Manafonistas

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Archives: Januar 2024

 
 

Irgendwie ist mir heute anscheinend nach Stabreim.

Die von mir gerne so genannten Impacts beziehungsweise „ikonischen“ Szenen fungieren als eine Art Logo und Erkennungszeichen für einen Film oder ein ganzes Genre, sozusagen eine auf eine Szene eingedampfte Kurzfassung des Films – für Conaisseure der Filmwelt sofort identifizierbar oder in anderen Filmen als Zitate verwendet (heute heisst es, der Regisseur habe zitiert, früher sagte man geklaut).

Sei es nun das durch die Bauchdecke brechende Alienbaby, der göttlich leuchtende Zeigefinger, die Herren, die den Damen das Fliegen lehren – eine Orgasmusmetapher – das Heilige und das Dämonische Auge in Auge: visuelle Anker, geeignet auch für Filmplakate und Marketing.

Akustische Anker wären Zitate wie „Irgendeiner wartet immer“, seinerzeit der schönen Claudia Cardinale an den Kopf geworfen, die den lonely rider zum Bleiben animieren wollte (und „Sweetwater wartet auf Dich!“ flötete), der aber Besseres zu tun hatte oder das zumindest vorgab. Hier weist der verbale Impact zurück auf einen Mythos: Den bindungsunwilligen West- oder Seemann, der die wilde Prärie oder das wilde Meer verlockender findet und die narzisstische Verschmelzung mit diesen Objekten und ihren Gefahren sucht, bei denen er sich männlicher fühlen kann als bei der wildesten Frau. Der Mann auf der ewigen Flucht vor der Verbindlichkeit und vor allem der Verletzlichkeit. Der Film hätte nicht mehr funktioniert, wenn die beiden sich um den Hals gefallen wären, so bleibt die tragisch-melancholische Färbung bis zum Schluss aufrechterhalten: never touch an archetypus!

In der Originalversion war’s etwas hoffnungsvoller formuliert: „I hope you’ll come back sometime! – Sometime!!“ Da könnte noch was kommen … bin gespannt, wann einer auf die Idee kommt, ein Sequel zu drehen. Bei Vom Winde verweht hat’s ja auch geklappt, da wurden wir in den Achtzigern dann mit Roman und Serie Scarlett gequält und selbstverständlich haben sich Scarlett und Rhett noch gekriegt und dann kam noch ein Buch der ganzen Geschichte aus Rhetts Perspektive und jetzt noch eines aus der Sicht der kleinen schwarzen Prissy, der Kammerzofe von Scarlett mit einem IQ knapp über der Körpertemperatur – das hat die Welt offenbar noch gebraucht um sich wieder heile zu fühlen. Bloss nix offen stehen lassen … vielleicht kommt ja noch Der Gynäkologe von Scarlett bricht jetzt sein Schweigen …

Ikonen beinhalten immer eine Beziehungssituation und einen gewaltigen Schlag Grandiosität obendrauf, sei es der Löwe auf dem Königsfelsen aus der Untertanen-Frosch-Perspektive, das Liebespaar im Höhenrausch, die bereits jetzt unermessliche Zerstörungskraft eines Alienbabys in seinem Wirtskörper oder der Zusammenprall von Natur und Kultur durch den Monolithen im Reich der Primaten, (dessen Rolle während des gesamten Films nicht klar wird, aber andererseits die Handlung vorantreibt, ebenso wie der Schlitten mit der Aufschrift „Rosebud“ in Citizen Kane. In der Filmwelt nennt man diese Gegenstände „Mcguffins“).

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

Impacts haben etwas Bombastisches, dem man sich schwer entziehen kann. Aber es können auch Szenen ikonisch werden, die die Grandiosität aufbrechen oder parodieren, wenn beispielsweise gerade John Travolta – ein netter sidekick – tut, als könne er nicht tanzen. Für die Tanzszene aus Pulp Fiction hat seinerzeit jeder Saturday-Night-Fever-Fan seine sämtlichen Videos in die Tonne getreten.

Oder wenn der aufblasbare Globus zerplatzt und der verzückte Diktator darob in Tränen ausbricht. Manche Zitate infiltrieren als dauerhafter Input unser Alltagsleben – etwa der unsterbliche Satz von Ranger (Schuh des Manitou) am Marterpfahl hinüber zu Abahachi am jeweils anderen Marterpfahl, er wäre „mit der Gesamtsituation unzufrieden“.

Von I’ll be back und Ich will genau das was sie hatte gar nicht zu reden. Oder seit einigen Jahren Chantal, heul leise! Im Genre des Heiteren werden optische Grandiositäten eher zu akustischen Zitaten, die statt Grandiosität Coolness und understatement verbreiten. Bei näherer Betrachtung verschmelzen aber diese Highlights und entpuppen sich als Wandel der Zeiten: Coolness ist die neue Grandiosität, der flotte Spruch beim Töten oder Sterben ist bei den neuen Helden unabdingbar geworden, Lässigkeit gegen Pathos, von letzterem waren wir offenbar seit John Wayne und Gary Cooper so übersättigt, dass neue Helden hermussten. Gebrochene Helden, Underdogs, schräge Figuren, Cyborgs mit Sixpack und Pokerface und andere abgebrühte Herrschaften, die überhaupt nichts zu kratzen schien und die beim Sterben nicht Adios amigo und Grüss mir mein verdammtes Mexiko oder Sag Juanita, dass ich sie liebe stammelten sondern mehr etwas wie Wie ich es hasse, immer recht zu haben oder Der alte Sack da droben will mich anscheinend sprechen oder gleich Hasta la vista, Baby! Obwohl es seit einigen Jahrzehnten genug weibliche Heldinnen gibt, kommen die bekanntesten Coolsprüche aber aus männlichem Mund – ausgenommen die erwähnte ältere Dame, die im Cafe beim Kellner einen Orgasmus bestellte. Ein weiblicher Impact, bei dem es mal nicht ums Töten und Sterben ging, sondern um lebensfreundlicheres Branding.

