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Archives: The Americans

 

Nun ist sie gelegt, die Lunte zu Lage. Der Reihe nach: das anheimelnde Ambiente im Amsterdamer Bimhus lud geradezu ein, auf der Suche nach einem besänftigen Betthupferl. Denn wenn man russische Spione, getarnt als american dream einer Musterehe im Washington der Reagan-Ära, allabendlich televisionär begleitet, wie sie ihrer skrupelosen, durchtrainierten und zuweilen blutigen Arbeit nachgehen, dann sollte man dem guten Schlaf zuliebe einen Puffer einbauen, damit wertvolles Melatonin nicht verscheucht wird, man gar vom Gulag träumt. Da kam das Melissa Aldana Quartet gerade recht. Man ist doch stets aufs Neue erstaunt, wie viele gute Musiker es gibt, von denen man zuvor noch nie was hörte, auch in der sogenannten „zweiten Riege“. Ganz reizend die äussere Erscheinung und die Bewegungen der chilenischen Frontdame („Das Auge hört mit!“) mit ihrem Tenorsaxofon, die wohl längst in die erste Reihe zu platzieren ist. Begleitet wird sie von drei Herren an Kontrabass, Schlagzeug und elektrischer Gitarre. Wenngleich, hier könnte man analog zu den zuvor erwähnten russischen Spionen von guter Tarnung sprechen, denn diese „Gestrüpp-Gitarre“ klingt stellenweise so wunderbar eierig, ätherisch, akustisch, zuweilen sogar nach Sitar und Spinett, dass man sich fragt, ob hier statt lediglich die Stimmung zu verändern stillheimlich ganze Saiten ausgetauscht wurden. Merkwürdige Fingerbewegungen, selbst einem Langzeit-Gitarrero seltsam unvertraut, geben erste Indizien. Hatte nicht einst ein gewisser Kurt Rosenwinkel absichtlich sein Instrument umgestimmt, um eingefahrene Muster zu verlassen? Das Zusammenspiel dieser vier jungen Musiker jedenfalls ist traumhaft. Wenn maskuline Machojazzer in Netz-Kommentaren diese musikalische Feingeisterei abfällig „woke-jazz“ nennen (nicht alles muss wie Brötzmann klingen, verehrte Vollbartträger!), dann bin ich gerne wach, verzichte auch auf Thekengrölerei, wenn es im Ganzen eine Spur sensibler zugeht und sich zuweilen anhört wie die stilleren Töne mit Paul Motian. Musik aus der Wundertüte, auch die Frauen können’s, das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Und was die Saitenlage des Herrn Lund betrifft: wir bleiben dran!

 

Manchen Zeitgenossen, die sich gerne über etwas „allzu Amerikanisches“ aufregen, im Film oder in Büchern, täte etwas „Amerikanisches“ in ihrem Leben ganz gut. Für andere, die rasch mit den Augen rollen, wenn sie auf Lebensratgeber in Buchform stossen, wäre das eine oder andere Buch dieser Gattung bestimmt ein „Burner“. Der nun auch in die Jahre gekommene Kevin Rowland zählt ein Buch zu seinen wichtigsten Leseerfahrungen, das ein Bestsellerautor namens Eckhart Tolle geschrieben hat über das Leben im Jetzt. Ich bin übrigens ein grosser Freund zweier seiner Alben mit den Dexy‘s Midnight Runners, “Don’t Stand Me Down“ ist grandios und nur wenig bekannt, und das andere, „Too-Rye-Aye“, enthält den göttlichen Song „Come on, Eileen“, der zweifelsfrei zu meinem Soundtrack des Jahres 1982 zählt. Das dazu passende Zitat des Songschmieds: „Ich möchte nicht auf eine Jukebox degradiert werden.“ Der gute Kevin haderte oft mit eingeschlagenen Wegen, und das erwähnte Buch scheint ihn sehr bewegt zu haben.

Ich habe jetzt auch ein Buch auf Lager, das den Untertitel trägt „Ein Wegweiser“. Und den Obertitel „Die Kunst, sich zu verlieren“. Matthes & Seitz hat es just neu herausgebracht, es erschien erstmals 2005, „A Field Guide to Getting Lost“. Ein Essayband als ideale Bettlektüre; bislang habe ich  nur den ersten Text gelesen, „Offene Türen“, dafür gleich zweimal – mal adagio, mal mit den Sätzen fliegend – weil sich darin das weite Feld des Verloren-Gehens so fesselnd öffnet.

Rebecca Solnit scheint eine Meisterin des poetischen Driftens zu sein, ich mag ihre Sprache und folge ihren Gedanken(sprüngen) von einer Sinnlichkeit in die nächste. In ihrem Wegweiser wird man, entdecke ich beim Rumstöbern, verlassenen Krankenhäusern begegnen, der Mojave-Wüste, dem Punk der Achtziger Jahre, einem spanischen Konquistadoren, San Francisco, Hitchcocks „Vertigo“, dem Blau in den Bildern von Yves Klein, dem Song „Walking After Midnight“, und was sich ihr sonst noch alles zum Sich-Verlieren anbot. Es könnte ein kleines Lieblingsbuch werden. Und da es wohl sehr viel mit „surrender“ zu tun hat, weiss ich schon, wem ich es zu Weihnachten schenke. 204 Seiten kosten 22 Euro. Das scheint mir gut angelegtes Geld, und kann einen auf Ideen bringen.

Das letzte Mal ging ich gestern verloren, als ich die letzte Folge der letzten Staffel von „The Americans“ erlebte (jetzt komplett auf Netflix, ein überragendes Epos aus der Zeit des kalten Krieges der frühen Achtziger Jahre). Eine Stärke der Serie ist es, wie sie immer wieder mal Songs jener Ära ausspielt und keinerlei Sprache die bewegten Bilder begleitet. Und auf einmal hörte ich diesen Song, den ich bestens kenne, aber mir fiel eine Minute lang nicht ein, von wem er stammt, obwohl mir die Stimme total vertraut ist – einfach, weil, ich so in der Story auf- und verlorenging, dass das Lied sich aus allen gewohnten Zusammenhängen löste. Tatsächlich: „With or without you“, von U2, und zum allerersten Mal, eingesponnnen in diese grosse Geschichte und ihre erschütternden Abschiede (die manchem vielleicht „zu amerikanisch“ vorkommen werden), gefiel mir der Song unheimlich gut.


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