden. Was mir in Erinnerung ruft, dass ich vor jetzt zwölf Jahren in einem längst dahingeschiedenen Drehbuchautorenforum ein paar Zeilen über den Film Coal Miner’s Daughter geschrieben habe, die ich aus besagtem Anlass hier einmal wieder ans Tageslicht hole — der Film ist nämlich wirklich sehenswert.
 

 
Diesen Film habe ich mir gestern nacht angesehen, weil er entfernt mit dem Sujet zu tun hat, an dem ich gerade arbeite. Ich war erstaunt (obwohl ich es im Prinzip wusste), dass der Film schon 30 Jahre alt ist [42 demnach heute]. Das Buch ist von Tom Rickman, Regisseur ist Michael Apted.

Der Film ist ein Biopic, beruhend auf den Erinnerungen der Countrysängerin Loretta Lynn (gespielt von der wunderbaren Sissy Spacek) und diversen Interviews. Zwei Dinge, die mir besonders aufgefallen sind:

Die (US-) DVD enthält ein 15-minütiges Gespräch mit der wirklichen Loretta Lynn (von 2003), und es ist ein Erlebnis, zu sehen, wie sich Sissy Spacek Lorettas Gestik, Mimik, Sprechweise und Kentucky-Dialekt angeeignet hat. Das können wirklich nur die Großen. Das kann man so auch gar nicht ins Drehbuch schreiben. (In der Synchronfassung geht es natürlich eh verloren.) Und zweitens: Selbst für die beste erwachsene Schauspielerin ist es sehr schwierig, ein 14-jähriges Mädchen darzustellen. Es kommt immer rüber, dass sie eine erwachsene Frau ist.

Dramaturgisch fällt ein gewisses Ungleichgewicht auf zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des Films. Zunächst geht es darum, wo Loretta herkommt, wie sie mit 13 heiratet, vier Kinder bekommt, und sich dazwischen nach und nach ihr Gesangstalent so herauskristallisiert, dass irgendwann ihr Mann auf die Idee kommt, dass man daraus eine Karriere machen könnte. Er ist dann auch derjenige, der den Start aufs Gleis setzt, von der selbstbezahlten Plattenaufnahme übers Abgrasen der Country-Radiostationen bis zu ersten Erfolgen. Dieser Teil ist reichlich lang geraten, gemessen an der dann abgehoben habenden Karriere im zweiten Teil des Films, die schließlich zu Lorettas Zusammenbruch und (am Ende) Neustart führt. So richtig wird nicht klar, wie diese Karriere läuft, welcher Preis mit ihr verbunden ist und warum sie trotz des kommerziellen Erfolges schiefläuft.

Gut geglückt dagegen ist, zu zeigen, wie Doo (Lorettas Mann, von Tommy Lee Jones gespielt), nachdem er ihre Karriere erfolgreich auf den Weg gebracht hat, zu ihrem immer überflüssigeren Anhängsel wird und damit natürlich nicht klarkommt. Sehenswert auch Beverly D’Angelo, die die Countrysängerin Patsy Cline (Lorettas dickste Freundin) spielt. Beide Darstellerinnen singen übrigens selbst, es wird nicht einfach zu den Originalsongs geplaybackt. Gut so, die beiden sind auch prima Sängerinnen.

Ich habe den Film erstmals irgendwann Mitte der 80er auf RTL oder weißichwo gesehen, und schon damals ist mir aufgefallen, was sich mir gestern noch einmal bestätigt hat: Dass Country eine sehr authentische und lebendige Musik ist, wenn man sie in die Umgebung und Atmosphäre stellt, aus der sie kommt und in die sie gehört. Nicht zu verwechseln mit dem Countrykommerz, der heute die Charts füllt.

2022 19 Sep.