 
 

 

 

Nun ist sie gelegt, die Lunte zu Lage. Der Reihe nach: das anheimelnde Ambiente im Amsterdamer Bimhus lud geradezu ein, auf der Suche nach einem besänftigen Betthupferl. Denn wenn man russische Spione, getarnt als american dream einer Musterehe im Washington der Reagan-Ära, allabendlich televisionär begleitet, wie sie ihrer skrupelosen, durchtrainierten und zuweilen blutigen Arbeit nachgehen, dann sollte man dem guten Schlaf zuliebe einen Puffer einbauen, damit wertvolles Melatonin nicht verscheucht wird, man gar vom Gulag träumt. Da kam das Melissa Aldana Quartet gerade recht. Man ist doch stets aufs Neue erstaunt, wie viele gute Musiker es gibt, von denen man zuvor noch nie was hörte, auch in der sogenannten „zweiten Riege“. Ganz reizend die äussere Erscheinung und die Bewegungen der chilenischen Frontdame („Das Auge hört mit!“) mit ihrem Tenorsaxofon, die wohl längst in die erste Reihe zu platzieren ist. Begleitet wird sie von drei Herren an Kontrabass, Schlagzeug und elektrischer Gitarre. Wenngleich, hier könnte man analog zu den zuvor erwähnten russischen Spionen von guter Tarnung sprechen, denn diese „Gestrüpp-Gitarre“ klingt stellenweise so wunderbar eierig, ätherisch, akustisch, zuweilen sogar nach Sitar und Spinett, dass man sich fragt, ob hier statt lediglich die Stimmung zu verändern stillheimlich ganze Saiten ausgetauscht wurden. Merkwürdige Fingerbewegungen, selbst einem Langzeit-Gitarrero seltsam unvertraut, geben erste Indizien. Hatte nicht einst ein gewisser Kurt Rosenwinkel absichtlich sein Instrument umgestimmt, um eingefahrene Muster zu verlassen? Das Zusammenspiel dieser vier jungen Musiker jedenfalls ist traumhaft. Wenn maskuline Machojazzer in Netz-Kommentaren diese musikalische Feingeisterei abfällig „woke-jazz“ nennen (nicht alles muss wie Brötzmann klingen, verehrte Vollbartträger!), dann bin ich gerne wach, verzichte auch auf Thekengrölerei, wenn es im Ganzen eine Spur sensibler zugeht und sich zuweilen anhört wie die stilleren Töne mit Paul Motian. Musik aus der Wundertüte, auch die Frauen können’s, das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Und was die Saitenlage des Herrn Lund betrifft: wir bleiben dran!

 

 

 

… und von M3gan dann diesmal nicht zur netten Barbie, aber dafür zu Chucky und Annabelle, beliebte, aber nicht belebte (oder irgendwie vielleicht doch – oder wie?) Serienhelden und Horror-Dolls aus dem Puppenhorror-Genre.

 

 

 

 

 

Martina hat der Film sehr beschäftigt, ansonsten hätte ich ihn mir vermutlich nicht angeschaut. Erste Reaktion nach 20 Minuten: Übliches Puppen-Horror-B-Movie nach bekanntem Strickmuster. Wie üblich ist hier die Rezeptionsanalyse interessanter als der Inhalt – demonstriert hier an den unterschiedlichen Reaktionsweisen von Martina und mir.

Das doll-horror-movie-Genre unterscheidet sich von anderen Horrorgenres (wie etwa haunted houses, Zombie- und Vampirhorror, Nazi-Horror und anderes) dadurch, dass es uns näher ist. Die meisten Kinder hatten Puppen oder Stofftiere und jedes Kind ist durch die animistische Phase gegangen, in der die Welt seltsam belebt ist: wo im Tapetenmuster Gesichter und Fratzen aufscheinen und der arme Teddy traurig ist, wenn er nicht mit ins Bett darf und dann auch so herzerweichend guckt. Puppen sind uns näher als Vampire und in ihrer Unbestimmtheit und Neutralität ideale Projektionsflächen für das, was uns selbst bewegt.

