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2022 19 Sep

Moguls & Movie Stars

von: Jan Reetze Filed under: Blog | TB | 6 Comments

Dass hier in letzter Zeit verstärkt wieder Filme ein Thema sind, hat mich dazu angeregt, eine DVD-Box wieder hervorzukramen, die seit zwölf Jahren fast vergessen bei mir im Regal stand:

 

 

Moguls & Movie Stars — A History of Hollywood, eine Produktion von TCM (Turner Classic Movies), einem TV-Kanal, wie man ihn in den USA kaum vermuten würde: ein werbefreier Kanal im standardmäßigen „basic cable“-Paket, der nichts anderes zeigt als klassische Spielfilme von zumeist hoher Qualität, ergänzt gelegentlich durch informative Moderation. Damals war der Moderator meist noch der 2017 verstorbene Filmhistoriker Robert Osborne; wer den Job heute macht, weiß ich leider nicht, da wir uns vom TV verabschiedet haben. TCM ist einer der wenigen Kanäle, die ich vermisse.

Auf drei DVDs finden sich sieben einstündige Folgen über die Geschichte Hollywoods, von den ganz ersten Anfängen 1889 bis Ende der 1960er Jahre, jede Folge ergänzt durch eine zehnminütige Paneldiskussion unter Leitung des erwähnten Mr. Osborne. Autor und Produzent der Reihe ist Jon Wilkman, der auch selbst in einigen dieser Diskussionen auftritt. Die Box enthält zudem eine 40-seitige Beschreibung der Folgen, und selbst die ist informativ. Insgesamt stecken drei Jahre Arbeit in dem Projekt.

Eine Unzahl von kurzen Bewegtbildern, Fotos und Filmausschnitten ist hier versammelt, angefangen bei Dioramen, öffentlichen Vorführungen der Laterna Magica, dem Mutoskop, dem ersten Edison-Kinetoskop und den ersten Nickelodeons (der Name leitet sich von der Höhe des verlangten Eintrittsgeldes ab: 5 Cents = 1 Nickel). Das erste Nickelodeon wurde 1906 in Pittsburgh eröffnet:

 

 

 

 

Los Angeles folgte erst einige Tage später. So macht man Geschichte. Man ist in Pittsburgh stolz auf solche Dinge. — Die Projektion auf eine Leinwand kam erst mit den Brüdern Lumière, deren Verfahren besser war als das Edisonsche. Wobei nicht ungewöhnlich war, dass sich konkurrierende Anbieter gegenseitig ihre Maschinen zerschossen — Western live, sozusagen.

Nach dem Stummfilm kam der Tonfilm, der sich mit den Strickmustern von Hörspielen und Radiosoaps verheiratete, womit wiederum erstmals ausformulierte Drehbücher ins Spiel kamen (die übrigens zunächst oft von Frauen geschrieben wurden), es kamen die Studios, es kamen die mit den Studios verbundenen Kinoketten, es kam Hollywoods Starsystem, und mit diesem trennte sich die Produktionsweise Hollywoods von jener in anderen Ländern, etwa der deutschen — und so weiter, ich will hier nicht in die vollen filmgeschichtlichen Details gehen. Was ich aber bemerkenswert finde, gerade auch im Zusammenhang mit den hier im Blog letzthin erwähnten Filmen, das ist die Tatsache, dass die amerikanische Filmwirtschaft (die detailliert in den Folgen geschildert wird) es von Anfang an verstanden hat, populär zu sein. Filme, selbst, wenn sie künstlerisch hochwertig waren, wurden hier nicht als Kunst angesehen, sondern als Massenunterhaltung. Die Zielgruppe waren Arbeiter, Zuwanderer, Leute mit wenig Geld, Menschen, die die Sprache nicht beherrschten. Sie mussten die erzählten Geschichten verstehen können, und die Hollywoodschen Produzenten, Autoren und Regisseure entwickelten ein unglaubliches Gespür dafür, wie das zu gewährleisten war. Die Studiobosse, oft sehr zweifelhafte, autoritäre und unangenehme Typen, ließen das zu; sie wussten, woher das Geld kam.

Ein zweiter Grund war die Existenz von Stars, von Gestalten, mit denen sich die einfachen Zuschauer identifizieren konnten — sei es als Wunschtraum, sei es als Vorbild –, die aber gleichzeitig auch unerreichbar sein mussten. So entwickelten sich Stars, deren Gagenforderungen ins Abenteuerliche stiegen, die aber akzeptiert wurden, weil die Studiobosse (die Laemmles, Mayers, Goldwyns etc.) sicher sein konnten, dass sie ihre Kosten wieder einspielen würden — denn die Stars waren an ein Studio gebunden, sie hatten zu spielen, was man ihnen vorsetzte, sie hatten die Images anzunehmen, die man ihnen verpasste, sie konnten nicht weglaufen (das kam erst sehr viel später).

Das alles lief ohne Förderung und Subventionen. Sie wurden nicht gebraucht, denn das Produktionsprinzip war von Anfang an: Man warf mit hohem Risikoeinsatz Spaghetti gegen die Wand und schaute, was kleben blieb. Das wurde dann ausgebaut. Was nicht lief, wurde nicht mal archiviert, es wurde weggeworfen. Und genau das sind die Gründe dafür, dass Hollywoodfilme bis heute überall auf der Welt funktionieren. Deswegen laufen US-Filme (und Serien) mit großem Erfolg in (zum Beispiel) Deutschland, während deutsche (man kann auch sagen: europäische) Filme in den USA, wenn sie überhaupt hierher kommen, es bestenfalls für eine oder zwei Vorführungen auf ein Festival oder in einen New Yorker Arthouse-Keller schaffen. Hollywood weiß, wie man Geschichten erzählt. In gewisser Weise ist es ja selbst eine.