Moguls & Movie Stars

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Dass hier in letzter Zeit verstärkt wieder Filme ein Thema sind, hat mich dazu angeregt, eine DVD-Box wieder hervorzukramen, die seit zwölf Jahren fast vergessen bei mir im Regal stand:

 

 

Moguls & Movie Stars — A History of Hollywood, eine Produktion von TCM (Turner Classic Movies), einem TV-Kanal, wie man ihn in den USA kaum vermuten würde: ein werbefreier Kanal im standardmäßigen „basic cable“-Paket, der nichts anderes zeigt als klassische Spielfilme von zumeist hoher Qualität, ergänzt gelegentlich durch informative Moderation. Damals war der Moderator meist noch der 2017 verstorbene Filmhistoriker Robert Osborne; wer den Job heute macht, weiß ich leider nicht, da wir uns vom TV verabschiedet haben. TCM ist einer der wenigen Kanäle, die ich vermisse.

Auf drei DVDs finden sich sieben einstündige Folgen über die Geschichte Hollywoods, von den ganz ersten Anfängen 1889 bis Ende der 1960er Jahre, jede Folge ergänzt durch eine zehnminütige Paneldiskussion unter Leitung des erwähnten Mr. Osborne. Autor und Produzent der Reihe ist Jon Wilkman, der auch selbst in einigen dieser Diskussionen auftritt. Die Box enthält zudem eine 40-seitige Beschreibung der Folgen, und selbst die ist informativ. Insgesamt stecken drei Jahre Arbeit in dem Projekt.

Eine Unzahl von kurzen Bewegtbildern, Fotos und Filmausschnitten ist hier versammelt, angefangen bei Dioramen, öffentlichen Vorführungen der Laterna Magica, dem Mutoskop, dem ersten Edison-Kinetoskop und den ersten Nickelodeons (der Name leitet sich von der Höhe des verlangten Eintrittsgeldes ab: 5 Cents = 1 Nickel). Das erste Nickelodeon wurde 1906 in Pittsburgh eröffnet:

 

 

 

 

Los Angeles folgte erst einige Tage später. So macht man Geschichte. Man ist in Pittsburgh stolz auf solche Dinge. — Die Projektion auf eine Leinwand kam erst mit den Brüdern Lumière, deren Verfahren besser war als das Edisonsche. Wobei nicht ungewöhnlich war, dass sich konkurrierende Anbieter gegenseitig ihre Maschinen zerschossen — Western live, sozusagen.

Nach dem Stummfilm kam der Tonfilm, der sich mit den Strickmustern von Hörspielen und Radiosoaps verheiratete, womit wiederum erstmals ausformulierte Drehbücher ins Spiel kamen (die übrigens zunächst oft von Frauen geschrieben wurden), es kamen die Studios, es kamen die mit den Studios verbundenen Kinoketten, es kam Hollywoods Starsystem, und mit diesem trennte sich die Produktionsweise Hollywoods von jener in anderen Ländern, etwa der deutschen — und so weiter, ich will hier nicht in die vollen filmgeschichtlichen Details gehen. Was ich aber bemerkenswert finde, gerade auch im Zusammenhang mit den hier im Blog letzthin erwähnten Filmen, das ist die Tatsache, dass die amerikanische Filmwirtschaft (die detailliert in den Folgen geschildert wird) es von Anfang an verstanden hat, populär zu sein. Filme, selbst, wenn sie künstlerisch hochwertig waren, wurden hier nicht als Kunst angesehen, sondern als Massenunterhaltung. Die Zielgruppe waren Arbeiter, Zuwanderer, Leute mit wenig Geld, Menschen, die die Sprache nicht beherrschten. Sie mussten die erzählten Geschichten verstehen können, und die Hollywoodschen Produzenten, Autoren und Regisseure entwickelten ein unglaubliches Gespür dafür, wie das zu gewährleisten war. Die Studiobosse, oft sehr zweifelhafte, autoritäre und unangenehme Typen, ließen das zu; sie wussten, woher das Geld kam.

Ein zweiter Grund war die Existenz von Stars, von Gestalten, mit denen sich die einfachen Zuschauer identifizieren konnten — sei es als Wunschtraum, sei es als Vorbild –, die aber gleichzeitig auch unerreichbar sein mussten. So entwickelten sich Stars, deren Gagenforderungen ins Abenteuerliche stiegen, die aber akzeptiert wurden, weil die Studiobosse (die Laemmles, Mayers, Goldwyns etc.) sicher sein konnten, dass sie ihre Kosten wieder einspielen würden — denn die Stars waren an ein Studio gebunden, sie hatten zu spielen, was man ihnen vorsetzte, sie hatten die Images anzunehmen, die man ihnen verpasste, sie konnten nicht weglaufen (das kam erst sehr viel später).