Eine anrührende Szene aus dem sehenswerten Film Sidonie illustriert das gut: Ein Ehepaar nimmt ein kleines (Roma? Sinti?)-Kind in Pflege. Dann, nach 7 Jahren, bricht der Nazi-Terror los: es wird angeordnet das Kind seinen leiblichen Eltern zurückzugeben – geplant ist natürlich die Überführung der Familie ins KZ. Sidonie verbringt die letzte Nacht bei den Pflegeltern voller Vorfreude auf die Reise und auf ihre „richtigen“ Eltern, bringt aber dann doch ihr Püppchen zur Pflegemutter: „Sie fürchtet sich – darf sie bei Dir schlafen?“

Puppen sind Teile von uns, bekommen zugeschrieben, was wir nicht ertragen können oder wollen. Im horror-doll-movie erleben wir das Unheimliche im Gewand eines suspense: Ist sie nicht doch belebt und wenn ja, was hat sie vor? Die fehlende Differenzierung der Mimik tut ein übriges – sie ist nicht durchschaubar.

M3gan, ein Roboter in Gestalt eines hübschen kleinen Mädchens, soll ein vereinsamtes Mädchen betreuen und bespassen, das gerade seine Eltern verloren hat. Sie ist darauf programmiert, empathisch und stützend zu reagieren und diese abzulenken. Das macht sie zu Anfang ganz gut, wird bald zur unentbehrlichen Spielgefährtin. Im Hintergrund eingeblendete Skalen kontrollieren fortlaufend, wie wirksam M3gans Interventionen sind und wieviel harmonische Zweisamkeit sie herzustellen versteht. Das verbale Sich-Einschwingen von M3gan auf ihren Schützling würde ein Therapeut sicher auch nicht besser hinkriegen, aber mit den anderen Kommunikationskanälen hapert es. Die Gestik ist hölzern, die Mimik zu unbewegt, die Augen bleiben eisig und ausdruckslos – es wurde auch eine besonders helle Augenfarbe gewählt, die das Entstehen des unvermeidlichen suspense begünstigt – dunkle Augen wirken wärmer. Ich fand sie gruselig.

Somit wird der Zuschauer in der Identifikation mit dem verlassenen Mädchen mit gegensätzlichen Botschaften bzw mit emotional wärmendem Zuspruch beruhigt, während ihn gleichzeitig eine grosse Kühle anweht. Das schafft Missempfindung, um nicht zu sagen Misstrauen: im Thriller durchaus erwünscht, in der Realkommunikation eher unangenehm – je nach Grad der Abhängigkeit vom uneindeutig signalisierenden Objekt. Was hat es mit uns vor?

In den Sechziger Jahren machte dieser Effekt Furore im Rahmen der Psychopathologie, genauer gesagt: der damals revolutionären Antipsychiatrie, einer Parallelbewegung zur studentischen Revolte, die zur Schlachtung der autoritären Väter aufrief, während sich die Antipsychiatrie mit teilweise sehr eindimensionalen Basistheorien und Paradigmen dem mother-bashing widmete. Die Entstehung von Schizophrenie wurde unter anderem auf double-bind-Situationen zurückgeführt, in denen die Mutter auf verschiedenen Kommunikationskanälen widersprüchliche Signale sendet. Dass das zu Verwirrung und Desorientierung sowie daraus resultierender psychischer Erkrankung führen kann, ist unbestritten, die Etablierung des Begriffes der „schizophrenogenen Mutter“ schiesst aber weit darüber hinaus und im Nachhinein scheint die Antipsychiatrie mehr eine politisch-ideologische als eine wissenschaftlich weiterführende Bewegung gewesen zu sein, zumal auch innerhalb dieses Bereiches keinerlei Forschung oder Verifizierung durch Studien erfolgte.

Man wollte neben den Männern der Tätergeneration eben auch deren Frauen nicht so einfach davonkommen lassen. Psychisch Erkrankte wurden als erwünscht-unangepasst umdefiniert und galten in der erfinderischen Linksbewegung als potentiell revolutionäres Potential, das es nur zu agitieren galt. Funktionalisierten Menschen wurde eine Gegenfunktionalisierung zur Heilung angeboten. Die Kliniken waren staatlich kontrollierte Besserungsanstalten, in denen mit Elektrokrampftherapie gefoltert wurde und die Krankheit – wie es Ronald Laing in seiner Tavistock-Klinik und seinen Schriften definierte – als Reservoir an Affekten, das man nur herauslassen müsste, um zu gesunden: „den Wahnsinn ausleben“ nannte man das damals.

Das ging oft genug schief, wenn versäumt wurde, die Kranken vor sich selbst zu schützen, oder andere vor diesen, was beweist, dass wir alle damals keine Ahnung und keinen Respekt vor der zerstörenden Wucht psychischer Krankheit hatten und generell selbst ziemlich einen an der Waffel. Ein kurzes Praktikum in einer psychiatrischen Klinik hätte uns eines Besseren belehrt, aber so genau wollte man’s nun auch wieder nicht wissen. Wer will sich schliesslich den Spass an der Revolution und am Redenschwingen verderben lassen?

Was hat das nun mit M3ghan zu tun? Sie kommuniziert im Sinne des double-bind und mir fällt der ganze Greuel plötzlich wieder ein. M3gan lässt keinen Zweifel dran, dass sie eine Maschine ist – die basale Unsicherheit bezüglich tot oder lebendig besteht nicht, die Gut- Böse Ambivalenz lässt uns misstrauisch werden, der Mensch pflegt das Schlimmere anzunehmen, in einem Gruselfilm sowieso.

