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Archives: Anselm Kiefer

2024 15 Mai

Von Wandlungen

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In seinem Buch Der Wald und der Fluss schildert der norwegischen Erfolgs-Autor Karl Ove Knausgård eine Etappe von Begegnungen mit dem deutschen Maler-Giganten Anselm Kiefer in zahlreichen intimen, mitunter entlarvenden, jedoch stets respektvollen Momentaufnahmen, die auch eine Qualität des Buches darstellen. Spät man doch allzu gerne durch das vielbesagte Schlüsselloch, um Bereiche auszukundschaften, die einem sonst verborgen blieben. Auch aus diesem Voyeurismus heraus erwächst ja häufig Spannung, neudeutsch: thrill, und das nicht zu knapp.

Ja, Knausgårds Essay über Kiefer (mein erstes Lesevergnügen dieses Autors und ich bin sicher, weitere werden folgen) ist in diesem Sinne ein Thriller und angesichts einer gewissen Flaute auf dem televisionären Serienmarkt (Aktionäre sprechen hier von Baisse) nimmt man gerne jedweden Impuls entgegen, der das Kopfkino ingangsetzt. In einer Szene wandelt der Kunstguru-gleiche Kiefer durch die Jüngerschaft seiner zu einem Fest geladenen Gästeschar einer Kunst- und Kulturelite (zu der, es verwundert nicht, auch ein gewisser Peter Sloterdijk und ein Christof Ransmayr gehören) und fragt nach einem Synomym für Wandlung. „Mutation!“ bietet Knausgård an, den der Künstler befremdlicherweise trotz vorangegangener Vertrautheit nicht mehr erkennt (wahrscheinlich, weil der Antwortgeber zwischenzeitlich seine schulterlangen Haare stutzte und nun Kurzhaar trug). Metamorphose wäre vielleicht auch ein passender gesuchter Ausdruck gewesen.

Ich werde das Bild nicht los in diesen Tagen von dieser ausgetrockneten Schlangenhaut inmitten auf dem sandigen Weg, in der Mittagshitze nahe einer Moorlandschaft zur Zeit meiner ausgedehnten meditativen Wanderungen in den Neuzigern. Eine gewisse Faszination entspringt dieser Imago, weil eine alte Identität abgestreift wurde und der vitale Kern lautlos, still und behende in ein neues Leben entspringt. Ich habe Philosophie immer auch als den „Kaffeesatz der Erfahrung“ interpretiert, aber diese Schlangenhaut ist eine passende Metapher für abgelebtes Leben, Gedankenkarussels, Identitäten, Nachwirkungen von Traumata, kurzum: der ganze Schmu einer kopfgesteuerten Geisterwelt. Hier passt auch eine andere Umwandlung, die ein gewisser Krishnamurti einst als seine Kalamität bezeichnete: ein dramatischer körperlicher Umbau, nicht gewollt, führte zu einer völlig neuen Seinsweise. So ist die Sage, wenn er sein Heimatdorf in Indien besuchte, begleiteten ihn auf seinen Spaziergängen ein Dutzend Kobras, friedlich und handzahm. Vermutlich war er selbst zu einer Art Schlangennatur mutiert und deshalb für sie kein Feind mehr.

Auch in den einem ruhelos vorwärtstreibenden und vitalem Schaffensprozess entspringenden Bildern von Anselm Kiefer, die zutiefst beeindrucken und einen archaischen Raum aufzeigen, der die Singularität und Identitätsbesessenheit des menschlichen Daseins hinter sich lässt, zeigt sich das Wesen der Metamorphose. Alles wandelt sich. Knausgårds wunderbarer Satz, Kiefers Bilder deuteten nicht das Mysterium, sie seien das Mysterium selbst, trifft dies im Kern. Man kann es kaum fassen. Die Bildende Kunst jedenfalls ist, wenn vielleicht nicht grösser als Gott, so gewiss grösser (und weiter) als jede Religion. Auch Anselm Kiefer zeigt dies eindrucksvoll. Der ihr innewohnende Schaffensdrang transzendiert zudem den angstvollen Selbstbezug einer endlichen Existenz, die darauf besteht, dass Dinge bleiben, wie sie sind. Dem entgegen steht die Kontinuität eines Wandels, der Wahrheit nicht in erschöpfenden Selbstumkreisungen sucht (denn da ist nichts), sondern im Erschaffen von Welten. Wie sagte eine leider schon verstorbene Künstler-Freundin: „Einfach immer weitermachen!“ Die Betonung liegt auf Machen.

 

2024 16 Jan

Flow und Fleiss

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Die Bildende Kunst hat in ihren vielfältigen Ausdrucksformen eine grosse Spannbreite aufzuweisen. Die naturalistische Abbildung von Mensch und Natur in der Malerei war lange Zeit ihr Hauptmetier. Zunehmend wuchs der Drang nach expressiveren Ausdrucksformen, in der vermehrt die subjektive Erfahrung des Künstlers zur Geltung kam. Das begann mit den Impressionisten, gefolgt von den Expressionisten, setzte sich fort über die Kubisten hin zu den Surrealisten und Dadaisten. Es kamen die Neuen Wilden und schliesslich auch Konzeptkünstler zum Zuge, bei denen es teilweise kein „sichtbares“ Produkt mehr zu bewundern gab. Vom „Malschwein“ hin zum reinen Denker. Ein Porträtfilm über Anselm Kiefer, den ich kürzlich sah, hat nachhaltige Wirkung. Er zeigt den Künstler bei der Arbeit. Im Schaffen des Anselm Kiefer bricht sich das Monumentale Bahn, der feine Pinsel hat hier nichts zu suchen. Auch Konzeptkunst ist dies nicht, es geht ums Machen, Vorwärtskommen: Ameisenfleiss. Beeindruckend, wie er mit gehorsamen Gehilfen auf diesem riesigen Areal im südfranzösischen Barjac herumrödelt, mit Kränen und Baggern hantierend, Glasscherben zersplitternd (irre: Kiefer dabei barfuss in Sandalen), Blei giessend oder unterirdische Tunnel grabend. Ein Phönix aus Schutt und Asche. Dabei im Team agierend als Chef, der strikt, doch immer auch seltsam sanft seine Anweisungen gibt. Aus der Haut fahren ist selbst beim Gegenspruch nicht seine Sache: weiss er doch unbeirrbar, wo der Hammer hängt. Was also wirkt hier so nachhaltig? Es ist der Fingerzeig, mit Material und Körperlichem in Kontakt zu bleiben, dabei das Grosse nicht zu scheuen und Irrtümer zu akzeptieren. Wer Fussball liebt, der will beim Schauen selber spielen. Mit Kiefer will man bauen, Klötze kloppen und nach Herzenslust rumsauen. „Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen …“ – dieses Manifest seines einstmaligen Lehrers Joseph Beuys muss Anselm Kiefer nicht beherzigen, denn er ist weit entfernt von jeglicher Attitüde des Klischees. Es scheint, als habe sich still und unheimlich eine Blockade gelöst: im Machen liegt der gelbe Ginster der Erleuchtung. Aufbau, Abriss, Neuanfang. Auf geht’s!

 


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