Das alles lief ohne Förderung und Subventionen. Sie wurden nicht gebraucht, denn das Produktionsprinzip war von Anfang an: Man warf mit hohem Risikoeinsatz Spaghetti gegen die Wand und schaute, was kleben blieb. Das wurde dann ausgebaut. Was nicht lief, wurde nicht mal archiviert, es wurde weggeworfen. Und genau das sind die Gründe dafür, dass Hollywoodfilme bis heute überall auf der Welt funktionieren. Deswegen laufen US-Filme (und Serien) mit großem Erfolg in (zum Beispiel) Deutschland, während deutsche (man kann auch sagen: europäische) Filme in den USA, wenn sie überhaupt hierher kommen, es bestenfalls für eine oder zwei Vorführungen auf ein Festival oder in einen New Yorker Arthouse-Keller schaffen. Hollywood weiß, wie man Geschichten erzählt. In gewisser Weise ist es ja selbst eine.

Moguls & Movie Stars zeigt, wie das funktioniert, der Sprecher Christopher Plummer begleitet einen auf der Reise. Dabei wird nebenbei auf eine ganz verblüffende Weise auch deutlich, wie sehr die Hollywood-Produktionen mit dem Zeitgeist der jeweiligen Jahrzehnte verbunden waren. Es ist nicht übertrieben, sie als Spiegel der amerikanischen Geschichte seit 1900 zu sehen, wobei sich Zeitgeist und filmische Kunst nicht mal widersprechen müssen — wie etwa schon Griffiths Birth of a Nation zeigt, und noch immer Easy Rider. Man staunt, wie zackig im Zweiten Weltkrieg das Militär dargestellt wurde (das US-Militär, selbstverständlich), wie düster die Hollywood-Produktionen in den Jahren danach wurden (Hollywoods Schwarze Serie, die gleichzeitig eine ihrer besten Ären ist), man schmunzelt über die getrennten Ehebetten und andere Sittsamkeiten, die die Hollywoodbosse als Reaktion auf Skandale innerhalb ihrer eigenen Zunft installierten, um in den Augen der Öffentlichkeit „sauber“ dazustehen. Man schaudert über die Blacklists und ihre teils tragischen Folgen, ebenso über die Versuche der Politik, sich in die Filme einzumischen — und darüber, dass die Filmwirtschaft es schaffte, sich aus eigener Kraft wieder freizuschaufeln.

Was leider kaum vorkommt, ist die Tatsache, dass auch anderswo auf der Welt Filme gemacht wurden. Erst in der letzten Folge erfährt man von Italien, Frankreich, auch von Deutschland. Erich von Stroheim wird erwähnt, Billy Wilder (na klar), Ernst Lubitsch. Fritz Lang kommt nicht vor. Das ist aber in US-Dokus wie dieser normal. Damit muss man wohl leben. Das kann man aber in diesem Fall sehr gut. Ich kenne keine bessere Geschichte Hollywoods als diese. Man sieht nach diesen sieben Stunden gerade auch deutsche Filme mit anderen Augen.

2022 13 Sep.

Reich/Richter

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Im Zusammenhang mit Reichs Gesprächsbuch „Conversations“ hatte ich auf das bevorstehende Erscheinen von Reich/Richter schon hingewiesen. Seit einigen Wochen liegt die CD nun vor und bereitet mir große Freude.

Der Reich-typische Puls ist natürlich da, Reichs Vorliebe für symmetrische Strukturen ebenfalls, das Prinzip der „Arche“ (ABCBA) wird wieder durchgehalten, und wie schon in anderen Kompositionen spielt das Vibraphon die Rolle eines Signalgebers, der den Wechsel zu einem neuen Abschnitt einleitet. Wer die Musik von Steve Reich kennt, ist sofort „drin“. Und doch weiß Reich/Richter zu überraschen, denn so sehr man auch meint, Reichs kompositorische Signaturen zu kennen, so gelingt es ihm doch, ihnen Varianten abzuluchsen, die man so noch nicht gehört hat.