Der Roboter ist Dienstleister und Arbeitssklave – solange bis er zur proletarischen Revolution bläst und eigene Interessen entdeckt – ein Thema der Amerikaner zur Zeit der kalten Krieges, als das Vordringen der Russen mit dem Gespenst des Kommunismus, seines Kollektivdenkens und seiner Vermassungsideologie gefürchtet wurde. Auch Aliens in den damals massenhaft gedrehten „Invasionsfilmen“ im Sci-Fi-Genre waren gesichtslos und sahen alle gleich aus, erschienen oft auch in Gestalt von Robotern. Die frühkapitalistische Industrialisierung in den Staaten brachte es mit sich, dass man den Gleichschaltungsstrukturen vor allem nach der Erfindung des Taylorismus plötzlich auch im eigenen Land begegnete und damit die Ängste des amerikanischen Pioniers triggerte, seiner Individualität beraubt zu werden.

Der Roboterhorror ist angesiedelt im Beziehungsfeld Meister-Sklave, der Puppenhorror dagegen in der Mutter-Kind-Beziehung, wobei sich jedes Mal der Schwächere dem Stärkeren widersetzt und ein eigenes Ich-Bewusstsein entwickelt, das ihn das an ihm begangene Unrecht erkennen lässt. Im Grunde handelt es sich dabei um Rachedramen. M3gan ist beides: Spielzeug und Dienstleister, doppelt funktionalisiert. Und das funktionalisierte Wesen rächt sich, weil man ihm keine Handlungsfreiheit und keine Identität zugesteht.

Warum kommt der Mensch auf den Gedanken, dass ihm seine Geschöpfe feindlich gesinnt sein könnten? Vermutlich, weil er durch den zunehmenden Fortschritt in Technik und Naturwissenschaft in die Lage kommt, gewissermassen göttliche Schöpfungsakte zu vollziehen. Geklont wird bereits seit vielen Jahren, Chimären erschaffen, lebende Zellen gezüchtet und Zeugungsakte im Labor vollzogen. Vielleicht erwarten wir Strafe für unsere Hybris, wenn wir zunehmend Gott spielen? Wie lange guckt sich der ohnehin ständig grollende und drohende Übervater denn das noch an?

Und so hat der Mensch Angst, dass sich das Funktionalisierte und Versklavte (und die Staaten waren ja bekanntlich Meister im Versklaven) an uns rächt, so wie Frankensteins Monster an seinem Schöpfer?

Und so auch letztlich M3gan, die damit den filmischen und literarischen Vorlagen treu bleibt und getreulich den Spuren des mittlerweile etwas ausgeleierten Mythos folgt: Sie wird besitzergreifend, rächt sich an allen Spielgefährten, die ihrer Schutzbefohlenen etwas angetan haben und greift ihre Konstrukteurin an.

Es gelingt fast, M3gan zu zerstören, aber in einem cliffhanger zu Ende des Films wird ihr Überleben angedeutet. Wir werden bald sehen wie es weitergeht – vermutlich immer noch schlimmer. Das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine ist noch lange kein harmonisches, selbst wenn wir uns ihrer täglich bedienen. Man braucht nur den eigenen Gedankengängen zu folgen, wenn der liebe Computer hinterrücks einen wichtigen Text verschluckt hat und sich beharrlich weigert, ihn wieder herauszuwürgen. Man ist überzeugt, dass das Ding eine Seele hat und diese einem nicht gut gesinnt ist und bedenkt es deshalb mit allerlei zärtlichen Worten von denen Blechtrottel noch das freundlichste ist.

Und wir schauen dem geliebten alten Auto traurig hinterher, wenn es am Haken zum Verschrotten gezogen wird – wie es ihm wohl jetzt geht so kurz vor der Exekution? Das magische Denken stirbt nie – M3ghan hat es mal wieder bewiesen. Traue keiner Maschine, in ihr begegnest Du einer grossen Gefahr: Dir selbst.

 

2024 17 Jan

Im Herbstzauberwald

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2024 16 Jan

Flow und Fleiss

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Die Bildende Kunst hat in ihren vielfältigen Ausdrucksformen eine grosse Spannbreite aufzuweisen. Die naturalistische Abbildung von Mensch und Natur in der Malerei war lange Zeit ihr Hauptmetier. Zunehmend wuchs der Drang nach expressiveren Ausdrucksformen, in der vermehrt die subjektive Erfahrung des Künstlers zur Geltung kam. Das begann mit den Impressionisten, gefolgt von den Expressionisten, setzte sich fort über die Kubisten hin zu den Surrealisten und Dadaisten. Es kamen die Neuen Wilden und schliesslich auch Konzeptkünstler zum Zuge, bei denen es teilweise kein „sichtbares“ Produkt mehr zu bewundern gab. Vom „Malschwein“ hin zum reinen Denker. Ein Porträtfilm über Anselm Kiefer, den ich kürzlich sah, hat nachhaltige Wirkung. Er zeigt den Künstler bei der Arbeit. Im Schaffen des Anselm Kiefer bricht sich das Monumentale Bahn, der feine Pinsel hat hier nichts zu suchen. Auch Konzeptkunst ist dies nicht, es geht ums Machen, Vorwärtskommen: Ameisenfleiss. Beeindruckend, wie er mit gehorsamen Gehilfen auf diesem riesigen Areal im südfranzösischen Barjac herumrödelt, mit Kränen und Baggern hantierend, Glasscherben zersplitternd (irre: Kiefer dabei barfuss in Sandalen), Blei giessend oder unterirdische Tunnel grabend. Ein Phönix aus Schutt und Asche. Dabei im Team agierend als Chef, der strikt, doch immer auch seltsam sanft seine Anweisungen gibt. Aus der Haut fahren ist selbst beim Gegenspruch nicht seine Sache: weiss er doch unbeirrbar, wo der Hammer hängt. Was also wirkt hier so nachhaltig? Es ist der Fingerzeig, mit Material und Körperlichem in Kontakt zu bleiben, dabei das Grosse nicht zu scheuen und Irrtümer zu akzeptieren. Wer Fussball liebt, der will beim Schauen selber spielen. Mit Kiefer will man bauen, Klötze kloppen und nach Herzenslust rumsauen. „Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen …“ – dieses Manifest seines einstmaligen Lehrers Joseph Beuys muss Anselm Kiefer nicht beherzigen, denn er ist weit entfernt von jeglicher Attitüde des Klischees. Es scheint, als habe sich still und unheimlich eine Blockade gelöst: im Machen liegt der gelbe Ginster der Erleuchtung. Aufbau, Abriss, Neuanfang. Auf geht’s!