Moguls & Movie Stars zeigt, wie das funktioniert, der Sprecher Christopher Plummer begleitet einen auf der Reise. Dabei wird nebenbei auf eine ganz verblüffende Weise auch deutlich, wie sehr die Hollywood-Produktionen mit dem Zeitgeist der jeweiligen Jahrzehnte verbunden waren. Es ist nicht übertrieben, sie als Spiegel der amerikanischen Geschichte seit 1900 zu sehen, wobei sich Zeitgeist und filmische Kunst nicht mal widersprechen müssen — wie etwa schon Griffiths Birth of a Nation zeigt, und noch immer Easy Rider. Man staunt, wie zackig im Zweiten Weltkrieg das Militär dargestellt wurde (das US-Militär, selbstverständlich), wie düster die Hollywood-Produktionen in den Jahren danach wurden (Hollywoods Schwarze Serie, die gleichzeitig eine ihrer besten Ären ist), man schmunzelt über die getrennten Ehebetten und andere Sittsamkeiten, die die Hollywoodbosse als Reaktion auf Skandale innerhalb ihrer eigenen Zunft installierten, um in den Augen der Öffentlichkeit „sauber“ dazustehen. Man schaudert über die Blacklists und ihre teils tragischen Folgen, ebenso über die Versuche der Politik, sich in die Filme einzumischen — und darüber, dass die Filmwirtschaft es schaffte, sich aus eigener Kraft wieder freizuschaufeln.

Was leider kaum vorkommt, ist die Tatsache, dass auch anderswo auf der Welt Filme gemacht wurden. Erst in der letzten Folge erfährt man von Italien, Frankreich, auch von Deutschland. Erich von Stroheim wird erwähnt, Billy Wilder (na klar), Ernst Lubitsch. Fritz Lang kommt nicht vor. Das ist aber in US-Dokus wie dieser normal. Damit muss man wohl leben. Das kann man aber in diesem Fall sehr gut. Ich kenne keine bessere Geschichte Hollywoods als diese. Man sieht nach diesen sieben Stunden gerade auch deutsche Filme mit anderen Augen.

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6 Comments

  1. Anonymous:

    Zum Anschauen hier:

    https://www.youtube.com/watch?v=JvHvhXmqiPE

  2. Lajla:

    Ergänzend müssen doch die 15 Goethe-Institute mit ihren Pop ups und Film-Zentren erwähnt werden, die in Nordamerika für eine ganz beachtliche Verteilung von deutschen und europäischen Filmen anbieten.

  3. Jan Reetze:

    Klar, Lajla, die Goethe-Institute darf man in der Tat nicht vergessen. Allerdings glaube ich, dass die ein schon eher spezialisiertes Publikum ansprechen; den „normalen Durchschnittskinogänger“, der/die sich nach dem letzten James Bond den neuesten Nolan ansieht, den wird man für deutsche Filme nicht begeistern können. Die werden hier einfach nicht verstanden und laufen daher — wenn überhaupt — in irgendwelchen Spezialkategorien. Das kann man bedauern, aber Deutschland hat eben diese hollywoodsche global versändliche Erzählweise nicht. Die hatte es mal in den 1920er Jahren. Da hat Hollywood durchaus auf deutsche Filme geschaut und reagiert, aber das endete in Deutschlands großen zwölf Jahren, und danach konnte der Faden nie mehr aufgenommen werden.

  4. Martina Weber:

    „Hollywood weiß, wie man Geschichten erzählt.“ Ja, absolut. Könnte man es aber nicht auch so formulieren: „Die Hollywood-Betrachtungsweise hat sich durchgesetzt.“? Von der Dramaturgie über die Art, Kulissen zu präsentieren zur Beleuchtung: Uns erscheint die hollywoodsche Erzählweise als natürlich, aber es steckt die Wertung dahinter, die Welt auf eine bestimmte Art zu betrachten.

    Spannendes Thema jedenfalls. Und danke, Anonymus, für den Link.

  5. Jan Reetze:

    Klar, Martina, Geschichten erfinden und erzählen kann man überall auf der Welt, und tut es ja auch. Nur bewegen die sich meist innerhalb eines bestimmten Kulturkreises; man denke nur mal an Hongkong oder Indien, die die größten filmproduzierenden Länder der Welt sind. Die USA dagegen, da aus Einwanderern bestehend, sind von Beginn an multi-ethnisch gewesen, viele waren arm, viele beherrschten die Sprache nicht. Deswegen mussten die Filme hier, um erfolgreich zu sein, zunächst eine Bildsprache entwickeln, die von allen verstanden wurde, und die Geschichten mussten ein für alle nachvollziehbares Strickmuster haben. Das ist in Hollywood gelungen, und deswegen, so glaube ich, funktionieren US-Filme international.

  6. Ursula Mayr:

    Douglas Sirk wäre noch zu erwähnen, als Klaus Detlev Sierck vor den Nazis in die Staaten geflüchtet und dort Fuss gefasst. Und den wundervollen La Habanera gedreht.


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