Reich/Richter ist im Prinzip der zweite Teil einer Komposition, deren erster Teil von Arvo Pärt stammt. Der von Reich geschriebene Teil bildet die Filmmusik zu einem Portraitfilm von Corinna Belz (2019) über den Maler Gerhard Richter, von dem auch das Coverbild der CD stammt. Das Werk besteht aus vier Sätzen („Opening“, „Patterns & Scales“, „Cross Fades“ und „Ending“). Auf dem erwähnten Puls werden diesmal nicht kleine sich wiederholende Melodiepartikel aufgebaut, sondern man hat das Gefühl, in ein Spiegelkabinett aus Klangtupfern und aufwärts laufenden Arpeggios geraten zu sein, die durch Echogeräte laufen (es ist aber immer das ohne elektronische Helferlein spielende Ensemble InterContemporain; das Ganze ist ein Livemitschnitt von 2020). Im langsamen dritten Teil, „Cross Fades“, werden liegende Töne von einem Instrument zu einem anderen weitergereicht. Das ergibt einen Morphing-Effekt, als würde sich die Klangfarbe des jeweiligen Tons fließend verändern.

Im Booklet findet man ein ausführliches Interview mit Steve Reich, der auskunftsfreudig wie immer ist.

 

Steve Reich:

Reich/Richter
Ensemble InterContemporain, Ltg. George Jackson

Nonesuch 2022

 

2022 24 Juli

Der Westcoast-Mythos

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„Der Westcoast-Mythos — Eine leicht verklärte Erinnerung“, so hat Ingeborg Schober eine fünfteilige Serie überschrieben, die sie 1973 in Sounds veröffentlichte, der damals amtlichen deutschen Rockmusikgazette. Die Serie beruhte auf Interviews mit Bands, vielen Platten, Lillian Roxons „Rock Encyclopedia“ und vor allem dem Besuch vor Ort: in der Bay Area zwischen Berkeley und Los Angeles.

Diese Serie liegt nun wieder vor, kompakt als ein schönes, jackentaschengerechtes Büchelchen mit knapp 160 Seiten, herausgegeben von Gabriele Werth als eine Art Nachlieferung zu ihrem Schober-Sammelband „Die Zukunft war gestern“ (2021), und deutlich interessanter als es das Cover vermuten lässt. Es enthält neben Schobers Originaltext Faksimiles der Sounds-Seiten sowie zwei leicht gekürzte Kapitel aus ihrem Buch „Tanz der Lemminge“ (1979) über die Band Amon Düül II.

Ingeborg Schober war nicht nur die erste Frau, die es im damals wie heute männerdominierten Musikjournalismus zu Ansehen brachte, sondern auch eine, die einen eigenständigen, sofort erkennbaren Ton entwickelte, und wenn man diesen Ton kennt, fühlt man sich sofort zu Hause. Dass sie es mit Fakten nicht immer allzu genau nimmt, verzeiht man gern — so macht sie etwa Marty Balin zum Kanadier oder hört aus Songtexten falsche Zeilen heraus. Man muss im Kopf behalten, dass sie damals nicht auf das Internet zurückgreifen konnte.

Ihr Blick auf die Dinge ist deutsch. Nun kann man natürlich sagen: Klar, sie ist ja Deutsche, und ihre Leser degleichen, doch führt das gelegentlich dazu, dass sie deutsche Maßstäbe an amerikanische Gepflogenheiten anlegt, was dann zu falschen Einschätzungen führt. In manchen Fällen kennt sie auch einfach Infrastrukturen nicht; sie weiß zum Beispiel offenkundig nicht, wie Platten ins amerikanische Radio gelangen. Obendrein hält sie anscheinend die Bezeichnung „Frisco“ für besonders schnittig, dabei ist Frisco eine Kleinstadt in Texas, und in SanFrancisco hört man diese Verballhornung gar nicht gern (dort spricht man, wenn es schon kurz sein muss, von „SF“ oder schlicht „the City“).