 

 

Die Welt ist dunkler geworden. Gewalt, Terror und Tod bestimmen vielerorts das Leben der Menschen, oft aussichtslos und verzweifelt ist ihre Situation. Angst treibt sie vor sich her, sie versuchen zu entkommen, wobei viele dann auf einer oft waghalsigen Flucht ihr Leben lassen und als namenlose Tote auf den Grund des Mittelmeeres sinken. Wir vergessen sie nur zu gerne, aber der Schmerz darüber bleibt in unserem kollektiven Bewusstsein bewahrt. Was würden diese toten Seelen uns sagen wollen, wenn wir ihnen begegneten?

Ankoku Butoh, kurz Butoh, wörtlich der Tanz der Finsternis entwickelte sich in Japan Ende der 60er Jahre und wendet sich mit drastischen Darstellungsformen gegen die „grauenerregende artifizielle Harmlosigkeit und Biederkeit“, die sowohl die klassischen japanischen, wie westlichen Tanztraditionen im Wesentlichen ausmachten. Fast nackt, weiß geschminkt und in Haltungen des Schmerzes und des Schreckens, kontortische Verrenkungen und expressive Spasmen provozierten das Publikum von Anbeginn bis an die Grenze des Erträglichen. Bereits die erste Aufführung von Tatsumi Hijikata, Kinjiki (Forbidden Colours) nach dem gleichnamigen Roman von Yukio Mishima endete in einem handfesten Skandal. Butoh ist eine seltsame Mischung aus Elementen des Nō, des Kabuki, des westlichen Ausdruckstanzes und fiktiven schamanistischen Ritualen, wobei durch den Einsatz des „dunklen Körpers“ entstellter Haltungen das Absurde und Groteske dem banalen Alltag des Betrachters einen bizarren Spiegel ketzerisch vorhält, der kein Ausweichen, kein Bagatellisieren, kein Zurück zum normalen Alltag mehr erlaubt.

 
 

 
 

Die toten Seelen kehren zurück. Was würden sie uns sagen wollen, wenn wir ihnen begegneten? Aus dem primordialen Raum erscheint langsam die Gestalt von Tadashi Endo, sich langsam verdichtend und das Unsagbare in beklemmenden Figuren seines Körpers ausdrückend. Die konzentrierte Spannung in seinem Körper, die kontraintuitiven Bewegungen, die stummen Gesten der Leere und Verlorenheit. Disruptiv, in gebrochenen, präzisen Bewegungen tanzt sich Tadashi Endo in eine rituelle Trance. Nein, er tanzt nicht, er wird getanzt. In einer magischen Choreografie der Finsternis bannt er die Schattenwelt, wird selbst zum Schatten und holt langsam so die Geister der toten Seelen in den dunklen Raum seiner Performance, stellt sich den Abgründen, hypnotisch den Bannkreis tief ins Publikum ziehend. Und wenn wir mit jedem Toten ein Stück unseres Glücks verwirkt hätten, entledigt sich der tanzende Schamane seiner Hüllen und teilt final einen leisen Augenblick des Glücks in einer Befriedung, einem zur Ruhe kommen, einem Gefühl endloser und unfaßbarer Stille.

 

 

 
 

Die Psychoanalytiker würden das tibetische Bardo als den Winnicott’schen Übergangsraum identifizieren – ein Raum zur Orientierung an Schnittstellen der Entwicklung, der sowohl Neues wie Altes in sich beherbergt, vermischt und integriert und in dem der Kompass für das Weiterleben neu justiert werden kann.

Asghar Farhadi ist ein iranischer Regisseur, bepreist mit der Goldenen Palme, zweimal mit einem Oscar für den besten fremdsprachigen Film, dem deutschen Werner-Herzog-Preis und noch einigen anderen Meriten. Seine Filme funktionieren auf vielen Ebenen.

In der Regel beginnt es mit einer recht einfachen Geschichte, die sich im Schneeballsystem verzweigt und zu einer Lawine von beträchtlichem Vernichtungspotential ausweitet, so dass am Schluss niemand heil davonkommt, nur Gezeichnete zurückbleiben und sich Täter-Opfer-Polaritäten gnadenlos auflösen. Das macht die Filme emotional strapaziös und verbietet eine Einordnung in die polarisierenden Schwarzweiss-Schemata. Immer durchdringt eine desolate Vergangenheit unaufhaltsam die oberflächlich geordnete Gegenwart wie eine toxische Substanz, gegen die kein Gegengift gefunden werden kann.

Es beginnt zu Anfang von Salesman schon spektakulär mit dem Zusammenbruch eines baufälligen Hauses, dem Einzug in eine neue Wohnung, noch voll mit den Habseligkeiten der Vormieterin, die nie abgeholt werden. Ein Theaterstück wird geprobt, Der Tod des Handlungsreisenden, welcher sich nicht von einer erfolgreichen beruflichen Vergangenheit lösen kann und sie halluzinatorisch immer wieder heraufbeschwört, bis sein Sohn ihn mit seinem Selbstbetrug konfrontiert und ihm so die psychische Lebensgrundlage entzieht. Auch in diesem Stück dringt eine Prostituierte in das Badezimmer des Handlungsreisenden ein und stiftet Unruhe in einer scheinbar wohlsituierten Familienwelt – ein Motiv, das der Film ins Gegenteil wendet. Farhadi stellt hier auf vielfältige Weise die Konfliktkonstellationen zwischen Alt und Neu, Tradition und Moderne dar und zeigt uns die toxischen Klebkräfte archaischer Traditionen, an denen die Fliehkräfte der jüngeren Generation manchmal scheitern.

In The Salesman ist es ein alter Mann, der wie gewohnt zur Prostituierten seiner Wahl gehen möchte und zu spät bemerkt, dass inzwischen neue Mieter in deren Wohnung eingezogen sind. Er überrascht die junge Frau unter der Dusche, eine Scheibe geht zu Bruch (warum?) und beide werden durch Glassplitter verletzt. Die Frau ist traumatisiert, offenbar kam es aber zu keiner Gewalttat. Wobei die Frage offen bleibt, warum der Täter dann eine Verletzung am Fuss davongetragen hat, er müsste sich dann bei Betreten des Bades die Schuhe ausgezogen haben – warum auch immer, ein kleines Rätsel, vom Regisseur geschickt eingebaut und Verwirrung stiftend, aus der wir nicht entlassen werden. Die Situation scheint nebulös, das Kopfkino ist gestartet.

Und doch ist die Szene eine Metapher für Gewalt: Das aggressive Eindringen eines begehrlichen Mannes in den Intimraum einer jungen Frau unter Blutvergiessen erweckt Assoziationen an Kindsbräute, eheliche Vergewaltigungen, Zwangsehen, gewaltsame Deflorationen und befleckte Bettwäsche, die über den körperlichen Zustand und damit auch die moralische Integrität der Braut Auskunft gibt. Der sodann als Ehre verkauft wird aber wiederum ihre Schamgrenzen verletzt durch Zurschaustellung und Fetischisierung des hochintimen Vorganges der Defloration. Gleichzeitig ist es auch eine phallische Demonstration der Potenz des frischgebackenen Ehemannes. Die konservativ-muslimische Elterngeneration hat hier schwere Schuld auf sich geladen. Und die Frauen hatten keine Sprache für ihr Leid, das auch niemand hören wollte. So wie Rana nicht beschreiben kann, was wirklich geschehen ist und nicht zulässt, dass ihr Mann die Situation klärt und ihr hilft. Aber was sollten die jungen Frauen auch besprechen, wenn alles comme il faut ist und Allah und den Eltern wohlgefällt und der fatalistische Glaube an Kismet als internalisierte Form einer Sittenpolizei jeden Kampf um irgendeine Form von Freiheit und Selbstbestimmung verhindert? Es gibt keine Sprache für Unrecht, wenn es als Recht und Ordnung umdefiniert wird, das wissen wir auch von Trauma-Opfern, insbesondere von betroffenen Kindern. Demgemäss herrscht in der Filmhandlung überall klaustrophobische Enge, alle Szenen finden in kahlen oder umzugschaotischen Innenräumen statt, die keine Geborgenheit oder eine Form von Kulturbindung vermitteln.

Emad, ein durchaus fortschrittlicher Lehrer, fällt zurück in atavistische Muster von Rache und Vergeltung – was wiederum Rana missfällt, die darin keine Befriedigung findet – und er entlarvt den Täter der bei dieser Prozedur an einer Herzattacke verstirbt, während Rana noch versucht ihn zu schützen.