Das ist aber alles Kleinkram, über den man schnell hinwegliest. Denn Ingeborg Schober hat die Gabe, die Atmosphäre jener Jahre und Gegend einzufangen und so wiederzugeben, dass man sie fast zu spüren glaubt — wie man natürlich auch sofort die alten Platten wieder ausgräbt oder den Streamingdienst seines Vertrauens auf Herz und Nieren prüft. Denn das ist klar: Der Westcoast-Mythos beinhaltete viel mehr Musik von viel mehr Bands als wir es heute noch wissen. Grateful Dead, Creedence Clearwater Revival, Janis Joplin with Big Brother & The Holding Company, CSN & Y, Blue Cheer, Sir Douglas Quintet, It’s A Beautiful Day, die Byrds, die Turtles, Buffalo Springfield, Country Joe & The Fish und viele mehr kommen vor, und ihre damalige Bedeutung wird ebenso eingeordnet wie ihre Vielfalt. Dass die meisten davon, heute gehört, dann doch nicht mehr so recht überzeugen, kann eine überraschende Erkenntnis sein. Liest man, wie wild sich Jim Morrison auf der Bühne aufgeführt haben soll (ja, der legendäre Vorfall wird erwähnt, auch wenn niemand weiß, ob er überhaupt stattgefunden hat), dann staunt man doch, wie friedlich eigentlich die Musik der Doors war. Man ist heute ganz anderes gewohnt. Deutlich wird auch, dass nur wenige dieser Bay-Area-Bands mit der musikalischen Kompetenz von Jefferson Airplane mithalten konnten, die deswegen auch quer durch das Buch immer wieder vorkommen.

Dass die Musiker — insbesondere Grace Slick, aber auch der anderen Bands — sehr zugänglich waren, in der Regel nicht herumzickten und von Fans jederzeit angesprochen werden konnten, ist ein Phänomen, das wir bei heutigen durchgetakteten und securitygeschützen Festivals nicht mehr kennen. Das war das eigentliche San Francisco. Dass damals das politische Geschehen im Umfeld der Bay Area, der Universitäten, der Bands und Jahre dramatisch überschätzt wurde, verwundert aus heutiger Sicht nicht — wie man auch manchmal darüber staunt, dass (auch von Ingeborg) bereits mittelgroße kommerzielle Erfolge als „beginnender Ausverkauf“ angesehen wurden. Als ob die Plattenindustrie jemals ein Wohltätigkeitsverein hätte sein können und/oder wollen. Im Normalfall aber hält Ingeborg Schober einfach als Chronistin fest, dass man das so sah, widerspricht aber auch nicht. Sie schreibt als Teil der Szene, die sie beschreibt.

Man hat das Buch an zwei Abenden durch, und man freut sich, dass es das alles mal gab und dass dieser Text jetzt wieder zugänglich ist. Ingeborg, wenn sie es wüsste, würde sich riesig darüber freuen — leicht verklärt.

Ingeborg Schober:
Der Westcoast-Mythos
Eine leicht verklärte Erinnerung
Herausgegeben von Gabriele Werth
Edition kopfkiosk im Verlag Andreas Reiffer, Meine 2022
ISBN 978-3-945715-76-5; 11,50 Euro

2022 26 Juni

Kraftwerk, New York

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Manhattan, Radio City Music Hall, 17. Juni 2022. Seit acht Jahren nicht mehr in den USA gewesen, die für 2020 geplante Jubiläumstour wegen Covid verschoben, aber jetzt sind sie da: Kraftwerk. 1971 sah ich sie zum ersten Mal live, seinerzeit in der Hamburger „Fabrik“ vor vielleicht 50 Zuschauern, die ebensowenig wie ich oder die Band selbst eine Vorstellung davon hatten, was aus diesen Typen einmal werden würde. Damals mussten sie ihre eher bescheidene Anlage noch selbst aufbauen, heute stehen drei Trucks vor der Halle und die transportable Bühne ist speziell für die Band designt.

„Sold out“ sagt das Billboard. Das stimmt wohl nicht ganz, links und rechts sind noch freie Plätze zu sehen, wenn auch nicht viele. Die längste Schlange im fast kathedralartigen Foyer dieser wunderbaren Halle mit Zwanziger-Jahre-Touch steht interessanterweise nicht vor dem Getränke-, sondern bereits eine knappe Stunde vor Konzertbeginn vor dem Merchandise-Stand.