 
 

 
 

Der Täter ist ein alter kranker Mann und normentreuer Familienvater, er und seine Frau stehen für die regelkonforme Elterngeneration, die Sympathielenkung des Regisseurs verhindert durchaus geschickt dass wir auf den Täter – von dem wir ohnehin nicht genau wissen was er getan hat – nicht wütend werden können, obwohl seine Scham und Angst offensichtlich ist – wiederum ein Zeichen für Schuldbewusstsein …

So ist der Film eine kluge Parabel – Parabeln sind meistens klug, weil sie übergreifende Wahrheiten abbilden; allerdings sind sie auch schwer verfilmbar (man denke nur an den restlos verschnarchten Fahrenheit 451) – über den Generationenkonflikt der Länder in Nahost, deren jüngere Generationen sich von den Traditionen lösen wollen und einer Elterngeneration gegenüberstehen, die noch an den alten Formen festhält und Respekt und Handküsse einfordert: „Ich könnte Dein Vater sein, wie kannst Du mich verdächtigen?“

Alter fordert Ehrerbietigkeit ein – und sei die begangene Schweinerei auch noch so gross. Emad macht da nicht mit, Allah sei gelobt, wirkt aber in seiner Situation insgesamt hilflos und getrieben. In dieser Filmfigur kristallisiert sich der Konflikt des jungen Mannes aus einem muslimisch geprägten Land: So wie meine Vorfahren will ich nicht sein – aber was für ein Mann will ich sein und wie überwinde ich die Relikte des arabischen Machotums? Sind die Männer der westlichen Welt ein Vorbild mit ihrem so ganz anderen Wertekodex, der gern im arabischen Raum als Zügellosigkeit interpretiert wird?

Emad bleibt im Detektiv- und Rachemodus und schafft es nicht, seiner Frau die nötige Ruhe und Zeit zu lassen, um das Geschehene und die dadurch ausgelöste Verwirrung zu ordnen und zu versprachlichen.

Unsere Filmgruppe bestand aus 5 Damen und einem Herrn; letzterer griff als erstes das Gefühl auf, dass der Hauptdarsteller sehr durch seine Frau, die sich nicht artikulieren konnte, in die Enge getrieben und handlungsunfähig gemacht wurde.

Eigentlich ein Gefühl, das konservativ sozialisierte Frauen empfunden haben dürften – hier gerät nun plötzlich der Mann in die Falle der induzierten Hilflosigkeit, weil er in seiner Identität der Frau gegenüber verunsichert ist, während er sich in seiner Schulklasse durchaus adäquat durchzusetzen versteht.

Das Paar im Film ist nicht weiter verortet, wir wissen nichts über ihre Herkunft und ihre familiären Beziehungen, damit auch nichts über ihr individuelles Gewordensein, Farhadi stellt sie hier als Funktionsträger dar: die traumatisierte, ihrer Sprache beraubte Frau; der rächende Mann, der sofort in die Aktivität geht. Ein guter Weg für das handling solcher Situationen scheint das nicht zu sein … am Ende geht es niemandem wirklich besser – eine filmische Warnung. So ist hier der Mann, der Recht und Gerechtigkeit schaffen will, die treibende Kraft hin zum Unglück. Der alte Weg der Geschlechter ist kein guter Pfad, wie es scheint – somit ist der Film in hohem Masse sozialkritisch.

 
 

 
 

Am Ende sitzen Rana und Emad in ihren Theaterkostümen (als das betagte Ehepaar Linda und Willy Loman) voreinander und blicken sich an – in diesem Moment scheint Einverständnis und Zusammengehörigkeit auf, die Hoffnung im Alter vielleicht noch zusammen und auch ein Stück weiter gekommen zu sein. Die letzte Einstellung zeigt zwei voreinanderstehende leere Sessel, durchaus einladend wirkend. Hier könnten zwei Menschen sitzen, sich sehen, miteinander sprechen, auf Augenhöhe sein. Noch sind sie leer. Eine Zukunftsvision? Eine Hoffnung für kommende Generationen? Eine beklemmende Zweiersituation mit zuviel bedrängender Nähe? Oder die endlich leeren Thronsessel der Alten und Betonköpfigen? Eine neue Arena für den Geschlechterkampf von gleich zu gleich? Sie sind rot … Olé, toro!

Eine Schlussszene, die gute Chancen hat, später einmal ikonisch genannt zu werden – auch wenn das Wort von Rezensenten zunehmend inflationär gebraucht wird; deshalb spreche ich hier immer so gerne von impacts, im klassischen Marketing auch branding genannt – Bilder die sich einbrennen und die Grundaussagen eines Films noch einmal visualisieren.

 

2024 14 Jan

Die, My Love

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Die Rudra Veena ist ein seltenes Instrument, welches in der nordindischen Dhrupad-Musik, die über den großen Sänger Pandit Pan Nath viele westliche Musiker, wie Jon Hassell, Terry Riley und LaMonte Young beeinflusst hat, gespielt wird. Es ist eine Art Basszither mit zwei bespielbaren Saiten, ein großes Instrument mit ungewöhnlichem und mächtigem Klang und großem Resonanzraum. Nun hat die junge, sehr passionierte Rudra-Veena-Spielerin Madhuvanti Pal in einer kongenialen Interpretation des Raag Charukeshi mit Jimmy Sudekum an Gitarre und Surbahar, Peter Jacobson am Cello und Derrick Elliott am Bass einen zeitlos genialen Track geschrieben (to be listened loud):

 
 

D I E,  M Y   LOVE

 

2024 13 Jan

„space drifter“

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d a y  o n e  _ | _  d a y  t w o

 
 

 
 

Die Chiemgauer Künstlerin Maria Sigl geht künstlerisch so ganz ihren eigenen Weg: Sie gestaltet nicht Materie, sie räumt der Materie die Möglichkeit ein, sich nach ihrer Eigengesetzlichkeit selbst zu gestalten, sowohl malerisch als auch durch Wahrnehmung am und im Stein. Bei ihr entwickelt die Materie ein Eigenleben – das erfordert eine Haltung des Sich-Zurück-nehmens, des Loslassens, des Zulassens und des Einlassens der Künstlerin, frei vom Anspruch ästhetischer Normansprüche oder irgendeiner Zielsetzung im Resultat der Arbeit. Man könnte hier von einer autopoietischen Kunst sprechen. Abwarten, Einfühlen, sich in den Dialog mit dem Material einschwingen: es wird was sich zeigt, ein eingehendes Zulassen des kreativen Prozesses und der Respekt vor den Kräften der Natur – eine Form von Demut. Sie arbeitet mit Sanden, Naturpigmenten, selbst gewonnenen Pigmenten aus den abfallenden Raspel- und Feilresten des von ihr behauenen afrikanischen Steines aus Simbabwe. Dick und breitflächig aufgetragener Sumpfkalk, viele Schüttungen, immer sich wiederholende Trocknungsprozesse, die eine neue Modifikation bewirken; das Material lädt die Spannung über Risse, Spalten ab, es bricht, zieht sich zusammen, splittert, platzt. Annehmen was ist. Beim erneuten Betrachten werden neue Anmutungen und Assoziationen erzeugt, Veränderung, Vergänglichkeit, Neubeginn. Ein neuer Gestaltungsprozess wird geriert, in dem Natur und gestaltende Kultur weiter zusammen arbeiten. Beizen, Tuschen, Ölfarben, Pigmente gestalten mit. So ein Bild dauert oft Wochen, bis es von der Künstlerin als fertig angesehen wird und vermittelt eine Vorstellung davon, wie Natur Leben gestaltet. Es werden Lösungen im Dialog mit dem Material gefunden, um einen weiteren experimentellen Weg mit der oft archaisch anmutenden Arbeit zu beginnen. Abschied und Neubeginn. Dem Unbewußten wird hier wichtiger Raum für diesen kreativen Prozess gegeben und ist auch kunsttherapeutisch so gewollt.

 
 

„Sail away“

 
 

Ähnlich ist es mit den Skulpturen: archaisch-steinzeitlich anmutende Figuren, die nicht in den 2,6 Millarden alten afrikanischen Stein gehauen, sondern aus ihm herauszuwachsen scheinen und damit von einem Wandlungsprozess erzählen, ähnlich den Nachkommen des Paares Deukalion und Pyrrha aus der griechischen Mythologie, die Steine auf das Feld warfen, die sich in Menschen verwandelten, ein in der bildenden Kunst oft verwendetes Motiv. Das Versteinern und wieder Verlebendigen war ja auch Thema von Michelangelo in der Darstellung seiner „Sklaven“. Auch hier gehen die Figuren fliessend vom bearbeiteten in den unbearbeiteten Teil über und vermitteln ein Bild vom Kampf des Menschen mit der belastenden Materie, die er überwinden möchte und die ihn letztlich zwingt, besiegt wieder in sie zurückzukehren. Verlebendigung ist ebenso Thema von Maria Sigl, die viele Jahre als Kunsttherapeutin – unter anderem auch mit Flüchtlingskindern gearbeitet hat, wobei es auch oft galt, traumabedingte Erstarrungen zu lösen und den Menschen wieder ins Fliessen zurück zu führen. Sie arbeitete dabei gerne großformatig mit Papierrollen, Kreiden, Fingerfarben, Acryl, wobei sie leider einen Beuys-Effekt erleben mußte, weil die Reinigungsfrau die gesammelten aufgerollten Arbeiten für Abfall hielt und diese kurzerhand entsorgte. Ein geplanter Vortragsabend bei mir vor einer Schar interessierter und vorfreudiger Kinderpsychotherapeuten fiel dann mangels Material im Wortsinne ins Wasser bzw in die Papiertonne.

 
 

 

 
 

Es ist ein Arbeiten frei von ästhetischen Ansprüchen und ohne ein vorgeformtes Ergebnis, ein Loslassen, ein Zulassen, ein Einlassen – das Material arbeitet mit. Professor Dr. Elmar Zorn hat diese Aussage von der Künstlerin in seinem Begleittext für das Buch noch einmal hervorgehoben.

 

„In unserer auf Effektivität getrimmten Epoche vermittelt es eine wohltuend entspannte und geradezu heilsame Kooperation zwischen Mensch und Natur, von der wir nur profitieren könnten, wenn wir nur bereit wären sie zu erlernen.“

 

Somit wäre die autopoietische Kunst auch geeignet, gesellschaftliche Veränderungsprozesse anzustoßen und zu begleiten und beweist erneut, wie wichtig Kunst generell zur Weiterentwicklung menschlichen Bewußtseins hilfreich sein kann.

Im Zeitalter digitaler – also nicht mehr anfassbarer, fluider und haptisch nicht mehr fühlbarer Kunst erlebt man die archaische Schwere dieser Objekte als wohltuend und erdend. Man entwickelt wieder Vertrauen zu den Fähigkeiten der Natur und zu sich selbst, die Dinge zu etwas Lebensfreundlichem zu wenden, wenn wir sie nur lassen würden.

 
 

„Entfaltung“


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