 

 

 

 

Ich habe Kraftwerk im Laufe der Jahre nun achtmal gesehen, mit wirklichen Überraschungen war nicht zu rechnen, und es kommen auch keine. Das Konzert beginnt mit dem üblichen elektronischen Wimmelsound, zwölf Minuten lang, dann der bekannte elektronische Spruch: „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, heute abend die Mensch-Maschine Kraftwerk“. Nachdem vor acht Jahren der Auftritt mit „The Man Machine“ begann, hat man sich diesmal wieder für „Nummern“ entschieden, wie man es schon 1981 gemacht hat. Nur gab es damals noch nicht die 3-D-Projektion, und die heute synchron zur Musik quer durch den Saal fliegenden Ziffern packen einen dann doch. Besonders eine Viertelstunde später, als zu „Spacelab“ ein Satellit mitten im Raum zu stehen scheint und auf der Leinwand ein Raumschiff vor der Radio City Music Hall landet. Auch wenn man das alles schon gesehen hat: Es funktioniert. Der 3-D-Effekt wird teils sehr plakativ, teils aber auch recht subtil eingesetzt und trägt eine Weile, lässt dann aber nach. Kraftwerk geht es nicht anders als den vor einigen Jahren etablierten 3-D-Kinos: Der Effekt ist nett, ersetzt aber die künstlerische Substanz nicht.

Kraftwerk hat keine neuen Stücke im Programm, und ich bin sicher, dass wir auch keine mehr erleben werden. Ralf Hütter hat sich auf das 1-2-3-4-5-6-7-8-Schema festgelegt, für eine 9 ist da kein Platz mehr. Die Band spielt „Greatest Hits“, wie immer mit subtilen Veränderungen der Arrangements, Hütter greift wie immer ein paarmal die falschen Tasten, seine Stimme ist inzwischen hörbar gealtert (der Mann ist 75, dafür bewegt er sich noch sehr munter), und was die drei anderen Herren an ihren Pulten machen, bleibt wie immer ein Rätsel. Auch die mit den Armen rudernden „Roboter“ haben ihren Auftritt. Auf geheimnisvolle Weise werden sie im Strobelight aus dem Boden hochgefahren, und alle Smartphones leuchten auf:

 

 

 

 

Das gibt der Band die Gelegenheit, für ein paar Minuten von der Bühne zu verschwinden — „pee break“ nennen das die Amerikaner, schließlich sind die Jungs alle nicht mehr die Jüngsten. Das Ganze endet nach rund zwei Stunden mit dem „Taschenrechner“ als Zugabe

 

 

 

 

und der „Music Non Stop“-Routine, die man schon lange kennt: Jeder der Vier hat ein kurzes Solo, nacheinander gehen sie mit einer Verbeugung von der Bühne ab — Ralf Hütter als Letzter, für ihn erhebt sich das gesamte Publikum von den Sitzen.

Was kann man sagen? Die Musik von Kraftwerk ist zeitlos, nicht zuletzt, weil sie immer wieder aktualisiert wurde, ohne dass die Substanz verloren gegangen wäre. Lediglich „Trans Europa Express“ und „Neon Lights“, früher zwei ihrer stärksten Stücke, hängen heute ein bisschen flach in den Seilen, „Autobahn“ ist mehr als nötig gekürzt worden. Ein erstaunlich diszipliniertes Publikum, die meisten Zuschauer 40+, einige hatten ihre Kinder mitgebracht. Ein wunderbarer Abend, schönster Retrofuturismus mit leichtem Augenzwinkern, einzig der Sound war nicht ideal, obwohl Kraftwerk eigentlich gerade dafür bekannt ist — der Bass glich einer Herzmassage und überlagerte etwas unbalanciert die latent verwaschenen Mitten. In der zweiten Hälfte des Konzertes besserte sich dies ein wenig. Einige eingestreute Quadro-Effekte waren wahrnehmbar, gingen aber irgendwie unter, ebenso hatten einige Teile der Projektion Doppelkonturen, die sicher nicht beabsichtigt waren, aber das mag meinem Platz zuzuschreiben sein.

Wer weiß, ob es ein neuntes Mal geben wird.

 

 

 

 

 


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